Читать книгу Von Flammen & Verrat - Melanie Lane - Страница 15
ОглавлениеKAPITEL 10
Auf der Lichtung angekommen, wies Lucan in die entgegengesetzte Richtung, in der ich Nick und die anderen vermutete.
»Keine Wachen«, murmelte er, »das kann nicht gut sein.«
Duncan, King und Alex hielten inne und sahen sich um. »Wo sind denn alle?«
»Keine Ahnung, aber wir sollten jetzt wirklich gehen.«
Lucan warf mir einen weiteren fragenden Blick zu, und ich schüttelte den Kopf. Nicht jetzt. Erst einmal mussten wir in Sicherheit sein. Wie auf Kommando ertönte der tiefe Laut eines Horns hinter uns.
Verdammt.
Entweder hatte Narcos seinen Angriff auf uns endlich zu Ende geplant oder aber Maeves Fluch verlor an Wirkung und er hatte bemerkt, dass ihm etwas sehr Wertvolles abhandengekommen war.
»Was in Abbadons Namen ist hier los?«
»Ich schwöre dir, Duncan, wenn du, oder ihr«, ich warf Lucan, Alex und King ebenfalls einen strafenden Blick zu, »euch nicht langsam in Bewegung setzt, dann benutze ich die hier«, ich hob valge und tume, »und bringe euch dazu …«
Das Horn wurde ein zweites Mal geblasen.
»Los!«
Ohne wirkliches Ziel vor Augen sprinteten wir in den Dschungel hinein. Um ein Portal benutzen zu können, mussten wir erst einmal ein wenig Abstand zwischen uns und Narcos bringen. Schreie ertönten und ich spürte, wie gleich mehrere Pfeile haarscharf an meinem Kopf vorbeisausten. Also hatte es begonnen. Narcos hatte uns soeben den Krieg erklärt. Okay, mein Handeln heute galt ebenfalls als kriegerischer Akt, aber etwas sagte mir, dass Narcos diesen Angriff sorgfältig vorbereitet hatte.
»Lilly, runter!«, bellte Lucan und zog mich an seine Seite.
»Ich fasse es nicht, dass der Bastard auf uns schießt.«
King, der vor uns lief, bahnte sich und damit uns mit seiner massiven Gestalt einen Pfad durch das dichte Gestrüpp. Ich vermutete, dass Lucans Schatten noch intakt waren und uns einigermaßen schützten, allerdings feuerten Narcos‘ Männer so viele Pfeile auf einmal ab, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis einer sein Ziel fand.
»Hier entlang!«, rief King und führte uns tiefer in den diesigen, immer düsterer werdenden Dschungel. Da verstand ich, was er vorhatte. Natürlich! Mit genügend Schatten um uns herum konnten die Assassinen uns wahrhaftig verschwinden lassen, so wie sie es in Aflys getan hatten, und uns genug Zeit verschaffen, um ein Portal zu öffnen.
»Ah, fuck!«
Abrupt blieb ich stehen und sah mich um. Gerade rechtzeitig, um Duncan dabei zu beobachten, wie er sich einen Pfeil aus der Schulter zog.
»Du bist getroffen!«
»Nicht der Rede wert«, keuchte er und zog einen weiteren Pfeil aus seinem Oberschenkel.
Duncan und Alex waren direkt hinter uns gewesen, das hieß, er hatte die Pfeile abgefangen. Für mich. Ein mulmiges Gefühl überkam mich.
»Duncan …«
»Wirklich, Lilly. Alles okay, geh weiter.« Lucan musterte seinen Ziehsohn rasch.
»Kannst du laufen?«
»Ja, Boss.«
»Dann weiter.«
»Aber …« Ich wollte einwenden, dass wir Duncan helfen und verarzten mussten, aber Lucan zog mich unbeirrt weiter.
»Duncan hat schon Schlimmeres erlebt und überlebt, Prinzessin. Jetzt müssen wir erst einmal verschwinden.«
Er hatte Recht. Natürlich hatte er Recht, dennoch machte ich mir Sorgen um meinen Freund, immerhin hatte er zwei der fies aussehenden, langen Pfeile abbekommen, mit denen Curio schon bei unserer Ankunft angegeben hatte. Duncan schenkte mir sein typisch schiefes Grinsen und nickte in Richtung King.
