Читать книгу Heil mich, wenn du kannst - Melanie Weber-Tilse, Alisha Mc Shaw - Страница 11

Patrick

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Ihre Schreie übertönten sogar die Musik, die er sich über die Kopfhörer auf die Ohren gelegt hatte. »Von wegen ganz harmlos!«, konnte er seinen Vater brüllen hören. »Du Schlampe hast meinem Partner schöne Augen gemacht, ich habe es doch ganz genau gesehen. Die Beine wirst du breitgemacht haben für ihn! Reicht dir nicht, was ich dir gebe, du Hure?«

Das Schreien seiner Mutter war mittlerweile in ein Wimmern übergegangen und Patrick wusste, was jetzt folgte. Zu oft schon war er heimlicher Zeuge der Wut seines Vaters geworden, zu oft hatte er am nächsten Morgen die leeren Flaschen wegräumen und das Blut auf dem Boden wegwischen müssen. Und ebenso oft hatte er die Ausreden seiner Mutter, sie habe sich gestoßen, wenn ihr Gesicht oder ihre Arme grün und blau waren, anhören müssen. Er wusste, dass sie log, um ihn zu schützen. Und mit jeder Lüge, die sie ihm auftischte, starb sein Herz ein Stück mehr.

Dumpf tönten die Schläge und das Wimmern zu ihm herüber und er versuchte, die Geräusche mit noch lauterer Musik zu übertönen, doch es funktionierte nicht. Der Volumenregler war schon bis zum Anschlag aufgedreht und noch immer hörte er das klatschende Geräusch, das verursacht wurde, wenn sein Vater das Ziel traf. Aufstöhnend schloss Patrick die Augen. Warum kann er nicht einfach gehen?, war der erste Gedanke, der in solchen Momenten durch seinen Kopf schoss.

Schweißgebadet fuhr er in seinem Bett hoch. Die Alpträume suchten ihn nicht mehr oft heim, aber wenn sie kamen, dann trafen sie ihn mit voller Wucht. Zitternd vor Wut schwang er die Beine über den Rand seines Bettes, atmete tief ein und aus, um die Überreste des Traumes aus seinem Hirn zu wischen. Er hatte seinen Vater seit fast fünf Jahren nicht mehr gesehen, aber die Erinnerungen an die Geschehnisse waren noch immer so präsent in seinem Kopf, als seien sie erst gestern geschehen.

Fast schon automatisch griff er nach seinem Handy, drückte eine Kurzwahltaste und hielt die Luft an, während sein Fuß unaufhaltsam auf und ab wippte. »Komm schon, Mom, heb ab ...«, murmelte er leise vor sich hin. Erst, als sich nach einigen Sekunden des Läutens am anderen Ende der Leitung endlich jemand meldete, entwich die Luft pfeifend seinen Lungen.

»Patrick?«, vernahm er ihre verschlafen klingende Stimme.

»Mom, ist alles in Ordnung bei dir?«

»Ja, natürlich, alles okay. Was sollte los sein?«, die Müdigkeit war augenblicklich aus ihrer Stimme gewichen, jetzt klang seine Mutter alarmiert. Und er wusste auch, warum.

»Ich hatte wieder ... diesen Traum, Mom. Du weißt, warum ich anrufe«, flüsterte er erleichtert darüber, dass es ihr gut ging.

Er konnte das sanfte, aber besorgte Lächeln seiner Mutter vor seinem inneren Auge sehen, noch bevor ihre Worte an seinem Ohr ankamen. »Patrick, es ist fünf Jahre her und weder du noch ich haben ihn seither gesehen. Ich bezweifle auch, dass sich das jemals ändern wird. Deine Worte an ihn waren mehr als deutlich. Mir geht es gut, und dir sollte klar sein, dass sich Davis mit Sicherheit bei dir gemeldet hätte, wenn es anders wäre!«

Just da vernahm er im Hintergrund die müde Stimme des Bodyguards, den er vor 5 Jahren engagiert hatte, um seine Mutter zu beschützen. Dass sich seine Mom und Davis dabei ineinander verlieben würden, hatte er dabei zwar nicht im Sinn gehabt, aber – es war gut so, wie es geschehen war. Diana St. Claire war gerade 18 Jahre gewesen, als er selbst auf die Welt gekommen war, und Davis war nur 8 Jahre jünger als seine Mom.

