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Ein verschlucktes Wort

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Es war ein herrlicher Tag. Auch wenn der Wind kalt über das Land blies und die Menschen sich unter ihrer dicken Kleidung verstecken mussten, war der Anblick wunderschön.

San Francisco war in ein Lichtermeer getaucht worden. Bunte Farben überschwemmten die Metropole wie ein Tuch in abertausend verschiedenen Farben. Weihnachtslieder drangen aus allen Geschäften und stimmten auf die schönste Zeit des Winters ein. Kleine Kinder zerrten an den Armen ihrer Eltern und wollten sie zu den unterschiedlichsten Schaufenstern ziehen, um ihnen zu sagen, was sie sich genau vom Weihnachtsmann wünschten.

Es war die Zeit der Freude, des Duftes, der sich markant durch die Straßen schlängelte, aber auch die Zeit der langen Warteschlangen und der überfüllten Kaufhäuser.

Josy hasste das. Obgleich sie liebte ihren Kleiderschrank stets neu zu befüllen, war ihr dieser Andrang immer zu wider gewesen.

››Oh man‹‹, maulte sie, als sie die lange Schlange an der Kasse bemerkte und schmollte. Celest und Elest standen hinter ihr und musterten ein paar Frauen, die sich gerade über heruntergesetzte Unterwäsche her machten. Wie Aasgeier fixierten sie die Ware und suchten vergebens nach ihren Übergrößen.

Celest hob eine Braue und blinzelte. Ihre Schwester antwortete mit einem nicken.

Das Warten wurde für Josy unerträglich. Sie wollte doch nur ihren neuen Mantel bezahlen, sonst nichts weiter. Die Geschenke waren bereits allesamt besorgt und befanden sich in den vielen Tragetaschen der drei Frauen. Wäre sie doch nicht an diesem Schaufenster vorbeigegangen und hätte ihn gesehen. Diesen wunderschönen, weinroten, figurbetonten Mantel, den sie schon immer haben wollte! Gut, sicherlich besaß sie schon einen, aber nicht diesen, der über ihrem Arm hing!

Nach gefühlten fünf Stunden traten die Frauen aus dem Kaufhaus und Josy atmete tief durch. Wäre nicht ein tranartiger Parfümerieduft in der Luft, hätte diese Geste sogar gut tun können. ››Oh mein Gott!‹‹, war das einzige, was ihr dazu einfiel. ››Bitte lasst uns beim nächsten Mal eher losgehen und Geschenke kaufen. Wie wäre es mit Juli?‹‹

Celest begann zu kichern und zupfte sich eine Strähne aus dem Gesicht. ››Irgendwie sagst du das jedes Jahr, aber dann bist du die Person, die sich drückt!‹‹

Josephine zog einen Schmollmund. ››Hallo? Sieh dir doch diese Meute von Verrückten an! Ist das da ein Wunder?!‹‹

Elest zuckte mit den Schultern und machte ein paar Gestiken mit ihren Händen, die ihre Schwester übersetzte: ››Wir können froh sein, dass wir überhaupt wieder hier zusammen einkaufen gehen können. Letztes Jahr um diese Zeit warst du in Gefangenschaft bei den Maguire. Vergiss das nicht.‹‹

››Mag sein.‹‹ Plötzlich verzerrten sich Josys Mundwinkel nach unten und ihre Augen wurden von Traurigkeit erfüllt. Sie dachte nur ungern an diese Zeit, war sie doch so lange von Li getrennt gewesen. Mitfühlend zog Elest ihren Wangenknochen nach. Dabei rutschen die vielen Taschen in ihre Armbeuge.

››Du bist wütend auf sie‹‹, drang es aus Celests Mund und Josy schaute verdutzt auf.

››Was meinst du?‹‹

Da sich unzählige Menschen an ihnen vorbei drängten, sie anrempelten und der Parfümduft einer nahegelegenen Parfümerie alle drei fast in den Wahnsinn trieb, suchten sie einen Ausweg. Celest legte den Kopf schief und deutete auf eine Nebengasse, in der nur wenig Passanten entlang gingen. Zwischen den Wänden der hohen Gebäude verklangen die Geräusche und drangen nur noch dumpf und wie durch Watte an sie heran. Zwar konnten sie ihre Instinkte und die damit verbundene Schärfe ihres Gehörs nicht vollends betäuben, aber es war weitaus besser zu ertragen.

Der unebene Untergrund war nass und kleine Steinchen knirschten unter ihren Schuhsohlen.