»Augen geradeaus, Hoheit.«
Na, immerhin war ihm noch zum Scherzen zumute, dachte ich, als ich den Männern tiefer in die anonyme Dunkelheit des Dschungels folgte. Der Pfeilregen hatte vor Kurzem aufgehört und so langsam konnte ich die buchstäbliche Hand vor Augen nicht mehr erkennen. Ich hoffte inständig, dass es Nick und den anderen gut ging und sie nicht ebenfalls mit Besuch zu kämpfen hatten.
»Halt.« King hob eine Hand und wies uns an näherzukommen.
»Alle berühren sich und keiner sagt ein Wort.«
Jemand anderen außer Lucan Befehle geben zu hören, war ungewohnt. Dennoch taten wir, was King uns befohlen hatte. Ich griff nach Lucans und Duncans Hand und versuchte mein mittlerweile wild wummerndes Herz unter Kontrolle zu bekommen.
Seit wir in Thalos angekommen waren, hatte ich keine Zeit gehabt, nachzudenken. Ich hatte keine Zeit gehabt, Angst zu haben oder gar Bedenken. Jetzt jedoch stand ich mitten im Dschungel von Crinaee, das Grimoire in meinem Besitz, getrennt von Nick und den anderen und Duncan war angeschossen worden. Zweimal.
Atme tief durch, Prinzessin.
Das Gebüsch vor uns raschelte und ich hörte mehrere Äste brechen. Narcos‘ Männer waren hier. Sie hatten uns gefunden.
»Sie müssen hier irgendwo sein. Findet die Prinzessin!«
Curio kam in unser Blickfeld. Dicht gefolgt von mehreren Wachen. Die Bögen im Anschlag suchten sie die Gegend nach uns ab.
Sehen konnten sie uns nicht, aber was, wenn sie gegen uns liefen? Oder einer auf die Idee kam, einfach ins Blaue zu feuern, so wie sie es zuvor getan hatten? Immerhin standen wir nur wenige Meter von ihnen entfernt. Lucan drückte sanft meine Hand und als ich aufsah, schenkte er mir ein kleines Lächeln. Völlig entspannt standen die Assassinen inmitten des Dschungels. King und Alex hatten sogar ihre Augen geschlossen. Irritiert musterte ich einen nach dem anderen. Wenn sie so entspannt waren, dann hieß das … Narcos‘ Männer konnten uns nicht nur nicht orten, sie konnten uns auch nichts anhaben. Wir waren wirklich und wahrhaftig unsichtbar. Das war absolut fantastisch!
»Hier ist niemand!«, rief einer der Wachen, als er einen Schritt nach hinten trat und damit direkt in Duncan hineinlief. Ich zuckte vor Schreck leicht zusammen, aber nichts geschah. Die Wache wandte sich ein letztes Mal zu uns um, ehe ihn der Dschungel erneut verschluckte. Ich unterdrückte einen erleichterten Seufzer. Das war knapp gewesen.
Welche Talente hatten die Assassinen noch?
Viele.
Wie macht ihr das?
Das, Prinzessin, ist und bleibt ein Geheimnis.
Nach wenigen Minuten waren Narcos Männer verschwunden und Lucan ließ meine Hand los.
»Kein Wunder, dass ihr so gefürchtet seid«, sagte ich und grinste erleichtert in die Runde.
»Praktisch, oder?«
Schnaubend erwiderte ich Alex‘ amüsierten Blick.
»Sehr.«
»Prinzessin, wir müssen dein Haar verdecken. Wir können uns nicht nur auf die Schatten verlassen. Nicht, wenn wir in Bewegung sind und jederzeit überrascht werden können. Es verbraucht zu viel Energie. Duncan«, wies Lucan seinen Protegé an, »hilf ihr.«
Nichts Gutes ahnend, sah ich dabei zu, wie Duncan sich zum nächstgelegenen Sumpf herabbeugte, sein Katana auf dem Boden ablegte und beherzt in das bräunliche Wasser des Sumpfes griff. Die Hände voller Schlamm, kam er auf mich zu.
»Das ist nicht dein Ernst!«
»Das, oder abschneiden«, grinste Duncan erstaunlich fröhlich, dafür, dass er zweimal von einem Pfeil getroffen worden war.
»Also gut.« Wild entschlossen, so schnell wie möglich aus diesem Höllensumpf herauszukommen, schloss ich die Augen und breitete beide Arme aus.
»Auch den Hals und die Hände«, wies ich Duncan ruhig an.
