Читать книгу Ein Junggeselle zum Verlieben - Melody Carlson - Страница 3
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George Emerson brauchte keinen Menschen. Das zumindest redete er sich ein, während er vorsichtig mit dem Rasiermesser über seine Wangen strich, wie er es an jedem Tag der Woche um genau 7:07 Uhr morgens tat. Viele Männer rasierten sich mit diesen moderneren Rasierapparaten, das war George bewusst, aber dieses Rasiermesser mit einem silbernen Griff hatte ihm sein Großvater hinterlassen. Während er die scharfe Klinge an einem weichen Frotteehandtuch abwischte, reckte er den Hals, um sein glatt rasiertes Kinn in dem beschlagenen Spiegel zu begutachten. Mit seiner Lesebrille konnte er besser sehen, aber nach so vielen Jahren Routine war George ziemlich sicher, dass nichts zu beanstanden wäre.
Nachdrücklich schloss er das Badfenster, weil er das fröhliche Summen seiner ein wenig aufdringlichen Nachbarin nicht mehr hören wollte. Fieberhaft überlegte George, wie er Lorna Atwood an diesem Morgen aus dem Weg gehen konnte, ohne unhöflich zu erscheinen. Seit ungefähr zehn Minuten machte sie sich im Garten zu schaffen, und George war ziemlich sicher, dass sie ihn abpassen wollte, sobald er das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen.
Gerade als er die Kappe auf seine Tube mit Rasierschaum setzte und sein Rasiermesser in den angeschlagenen Keramikbecher stellte, hörte er das Pling in der Küche. Der Kaffee war durchgelaufen.
Die Kaffeemaschine mit der Zeitautomatik war eine dieser neumodischen Errungenschaften, zu denen sich George vor ein paar Jahren hatte überreden lassen. Aber so ganz traute er dieser Maschine nicht. Eigentlich traute er den meisten elektrischen Geräten nicht. Was, wenn sie einmal verrückt spielte und mitten in der Nacht Kaffee kochte?
Während er seinen Thermosbecher mit dem dampfenden Kaffee füllte, warf George einen Blick durch das Küchenfenster. Lorna hatte sich mittlerweile auf ihrer vorderen Veranda niedergelassen. Er steckte zwei dünne Scheiben Weizenbrot in den Toaster, nahm ein hart gekochtes Ei aus dem Kühlschrank und goss sich ein kleines Glas Grapefruitsaft ein. Das war sein Frühstück an den Wochentagen. An den Wochenenden briet oder pochierte er sich manchmal ein Ei, oder, wenn ihm besonders nach feiern zu Mute war, ging er hinüber in den Blue Goose Diner und gönnte sich Pfannkuchen mit Speck, die er sich beim Zeitunglesen schmecken ließ. Das allerdings hatte er schon länger nicht mehr gemacht. Bestimmt ein Jahr lang nicht.
Aber heute war Freitag, und um 7:27 Uhr hatte George sein Frühstück beendet und das Geschirr abgespült. Mit dem frisch aufgefüllten Thermosbecher und der Aktentasche in der Hand verschloss er seine Haustür, prüfte noch einmal nach, ob sie auch wirklich abgeschlossen war, und überprüfte es noch ein drittes Mal, nur für den Fall. Demonstrativ warf er einen Blick auf die Uhr und dann blickte er vorsichtig nach rechts und links, um sich davon zu überzeugen, dass Lorna nicht irgendwo lauerte.
Für Ende Mai stand die Sonne schon ziemlich hoch am Himmel. Im vergangenen Herbst hatte die Warner Highschool den Schulbeginn um eine Stunde nach hinten verschoben. Daran hatte er sich noch nicht so ganz gewöhnt. Obwohl sich seine innere Uhr gestört fühlte, musste George zugeben, dass den Schülern die zusätzliche Stunde Schlaf gut tat. Sie schienen nun morgens etwas wacher zu sein.
