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Kapitel 2
ОглавлениеSchlacht
1225 – 1227
„Trotzdem ahne ich Schlimmes für die Stadt. Es ist so ein Gefühl, welches sich nicht so einfach abstreifen lässt, auch wenn du mich mit wohlklingenden Worten zu beruhigen versuchst, Thiedardus.“
Prabislav konnte sich einfach nicht durch die Worte seines Freundes in Sicherheit fühlen, auch wenn dieser sich die größte Mühe gab.
„Deine Furcht ist unnütz. Werdago hat das Wort des Grafen Albrecht. Niemand seines Heeres wird nach der Schlacht die Stadt plündern, um Beute zu machen. Die Kosten für den Kriegszug bezahlt er aus Tributzahlungen anderer Städte und Grafschaften und aus den zu erwartenden Lösegeldzahlungen für die gefangenen Panzerreiter.“
„Ach, mein Freund, glaubst du das wirklich? Mich kannst du nicht so leicht überzeugen.
Die Ausrüstung seiner Panzerreiter kostet ein Vermögen, welches die kaiserlichen und dänischen Gefolgsleute selbst aufzubringen haben. Bedenke doch, dass es häufig in ihren Kriegen und Feldzügen gar nicht um die Eroberung von Gebieten, sondern einfach darum geht, Beute zu machen. Solche Raubzüge, in denen Städte und Dörfer verwüstet, Ernten niedergebrannt, Menschen getötet und Frauen vergewaltigt werden, kommen immer wieder vor. Es sind ganz legitime Kriegshandlungen. So finanzieren sie ihren aufwendigen Lebensstil. Wenn außerdem die Kriegsleute das Wort Beute vernehmen, verwandeln sie sich in gierige Furien. Warum sollten sie ausgerechnet vor Mulne haltmachen?“
Eine nicht zu unterdrückende Furcht war in seinem Gesicht zu lesen. Er sah zu Johannes hinüber, der dezent nickte.
„So unrecht hast du gar nicht. Die Ausrüstung ist teuer. Die Knechte und das Vieh, sowie das Futter wollen bezahlt werden. Alleine ein Pferd braucht pro Tag zehn Pfund Gras oder Heu, sowie die gleiche Menge an Futtergetreide. Wo soll das Geld denn herkommen, wenn nicht aus Beutezügen? Ich habe auch meine Befürchtungen, dass nach dem Krieg die plündernden Krieger durch unsere Häuser und Straßen ziehen, und sich gütlich tun.“
„Vergiss auch nicht“, warf Prabislaw darauf ein, „dass einige dieser einst so ehrbaren Ritter jetzt als Raubritter auch Blut geleckt haben. Heute rauben und brandschatzen sie. Solche Raubzüge, in denen ganze Landstriche verwüstet und Menschen getötet werden, gelten als rechtens. Sie sehen das als ein rechtmäßiges Mittel an, um an Geld zu kommen.“
Thiedardus lehnte sich zurück. Er verstand zwar die Furcht seiner Freunde, aber so ganz konnte er ihre Meinung nicht teilen.
„Das mag ja alles sein. Homines sumus non dei, wir sind Menschen und keine Götter. Natürlich berauben und plündern sie auch Städte und Dörfer. Vergewaltigungen gehören dazu wie der Viehraub. Eine Vergewaltigung zählt bei ihnen als Heldentat. Ich will es ja nicht bestreiten, doch ist dies hier eine andere Lage. Es geht hier nicht um einen normalen Beutezug. Nein, dies hier ist ein Eroberungszug von beiden Seiten. Die Dänen sind seit dreiundzwanzig Jahren jetzt hier die Herrscher. In den letzten Jahren ging es uns schlechter. Dies will ich nicht bestreiten. Dennoch haben sie uns nicht ausgeplündert. Wenn es ihre Absicht gewesen wäre, bräuchten sie nicht erst bis nach der Schlacht zu warten. Die Gelegenheit dazu hatten sie ausreichend in den vergangenen vielen Jahren.