»Meine Haut ist zu hell.«
Anerkennend zog er eine Augenbraue in die Höhe.
»Gut mitgedacht.«
Also bedeckte Duncan nicht nur meine Haare und mein Gesicht mit Schlamm, sondern auch den Rest meiner sichtbaren, hellen Haut, ehe er sich selbst, Alex und sogar Lucan in ein Schlammmonster verwandelte. King, dessen Haut unmöglich noch dunkler werden konnte, sah uns belustigt dabei zu.
»Du hast gut lachen«, flüsterte ich und fröstelte anhand des plötzlich kühlen, dicken Schlammes auf meiner Haut. Da es sauheiß in Crinaee war, konnte ich das anhaltende Frösteln lediglich auf meine Anspannung zurückführen. Ich hätte es nicht direkt Angst genannt, aber ich war auf jeden Fall beunruhigt. Und ich machte mir Sorgen um Duncan.
»Wie geht es dir?«
»Hab schon Schlimmeres durchgemacht«, erwiderte er und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Sofort überkam mich ein schlechtes Gewissen. Ich sollte diejenige sein, die Duncan gut zusprach, immerhin war er es, der verletzt war, weil er mich beschützt hatte.
»Ich kann‘s kaum erwarten, diesen verfluchten Sumpf hinter uns zu lassen«, schimpfte King und schlug Duncan kameradschaftlich auf die Schulter.
»Halt durch, Kleiner.«
»Nicht mehr lange und wir sind hier raus.« Lucan musterte Duncan aufmerksam.
»Das schaffst du.«
»Klar, Boss.«
»Prinzessin«, wandte Lucan sich an mich. »Du gehst in der Mitte. Ich gehe vor. Duncan, Alex, ihr folgt mir und King …«
»Ich töte alles, was sich von hinten an uns ranschleicht.«
»Jeder von euch tötet alles, was sich uns nähert.«
Ich griff nach den beiden Waffen an meinen Oberschenkeln. Wenn wir auf Nick und die anderen trafen, dann würde ich es spüren, beruhigte ich mich. Solange würde ich tun, was Lucan verlangte, und alles töten, was mir in dir Quere kam. Wahrscheinlich würde ich nicht so viel Glück haben, dass Narcos selbst mir vor die Nase lief, aber vielleicht konnte ich ja ein paar seiner Männer ausschalten. Schulterzuckend checkte ich meine Waffen und entsicherte sie. Wirklich tödlich würden sie aber erst auf meinen Befehl hin werden.
»Kann‘s losgehen, Mädchen?«
»Ja.«
Lucan zog seine Katanas und drehte sich zu mir um.
Sei vorsichtig. Immer.
Eine seiner schlammverschmierten Augenbrauen hob sich beinahe belustigt. Ich rollte meine Augen gen Himmel und unterdrückte ein Seufzen.
Du auch.
Etwas flackerte in seinen schwarzen, meist unergründlichen Augen auf, bevor ich die Emotionen, die ihn beschäftigten, jedoch hinterfragen konnte, drehte er sich um und marschierte los. Für eine Weile schlugen wir uns schweigend durch den dichten Dschungel. Lucan holzte mit seinem Katana alles nieder, was uns den Weg versperrte und ich gab mir die größte Mühe nicht zu auffällig auf seinen beeindruckenden Bizeps zu starren. Immerhin befanden wir uns mitten in einer kleinen bis mittelschweren Krise. Absolut nicht der richtige Zeitpunkt Lucan anzuschmachten, auch wenn der Assassine vor Schweiß und Dreck glänzte und seine Muskeln sich in einer Tour unter der jetzt offenen Tunika anspannten.
Ich spüre deine Augen auf mir, Prinzessin.
Ich stolperte leicht und Duncan griff mich am Arm.
»Whoa, Lilly. Pass auf.«
Lucans tiefes Lachen drang durch den dichten Dschungel. Ertappt und minimal gereizt, verfluchte ich den Mann vor mir. Und die Wirkung, die er auf mich hatte.
Auf einmal blieb Lucan stehen, eine Hand erhoben bedeutete er uns, still zu sein. Abrupt stoppten wir und Duncan fasste mich am Arm und zog mich dicht neben sich. Augenblicklich spürte ich meine Magie tief in mir aufflackern, aber wie auch zuvor, unterdrückte ich den Funken meiner Macht. Auch wenn er selten auftauchte, jetzt konnten wir ihn gerade absolut nicht gebrauchen.
