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Vom Unwissen

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»Wo ist, der geboren ist als König der Ju­den?« - Höret nun, wie diese Geburt vor sich geht.

Die ewige Geburt bringt allewege großes Licht in die Seele, denn es ist die Art des Guten, dass es sich ergießen muss, wo im­mer es ist. In dieser Geburt ergießt sich Gott mit solchem Licht in die Seele, dass das Licht so groß wird im Wesen und im Grun­de der Seele, dass es sich hinausschleudert und in die Kräfte und auch in den äußern Menschen überfließt. Dieses Lichtes wird der Mensch wohl gewahr. Stets wenn er sich zu Gott kehrt, gleißt und glänzt in ihm ein Licht und gibt ihm zu erkennen, was er tun und lassen soll, und viel gute Lehre, wovon er vorher nichts wusste und ver­stand. »Woher weißt du das?« Merk auf: Dein Herz wird mächtig angefasst und von der Welt abgekehrt. Wie anders könnte das geschehen als durch diese Erleuchtung? Die ist so zart und wonnig, dass dich alles ver­drießt, was nicht Gott oder göttlich ist. Sankt Augustin sagt: Es gibt viele, die Licht und Wahrheit gesucht haben, aber nur im­mer draußen, wo sie nicht war. Und dann sind sie zuletzt so weit abgekommen, dass sie nimmermehr heim und nicht mehr hin­einkommen. Wer also Licht finden will und Unterscheidung aller Wahrheit, der warte auf diese Geburt in sich und im Innern und nehme ihrer wahr: So werden alle Kräfte und der äußere Mensch erleuchtet. Denn so wie Gott das Innere mit der Wahrheit be­rührt hat, so wirft sich das Licht in die Kräf­te und der Mensch versteht alsdann mehr, als ihn jemand lehren könnte. Daher spricht der Prophet: »Ich habe mehr gewusst als alle, die mich je lehrten.«

Hier erhebt sich die Frage: Da Gottvater allein im Wesen und im Grund der Seele gebiert und nicht in den Kräften, was geht es die Kräfte an? Was soll ihr Dienst hier, dass sie sich herbemühen und feiern helfen sollen? Wozu ist das not, da in den Kräften nichts geschieht? Das ist gut gefragt. Aber beachte die folgende Unterscheidung: Eine jede Kreatur wirkt ihr Werk um eines Zweckes willen. Der Zweck ist jederzeit das Erste in der Meinung und das Letzte im Werke. Daher beabsichtigt Gott mit allen seinen Werken einen seelischen Zweck, das heißt: sich selbst, und will die Seele mit all ihren Kräften zu ihrem Zweck führen, das heißt: zu Gott selbst. Darum wirkt Gott all seine Werke, darum gebiert der Vater sei­nen Sohn in der Seele, dass alle Kräfte der Seele zu ihrem Zwecke kommen. Er trachtet nach allem, was in der Seele ist, und ladet es alles zur Bewirtung und zu Hofe. Nun hat sich aber die Seele mit den Kräften nach außen zerteilt und zerstreut, jede in ihr Werk: die Sehkraft in das Auge, die Kraft des Gehörs in das Ohr, die Kraft des Schmeckens in die Zunge, und daher sind ihre Werke umso weniger im Stande, in­wendig zu wirken: Denn jede zerteilte Kraft ist unvollkommen. Darum muss sie, wenn sie inwendig kräftig wirken will, alle ihre Kräfte wieder heimrufen und sie von allen zerteilten Dingen zu einem inwendigen Wirken sammeln. Sankt Augustin sagt: Die Seele ist mehr, wo sie liebt, als wo sie dem Leib Leben gibt. Ein Gleichnis: Es war ein­mal ein heidnischer Meister, der hatte sich der Rechenkunst zugewandt und saß vor Stäben und zählte sie und ging seiner Wis­senschaft nach. Da kam einer und zog sein Schwert [er wusste nicht, dass es der Meis­ter war] und sprach: »Sprich schnell, wie du heißest, oder ich töte dich.« Der Meister war so sehr in sich gekehrt, dass er den Feind nicht sah noch hörte noch merken konnte, was er wollte. Und als der Feind lange und viel gerufen hatte und der Meis­ter immer noch nicht sprach, da schlug ihm jener den Kopf ab. Dies war, um eine natür­liche Kunst zu gewinnen. Wie ungleich mehr sollten wir uns allen Dingen entzie­hen und alle unsere Kräfte sammeln, um die einige, grenzenlose, ungeschaffene ewi­ge Wahrheit zu schauen und zu erkennen! Hierzu sammle alle deine Vernunft und all dein Nachdenken: Kehre das in die Tiefe, worinnen dieser Schatz verborgen liegt! Wisse, wenn dies geschehen soll, musst du allen anderen Werken entfallen und musst in ein Unwissen kommen, wenn du dies finden willst.

