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Einführung

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Aus vier Jahrhunderten, von Roms Aufstieg zur Weltherrschaft im Kampf mit Karthago bis zu seiner Spätblüte unter den Antoninen, stammen unsere Texte. Bei aller künstlerischen Distanz spiegeln sie doch manchen Wandel: Kraft und Frische des Anfangs, Schärfe der Auseinandersetzung der Gracchenzeit, sullanische Annalistik, Feldherrntum Caesars, Aufleuchten des Geistes im Todeskampf der Republik, augusteische Reform und sublimierter Traum von der großen Vorzeit, Stimme des Predigers und Skepsis des Romanciers vor neronischer Fassade, Aufatmen unter Traian, Freimut post festum und Literatenbehaglichkeit, – zweite Sophistik schließlich und ökumenischer Humor mit mystischem Hintergrund.

Auch räumlich ist die Streuung weit: Nicht so sehr die Hauptstadt als vielmehr Italien, Gallien, Spanien, Afrika haben Rom Schriftsteller geschenkt. Vielfältig sind auch die Gattungen: von der Lehrschrift über die Rede und Geschichtsschreibung, den Commentarius, den philosophischen Dialog bis zum stilisierten Brief und Roman. Bei der Auswahl aus unerschöpflicher Fülle bleiben Fachschriftsteller, Rechts- und Amtssprachliches sowie unliterarische Briefe hier am Rande, vor allem aber die christliche Literatur: Gebiete, die auf Grund ihrer Bedeutung gesonderte Behandlung verdienen. Innerhalb der selbstgewählten Schranken ist Vielseitigkeit erstrebt; neben den allgemein bekannten sollen auch einige heute weniger gelesene Schriftsteller zu ihrem Recht kommen – darunter der von Literatur- und Sprachwissenschaft merkwürdig vernachlässigte erste römische Prosaiker Cato sowie Gaius Gracchus, einer der größten Redner Roms. Wem Cicero mit nur einem philosophischen Text und zwei Stücken aus den Reden nicht ausreichend vertreten scheint, sei auf meine ausführliche Behandlung von Ciceros Sprache und Stil in Pauly-Wissowas Realencyclopaedie (Suppl. XIII) und mein Buch Cicero’s Style (Leiden 2003) verwiesen. Im Übrigen ist – trotz allem Bemühen um einen repräsentativen Ausschnitt – jede Auswahl bis zu einem gewissen Grade subjektiv; mit Quintilian (inst. 10, 1, 104) können auch wir sagen: sunt et alii scriptores boni, sed nos genera degustamus, non bibliothecas excutimus.

Eine Literaturgeschichte zu ersetzen oder die Entwicklung des lateinischen Prosastils lückenlos darzustellen ist nicht unsere Absicht, ebensowenig ein Wetteifer mit Eduard Nordens monumentaler Antiker Kunstprosa oder mit A. D. Leemans Orationis Ratio, die manchmal mehr von antiker Literaturtheorie als von der Interpretation ausgehen. Unser Ziel ist bescheidener und konkreter: An formal und inhaltlich bedeutenden oder bezeichnenden Texten sollen die weiten Möglichkeiten römischer Prosakunst interpretierend aufgezeigt werden; nur vom Einzelnen aus kann man hoffen, über gängige Vorstellungen hinauszukommen.

Sprache und Stil1 sind dabei besonders beachtet, vor allem die Grenzgebiete zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft: Syntax, Stilistik, Rhetorik, Erzählstruktur. Mehrfach findet sich Gelegenheit, die Innenseite der Rhetorik sichtbar zu machen und ihr nicht als einer toten Ansammlung von Rezepten, sondern als einer lebendigen Praxis geordneten Denkens und Sprechens den gebührenden Ort im antiken Geistesleben zuzuweisen. – Soweit es sich um erzählerische Texte handelt, wird andererseits die moderne (von mir an anderer Stelle2 präzisierte) Frage der Erzählstruktur als einer „Syntax im großen“ weiterverfolgt. – Mehr als auf Rubrizierungen kommt es uns freilich auf die Eigenart des jeweiligen Textes an. Zwischen der Scylla eines Determinismus, der nur Gattungs- und Zeitstil kennt, und der Charybdis vorschneller individualpsychologischer Folgerungen gilt es stets aufs Neue, sich den Blick für die Freiheit der Persönlichkeit und die schöpferische Einmaligkeit des Kunstwerks zu bewahren, freilich ohne dabei den Gegenstand und den sozialen Zusammenhang außer Acht zu lassen.

Die Prosa als literarische Darstellungsform kam schon durch die ihr eigene Sachbezogenheit einer Seite des römischen Wesens entgegen; andere Tendenzen gestatteten Vertiefung und Sublimierung: römisch ist die sozialpsychologische Komponente, die vom Menschlich-Kommunikativen bis zum Politischen reicht, römisch auch die Selbststilisierung der Individualität in der Maske des Werkes, römisch vor allem der strenge, musikalisch-architektonische Formsinn.

Eine Betrachtung der Sprachgeschichte als Geistesgeschichte soll hier kein Programm sein; angesichts der Bedeutung der künstlerischen Form und der Distanz zwischen Erleben und Aussage gilt es jedem neuen Einzelfall die nötige Achtung entgegenzubringen. Immerhin können unsere Interpretationen dazu anregen, zu verfolgen, wie manches Schlüsselwort erst unreflektiert verwendet, dann verklärend spiritualisiert, bald entleert und ironisiert, schließlich aus neuer philosophischer Willenshaltung oder religiöser Gestimmtheit wieder aufgewertet wird.

Möge die absichtliche Vielfalt der je nach der Eigenart des Textes gewählten Interpretationswege als Ermunterung zur Beschäftigung mit lateinischer Sprachkunst verstanden werden.3 Das Buch ist meinen Schülern gewidmet.

Meister römischer Prosa

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