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Von stetiger Freude

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Die Seele hat etwas in sich, ein Fünklein der Vernünftigkeit, das nimmer erlischt, und in dies Fünklein versetzt man das Bild der Seele als in das oberste Teil des Bewusst­seins; und es ist auch ein Erkennen in un- sern Seelen, das äußern Dingen nachgeht, nämlich das sinnliche und Verstandeser- kennen, das in Gleichnissen und in der Sprache vor sich geht, das verbirgt uns dies. Wie sind wir Söhne Gottes? Das ist, dass wir ein Wesen haben mit ihm. Doch was wir darunter verstehen, dass wir Söhne Gottes sind, das ist zu verstehen von dem äußern Verstehen und von dem innern Ver­stehen. Das innere Erkennen ist, was sich vernünftig fundiert auf das Wesen unserer Seele. Doch ist es nicht das Wesen der Seele, es ist vielmehr darein gewurzelt und es ist etwas vom Leben der Seele. Wir sagen, dass das Verstehen etwas Lebendes der Seele sei, das heißt vernünftiges Leben, und in die­sem Leben wird der Mensch geboren zu Gottes Sohn und zu dem ewigen Leben, und dies Erkennen ist ohne Zeit, ohne Raum und ohne Hier und ohne Jetzt. In die­sem Leben sind alle Dinge eins und alleDinge gemeinsam, alle Dinge alles in allem und allem geeinigt.

Gott macht, dass wir ihn selbst erken­nen, und sein Wesen ist sein Erkennen, und es ist dasselbe, dass er mich erkennend macht und dass ich erkenne, und darum ist sein Erkennen mein, wie das, was der Meis­ter lehrt und der Schüler gelehrt wird, ein und dasselbe ist. Und wenn also sein Er­kennen mein ist, und wenn seine Substanz sein Erkennen ist und seine Natur und sein Wesen, so folgt daraus, dass sein Wesen und seine Substanz und seine Natur mein ist. Und wenn also seine Substanz, sein We­sen und seine Natur mein ist, so bin ich der Sohn Gottes. Seht, Brüder, welche Liebe uns Gott geschenkt hat, dass wir Sohn Gottes heißen und sein eigen.

Merkt, wie wir Söhne Gottes werden: wenn wir dasselbe Wesen haben, das der Sohn hat. Wie ist man der Sohn Gottes, oder wie weiß man es, wenn Gott nieman­dem gleich ist? Das ist wahr. Wenn es also Gottes Natur ist, dass er niemandem gleich ist, so ist es notwendig, dass wir dazu kom­men, dass wir nichts sind, auf dass wir in dasselbe Wesen gesetzt werden können, das er selbst ist. Daher kann ich, wenn ich dazu komme, dass ich mich in Nichts um­bilde und Nichts in mich umbilde und hin­austrage und hinauswerfe, was in mir ist, in das reine Wesen des Geistes versetzt wer­den. Da muss alles ausgetrieben werden, was Gleichnis ist, dass ich in Gott verwan­delt werde und eins mit ihm werde und eine Substanz und ein Wesen und eine Na­tur und der Sohn Gottes. Und wenn das ge­schehen ist, dann ist nichts in Gott verbor­gen, was nicht offenbar wird und was nicht mein wird. Denn dann werde ich weise und mächtig und ganz wie er und ein und das­selbe mit ihm. Dann wird Zion ein Wahrse­hender, ein wahrer Israel, das heißt ein se­hender Mann: Gott, denn ihm ist nichts ver­borgen in der Gottheit. Da wird der Mensch in Gott geführt. Aber damit mir nichts ver­borgen bleibe und alles offenbar werde, darf in mir kein Gleichnis und kein Bild mehr vorhanden sein, denn kein Bild kann uns die Gottheit oder sein Wesen öffnen. Bliebe irgendein Bild in dir oder irgendein Gleichnis, so würdest du nimmer eins mit Gott. Damit du also mit Gott eins seist, darf nichts in dir eingebildet oder ausgebildet sein, das heißt, alles was in dir verborgen ist, muss offen und hinausgeworfen wer­den.

Es gibt zweierlei Geburt der Menschen: eine in der Welt und eine aus der Welt, das heißt geistig in Gott. Willst du wissen, ob dein Kind geboren werde und ob es entle­digt sei, das heißt, ob du zu Gottes Sohn ge­macht seist: Solange du Leid in deinem Herzen hast um irgendein Ding [es sei denn um Sünde], solange ist dein Kind nicht ge­boren. Hast du Herzeleid, so bist du nicht Mutter, du bist vielmehr in der Gebärung und nahe der Geburt. Daran darfst du nicht zweifeln, wenn du traurig bist um dich oder um deinen Freund, so ist es nicht ge­boren, es ist aber nahe an der Geburt. Aber dann ist es vollkommen geboren, wenn der Mensch von Herzen kein Leid empfindet um irgendein Ding: Dann hat der Mensch das Wesen und die Natur und die Substanz und die Weisheit und die Freude und alles, was Gott hat, dann wird dieses Wesen des Sohnes Gottes unser und in uns, und wir kommen in dieses Wesen Gottes.

Christus sagt: »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und hebe sein Kreuz auf und folge mir.« Das heißt: Wirf alles Herzeleid hinaus, auf dass in deinem Herzen nichts als stetige Freude sei. Dann ist das Kind geboren. Wenn dieses Kind in mir geboren ist, sähe ich gleich meinen Va­ter und alle meine Freunde vor meinen Au­gen tot, mein Herz wäre darum nicht be­wegt. Aber würde mein Herz von diesem bewegt, so wäre das Kind in mir nicht ge­boren, aber vielleicht wäre es nahe der Ge­burt. Ich sage, Gott und die Engel haben so große Freude über jedes Werk eines guten Menschen, dass dem keine Freude zu ver­gleichen ist. Darum sage ich: Wenn das Kind in dir geboren wird, so hast du so große Freude über jedes gute Werk, das in dieser Welt geschieht, dass deine Freude die allergrößte Stetigkeit wird, sodass sie sich nicht ändert. Und bin ich ganz in das göttliche Wesen verwandelt, so wird Gott mein und alles, was er hat. Dann habe ich rechte Freude, die nicht Leid noch Pein von mir nehmen kann, denn dann bin ich in das göttliche Wesen versetzt, wo kein Leiden Platz hat. Wenn du also dazu kommst, dass du um nichts mehr Leid noch Kummer trägst und dass dir alles eine reine Freude ist, dann ist das Kind in Wahrheit geboren. Dass uns dies widerfahre, das walte Gott. Amen.

Meister Eckhart - Predigten

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