Es erhebt sich wieder eine Frage: Wäre es nicht angemessener, dass eine jede Kraft ihr eigenes Werk behielte und dass keine die andre an ihren Werken hindre und dass sie auch Gott nicht an seinen Werken hindre? In mir kann eine Art kreatürliches Wissen sein, das nichts hindert, wie Gott alle Dinge ohne Hindernis weiß, wie es bei den Seligen der Fall ist. Nun achtet auf den folgenden Unterschied: Die Seligen sehen in Gott ein Bild, und in dem Bild erkennen sie alle Dinge, ja Gott selbst sieht überhaupt nur in sich und erkennt in sich alle Dinge. Er braucht sich nicht von einem zum an­dern zu wenden, wie wir es müssen. Wäre es so bestellt in diesem Leben, dass wir alle­zeit einen Spiegel vor uns hätten, in dem wir in einem Augenblick alle Dinge in ei­nem Bilde sähen und erkennten, so wäre uns Wirken und Wissen kein Hindernis. Da wir uns nun aber von einem zum andern wenden müssen, darum können wir uns nicht bei dem einen aufhalten ohne Hinde­rung des andern. Denn die Seele ist so ganz verbunden mit den Kräften, dass sie mit ih­nen überall hinfließt, wo sie hinfließen, denn bei all den Werken, die sie wirken, muss die Seele dabei sein und zwar mit Aufmerksamkeit, sie vermöchten sonst mit all ihrem Wirken ganz und gar nichts. Fließt sie also mit ihrer Aufmerksamkeit äu­ßerlichen Werken zu, so muss sie notwendi­gerweise umso schwächer bei ihrem inne­ren Werke sein, denn zu dieser Geburt will und muss Gott eine ledige, unbekümmerte, freie Seele haben, in der nichts sein darf als er allein, und die auf nichts und auf nie­manden warten darf als auf ihn allein. Das meinte Christus, als er sprach: »Wer etwas anderes liebt als mich und Vater und Mut­ter und diesen anderen Dingen gut ist, der ist meiner nicht wert. Ich bin nicht auf die Erde gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert, auf dass ich alle Din­ge abschneide und den Bruder, das Kind, die Mutter, den Freund von dir trenne, die fürwahr deine Feinde sind.« Denn was dir lieb ist, das ist fürwahr dein Feind. Will dein Auge alle Dinge sehen und dein Ohr alle Dinge hören und dein Herz aller Dinge gedenken, so muss wahrlich von all diesen Dingen deine Seele zerstreut werden.

Darum spricht ein Meister: Wenn der Mensch ein inwendiges Werk wirken will, so muss er all seine Kräfte in sich ziehen, wie in einen Winkel seiner Seele, und muss sich verbergen vor allen Bildern und For­men, und da kann er dann wirken. Da muss er in ein Vergessen und in ein Nichtwissen kommen. Es muss in einer Stille und in ei­nem Schweigen sein, wo dies Wort gehört werden soll. Man kann diesem Wort mit nichts besser nahen als mit Stille und mit Schweigen: Dann kann man es hören und alsdann versteht man es ganz in dem Un­wissen. Wenn man nichts weiß, dann zeigt und offenbart es sich.

