Читать книгу Heil mich, wenn du kannst - Melanie Weber-Tilse, Alisha Mc Shaw - Страница 7

Patrick

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Fassungslos starrte er auf das Bündel an geballter Inkompetenz hinab, welches wohl ab heute seine Sekretärin sein würde. Mit einem lauten, würgenden Geräusch war sie an ihm vorbeigestürmt und übergab sich – direkt in den Mülleimer. Angeekelt verzog er das Gesicht, denn die Geräusche, die sie von sich gab, ließen vermuten, dass sie gerade ihren gesamten Mageninhalt in den Eimer entleerte.

»Äh ja, Julia ... ich bin dann in meinem Büro. Ich erwarte Sie um 9.30 zur Besprechung.« Er drehte sich mit angewidertem Gesicht um und betrachtete das Frauenzimmer, das sich langsam und sichtlich blasser wieder erhob und ihn schockiert anstarrte. »Und bitte ... sammeln Sie sich, ich kann mich nicht mit einer solch derangierten Sekretärin sehen lassen.«

Mit diesen Worten drehte er sich um und marschierte in sein Büro. Kein Wunder, das gemunkelt wurde, das die Thompson Holding sich in einer Krise befände, als er sich in die Firma eingekauft hatte. Bei solchem Personal kein Wunder! Wie gut, dass er beschlossen hatte, schon heute nach dem Rechten zu sehen.

Nur dem Umstand, dass er Michael Thompson, den größten Anteilseigner der Firma, sehr schätzte und um seine Genialität wusste, war es zu verdanken, dass er sein Geld überhaupt investiert hatte. Ihm gehörten jetzt 25 % der Firmenanteile und er war fest entschlossen, andere Seiten aufzuziehen. Und mit dieser Julia würde er beginnen.

20 Minuten später kam die Sekretärin, deutlich gefasster als zuvor, mit einem Tablett in sein Büro. Auf diesem befand sich eine Thermoskanne mit Kaffee, zwei Tassen und – erfreulicherweise – auch Milch, Zucker und etwas Gebäck. Gut, vielleicht gab es ja doch etwas, was sie konnte, und wenn es nur Kaffee kochen war. Noch immer etwas blass um die Nase stellte ... wie hieß sie noch gleich? ... das Tablett auf dem kleinen Tisch an der Seite ab und rückte dann mit den Händen ihr Kostüm zurecht.

Er unterzog sie einer erneuten Musterung und stellte überrascht fest, dass sie gar nicht so übel aussah. Zwar trug sie ihre kupferroten Haare zu einem strengen Dutt gefasst, aber das biedere Kostüm konnte nicht verbergen, dass sie eine äußerst weibliche Figur hatte. Fast schon schade, dass er sie vermutlich nicht behalten würde.

»Es tut mir leid, Mr. St. Claire«, setzte sie jetzt an und hob ihr Gesicht zu ihm an. Ihre Stimme wackelte leicht, doch sie hielt seinem finsteren Blick tapfer stand. »Der Sekt, den ich beim Ausstand von Mr. White getrunken habe, ist mir wohl auf den Magen geschlagen. Es wird nicht wieder vorkommen.«

»Natürlich wird es nicht mehr vorkommen!«, sagte er und blickte sie stirnrunzelnd an. »Ich dulde keinen Alkoholkonsum während der Arbeitszeit. Können wir dann jetzt beginnen?«

Julies ... Julias ... wie auch immer sie nun hieß, Mund klappte auf, dann wieder zu. Sie räusperte sich und nickte dann. »Selbstverständlich, Mr. St. Claire.« Flink bereitete sie den Kaffee zu, stellte eine Tasse samt dem Gebäck vor ihm ab, zog unter dem Tablett einen Block hervor und stellte dann eine zweite Tasse auf seinem Schreibtisch ab, ehe sie sich ihm gegenüber hinsetzte und ihn mit gezücktem Stift abwartend ansah.

Irritiert sah er sie an. Was hatte sie denn jetzt schon wieder vor, wollte sie ein Kaffeekränzchen mit ihm abhalten? »Ms. ...«

»Franklin. Juliette Franklin«, kam es leise von ihren Lippen. Äußerst sinnlichen Lippen übrigens, wie er feststellte.