Aber auch den deutschen Fürsten traue ich es nicht zu. Es geht ihnen darum, die Dänen zu vertreiben. Sie wollen Mulne und ganz Nordalbingien wieder in das deutsche Reich eingliedern. Deshalb werden sie keine Beute machen wollen. Ich bin mir ganz sicher, dass sie uns nicht plündern werden. Sie werden keine Kuh schlachten, die ihnen Milch gibt.“
Thiedardus Worte hatten die Freunde wohl vernommen, alleine es fehlte ihnen der Glaube. Sie schwiegen und sahen sich um. In der hintersten Ecke des Wohnraumes saß Helene und war in ihrer Näharbeit vertieft. Sie war damit beschäftigt, eine Gugel, eine Kapuze mit angesetztem Kragen, zu nähen. Gekonnt zog sie die Nähnadel, die aus einer Schweineborste bestand, mit dem Garn durch den Stoff. An dem Gespräch beteiligte sie sich nach Frauenart nicht. Es geziemte sich schließlich nicht für Frauen, an Männergesprächen teilzunehmen.
Nach dieser kurzen Pause ergriff Johannes das Wort.
„Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Seit die Heere gestern angekommen sind, ist die Stimmung in der Stadt ganz anders. Die Bürger sind wie gelähmt vor Angst. Keiner geht mehr seiner Arbeit nach. Seht uns doch an. Auch wir sind früher nach Hause gegangen. Keiner traut sich mehr aus dem Haus. Mein Nachbar sagte flüsternd, dass er seine Truhe mit seinen Wertstücken vergraben hat, bevor es geplündert wird. Ich kann nur hoffen, dass die Schlacht bald kommt, und genauso schnell wieder vorbei ist. Hoffentlich verschwinden sie bald wieder.“
„Das ist mir auch aufgefallen. Eine große Furcht liegt wie eine Nebeldecke über jedem Haus. Sie erdrückt nahezu jeden. Wir können halt nur abwarten und beten. Silent leges inter arma. Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze.“ Thiedardus seufzte.
Prabislaw horchte auf, als Walter die knarrende Holztreppe herunterstieg. Zielgerichtet ging der zwölfjährige an den Männern vorbei und wollte zur Tür hinaus.
„Halt, junger Mann. Wo willst du hin?“
Walter stockte, als wenn er auf frischer Tat ertappt worden wäre. Er versuchte, entspannt zu klingen, was ihm nicht vollkommen gelang. Er belog selten seine Eltern und war daher nicht darin geübt.
„Ich … ich gehe zu Henrik. Wir sind zum Spielen verabredet.“
„Was, heute wo die Dänen praktisch durch unsere Straßen laufen?“
„Warum nicht? Wir spielen bei ihm im Garten.“
Prabislaw war nicht wohl bei dem Gedanken. Er wusste nur zu gut um das furchtlose Draufgängertum seines Sohnes. Er erinnerte sich noch daran, dass einmal Walter und Henrik mit Pfeil und Bogen geübt hatten. Vor lauter ungezügeltem Übermut hatte sich Walter mit gespreizten Beinen über einen ausgewachsenen Kürbis gestellt. Henriks Schuss ging leider knapp vorbei, und der Streifschuss an Walters rechtem Bein war sehr schmerzhaft. Die Narbe war gut sichtbar und gemahnte zur Vorsicht.
„Also gut, aber verspricht mir, dass ihr nicht zu den Dänen geht, sondern nur bei Henrik hinterm Haus bleibt.“
„Natürlich, Vater.“
Walter schlug die Tür schnell hinter sich zu und lief zu Henriks Haus, bevor sein Vater ihn zurückrufen konnte. Oft fand er die Vorsicht seines Vaters übertrieben. Darauf entgegnete sein Vater stets, dass er in seiner Kindheit genauso draufgängerisch gewesen sei. Walter konnte dies nicht glauben angesichts der übertriebenen Vorsicht, die sein Vater in allen Lebenslagen walten ließ. Hatte er sich so verändert?