››Weißt du, meine Liebe, jeder nimmt Probleme und Schmerz anders auf. Der eine frisst sie in sich hinein und will niemanden damit in Mitleidenschaft ziehen, oder möchte, dass man diesen Schmerz bemerkt. Andere wiederum, werden zornig und unfreundlich. Dann gibt es aber auch noch die, die andere für ihr Leiden verantwortlich machen. Und sogar jene, die sich komplett verändern; gar ein anderer Mensch, oder‹‹, sie räusperte sich, da gerade ein Mensch an ihnen vorbeiging, ››ein anderer Vampir werden.‹‹

Ein tiefer, lauter Seufzer entfuhr Josy und sie schüttelte den Kopf. ››Du willst auf Sarah hinaus, oder?‹‹

››Wenn man es genau nimmt, sind wir nur deswegen hier.‹‹

››Wie meinst du das?‹‹, fragte Josy neugierig und wandte sich ihr zu. ››Wir sind hier, um Geschenke zu kaufen und nicht, um über sie zu reden.‹‹

Celest biss sich auf die Unterlippe und linste verstohlen zu ihrer Schwester hinüber. Leicht verunsichert schien sie nach Worten zu suchen. ››Weißt du, wir wollten mit dir über Sarah reden. Natürlich waren die Weihnachtsgeschenke nicht nur ein Vorwand dafür, wir wollte gerne mit dir einkaufen fahren, aber wir müssen auch mit dir über etwas reden.‹‹

Auf einmal schaute Josy finster drein und fühlte sich überrumpelt. Die Schwestern hatten sie regelrecht in eine Falle gelockt und überfahren. ››Da gibt es nichts zu bereden.‹‹

Mit Absicht befreite sie sich aus den Fängen zweier sehr eindringlicher drein schauender Gesichter und starrte zum Ende der Gasse. Dort liefen viele Menschen hin und her. Die Geräusche von Personenkraftwagen mischten sich mit ihren Schritten und zeugten von einer viel befahrenen Straße.

Sie hörte noch wie Celests Kehle einen tiefen Seufzer verließ, wollte ihn aber nicht so recht wahrhaben, denn der Zorn übermannte sie. Seine Griffe waren brutal und zerrten an ihren Nerven. Sarah hatte sich verändert. Eine guten Freundin hatte sich verändert und sie irgendwie im Stich gelassen. Auch Josy war nicht immer erträglich gewesen, damals, auf der Flucht und ohne Li, aber das gab dieser Frau noch lange nicht das Recht so mit ihrer lieben Familie umzugehen! Sie war stur, egoistisch und zickig!

Minuten der Stille brachten Wut aber auch Traurigkeit mit sich. Ungewollt dachte sie an die gemeinsame Zeit mit dieser Blondine und wie sehr sie sie doch lieb gewonnen hatte. Die Erkenntnis zermürbte sie. Schon viel zu lange hatte sie mit Sarah sprechen wollen; ihr eine hilfreiche Hand entgegenbringen wollen, doch stets aufs Neue war diese mit Taten an sie herangetreten, die sie wie einen Vulkan zum Ausbruch gebracht hatten. ››Hört zu, ihr kennt mich, ich bin immer etwas … na ja, … aufbrausend‹‹, verlegen sah sie auf den nassen Asphalt und sprach weiter, ››Ich hasse Sarah nicht, schließlich habe ich ihr sogar ein Geschenk besorgt. Das würde ich doch nicht tun, wenn ich sie nicht mag.‹‹ Josy wusste, dass in der schwarzen Tasche Sarahs Weihnachtsgeschenk lag. Lange hatte sie überlegt, was sie ihr besorgen sollte und letzten Endes war ihr eine gute Idee gekommen.

Langsam erlag sie dem Glauben, dass die Beiden sie nur milde stimmen und auf sie einreden wollten. Vielleicht wollten sie sogar ihr Mitgefühl für Sarah wecken, doch warum? Sie hatte zuhauf mitbekommen, dass die Blondine das nicht interessierte.

››Ich will einfach nicht glauben, dass sie sich verändert hat! Sie war eine gute Freundin geworden. Ich hab viel mit ihr durchgemacht, aber das...‹‹ Josy versagte die Stimme. Traurigkeit überdeckte den brodelnden Zorn, wie ein Gewitter, dass der Wind hinfort trug. Sie hatte ihr helfen wollen, doch irgendwie konnte sie nicht mehr über ihren eigenen Stolz springen. War sie da noch besser als Sarah?

››Sie ist nicht sie selbst‹‹, lenkte Celest ein.

Laut stampfte Josy mit ihren hochhackigen Stiefeln auf und der Asphalt splitterte. Ein langer Riss schoss nach vorn. Wieder gewann die Wut die Oberhand über ihr Handeln. ››Das ist keine Rechtfertigung! Sie ist unausstehlich, biestig, garstig, arrogant und … ach, das … das kann man nicht in Worte fassen!‹‹

Sie waren am Ende der Gasse angekommen. Vor ihnen tat sich eine breite Straße auf. Laut dröhnten die Motoren gegen die Weihnachtsmusik im Hintergrund an und wollten sie zum Erliegen bringen. Motorengestank und Abgase kitzelten ihre Nasen.