»Gut, ja. Ms. Franklin, hören Sie ... Ich weiß nicht, wie Mr. White und Mr. Thompson das hier sonst handhaben, aber wir sind nicht zum Vergnügen hier und sicherlich auch nicht, um einen Kaffeeklatsch abzuhalten. Ich möchte, dass Sie mir eine Auflistung aller Kunden erstellen, die Mr. White zuletzt betreut hat. Diese fallen ab jetzt in meine Zuständigkeit und wir sollten damit beginnen, die Missstände, die in dieser Firma offensichtlich herrschen, ein für alle Mal zu beseitigen.«

Der Rotschopf hatte angefangen, sich Notizen auf ihrem Block zu machen, war jedoch schon bei seinen ersten Worten sichtbar zusammengezuckt. Umso besser, sie sollte gleich merken, dass ihr schönes Leben ab jetzt ein Ende hatte. Vielleicht würde er das Problem dann ja von ganz allein los. Wenn sie realisierte, dass er seine Angestellten mit harter Hand führte, würde sie sicher von sich aus das Weite suchen. Er war schließlich nicht zum Aufsteiger des Businessjahres gekürt worden, weil man ihm nachsagte, das er gern Kaffeekränzchen abhielt.

Er zählte noch einige Dinge auf, die er schleunigst von ihr erledigt haben wollte, dann wandte er sich seinem Monitor zu. Es wäre doch gelacht, wenn es ihm nicht gelänge, aus diesem Haufen hier wieder eine florierende Firma zu machen. Michael Thompson hatte ihm eine Prokura eingeräumt, er würde also im Großen und Ganzen völlig freie Hand haben. Ab jetzt würde hier ein neuer Wind herrschen.

Thompson selbst würde für den Zeitraum der nächsten Monate nur noch sporadisch in der Firma zugegen sein, da die Geburt seines zweiten Kindes unmittelbar bevorstand, und er so viel Zeit wie möglich zuhause verbringen wollte. Ein Grund mehr in seinen Augen, der dafürsprach, sich keine Frau an die Backe zu binden. Sie machten weich. Und weich zu werden war etwas, das man sich in diesem Business nicht erlauben konnte.

Ein Räuspern ließ ihn aufblicken. Ms. Franklin saß wie angewurzelt auf ihrem Stuhl, sah ihn an und schien auf irgendetwas zu warten. »Ja?«, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.

»Sind wir dann hier fertig?«

Nur mit Mühe konnte er ein enerviertes Stöhnen unterdrücken. Erwartete sie jetzt ernsthaft, dass er ihr mitteilte, dass sie gehen konnte? Es war doch wohl mehr als offensichtlich, dass er sie nicht mehr brauchte, als er sich seinen Geschäften gewidmet hatte! »Ja, sind wir«, presste er zwischen den Zähnen hervor. In einer fließenden Bewegung erhob sie sich und marschierte zur Tür. »Äh, Julia?«, rief er ihr hinterher.

Sie blieb stehen und wandte sich zu ihm um. »Nehmen Sie ihren Kaffee mit.«

***

Am nächsten Morgen fuhr er in aller Frühe nach West Bay zum Anwesen der Thompsons, wo er sich zu einem Meeting mit Michael Thompson verabredet hatte. Entspannt in die Polster des nagelneuen Cadillacs zurückgelehnt genoss er das leise Schnurren des Wagens, den sein Chauffeur durch den Verkehr lenkte. Sein erster Tag in der Firma war erstaunlich schnell vergangen, wenn man bedachte, mit wie viel Unfähigkeit er sich gestern hatte abgeben müssen.

Aber auch das würde ein Thema sein, das er heute mit seinem Partner besprechen wollte. Der Rotschopf, der sich seine Sekretärin schimpfte, hatte sich zwar als gar nicht so ungeschickt herausgestellt, wie er befürchtet hatte, aber dennoch würde er noch einige Dinge klarstellen müssen. Die Arbeitsmoral musste sich dringend verbessern.

Als sein Wagen wenige Minuten später die Auffahrt zu Thompsons Retreat hinauffuhr, konnte er nicht umhin, den exquisiten Geschmack seines Geschäftspartners zu bewundern. Dessen Anwesen war wunderschön.

Nachdem sie vor dem Haupthaus zum Stehen gekommen waren, wies er in wenigen Worten seinen Fahrer an auf ihn zu warten, stieg aus und ging die Stufen zum Eingang hinauf. Noch bevor er sich bemerkbar machen konnte, ging die Tür vor ihm auf und eine kleine, ältliche Dame mit vorgebundener Schürze musterte ihn ungeniert. »Guten Morgen!«, grüßte sie.

Mit einem knappen Nicken drückte er ihr sein Jackett in die Hand, das er trotz der sommerlichen Temperaturen immer trug. »Mr. Thompson erwartet mich«, sagte er und wollte schon an ihr vorbeigehen, als die Frau ihn aufhielt, indem sie mit der Hand nach seinem Arm griff.