„Guten Morgen, Mr Emerson“, zwitscherte Lorna Atwood fröhlich. Wie ein kleiner Springteufel in farbenfrohes Lycra gekleidet trat sie plötzlich aus dem Schatten ihrer vorderen Veranda heraus. „Ein wunderschöner Tag heute, nicht?“
Er schaute hoch zu dem wolkenlosen Himmel und nickte zustimmend. „Sieht tatsächlich so aus, als würde es heute schön. Das stimmt.“
„Wie ungewöhnlich hier in dieser Jahreszeit im westlichen Oregon. Im vergangenen Jahr hat es den ganzen Mai und Juni über geregnet.“
Mit ihrem rosa Kaffeebecher in der Hand eilte sie zu ihm hinüber. Hatte sie diesen Becher bewusst ausgewählt, weil er zu ihrem Lippenstift passte?
„Sie haben doch hoffentlich meine Einladung nicht vergessen, oder?“ Hoffnungsvoll blickte Lorna ihn an.
George täuschte Verwirrung vor und tippte sich an die Stirn. „Es tut mir so leid, Mrs Atwood, aber mir fällt gerade ein, dass ich für heute Abend schon andere Pläne habe. Ich hoffe, Sie entschuldigen mich.“
„Ach, wie schade.“ Ihr Lächeln blieb unverändert. „Vielleicht ein anderes Mal. Der Sommer steht jetzt vor der Tür, da haben wir sicher noch jede Menge Gelegenheit zusammenzukommen. Wir werden es einfach auf einen anderen Tag verschieben. Ich habe also bei Ihnen etwas gut.“
Sie spähte zum Himmel hoch. „Da wir gerade von Guthaben sprechen, am Wochenende soll das Wetter schlechter werden. Vielleicht können wir ja dann etwas ausmachen.“ Sie zwinkerte ihm zu.
George zwang ein höfliches Lächeln auf sein Gesicht, als er ihr zunickte und seinen Weg an ihrem kleinen Vorgarten vorbei fortsetzte. Ihr Rasen müsste dringend mal gemäht werden. Er hoffte nur, dass er sie nicht an ihren Mietvertrag erinnern müsste, denn darin war ganz klar festgelegt, dass sie für ihren Garten selbst verantwortlich war. Ihr kleiner gelber Bungalow war fast identisch mit dem, in dem er selbst wohnte – nur dass seine Fassade kornblumenblau gestrichen war.
Zusammen mit seinen Großeltern hatte er Ende der 80er-Jahre in diese kleinen heruntergekommenen Häuser investiert, damals, als die Immobilienpreise noch lächerlich niedrig waren. Kurz nachdem er die Stelle als Lehrer an der nahe gelegenen Highschool bekommen hatte, hatte er den ersten Bungalow zur Eigennutzung gekauft. Da er nicht gerne Auto fuhr, war es sinnvoll, in der Nähe zu seinem Arbeitsplatz zu wohnen, sodass er zu Fuß dorthin gelangen konnte. Und seither arbeitete er als Lehrer an der Warner High.
Mit der Hilfe seines Großvaters, der großes handwerkliches Geschick besaß, hatte George an den Wochenenden und an den Abenden sein kleines blaues Haus renoviert. Das war eine gute Ablenkung für ihn gewesen, um nicht ständig über die Träume nachdenken zu müssen, die sich für ihn nicht erfüllt hatten. Vielleicht hatten ihn seine Großeltern deshalb dazu ermutigt, drei weitere kleine Häuser zu kaufen. Das würde ihn von seinem Schmerz ablenken, und er hatte immer etwas zu tun.
Sie hatten ihm die Immobilienkäufe schmackhaft gemacht, indem sie sie ihm als gute Investition anpriesen. Und es war, wie sich später zeigte, tatsächlich klug, Immobilienwerte in seiner Nachbarschaft zu erwerben. Damals war der Kauf von heruntergekommenen Immobilien noch ein wenig leichtsinnig erschienen, zumal die Mieter aus den Städten in die „Sicherheit“ der Vororte flohen. Aber in den vergangenen zehn Jahren hatte sich dieser Trend umgekehrt.
Die Menschen kehrten in die Stadt zurück, und die Mieten in seinem Viertel waren mittlerweile so hoch wie nie zuvor. Seine drei Bungalows, die nur einen Straßenzug von der Innenstadt entfernt lagen, hatten in letzter Zeit nicht einen einzigen Tag lang leer gestanden.