Schnell schob Walter diese Gedanken zur Seite. Als er Henriks Haus erreicht hatte, klopfte er zweimal. Bald lugte auch schon Henriks schmaler Schädel heraus. Die Augen des blonden Jungen strahlten vor Unternehmungsgeist.
„Komm.“
Henrik huschte eilig durch die Tür und schloss sie leise, bevor seine Eltern mitbekamen, dass er weg war. Sie sollten nicht wissen, was die beiden Jungen vorhatten.
Sie gingen nach Süden und waren bald aus der Seestraße heraus.
Noch bevor sie es sehen konnten, hatte der Wind die Geräusche des Feldlagers hinübergeweht. Und dann sahen sie es endlich. Tausende von dänischen Soldaten standen, lagen oder saßen herum. Einige lagen auf Mänteln, die sie auf die kalte gefrorene Erde gelegt hatten. Überall brannten Feuer, an denen sie sich wärmten. Es mochten hunderte sein. Der Rauch stieg allerorts in den Himmel, wo er sich baldigst in das natürliche Grau der Wolken auflöste und verschwand. Die Jungen waren fasziniert. Bunte Wimpel und Wappenstandarten empfingen sie. Überall sahen sie Helme, Rüstungen, Schwerter, Lanzen und Speere. Pferde, Ochsen und Wagen standen am Rand in einem extra bewachten Gehege.
Der ganze südliche Werder war voller Krieger mit ihren Waffen. Jeder einzelne Däne war kriegsmäßig ausgerüstet. Dazu gehörten Waffen und Zubehör, Lebensmittel und Kleidung. Jeder Reiter hatte ein Schild und eine Lanze, ein Schwert und ein Kurzschwert, einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen darin. Auf den Karren erblickten die beiden Jungen Spitzhacken, Äxte, Bohrer, Beile, Schaufeln, Spaten und andere Sachen, die man bei einem Heer gebrauchen kann. Lebensmittel waren ausreichend vorhanden, sodass sie für ein paar Wochen reichen würden. Es schien an alles gedacht zu sein.
Die Jungen gingen durch das Lager. Niemand der Kriegsleute störte sich daran. Jeder ging seiner Beschäftigung nach. Einige reinigten ihre Waffen, andere überprüften ihre Kleidung und Ausrüstung. Wieder andere schliefen. Walter kam an einem großen bärtigem Mann vorbei, der auf dem Rücken lag und schnarchte. Neben ihm lag sein Schwert aus Eisen. Es hatte einen kunstvoll verzierten goldenen Griff. Walter war gleich davon so fasziniert, dass er ohne nachzudenken wie von selbst danach griff. Er spürte die goldene Kälte in seiner Handfläche. Sofort fühlte er ein Gefühl der Unbesiegbarkeit und Stärke in sich aufsteigen. Mit diesem Schwert war er so unsterblich und würde wie Siegfried jeden Drachen töten, wie in dem Nibelungenlied, welches er kürzlich vernommen hatte. Er hob es an. War das schwer!
Plötzlich schnellte eine starke Hand von unten hervor und umgriff seine kindliche Hand. Es war eine unheimlich große Pranke. Der Mann war so stark, dass er nur einmal kräftig zog und Walter vornüber flog. Beide ließen sie dabei das Schwert wieder zu Boden fallen.
„Willst du, dass ich dich mit dem Schwert durchbohre? Was fällt dir ein, es mir zu stehlen?“
„Entschuldige, mein Herr, ich wollte es nicht stehlen. Ich hätte es gleich wieder hingelegt, doch musste ich es einfach einmal in die Hand nehmen. So ein schönes Schwert habe ich noch nie gesehen.“
Walter war noch immer verwirrt, dennoch sprudelten die Wort aus ihm heraus. Sie schienen jedoch den Dänen besänftigt zu haben. Er war nicht mehr so erzürnt.
„Warum fragst du mich denn nicht, sondern nimmst es selbst? Da muss ich doch davon ausgehen, dass du ein gemeiner Dieb bist.“
„Ja sicher. Ich habe darüber nicht nachgedacht.“ Unsicher erhob sich Walter langsam, den Blick auf die Augen des bärtigen Dänen gerichtet. Henrik stand unsicher daneben.