»Moment, junger Mann. Immer schön langsam mit den jungen Pferden!« Erstaunt blieb er stehen und sah mit hochgezogener Augenbraue auf die Hand, mit der sie ihn festhielt und ihn jetzt finster musterte. »Es heißt guten Morgen und mein Name ist Patrick St. Claire. Ich bin der neue Geschäftspartner von Mr. Thompson und ich gehe davon aus, dass er mich erwartet, da wir einen Termin haben.«

Noch ehe er sich von seiner Überraschung erholen konnte, ließ sie ihn los und drückte ihm sein Jackett in die Hand. »Und Ihre Jacke können Sie mal schön selbst aufhängen, wie das jeder in diesem Hause tut!«, erklärte sie und schon war sie an ihm vorbei auf eine Tür zumarschiert, die sie aufstieß und dahinter verschwand. Verblüfft sah er zwischen der schwingenden Tür und seinem Jackett hin und her. Ihm fehlten die Worte.

Laute Schritte ließen ihn herumfahren. Michael Thompson kam eine geschwungene Treppe hinunter, leger in Jeans und T-Shirt gekleidet. »Wie unschwer zu überhören war, haben Sie wohl gerade Bekanntschaft mit Emma, der guten Seele unseres Hauses, gemacht?«, rief er und man konnte deutlich sehen, dass er sich nur mit Mühe das Lachen verkneifen konnte. Gute Seele des Hauses? Fassungslos starrte er seinen Geschäftspartner an. Drachen traf es ja wohl eher, oder?

»Ich rate Ihnen eines, Patrick. Verderben Sie es sich nicht mit Emma, sonst werden Sie hier keine Freunde finden!«, schmunzelte Michael, ehe er ihm das Jackett aus der Hand nahm und es an die Garderobe hängte. »Ich habe leider nicht besonders viel Zeit, da ich in weniger als einer Stunde eine junge Frau erwarte, die sich auf die Stelle als Kindermädchen für Cassandra beworben hat«, erklärte er dann und deutete ihm, die Treppe hinaufzugehen. Cassandra? Ach, natürlich, das musste die Tochter sein.

Einige Minuten später saß er im Büro von Michael Thompson, welches schlicht, aber zweckmäßig eingerichtet war und alles bot, was benötigt wurde, um von zuhause aus arbeiten zu können. »Schießen Sie los, Patrick. Am Telefon erwähnten Sie etwas von Missständen in meiner Firma, ich bin gespannt!«, erklärte dieser und ließ sich ihm gegenüber nieder, nachdem Emma Kaffee gebracht und ihn dabei mit Todesverachtung gestraft hatte.

Als die Haushälterin den Raum verlassen hatte, entspannte er sich etwas und begann damit, Michael seine ersten Eindrücke zu schildern, angefangen mit der wenig erfreulichen Begegnung zwischen seiner Sekretärin und ihm. Nachdem er geendet hatte, sah er mit um Beifall heischender Miene zu seinem Partner.

Dieser jedoch hatte die Augenbrauen zusammengezogen und musterte ihn mit undurchdringlichem Gesicht. »Wissen Sie, das Sie mich ein wenig an mich erinnern, Patrick?«, fragte er schließlich nach einer Weile unangenehmen Schweigens. Er erhob sich und trat, die Hände in die Hosentaschen steckend, ans Fenster und blickte hinaus. Es vergingen einige Sekunden, ehe er sich erneut zu ihm umwandte und ihn ansah.

»Sie erinnern mich an mich selbst noch vor weniger als einem Jahr. Verbissen und kalt. Ich habe Menschen die Schuld an dem Unglück meiner Schwester gegeben, die rein gar nichts dafür konnten und sie aus meinem Leben verbannt. Dadurch habe ich mich um die ersten Lebensjahre meiner Tochter gebracht. Das wird mir mit meinem ungeborenen Sohn sicher nicht passieren.«

Patrick wollte aufbegehren, doch da sprach Michael auch schon weiter. »Juliette Franklin, wie sie übrigens richtig heißt, ist seit 5 Jahren in der Firma und war von Anfang die Assistentin meines vorherigen Partners, David White. David war 20 Jahre ein Teil der Thompson Holding und hat schon mit meinem Vater zusammengearbeitet. Beide legten großen Wert darauf, dass sich die Angestellten unserer Firma wohl fühlen, damit sie gute Arbeit leisten. Es gab eine Zeit in meinem Leben, da habe ich diesen Umstand vergessen und das hätte mich fast meine Firma gekostet.«

Er setzte sich wieder in seinen Bürostuhl, stützte die Hände auf dem Schreibtisch ab und beugte sich zu ihm vor. »Ich habe Sie als neuen Partner für meine Firma gewählt, weil Sie eine Koryphäe auf ihrem Gebiet sind, Patrick. Ihr Ruf als knallharter und strategischer Verhandlungspartner eilt Ihnen voraus und das ist es, was die Thompson Holding wirklich dringend braucht. Was meine Firma jedoch nicht gebrauchen kann, ist ein Tyrann.«