Mrs Atwood, seine neueste Mieterin, war überglücklich gewesen, in diesen Bungalow einziehen zu können. Obwohl sie erst seit einigen Monaten dort wohnte, hatte George schon sehr bald gemerkt, dass im Umgang mit ihr Vorsicht geboten war. Sie war geschieden und sehr gesellig, und sie konnte ununterbrochen plaudern, wenn sie die Gelegenheit dazu bekam. Vermutlich war ihr Mann geflohen, weil er sich nach Frieden und Ruhe sehnte, obwohl Mrs Atwood behauptete, Opfer der Midlifecrisis ihres Ex-Mannes geworden zu sein. Sie sah nicht schlecht aus – das musste er zugeben –, aber sie redete eindeutig zu viel. Und sie war viel zu bemüht.
Kurz nach ihrem Einzug hatte George ein paar kleinere Reparaturen an dem Bungalow vorgenommen, und als Dank für seine Hilfe hatte sie ihn zum Abendessen eingeladen. Als er ablehnte, bestand sie darauf, ihren berühmten Kirschkuchen für ihn zu backen. Er gab vor, sich über diese nette Geste zu freuen, aber der viel zu süße und klebrige Kuchen wanderte direkt in den Müll, da George nicht viel für Kuchen übrig hatte.
Trotzdem hatte er ein höfliches Dankeschön an die gespülte Tortenplatte geheftet und ganz früh am folgenden Morgen auf ihre Veranda gestellt. Doch seither hatte sie ihre Bemühungen, Kontakt zu ihm zu suchen, nur noch verstärkt. Allmählich gingen ihm die Ausreden aus, denn er wollte nicht unhöflich oder gar unehrlich sein.
George war mit den Versuchen von Frauen, Kontakt zu ihm aufzunehmen, bestens vertraut, und im Laufe der Jahre hatte er gelernt, die schmeichelnde Aufmerksamkeit dieser Frauen zu ignorieren. Auffallend attraktiv war er nicht, in dieser Hinsicht machte er sich nichts vor. Nicht einmal in jungen Jahren, im letzten Jahrhundert, als seine Schüler ihm den Spitznamen Mr Bean gegeben hatten, hatte George sich darüber Illusionen gemacht. Er war nun mal kein Cary Grant. Der Vergleich seiner Schüler mit dem schrulligen Komiker sollte eigentlich eine Beleidigung sein, aber George hatte das nicht so gewertet.
Tatsächlich war es sogar so, dass er Mr Bean irgendwie bewunderte. Und George wusste, dass die Schüler ihn wegen seines zugeknöpften Verhaltens neckten. Andererseits war für ihn absolut unverständlich, wie die Kinder sich kleideten, beinahe wie Mitglieder einer Gang. Er dagegen legte großen Wert auf korrekte Kleidung. Zum Unterricht trug er immer lockere Krawatten und Sportsakkos – ein Versuch seinerseits, durch sein Vorbild zu leiten. Nicht dass es funktioniert hätte, aber es war eine Gewohnheit, die er beibehalten hatte, und auch wenn seine Kollegen lässige Kleidung bevorzugten, gefiel George sein etwas traditionellerer Stil. Seltsamerweise schien das auch bei den Damen gut anzukommen – früher zumindest und bei Damen wie Mrs Atwood offensichtlich immer noch.
Jetzt mit Mitte 50 vermutete George, dass Frauen wie Mrs Atwood nicht unbedingt sein Aussehen attraktiv fanden, sondern die Tatsache, dass er ein Junggeselle war. Junggesellen hatten es eigentlich in jedem Alter nicht leicht, und er vermutete manchmal, jemand hätte ihm einen Zettel mit der Aufschrift „noch zu haben“ an den Rücken geheftet. Doch mittlerweile war er ein „eingefleischter Junggeselle“, wie viele ihn nannten. Und wenn er ehrlich war, hatte George gegen diese Bezeichnung nichts einzuwenden.
„Guten Morgen, Mr Emerson.“ Jemma Spencer winkte ihm zu, als sie die Treppe zur Schule hochlief. „Ist das nicht ein wundervoller Tag?“
„Allerdings.“ Höflich hielt George ihr die Tür auf und ließ die jüngere Frau vor sich eintreten. Jemma war neu an der Warner High. Sie hatte gerade ihr Studium abgeschlossen, war energiegeladen und auffallend hübsch – und wie die meisten seiner Kolleginnen so jung, dass sie seine Tochter sein könnte.
„Und was macht die Kunst, Miss Spencer?“ Er blieb stehen, um seine Karte ins Lesefeld der Arbeitszeiterfassung einzuführen.