„Komm her, Junge.“
Walter gehorchte.
„Hier, hebe das Schwert hoch, und zeige mir, wie du damit fechtest.“
Zuerst glaubt Walter, sich verhört zu haben, doch dann kam er der Aufforderung nach. Er hob vorsichtig das Schwert an, wobei er es nicht gänzlich schaffte, die Spitze horizontal zu heben. Bald musst er es vor Erschöpfung niederlegen. Schwer keuchend stand er da. Der Däne, und einige herumstehenden Kriegsleute, lachten vor Schadenfreude.
Walter war es peinlich.
„Das macht nichts, mein Junge. Jeder war mal ein Kind. Wenn du älter bist, kommt die Kraft. Wie heißt du denn?“
„Walter, und das ist mein Freund Henrik.“ Walter zeigte neben sich.
„Mein Name ist Gram.“
„Das ist aber ein seltsamer Name.“
Gram lachte. Es war wie ein Grollen. Bei seiner Körpergröße und Stärke, dachte Walter, würde die Erde um ihn herum beben.
„Es ist auch ein uralter Name. Ich komme aus einem Land, welche noch weiter nördlicher als Dänemark liegt. Der Name gehörte einst König Gram. Hast du noch nie von ihm gehört?“
„Doch, aber König Gram wurde erschlagen. Das könnte auch dir geschehen.“
Gram lächelte, als er diese Worte vernahm.
„Ach, weißt du, wenn du dich dazu entschließt, in den Krieg zu ziehen, musst du jeden Tag damit rechnen, zu sterben. Ich habe schon so viele Freunde neben mir sterben sehen, und selber unendlich viele Feinde erschlagen, dass ich selbst keine Angst mehr vor dem Tod habe. Aber da ich auch abergläubisch bin, habe ich wie mein Namensgeber meine Waffe mit einem goldenen Griff versehen.“
„Wann beginnt denn die Schlacht?“ Walter hatte seine Neugier nach einer kurzen nachdenklichen Pause wieder gewonnen.
„Morgen bei Tagesanbruch sollen wir diesen Hügel, den du da siehst, erklimmen und dort Aufstellung nehmen. Das hat Graf Albrecht befohlen.“ Gram zeigte den Berg hinauf.
„Ich hoffe, dass dir nichts geschieht.“
„Das ist lieb von dir. Wie sieht es aus? Ihr seid doch sicherlich aus der Stadt. Seid ihr das erste Mal in einem Feldlager?“
„Ja.“
„Dann kommt mit. Ich zeige und erkläre es euch.“
Die Augen der Jungen leuchteten auf und strahlten vor Freude. Sie folgten dem bärtigem Gram.
„Ihr müsst wissen, dass es einer großen und sorgfältigen Vorbereitung bedarf, auf einen Kriegszug zu gehen. Früher haben die Truppen auf ihrem Zug unterwegs alles geraubt, was sie benötigten. Für Lebensmittel und Futter plünderten sie also ihr eigenes Volk aus. Die unbefestigten Orte waren den bewaffneten Männern schutzlos ausgeliefert. Aber das hat sich jetzt geändert.“ Sie erreichten das Gehege, wo die Pferde und die Ochsen eingesperrt waren.
„Wie ihr seht, haben wir hier Pferde und Ochsen. Beide haben ihre Berechtigung. Aber wir sind vor allem Fußtruppen. Wenn das Wetter gut ist, kann ein Tross Fußtruppen schon einiges schaffen. Berittene kommen dreimal so weit.“
„Was ist mit den Ochsen?“ Henrik zeigte auf die Tiere, die im Winter kein Gras fanden.
„Die Ochsen transportieren unsere Ausrüstung, Lebensmittel und das Futter der Tiere. Ihr seht zweirädrige Karren, die von ihnen gezogen werden können. Auf die vierrädrigen kann um einiges mehr geladen werden. Ochsen schaffen zwar nur wenig am Tag, aber sie sind widerstandsfähiger und leichter zu füttern, denn sie brauchen nur Gras. Dafür sind Karren, die durch Pferde gezogen werden, viel schneller, und ein Heer kommt schneller an sein Ziel.“
„Oder das Heer zieht voran, und die langsameren Ochsen folgen.“ Walter verstand.