Die Blätter und Büsche vor uns begannen zu rascheln und beinahe lautlos und absolut grazil schob sich ein massiv aussehender schwarzer Panther in unseren Weg. Zumindest nahm ich an, dass es sich um eine Art Panther handelte. Die Raubkatze vor uns war enorm. Ihre Größe glich eher der eines Elefanten und nicht der eines normalen Panthers. Träge musterte sie unsere kleine Gruppe aus bläulich schimmernden Augen, ehe ihr Blick an Lucan hängen blieb.
»Niemand rührt sich«, befahl dieser leise.
Die Raubkatze machte einen Schritt vor, blieb dann jedoch schlagartig stehen. Ihr Fell glänzte pechschwarz, fast blau und kurz hatte ich das Gefühl, dass ihre Augenfarbe sich veränderte. Während ich das Tier vor uns fasziniert beobachtete, das Spiel seiner Muskeln unter dem Fell und die langen, roten Schnurrhaare, war der Blick der Raubkatze nach wie vor starr auf Lucan gerichtet. Von ihr ging eine Stille aus, die man oft bei Katzen beobachten konnte. Entweder war sie kurz vor dem Sprung, bereit anzugreifen und ihr Revier zu verteidigen, oder aber sie würde sich umdrehen und fliehen. Was auch immer sie in Lucans Augen sah, veranlasste sie offensichtlich dazu, noch einmal darüber nachzudenken, uns anzugreifen. Bitte geh, flehte ich sie stumm an. Ich hatte keine Angst um uns, sondern um das majestätische Tier. Lucan konnte sie ohne Frage innerhalb von Sekunden töten, so wie er es mit dem Ghoul in Vesteria gemacht hatte. Die Erinnerung daran verursachte einen Schauer, der mir quälend langsam den Rücken herablief und mich noch ein wenig mehr frösteln ließ, und das trotz der unheiligen Temperaturen um uns herum.
Zeig ihr dein wahres Gesicht.
Die Augen der Raubkatze verengen sich zu Schlitzen und leise schnaubend musterte sie Lucan noch intensiver. Ihre Pupillen weiteten sich und diesmal verstand sie es. Sie verstand, dass sie hier einem noch größeren Raubtier als sich selbst gegenüberstand. So leichtfüßig und lautlos, wie sie aufgetaucht war, ergriff sie die Flucht. Erleichtert atmete ich auf und hörte King hinter mir leise fluchen.
»Verdammt.«
Lucan jedoch zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Guter Einfall, Prinzessin.
Ich wollte nicht, dass du sie tötest.
Er machte sich nicht einmal die Mühe, so zu tun, als wäre dies keine Option gewesen, wieso auch.
Wie gesagt, ein guter Einfall.
»Gehen wir weiter.«
»Was kommt als Nächstes? Riesenschlangen?«
»Bitte nicht«, flüsterte Duncan angeekelt und wir tauschten einen raschen Blick miteinander.
Darauf konnte ich beim besten Willen verzichten. Alles, was ich wollte, war, meinen Bruder und unsere Männer zu finden und diese verdammte Welt zu verlassen. Crinaee gehörte anders als Vesteria oder Thaumas definitiv nicht zu meinen Lieblings-Welten. So faszinierend ich diesen Dschungel auch fand, ich hätte ihn aktuell gern gegen den blauen Himmel und die sieben Sonnen von Arcadia eingetauscht. Die Monster, die mich dort erwarteten, kannte ich wenigstens. Wir kamen nicht weit, als plötzlich King derjenige war, der abrupt stehen blieb.
»Spürt ihr das?«, fragte er in die Runde und drehte sich um. Und dann: »Boss, wir werden verfolgt.«
Lucan hielt inne. Die Katanas hoch erhoben, drehte er sich zu uns um.
»Narcos‘ Männer?«
»Nein, es …« King stockte. »Es sind Dämonen.«
Lucan schloss für eine Millisekunde die Augen, dann nickte er.
»Ich spüre sie auch.«
»Warum zur Hölle sollten Narcos Männer und Dämonen uns verfolgen? In Crinaee?«
»Arbeitet der Bastard etwa mit Abbadon zusammen?« Duncan runzelte die Stirn. »Wieso sollte er?«
»Er ist nicht gerade ein Fan von mir«, gab ich zu bedenken.