„Die Schüler haben Hummeln im Hintern.“ Ihre dunkelbraunen Augen funkelten, als kribbelte es auch ihr in den Fingern.
„Ja, nur noch sechs Tage Schule. Da ist das nachvollziehbar. Ganz besonders an einem warmen, sonnigen Tag wie heute.“
„Ich denke, ich gehe heute mit meinen Schülern nach draußen“, vertraute sie ihm auf dem Weg zum Lehrerzimmer an. „Sie können Bäume, Blumen, Wolken oder Schmetterlinge oder was auch immer zeichnen. Vielleicht wollen sie auch einfach nur eine Weile in die Gegend schauen, aber ich hoffe, dass sich dadurch die Hummeln in ihren Hinterteilen beruhigen.“
Er lachte. „Sie haben Mut.“
„Nicht wirklich, es ist nur so, dass auch ich mich so kribbelig fühle.“ Sie zwinkerte ihm zu, als sie in den Flur zum Lehrerzimmer abbogen. „Ich zähle ebenfalls die Tage bis zu den Sommerferien.“
„Haben Sie Urlaubspläne?“, fragte er mit mäßigem Interesse.
„Mein Freund und ich wollen nach Island fliegen“, erklärte sie.
„Interessant …“
„Island?“, rief eine männliche Stimme aus dem Lehrerzimmer. „Hat da jemand Island gesagt? Ich war in den Osterferien dort, und es war einfach traumhaft. Wollen Sie meine Fotos sehen?“
Auf einmal redeten viele der jungen Lehrer durcheinander, zeigten ihre Fotos auf ihren Telefonen und erzählten begeistert von ihren Reiseerlebnissen, sprachen von den Verlockungen Islands und anderer exotischer Orte und prahlten mit ihren eigenen ausgefallenen Plänen für den bevorstehenden Sommer. In der Vergangenheit hätte sich George vielleicht an diesem begeisterten Geplauder beteiligt, vielleicht sogar von seinen eigenen Reiseerlebnissen berichtet, aber da er keine Pläne für den Sommer hatte … und auch in den vergangenen Sommern nichts unternommen hatte, schwieg er, nahm die Infoschreiben aus seinem Postfach und las die Mitteilungen am Schwarzen Brett. Anschließend verließ er, ohne einen Blick zurückzuwerfen, das Lehrerzimmer mit den vielen lärmenden Menschen.
Als er zu seinem Klassenzimmer ging, fühlte George sich alt – nicht körperlich, obwohl seit einiger Zeit der Schwung in seinem Gang fehlte. Er fühlte sich alt im Sinne von angestaubt – wie der Dinosaurier der Warner High. Es war kein Geheimnis, dass er der älteste Lehrer im Kollegium war und dass die Schulleitung ihm vorgeschlagen hatte, doch ein paar Jahre früher in Pension zu gehen. Aber er war jetzt noch nicht einmal 55, was gefährlich nahe an den 60 war, und das Budget der Schule war schon wieder einmal gekürzt worden. Deshalb stellte seine Schulleiterin jüngere Lehrer ein, um Geld zu sparen. Bisher hatte George sich erfolgreich gegen sie und einen vorzeitigen Ruhestand zur Wehr setzen können, aber in diesem Jahr war er eingeknickt.
Nach einer ganz schlimmen Grippeerkrankung im vergangenen Winter hatte George nachgegeben und ihr mitgeteilt, dass er nur noch bis zum Sommer unterrichten wolle. Und nun würde er nach mehr als 30 Jahren Schuldienst offiziell in den Ruhestand gehen. Nicht, dass in der heutigen Zeit noch Wert auf Erfahrung gelegt würde … und es wäre auch niemand traurig darüber, dass er bald nicht mehr zum Kollegium gehören würde.
Mehr und mehr hatte George das Gefühl bekommen, an dieser Schule unsichtbar zu sein, und es war, als ob er mit jedem Jahr weniger wahrgenommen wurde. Sogar die Schüler schauten manchmal durch ihn hindurch. Dass ein Lehrer ignoriert wurde, war natürlich nicht ungewöhnlich.