Nun könntet ihr sagen: Herr, ihr setzt all unser Heil in ein Unwissen. Das klingt wie ein Mangel. Gott hat den Menschen ge­schaffen, dass er wisse; wo Unwissen ist, da ist Verneinung und Leere. Der Mensch ist, das muss wahr sein, ein Tier, ein Affe, ein Tor, solange er im Unwissen verharrt. Das Wissen aber soll sich formen zu einer Über­form, und dies Unwissen soll nicht vom Nichtwissen kommen, vielmehr: Vom Wis­sen soll man in ein Unwissen kommen. Dann sollen wir wissend werden des göttli­chen Unwissens, und dann wird unser Un­wissen geadelt und geziert mit dem überna­türlichen Wissen. Und hier, wo wir uns empfangend verhalten, sind wir vollkom­mener, als wenn wir wirkten. Darum sprach ein Meister, dass die Kraft des Hö­rens auf viel höherer Stufe stände als die Kraft des Sehens, denn man lernt mehr Weisheit mit dem Hören als mit dem Sehen und lebt hier mehr in der Weisheit. Man er­zählt von einem heidnischen Meister, dass seine Jünger, als er im Sterben lag, in seiner Anwesenheit von viel Kunst und großer Er­kenntnis redeten, da hob er sein Haupt noch als Sterbender auf und hörte zu und sagte: »Fürwahr, ich möchte diese Kunst noch lernen, dass ich sie in der Ewigkeit an­wenden kann.« Das Hören bringt mehr her­ein, aber das Sehen zeigt mehr hinaus. Und darum werden wir im ewigen Leben viel seliger sein in der Kraft des Hörens als in der Kraft des Sehens. Denn das Werk des Hörens des ewigen Wortes ist in mir, und das Werk des Sehens geht von mir, und beim Hören bin ich empfangend und beim Sehen wirkend.

Unsere Seligkeit aber liegt nicht an unse­ren Werken, vielmehr daran, dass wir Gott empfangen. Denn um so viel höher steht das Werk Gottes als das meine. Ja aus gren­zenloser Liebe hat Gott unsere Seligkeit in ein Empfangen gelegt, indem wir mehr empfangen als wir wirken und bei weitem mehr nehmen als geben, und jede Gabe be­reitet die Empfänglichkeit für eine neue, ja für eine größere Gabe, eine jede göttliche Gabe erweitert die Empfänglichkeit und die Begehrnis nach einer größeren Empfängnis. Und darum sagen etliche Meister, dass dar­in die Seele Gott ebenmäßig sei. Denn so grenzenlos Gott im Geben ist, so grenzenlos ist auch die Seele im Vernehmen oder Emp­fangen. Und wie Gott im Wirken allmächtig ist, so ist die Seele ein Abgrund des Neh­mens, und darum wird sie mit Gott und in Gott überformt. Gott soll wirken, und die Seele soll empfangen, er soll in ihr sich selbst erkennen und lieben mit seiner Liebe, und darum ist sie viel seliger vom Seinen als vom Ihren, und ihre Seligkeit beruht mehr in seinem Wirken als in ihrem.

Den Sankt Dionysius fragten seine Jün­ger, warum sie alle von Timotheus an Voll­kommenheit überholt würden? Da sprach Dionysius: Timotheus ist ein Gott empfan­gender Mann. Wer sich darauf recht ver­stünde, der überholte alle Menschen. Und so ist dein Unwissen nicht ein Mangel, son­dern deine oberste Vollkommenheit, und dein Nichttun ist so dein oberstes Werk. Und so in dieser Weise musst du alle deine Werke abtun und all deine Kräfte zum Schweigen bringen, wenn du in Wahrheit diese Geburt in dir erleben willst. Willst du den geborenen König finden, so musst du alles, was du sonst vielleicht findest, über­holen und zu Boden werfen. Dass wir das alles überholen und verlieren, was diesem geborenen König nicht wohl gefällt, dazu verhelfe uns der, der darum zum Men­schenkind geworden ist, damit wir Gottes­kind werden. Amen.

Meister Eckhart - Predigten

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