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Von der Dunkelheit

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Man liest im Evangelium: Als unser Herr zwölf Jahre alt war, da ging er mit Maria und Josef nach Jerusalem in den Tempel, und als sie von dannen gingen, da blieb Je­sus im Tempel, ohne dass sie es wussten, und als sie nach Hause kamen und ihn ver­missten, suchten sie ihn unter den Bekann­ten und Unbekannten und unter den Ver­wandten und in der Menge und fanden ihn nirgends. Sie hatten ihn in der Menge verlo­ren und mussten daher wieder hingehen, von wo sie gekommen waren, und als sie wieder an den Anfang kamen, in den Tem­pel, da fanden sie ihn.

So ist es in Wahrheit: Willst du diese edle Geburt finden, so musst du alle Menge verlassen und musst zum Anfang zurück­kehren und in den Urgrund, von dem du ausgegangen bist. Alle Kräfte der Seele und ihr Werk sind bloß Menge; Gedächtnis, Ver­stand und Wille vermannigfaltigen sich alle, darum musst du sie alle lassen: Sinn­lichkeit, Vorstellungen und alles, worin du dich selbst findest oder suchst. Dann kannst du diese Geburt finden, aber sonst wahrlich nicht. Er ward nie unter Freunden oder Verwandten und Bekannten gefunden, viel­mehr verliert man ihn da völlig.

Darum haben wir eine Frage hierüber: Ob der Mensch diese Geburt etwa finden könne in etlichen Dingen, die zwar göttlich sind, aber von außen hineingetragen durch die Sinne, wie einige Vorstellungen von Gott, zum Beispiel, dass Gott gut, weise, barmherzig oder etwas dergleichen ist, was die Vernunft schöpfen kann und was auch göttlich ist - ob man in all diesem diese Ge­burt etwa finden könne? In Wahrheit, nein! Obwohl das alles gut und göttlich ist, ist es doch alles von außen durch die Sinne hin­eingetragen worden: Es muss alles von in­nen auf von Gott herausquellen, wenn diese Geburt eigen und rein hineinleuchten soll, und all dein Werk muss sich hinlegen, und alle deine Kräfte müssen den seinen dienen und nicht den deinen. Soll dies Werk voll­kommen sein, so muss es Gott allein wir­ken, und du darfst es allein empfangen. Wo du mit deinem Willen und deinem Wissen wahrhaft ausgehst, da geht Gott wahrhaft und willig mit seinem Wissen ein und leuchtet da in Klarheit. Wo sich Gott aber wissen will, da kann dein Wissen nicht be­stehen und zu nichts dienen. Du brauchst nicht zu wähnen, deine Vernunft könne noch so wachsen, dass du Gott erkennen könntest, sondern wenn Gott in dir göttlich leuchten soll, dazu fördert dich ein natürli­ches Licht keineswegs, es muss vielmehr zu lauter Nichts werden und völlig ausgehen; und dann kann Gott mit seinem Licht hin­einleuchten und bringt all das mit sich, das dir ausgegangen ist, und tausendfach mehr und eine neue Form dazu, die alles in sich schließt.

Nun könntest du sagen: »Wahrlich, Herr, was soll dann meine Vernunft, wenn sie so untätig stehen muss ohne alles Wir­ken? Ist das der nächste Weg, dass ich mein Bewusstsein zu einer unerkannten Erkennt­nis erhebe, die es doch nicht geben kann? Denn erkennte ich etwas, so wäre es nicht Unerkanntheit und wäre nicht frei und los­gelöst: Soll ich denn ganz und gar in Dun­kelheit stehen?« Ja gewiss, du wirst nie bes­ser stehen können, als wenn du dich völlig in Dunkelheit und Unwissen setzest. »Ach, Herr, muss ich alles abtun, lässt sich das gar nicht wenden?« Nein, wahrhaftig, das lässt sich wirklich nicht wenden. »Was ist aber diese Dunkelheit, wie heißt sie oder wie ist ihr Name?« Ihr Name ist lediglich: Mög­lichkeit des Empfangens, das der seienden Dinge nicht bedürftig ist, und dahin sollst du gebracht werden. Und das lässt sich nicht ändern. Wie die Materie nicht ruht, bis sie mit allen Formen erfüllt ist, so ruht auch die Vernunft nimmer, bis sie erfüllt ist mit allem, was in ihr möglich ist.

Es spricht ein heidnischer Meister: Die Natur hat nichts, was rascher wäre als der Himmel, der überrascht alle Dinge mit sei­nem Lauf. Aber sicherlich! Des Menschen Bewusstsein überrascht ihn noch mit sei­nem Lauf. Bliebe es in seinem Vermögen wirksam und hielte es sich unverhöhnt und unzerrissen von niedern und groben Din­gen, es flöge höher als der höchste Himmel und ließe nimmer ab, es käme in das Aller­höchste und würde da gespeist und geführt von dem allerbesten Gut, das Gott ist.