»Nein, das ist er nicht. Und du wolltest auffällig schnell weg, obwohl wir keinerlei Grund …« Lucan brach ab und seine Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen.
»Was hast du getan?«
Betont gelangweilt inspizierte ich meine Fingernägel, um mir einen Moment zum Nachdenken zu verschaffen. Es führte kein Weg drum herum, ich musste es ihnen sagen. Dennoch … es wurde definitiv mal wieder Zeit für eine Maniküre. Vielleicht doch lieber schwarz anstelle von rot?
»Lilly!«
Auch Duncan, King und Alex musterten mich jetzt skeptisch.
»Wir haben keine Zeit für Spielchen, Prinzessin«, wies er mich zurecht. »Ich habe mitgespielt, wir alle, aber jetzt will ich wissen, was verdammt nochmal los ist.«
»Nichts.«
Nicht überzeugt musterte er mich von Kopf bis Fuß und ich spürte, wie sein Bewusstsein die Fühler nach mir ausstreckte. Krampfhaft versuchte ich, an etwas anderes zu denken als an den kleinen Stein, der sich noch immer in mein Fleisch bohrte. Aber das war genauso vergebens, als versuche man wirklich, wirklich nicht an einen rosa Elefanten auf einer kleinen Wolke zu denken. Man wollte es nicht, aber man tat es dennoch. Rosa Elefant. Wolke. Lucans Blick blieb an meinen Brüsten hängen und instinktiv trat er näher.
»Sieht nicht nach nichts aus.«
»Das sind meine Brüste, Lucan.«
»Ich kenne deine Brüste«, antwortete er und brachte damit nicht nur mich für einen kurzen Moment in Verlegenheit. Duncan räusperte sich und auch King und Alex musterten den Urwald um uns herum mit neu erwachtem Interesse.
»Was mich wirklich interessiert«, murmelte er und trat noch näher »ist der Runenstein, den du bei dir trägst.« Er kniff die Augen zusammen. »Und den du kürzlich benutzt hast.«
Lucan …
Spuck‘s aus, Prinzessin.
Ach, verdammt.
»Na gut, ich habe ein Buch aus dem Palast mitgenommen und es mit Hilfe des Steins verkleinert und äh, verstaut.«
»Ein Buch?«
»Ein Buch.«
»Nur ein Buch?«
Seufzend verschränkte ich die Arme vor der Brust. Meine Waffen dabei noch immer fest in der Hand.
»Was für ein Buch?«
Möglichst unschuldig blinzelte ich ein paar Mal und klimperte mit meinen langen Wimpern.
»Das zieht nicht«, flüsterte Duncan mir zu und ich fluchte leise. Na fein. Sie wollten es wissen. Also bitte.
»Das Grimoire.«
Lucans Augenbrauen schossen in die Höhe und ich hörte Duncan neben mir leise seufzen. King und Alex fluchten.
»Ach du Scheiße, Boss.«
Fassungslos blickten die Assassinen mich an.
»Du hast das heiligste Buch Crinaees geklaut?«
»Es wurde mir gebracht«, verbesserte ich Duncan pikiert. Sie taten ja auf einmal so, als wären sie Heilige und ich die Königin der Dämonen höchstpersönlich.
»Und was genau hast du mit dem Grimoire vor, Prinzessin?« Lucans Stimme bebte vor unterdrückter Wut. Er sah aus, wie jemand, der kurz davor stand, mich entweder anzubrüllen oder mich einfach hier im Dschungel stehen zu lassen. Dass er nichts dergleichen tun würde, beruhigte mich ungemein.
»Ich werde einen geeigneten Herrscher für Crinaee finden«, verkündete ich hoheitsvoll und erwiderte die sprachlosen Blicke der Männer um mich herum.
»Narcos ist nicht nur gänzlich ungeeignet«, fuhr ich fort, »er ist nicht einmal von königlichem Blut. Er versteht sein Volk nicht und beutet es aus. Es gibt Gerüchte …«
»Die letzten Erben Crinaees«, schlussfolgerte Lucan völlig richtig. »Das hast du mit Cassiopeia und Lavender gemeint?«
Überrascht sah ich ihn an. »Du hast davon gehört.«
»So ziemlich jeder hat schon einmal von ihnen gehört. Verborgen in den tiefsten Sümpfen verstecken sie sich vor Narcos und seinen Männern. Aber Liebes, das ist ein Mythos.«
»So wie ich einer war?« Ich hob eine Augenbraue. Ein Trick, den ich mir von Lucan abgeguckt und stundenlang vorm Spiegel geübt hatte. »Das Grimoire kann uns sagen, ob sie noch leben, Lucan. Wenn das der Fall sein sollte, dann finden wir sie und bringen sie zurück nach Thalos. Dort gehören sie hin, als rechtmäßige Herrscher von Crinaee.« Auf einmal blitzte so etwas wie Verständnis in seinen Augen auf.