Der Bodyguard las seiner Mutter jeden Wunsch von den Lippen ab, noch bevor sie ihn überhaupt aussprechen konnte, und so waren aus Davis und ihm mit der Zeit wirkliche Freunde geworden. Außer seinem Vater, seiner Mom und ihm selbst war der Bodyguard der einzige, der das gesamte Ausmaß der vergangenen Ereignisse kannte. Und wenn es nach ihm, Patrick, ginge, würde das auch so bleiben.

Es kruschelte in der Leitung, und keine Sekunde später vernahm er die mürrische Stimme seines Freundes. »St. Claire, deiner Mutter geht es hervorragend, wenn wir die Tatsache außer Acht lassen, dass ihr verrückter Sohn an einem Samstag um 5 Uhr früh bei ihr anruft. Hast du verstanden? Leg dich hin und schlaf noch eine Runde, denn genau das werden Diana und ich jetzt auch machen, hörst du?«

Ein leises Tuten machte deutlich, das Davis aufgelegt hatte und Patrick entwich ein Seufzer. Dessen letzte Worte hatten ihm bewusst gemacht, dass es in der Tat schon wieder Wochenende war. Ein Blick zur Uhr auf seinem Nachtschrank bestätigte ihm zudem die nachtschlafende Zeit. Sich die Haare raufend stand er auf, denn er wusste, dass er jetzt keinen Schlaf mehr finden würde.

Die Woche war erstaunlich schnell vorüber gegangen und bei dem Gedanken daran, das er die kleine Ms. Franklin heute und morgen nicht würde in den Wahnsinn treiben können, ließ ihn sogar grinsen. Sie kamen, bis auf kleinere Reibereien, erstaunlich gut miteinander zurecht, und er musste dem Rotschopf fast Respekt dafür zollen, wie souverän sie mittlerweile seine Launen ertrug.

So auch gestern wieder, als er sie bereits zur Mittagszeit ins Wochenende entließ und es nicht lassen konnte, ihr eine Nachricht aufs Smartphone zu schicken, in der er ihr viel Spaß mit La wünschte. Sie hatte ihn mit einem nicht zu deutenden Blick angesehen, und während er ihre finsteren Gedanken förmlich hören konnte, hatte sie ihn einfach stehen lassen und erst, als sie schon fast zur Tür hinaus gewesen war, ein spitzes »Und vielen Dank. Das Vergnügen werde ich sicher haben«, von sich gegeben.

***

Am Montagmorgen war von der guten Laune, die sich noch am Samstag bei Patrick gebildet hatte, nicht mehr viel zu merken. Er hatte das Wochenende damit zugebracht, die Unterlagen durchzugehen, die ihm Ms. Franklin auf sein Geheiß zusammengestellt hatte, und dabei waren ihm einige Ungereimtheiten aufgefallen.

Dementsprechend schlecht war seine Stimmung, als er in der Thompsons Holding ankam und sein Büro betrat. Seine Sekretärin erhob sich, kaum das er den Raum betreten hatte, mit einem neutralen Lächeln und wollte gerade etwas sagen, als er ihr auch schon in die Parade fuhr. »Mitkommen, Julia!«

Und schon hatte er sich wieder umgedreht und stürmte mit großen Schritten auf das Büro von Michael Thompson zu. Dieser befand sich seit dem Wochenende im Erziehungsurlaub, da seine Freundin letzte Woche das zweite gemeinsame Kind bekommen hatte und er in den nächsten Monaten Zeit zuhause verbringen wollte. Ohne auch nur anzuklopfen, stürmte er ins Vorzimmer von Mr. Thompson, wo dessen Sekretärin Mrs. Davis ihn erstaunt ansah. »Guten Morgen, Mr. St. Claire«, grüßte sie dennoch freundlich.