Als Englischlehrer wusste er um das mangelnde Interesse seiner Schüler an Schule und Bildung. Seine Versuche, ihnen nahezubringen, wie wichtig eine gute Ausdrucksweise war, waren nur selten erfolgreich. Und seiner Meinung nach war dieses elektronische Zeitalter, das er zutiefst verabscheute, schuld daran, dass Rechtschreibung, Grammatik und Satzbau an Bedeutung verloren.
Sosehr er sich auch bemüht hatte, ihnen sein Lieblingsfach, die englische Literatur, durch interessante Unterrichtsgestaltung schmackhaft zu machen, die meisten seiner Schüler konnten Chaucer und Shakespeare nicht voneinander unterscheiden. Und das machte ihnen noch nicht einmal etwas aus.
Seufzend gab er seinen Zahlencode in das Tastenfeld vor seinem Klassenraum ein. Die Zeit, als die Türen auf dem Campus noch nicht verschlossen werden mussten, waren ihm noch immer in lebhafter Erinnerung, aber nun gab es für alle Türen besondere Codes und außerdem Sicherheitskameras und uniformierte Sicherheitskräfte überall. Es waren so viele, dass er manchmal den Eindruck hatte, in einem Gefängnis zu unterrichten.
Er schaltete das Neonlicht ein und durchquerte den stickigen Klassenraum. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, die hohen Fenster ließen sich öffnen, und er könnte frische Luft hereinlassen. Dieses Thema hatte er schon mehrmals zur Diskussion gestellt und darauf hingewiesen, wie wichtig frische Luft sei, damit die Schüler mit wachem Geist dem Unterricht folgen konnten. Aber wegen der Budgetkürzungen waren solche Veränderungen nicht zu realisieren.
Während George den Zahlencode zu seiner Bürotür eintippte, erinnerte er sich daran, wie es war, als er noch selbst hier zur Schule gegangen war. Wie sehr hatte sich die Welt seither verändert. Das Gebäude allerdings, das damals neu und modern gewesen war, hatte sich kaum verändert.
Doch manche Dinge änderten sich eben nie. Im Laufe der Jahrzehnte hatte er beobachtet, dass die Teenager jedes Jahrzehnts sich auffallend ähnlich verhielten. Entfernte man die Schicht der jeweiligen Trends und Modeerscheinungen, kam in der Regel eine frustrierte Mischung aus Aufsässigkeit und Unsicherheit zum Vorschein. Und auch in seiner Generation war das so gewesen, wie er fairerweise eingestehen musste.
Er erinnerte sich noch sehr gut an das Ende der 70er-Jahre. Auch in seiner Klasse hatte es Aussteiger, Faulpelze und Leute gegeben, die Drogen nahmen, doch seine Altersgenossen erschienen ihm auch jetzt noch, nach so vielen Jahren, viel authentischer als die Jugend der heutigen Zeit. Möglicherweise war seine Erinnerung durch das Alter getrübt, doch wenn er in der Zeit zurückblickte, sah er in der Jugend damals eine Authentizität, die er bei den Jugendlichen heute vermisste.
Vielleicht weil es damals diese elektronischen Geräte noch nicht gegeben hatte. Alle seine Schüler besaßen diese neumodischen Tablets und Pods und Handys. Obwohl während des Unterrichts keine elektronischen Geräte erlaubt waren, hielten sich nur die wenigsten Schüler an diese Regeln. Manchmal machte ihn das verrückt.
Was war nur passiert, dass die Kommunikation mit Freunden so unpersönlich geworden war? Auch wurde nur noch selten ein richtiges Gespräch geführt. Er verstand nicht, dass die Jugendlichen ständig diese Kurznachrichten mit schlechter Grammatik und dämlichen kleinen Bildern austauschten. Und wenn er seiner Klasse die Aufgabe stellte, einen Brief zu schreiben, hagelte es Beschwerden. Als hätte er von ihnen verlangt, sich die Augen auszureißen – oder ihre Handys zu zerstören.
Neulich in der Klasse hatte er wirklich den Eindruck gehabt, Zombies vor sich sitzen zu sehen. Als wären die Jugendlichen innerlich abgestorben – nur noch eine leere Hülle. Er war altmodisch, das war ihm bewusst, aber in seinem tiefsten Innern war er der Überzeugung, dass die Computertechnologie dieser Generation ihre Seele gestohlen hatte. Und letztlich hatte diese Erkenntnis nur bestätigt, was er bereits gewusst hatte – dass es Zeit war auszusteigen.