Und darum ist es nützlich, dieser Mög­lichkeit nachzufolgen und sich frei und los­gelöst zu halten und allein dieser Dunkel­heit und diesem Unwissen nachzufolgen und nachzuhängen und nachzuspüren und nicht davon abzulassen, so ist es dir wohl möglich, den zu erreichen, der alle Dinge ist. Und je mehr in dir selbst Wüste ist und Unwissenheit aller Dinge, je näher kommst du diesem. Von dieser Wüste steht bei Jere­mias geschrieben: »Ich will meine Freundin in die Wüste führen und in ihrem Herzen mit ihr sprechen.« Das wahre Wort der Ewigkeit wird allein in der Ewigkeit ausge­sprochen, wo der Mensch Wüste ist und seiner selbst und aller Mannigfaltigkeit ent­fremdet. Nach dieser Wüste und Fremde begehrte der Prophet, als er sprach: »Ach, wer gibt mir Flügel, wie die Taube hat, auf dass ich fliegen könnte, wo ich Ruhe finde?« Wo findet man Ruhe und Rast? Wahrlich, da wo man aller kreatürlichen Dinge entworfen und entwüstet und ent­fremdet ist. In diesem Sinne sagt David: »Ich erwählte lieber, verworfen und ver­schmäht zu sein im Haus meines Gottes, als große Ehren und Reichtum zu haben in der Taverne der Sünder.«

Nun könntest du fragen: »Fürwahr, Herr, muss das immer und notwendig so sein, dass man aller Dinge entfremdet und zerwüstet ist, äußerlich und innerlich, der Kräfte und ihrer Werke, muss das alles hin­ab? Das ist ein schwerer Stand, wenn Gott den Menschen so ohne seinen Aufenthalt lässt, wenn Gott der Menschen Verlassen­heit so dehnt, dass er nicht in ihm ist, leuch­tend oder zusprechend oder wirkend, wie Ihr hier lehret und meinet. Wenn der Mensch so in lauter Nichts steht, ist es dann nicht besser, dass er etwas tue, um diese Dunkelheit und Entfremdung zu vertrei­ben, zum Beispiel dass er bete oder lese oder eine Predigt höre oder andere Werke tue, was doch Tugenden sind, mit denen man sich helfen soll?« Nein, das sollst du in Wahrheit wissen: Ganz und sehr stille und ganz und gar leer zu verharren, ist dein al­lerbestes. Das merke. Ohne Schaden kannst du dich nicht wieder irgend zu Dingen wenden. Das ist sicher: Du wärest gern be­reit, ein Teil von dir und ein Teil von ihm, das aber kann nicht sein. Du kannst des Be­reitseins nicht einmal denken oder begeh­ren, wenn nicht Gott vorher da ist. Gesetzt aber, es sei geteilt, das Bereitsein und das Wirken oder Ergießen sei dein, was ja mög­lich ist, so musst du wissen, dass Gott wir­ken und eingießen muss, sobald er dich be­reit findet. Du darfst nicht wähnen, es sei mit Gott wie mit der Person eines Zimmer­manns, der wirkt und nicht wirkt, wie er will, es steht in seinem Willen, wie er Lust hat zu tun und zu lassen. So steht es aber nicht um Gott: Sondern wenn Gott dich be­reit findet, so muss er wirken und sich in dich ergießen, ebenso wie wenn die Luft lauter und rein ist, die Sonne sich ergießen muss und sich dessen nicht enthalten kann. Fürwahr, es wäre ein arg großer Fehler an Gott, wenn er nicht große Werke in dich wirkte und großes Gut in dich gösse, sowie er dich frei und entblößt findet.

Es lehren uns die Meister, dass in dem­selben Moment, wo die Materie des Kindes im Mutterleib bereit ist, in demselben Au­genblick gießt Gott in den Leib den lebendi­gen Geist, das heißt die Seele, die des Lei­bes Form ist. Es ist ein Augenblick, bereit zu sein und einzugießen. Wenn die Natur auf ihr Höchstes kommt, so tritt Gottes Gnade ein: In demselben Moment, wo der Geist bereit ist, geht Gott hinein ohne Aufschub und ohne Zögern. Im Buch der Geheimnis­se steht geschrieben, dass unser Herr dem Volke entbot: »Ich stehe vor der Tür und klopfe und warte; wer mich einlässt, mit dem will ich schmausen.« Du brauchst ihn nicht zu suchen, nicht da und nicht dort: Er ist nicht entfernter als vor der Türe des Her­zens, da steht er und harrt und wartet, wen er bereit findet, der ihm auftue und ihn ein­lasse. Du brauchst ihn nicht in der Ferne zu rufen: Ihn kommt das Warten, bis du auf­tust, härter an als dich. Er bedarf deiner tausend Mal mehr als du seiner: Das Auf­tun und das Hineingehen ist nur ein Mo­ment.