„Das ist richtig. Dadurch wird aber die Schlagkraft des Heeres geschwächt, weil bei dem Nachschub auch Bewachung bleiben muss.“
„Wie lange reicht denn ein mit Getreide vollbeladener Karren?“ Walters Neugierde stieg.
„Wenn man einen Karren mit zwei Pferden bespannt und belädt, dann brauchen die Pferde zusammen zehnmal so viel wie der Karrenführer. Das heißt also, dass mit einer Wagenladung das Gespann mit Führer für fünfzig Tage versorgt ist.“
„Dann braucht ihr ja Unmengen an Karren?“
Gram lachte laut auf. Diesmal erinnerte es Walter an ein donnerndes Grollen.
„Ein schlaues Kerlchen bist du. Alleine für tausend Reiter benötigt man fünfhundert Pferdekarren für zwanzig Tage. Für das Fußvolk wird natürlich weniger Getreide benötigt. Alle Karren passten dennoch nicht auf den Werder. Einige stehen außerhalb, und andere sind schon wieder zurück, um neues Getreide zu holen. Außerdem weiß ja niemand, wie lange der Feldzug dauert.
Wenn jetzt Sommer wäre, würde alles viel einfacher sein. Die Pferde und Ochsen könnten hier vor Ort Gras fressen. So bräuchte es nicht unter erschwerten Bedingungen alles hierher transportiert zu werden. Aber die Herren Fürsten sind ja der Meinung, dass wir uns ausgerechnet im kalten Winter schlagen müssen. Hätten sie damit nicht bis zum Frühjahr warten können?“
Gram grinste. Die beiden Jungen dagegen wussten nicht, was sie darauf antworten sollten. Sie wandten sich von den Tieren ab und gingen durch die Reihen des Fußvolkes. Sie sahen verschiedene Waffen. Auf eine, die er noch nicht kannte, zeigte Walter.
„Was ist denn das für eine Waffe? Die habe ich noch nie gesehen.“
„Das ist eine Armbrust, eine ganz neue Waffe. Der Pfeil hat eine höhere Durchschlagskraft als bei einem gespannten Bogen. Eine durchaus gefährliche Waffe. Sie schießt auch noch präziser, als der Bogen.“
„Und was ist das da? Die kenne ich auch noch nicht.“
Walter zeigte auf einen langen Speer. Dieser endete zwar in einer Spitze. Aber das Gefährliche an dieser Waffe war die kurz vor dem Ende aufgesetzte Streitaxt.
„Das, mein Junge, ist eine Hellebarte. Sie reißt auch große Wunden.“
Gram zeigte den Jungen auch noch die anderen verschiedenen Waffen, womit das Herr ausgerüstet war. Darunter befanden sich der Langbogen, die Streitaxt, der Streithammer und der Turnierkolben, mit denen die Ritter auf die Angreifer vom hohen Ross herab schlugen.
Die Jungen waren so fasziniert, dass ihre Fragen endlos schienen.
„Habt ihr keine Belagerungsmaschinen?“
Gram hatte sich an die vielen neugierigen Fragen gewöhnt, sodass er nicht mehr laut auflachte. Dennoch konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er zeigt auf das nahe gelegene Mulne, welches schutzlos dalag. Unter der kalten diesigen Januarluft sahen die Häuser klein, trostlos und erbärmlich aus.
„Siehst du hier etwa eine uneinnehmbare Festung? Wir benötigen die Wurfmaschinen, den Rammbock, die Steinschleuder oder die Mange doch nur, wenn wir gegen eine Feste ziehen. Hier ist dies alles unnütz. Dies hier – das wussten wir von Anfang an – wird eine Feldschlacht werden. Morgen wird es auf die Reiterei ankommen.“
Die Frage war Walter draufhin peinlich gewesen, doch Gram winkte ab.