Eine große Traube von Personen tummelte sich vor dem Straßenübergang. Sie warteten auf ein Grün der Ampel, um den Einkaufstumult hinter sich zu lassen. Dort mussten auch die zwei Schwestern und Josy entlang, um zu ihrem Auto zu kommen.

Als sie sich zu der Meute begaben, machte Elest eine energische Handbewegung und fixierte Josy dabei eindringlich. Celest nickte zustimmend. ››Ja, Schwesterherz, das ist das passende Wort! Sehr, sehr zutreffen.‹‹ Mit einem Lächeln auf den Lippen zwinkerte sie Elest zu. Josy wusste nicht, wie sie diese ständigen Konversationen zwischen den Beiden auffassen sollte. Doch dann wandte sich die Brünette zu ihr und klärte auf: ››Elest meinte, die fehlenden Worte wären ungestüm, wild und … jung.‹‹

Josy legte den Kopf schief und tat verwundert. ››Hä?‹‹

Celest atmete tief ein, tauschte einen kurzen Blick mit ihrer Schwester und sagte dann sehr bedacht und langsam: ››Es gibt da etwas, was du wissen solltest.‹‹

››Das klingt jetzt aber nicht gut.‹‹ Ihre Muskeln spannten sich ungewollt an und sie rechnet mit allem, nur nicht damit...

››Elest hatte Sarah die letzten Monate scharf beobachtet; sie regelrecht überwacht. Ich weiß, dass ist keine nette Art, aber es war notwendig. Wir mussten wissen, was mit ihr los ist und ob wir ihr noch trauen können. Schließlich war sie bei den Werwölfen gewesen und das für eine längere Zeitspanne. Dazu kommt, dass sie uns jegliche Erinnerung daran verweigert. Sie gibt einfach gar nichts preis, von dem, was sie dort gefunden, gehört, oder getan hat.‹‹

Grün. Die Menge preschte los. Wie eine Horde unzähliger Büffel trampelten sie in einer enormen Lautstärke über die Straße und die Traube wurde allmählich keiner. Doch als die drei gerade zum Gehen ansetzten wollten, sprang die Ampel wieder auf Rot. Josy war dies gleich, sie wollte der Aussage von Celest weiter lauschen und vielleicht verstehen, was mit ihrer Freundin wirklich los war. Konnte sie vielleicht nichts für ihr unangebrachtes Verhalten?

››Dennoch ist meine Schwester zu einem Schluss gekommen, den ich letzten Endes mit ihr teilen muss. Alle Indizien sprechen dafür.‹‹

››Für was?‹‹ Sie wurde ungeduldig; wollte Klarheit und wiegte sich unbemerkt von rechts nach links.

››Sarah ist...‹‹

Übermäßig laut dröhnte die Hupe eines Busses urplötzlich los. Sein Vordermann war unnötig zum Stehen gekommen und der Fahrer blickte sich verstohlen um. Er schien sich hier nicht auszukennen und suchte noch die richtige Fahrbahn. Doch den Busfahrer machte dies wütend. Er sah wohl schon seine wohlverdiente Pause an ihm vorbeiziehen und wusste sich nicht anders zu helfen, als seine Hupe in Dauerbetrieb zu nehmen. Auch hinter dem Bus begannen Töne die PKWs zu verlassen.

Dies alles bekam Josy nicht mehr mit, denn sämtliche Gedanken waren aus ihrem Kopf gefallen. Fast wie ein Spiegel, den man eingeschlagen hatte und der in abertausend Einzelsplitter zerfallen war. Sie glaubte sich am Boden einer Tatsache wiederzufinden, die unfassbar schien. Konnte das wirklich sein? Hatte sie sich verhört? War Sarah wirklich das, was die beiden Schwestern glaubten?

Sie war leer und ohne Beherrschung. Ihr Unterkiefer fiel nach unten, doch die Kraft Worte zu formen fehlte. Ihre Schultern sackten herunter, ihre Arme erschlafften und die Finger waren taub geworden. Die Taschen wurden ihr zu schwer. Sie glitten, wie von Vaseline durchtränkt, an ihren Fingern herunter und prallten auf den Boden. Klirrend ging etwas zu Bruch.

Die Ampel sprang erneut auf Grün, doch keiner der Drei dachte daran, auch nur einen Stritt über die Straße zu gehen. Sie schauten sich nur durchdringend an und bemerkten die ungeschickten Rempler der Passanten überhaupt nicht.

Mit steinerner, ernster Miene fixierte Celest sie. ››... Wir müssen Gewissheit haben. Bis dahin bitte ich dich, sie abzulenken.‹‹

Mitternachtswende

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