Nun könntest du fragen: Wie kann das sein? Ich empfinde ihn doch nicht. Nun pass auf. Das Empfinden ist nicht in deiner Gewalt, sondern in seiner. So es ihm an­steht, so zeigt er sich, und kann sich verber­gen, so er will. Das musst du wissen: Gott kann nichts leer oder hohl lassen; dass ir­gend das Geringste leer und hohl sei, das kann der Naturgott nicht leiden. Darum, wenn es dich dünkt, du fändest ihn nicht und er sei nicht in dir, dem ist nicht so. Denn wäre irgendetwas leer unterm Him­mel, es wäre was es wollte, groß oder klein, so zöge es entweder der Himmel zu sich hinauf, oder er müsste sich herniederneigen und den Himmel hineingießen. Gott, der Meister der Natur, leidet es durchaus nicht, dass irgendetwas leer sei. Darum steh still und wanke nicht, denn du kannst dich zur Stunde von Gott abwenden und kommst dann nimmermehr zu ihm.

Du könntest fragen: Soll der Mensch sich kasteien, und versäumt er etwas, wenn er sich nicht in der Buße übt? Höre. Alles Buß­leben ist neben andern Ursachen darum er­funden, sei es nun Fasten, Wachen, Beten, Geißeln, härene Hemden tragen, hart liegen oder was sonst immer, das ist alles darum erdacht, weil der Leib und das Fleisch sich allezeit dem Geist entgegenstellt. Der Leib ist ihm viel zu stark, ein richtiger Kampf ist immerzu unter ihnen, ein ewiger Streit. Der Leib ist hier kühn und stark, denn er ist hier zu Hause; die Welt hilft ihm, die Erde ist sein Vaterland, ihm helfen hier alle seine Verwandten: die Speise, der Trank, die Schönheit: das ist alles gegen den Geist. Der Geist ist hier fremd, aber im Himmel sind alle seine Verwandten und sein ganzes Ge­schlecht: da ist er gar heimisch. Um dem Geist zu Hilfe zu kommen in dieser Fremde und das Fleisch etwas zu schwächen in die­sem Streit, damit der Leib den Geist nicht überwindet, darum tut man ihm den Zaum der Bußübungen an und darum bedrückt man ihn, damit der Geist sich seiner erweh­ren könne. Da man ihm das tut, damit er ein Gefangener sei, so lege ihm, wenn du ihn tausend Mal besser fangen und beladen willst, den Zaum der Liebe an. Mit der Lie­be überwindest du ihn am allerschnellsten, und mit der Liebe belädst du ihn am stärks­ten. Und darum stellt uns Gott mit keinen Dingen so sehr nach wie mit der Liebe. Denn mit der Liebe geht es just ebenso wie mit der Angel des Fischers: Der Fischer kann den Fisch nicht erhalten, wenn der sich nicht an der Angel fängt. Wenn er nach der Angel schnappt, dann ist der Fischer seiner sicher. Wohin sich der Fisch dann wendet, hin oder her, der Fischer hat ihn ganz sicher. So spreche ist auch von der Liebe: Wer von ihr gefangen wird, der hat das allerstärkste Band und doch eine süße Bürde. Wer diese süße Bürde auf sich ge­nommen hat, der erreicht damit mehr und kommt weiter damit als mit all der Buße und Strenge, die je Menschen üben könn­ten. Er kann auch sanft und geduldig alles tragen und leiden, was ihn trifft und was Gott über ihn verhängt. Nichts macht dich Gott so eigen, und durch nichts wird Gott dir so eigen als durch dieses süße Band. Wer diesen Weg gefunden hat, der suche keinen andern. Wer an dieser Angel haftet, der ist so gefangen, dass der Fuß und die Hand, der Mund, die Augen, das Herz und alles, was am Menschen ist, das muss alles Gott zu eigen sein. Und darum kannst du diesen Feind niemals besser überwinden, dass er dir nicht schade, als mit der Liebe. Wer in diesem Stricke gefangen ist und in diesem Wege wandelt, welch Werk er im­mer wirke, das wirkt die Liebe. Seine Ruhe ist besser als eines anderen Wirken. Darum warte allein auf diese Angel, so wirst du se­lig gefangen, und je mehr gefangen desto mehr befreit. Dass wir so gefangen und be­freit werden, dazu verhelfe uns der, der sel­ber die Liebe ist. Amen.

Meister Eckhart - Predigten

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