»Ich bin kein Tyrann. Ich bin nur ein Freund guter Arbeit und klarer Strukturen, Michael. Das ist ein kleiner aber bedeutender Unterschied, oder etwa nicht?«, begehrte er auf, denn jetzt reichte es ihm. Der Mann ihm gegenüber konnte die Mehrheit der Anteile halten, so viel er wollte, aber dennoch würde er sich nicht alles gefallen lassen. Mit finsterer Miene musterte er sein Gegenüber.

»Stimmt«, nickte dieser vollkommen unbeeindruckt. »Dann lassen Sie es mich anders formulieren. Hat sich Juliette gestern irgendetwas zuschulden kommen lassen, davon abgesehen, dass sie den Inhalt ihres Magens erfreulicherweise wenigstens in einen Mülleimer geleert hat und nicht über Ihre teuren Schuhe?«

Patricks Blick glitt unwillkürlich nach unten zu seinen Schuhen, die glänzend poliert waren und vermutlich in etwa so viel gekostet hatten, wie Julia ... nein, Juliette im gesamten Monat verdiente. Irritiert schüttelte er den Kopf. »Nein, aber ...«

»Nichts aber, Patrick. Ich möchte, dass Sie meiner Firma zu altem Glanz verhelfen, und nicht, das Sie schon in der ersten Woche mein Personal feuern. Geben Sie den Menschen dort eine Chance. Einverstanden?«

Zähneknirschend nickte er, was Michael mit einem zufriedenen Lächeln quittierte, bevor er sich abermals erhob.

»Wunderbar. Dann denke ich, sollte fürs Erste alles geklärt sein. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, aber ich habe in zehn Minuten den nächsten Termin und würde gern vorher noch nach Susan sehen. Die Schwangerschaft macht ihr etwas zu schaffen, was auch der Grund dafür ist, dass wir uns dazu entschieden haben, ein Kindermädchen einzustellen.«

Patrick erhob sich ebenfalls. Die beiden Männer schüttelten einander die Hand. »Ich vermute nicht, dass ich Emma bitten muss, Sie zur Tür zu begleiten?«, fragte Michael dann und sah ihn fragend an. Lediglich das Zucken seines Mundwinkels machte klar, dass er sich mit Mühe das breite Grinsen verkniff.

Patrick konnte nicht anders, als entsetzt zu schnaufen, ehe er schließlich ebenfalls schmunzeln musste. »Nein, danke. Ich ... finde allein raus!«, wehrte er ab. Sollte sich Michael Thompson mit indiskutablem Personal umgeben, so viel er wollte ... er tat das nicht! Juliette Franklin würde eine faire Chance bekommen, sich in ihrem Job zu beweisen. Aber entweder würde sie mit ihm zurechtkommen, oder sie würde es nicht. Und wenn sie es nicht tat, war die Sachlage eindeutig.

Nachdem er sein Jackett von der Garderobe genommen hatte, verließ er das Haus, ohne der seltsamen Haushälterin noch einmal zu begegnen. Vor seinem Cadillac blieb er schließlich stehen, um sich das Jackett wieder anzuziehen. Bevor er einstieg, überprüfte er dessen Sitz und entfernte mit Hilfe seines Spiegelbilds in der glänzend geputzten Karosserie einen Fussel, der auf seiner Schulter haftete.

In diesem Moment fuhr ein uralter Ford vor dem Haus vor und er starrte überrascht auf den Wagen, der eindeutig schon wesentlich bessere Tage gesehen hatte. Eine junge Frau mit langen, blonden Haaren stieg aus diesem aus. Das musste die Anwärterin auf die Kindermädchenstelle sein. Michael Thompson hatte ganz offensichtlich einen Hang dazu, seltsames Personal zu bevorzugen, auch wenn er nicht umhinkonnte zuzugeben, dass sie eine Augenweide war.

Sie erwiderte seinen Blick fest, lächelte ihm zu und grüßte mit einem freundlichen »Guten Morgen!«

Patrick hob lediglich die Augenbraue, schnaubte verächtlich und stieg dann kopfschüttelnd in seinen Cadillac. Er würde nach Hause fahren, sich umziehen und von dort aus Juliette anrufen, um ihr mitzuteilen, dass er einige Geschäftspartner aufsuchen würde, um die Lage zu sondieren. »Nach Hause, und zwar zügig!«, blaffte er seinen Fahrer an.

Heil mich, wenn du kannst

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