»Drake«, murmelte er und ich konnte regelrecht dabei zusehen, wie er die Verbindung zwischen meinem Besuch in Vesteria und dem heutigen Tag herstellte. »Deshalb warst du in Vesteria.«
Die Männer machten große Augen.
»Der Kuss war die Bezahlung dafür, dass Drake Narcos dazu bringt, dich hierher einzuladen. Du brauchtest jemanden, der ihn provoziert, damit er die Schutzzauber an den Grenzen fallen und uns nach Thalos lässt.«
Kopfschüttelnd sah King mich an. »Das ist … genial.«
»Magister Scio hat mir den Tipp mit dem Grimoire gegeben«, erklärte ich den Kriegern, ebenso wie er mir Hilfe innerhalb des Palasts vorausgesagt hatte, »ich brauchte einen Grund Narcos aufzusuchen. Und den hat Drake mir gegeben.«
»Indem er alle Handelsabkommen in deinem Namen aufgelöst hat«, raunte Alex, während Lucan mich aufmerksam beobachtete.
Ich habe dir gesagt, dass ich einen guten Grund hatte.
»Boss, sie kommen näher.« King wischte sich den Schweiß von der glänzenden Stirn. »So faszinierend das hier auch ist, aber was machen wir jetzt?«
Für einen Moment herrschte Totenstille um uns herum. Lediglich die Geräusche des Dschungels waren zu hören. Wasser rauschte. Äste und Blätter raschelten. Grillen zirpten. Ich hielt Lucans Blick stand und ließ ihn sehen, wie ernst es mir mit dieser Sache war. Ich würde Narcos stürzen, zum Wohle der Anderswelt.
»Du meinst das ernst, oder?«
»Todernst.«
Seine Stirn runzelte sich. Dann jedoch entspannten sich Lucans Züge sichtlich.
»Narcos hat seinen Angriff geplant«, sagte er ruhig. »Was mich angeht, hat er den ersten kriegerischen Akt begangen.«
Die Männer nickten zustimmend.
»Duncan, du bewachst die Prinzessin. King, Alex, wir kümmern uns um unsere Verfolger.«
»Mit Vergnügen, Boss.«
Die beiden wandten sich grinsend ab und verschwanden im Dickicht des Dschungels. Bevor Lucan den Assassinen folgen konnte, trat ich vor. Unsicher, was genau ich sagen wollte, aber sicher, dass ich etwas sagen sollte, zuckte ich verloren mit den Schultern, ehe ich Lucan eine Hand, inklusive geladener Waffe, auf die breite Brust legte. Am liebsten wäre ich mit ihnen gegangen, aber das Grimoire war zu wertvoll. Diesmal war es klüger, zurückzubleiben und zu warten.
»Sei vorsichtig, hörst du.«
Lucan warf einen schnellen Blick zu Duncan. Dann beugte er sich herab und küsste mich entschlossen auf den Mund. Meine Lider flatterten und meine Augen wollten sich schließen, aber der Kuss war vorüber, ehe er richtig begonnen hatte. Ich nahm die Hand mit der Waffe von Lucans Brust und hob sie verwirrt an meine Lippen. Der kühle Stahl der Schusswaffe presste sich dabei gegen meine glühende Wange. Lucan hatte mich geküsst. Vor Duncan.
»Pass auf sie auf«, wandte er sich an seinen Protegé, bevor auch er mit den Schatten des Dschungels verschmolz. Meine Lippen prickelten noch immer und meine Magie summte leise in meinen Adern, als ich Lucan hinterher sah. Er brachte sich und seine Männer in Gefahr, für mich. Aber ich wusste, dass sie die Situation meistern würden. Die Dämonen hatten keine Chance. Und solange würden wir hierblieben und warten. Ich würde das Grimoire auf keinen Fall wieder aufgeben.