»Ich wüsste nicht, was an diesem Morgen gut sein sollte!«, knurrte er ihr entgegen. Hinter ihm betrat nun auch Ms. Franklin das Büro und stellte sich weit abseits von ihm, so als wolle sie ihm keinesfalls in die Quere kommen. »Mrs. Davis, ich hatte Ihnen doch gesagt, dass ich so lange zuständig bin, bis Mr. Thompson aus seinem Babyurlaub wieder zurück ist«, wandte er sich nach einem kurzen Blick zu Juliette an Michaels Sekretärin.

Doch bevor er dazu kam, auszuführen, was genau er meinte, wurde die Tür zum Vorzimmer erneut geöffnet. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung fuhr er herum, um zu sehen, wer da störte. Zwei ihm völlig fremde Männer betraten den Raum, die ihn beide neugierig musterten. Dann trat der Schlankere der beiden vor und sagte: »Detective Mc Kenzie, Mordkommission, NYPD. Ich habe einen Termin mit Mrs. Davis.«

»Ah, Detective. Mr. Thompson hat Sie schon angekündigt«, rief die Sekretärin aus und nickte den beiden Herren freundlich zu. Hätte seine Laune nicht zuvor schon den Nullpunkt überschritten, so wäre es spätestens jetzt so weit gewesen. Mit finsterem Blick fuhr Patrick zu Juliette herum.

»Warum wurde ich davon nicht unterrichtet?«, schnauzte er sie an. Er konnte deutlich sehen, wie sie zusammenzuckte.

»Es tut mir leid, Mr. St. Claire ich habe auch erst kurz, bevor Sie hier hereinkamen, davon erfahren und noch keine Zeit gehabt, es Ihnen mitzuteilen«, flüsterte sie. Er entsann sich, dass sie ihm etwas hatte sagen wollen, als er eben in sein Büro gestürmt und sie angeschnauzt hatte.

»Mr. St. Claire, Juliette, ich meine, Ms. Franklin, kann wirklich nichts dafür!«, mischte sich Michaels Sekretärin nun ungefragt ein und erntete dafür einen unwilligen Blick von ihm.

»Mir dagegen ist es völlig egal, ob Sie davon wussten oder nicht. Denn ich habe einen Termin mit Mrs. Davis«, mischte sich jetzt auch noch dieser Detective ein. »Und Sie sind?«

»Patrick St. Claire, der neue Geschäftspartner von Mr. Thompson und in seiner Abwesenheit für alle Belange zuständig. Somit auch für Ihre«, erwiderte er und musste stark an sich halten, keinen Tobsuchtsanfall zu bekommen.

»Das glaube ich kaum, Mr. St. Claire. Chief Goodman, der Leiter der Mordkommission, hat vorhin noch höchstpersönlich mit Mr. Thompson telefoniert und mir wurde Zugang zu allen erforderlichen Unterlagen gewährt. Somit wende ich mich auch nur an Mrs. Davis, die darüber unterrichtet wurde.«

Was für eine Unverschämtheit war das denn? Finster musterte er den Detective, der seinen Blick ungerührt erwiderte und den das – ganz im Gegensatz zu Ms. Franklin - nicht im Geringsten zu beeindrucken schien. »Julia«, fauchte er. »Mitkommen, wir haben noch zu arbeiten.« Hocherhobenen Hauptes ging er an den beiden Detectives vorbei aus dem Zimmer, ohne sich davon zu überzeugen, ob sie ihm folgte.

»Entschuldigen Sie bitte, Detective. Mr. St. Claire ist neu hier und ein wenig … eigen«, hörte er Michael Thompsons Sekretärin sagen.

»Schwierig trifft es wohl besser«, meldete sich zum ersten Mal der dickliche Mann zu Wort, was Mrs. Davis ein Kichern entlockte. Dann schloss sich die Tür zum Vorzimmer, und er war ausgesperrt. Wutentbrannt stürmte er den Flur entlang.

Heil mich, wenn du kannst

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