Die Jungen hatten Kriegsluft gewittert. Das Gesehene sollte die beiden nicht wieder loslassen. Erschrocken stellten sie fest, dass dieser Januartag sich dem Ende neigte und das trübe Tageslicht an diesem diesigem Tag bald vollends verschwinden würde.
Sie bedankten sich bei Gram für die Führung durch das Lager.
„Ich wünsche dir viel Glück morgen.“
„Danke, mein Junge. Wir werden uns wiedersehen, das weiß ich. Aber jetzt lauft zurück.“
Walter und Henrik kehrten zurück. Henriks Eltern hatten ihren Sohn noch nicht vermisst.
Als Walter sein Elternhaus betrat, tat er so unbefangen, als wenn nichts Besonderes gewesen wäre. Des Vaters Freunde saßen immer noch da und bliesen Trübsal. Walter verstand die Erwachsenen nicht. Seit die Schlacht bevorstand, hatten sie sich alle vor Furcht in ihren Häusern verkrochen. Waren Erwachsene denn alle so feige? Sie sollten froh sein, dass endlich mal in Mulne etwas Aufregendes geschah. Für ihn war es ein riesiges Abenteuer. Er freute sich schon auf den nächsten Tag des Krieges. Er würde Ritter gegen Ritter kämpfen sehen. Schwerter würden stundenlang erbarmungslos auf andere Schwerter einschlagen. Er hörte jetzt schon das Kampfgetümmel in seinen Ohren branden. Mit Gedanken an Gram und die Vorfreude auf die Schlacht wurde er müde.
Doch dieser Krieg würde nicht ohne ihn stattfinden. Das nahm er sich vor.
Das größte Abenteuer seines Lebens wartete auf ihn.
Die Dunkelheit hatte noch alles eingehüllt, und die Bürger der Stadt schliefen noch, als die Dänen ihr Lager verließen und aufbrachen. Leichter Nebel hatte weithin das Land überzogen. Er lag bedrückend auf dem trüben Wasser. Neuschnee war keiner gefallen. Eine dünne festgefrorene Schneekruste lag allenthalben. Die Kulisse der bevorstehenden Schlacht wirkte kahl, ungemütlich und nasskalt. Dieser trübe Tag war wie zum Sterben geschaffen.
Die Dänen und Lüneburger stiegen den Hügel südlich des Werders herauf und nahmen Aufstellung. Langsam trat die Dämmerung ein, sodass die Gefechtsaufstellung auf diesem Gelände geordnet ausgeführt werden konnte.
Auf der linken Seite stellte sich Otto von Lüneburg mit seinem Kontingent von tausend Mann auf. Fünfhundert Panzerreiter davon standen hinter ihm. Diese Kontingente wurden Banner genannt. Der Befehlshaber des in Abteilungen von jeweils fünfundzwanzig Panzerreitern unterteilten Banners führte selber eine Fahne gleichen Namens, welche hochrechteckig war. Der Befehlshaber selbst wurde Bannerherr gerufen und war direkt dem Herzog Otto unterstellt. Dazu gab es noch einige adelige Panzerreiter, die sich keinem Banner und somit keinem Bannerherrn unterwerfen wollten. Dies ließ ihre Ehre und ihr Ego nicht zu. Sie waren direkt dem Herzog unterstellt. Somit führten sie an ihrer Lanze ein eigenes dreieckiges Feldzeichen, auf dem ihr adeliges Wappen abgebildet war. Hinter den Reitern hatten sich wenige Bogenschützen positioniert. Zum Schluss stand das Fußvolk bereit. Auch dieses wurde von einer Fahne angeführt. Der Fahnenträger, der signifer genannt wurde, war gleichzeitig auch der Befehlshaber des Fußvolkes. Auch er nahm seine Befehle direkt vom Herzog Otto entgegen.
Rechts daneben standen die dänischen Truppen unter Graf Albrecht bereit. Sie waren taktisch genauso wie das Lüneburger Herr aufgestellt. Er hatte aber mehr Panzerreiter und Fußvolk zur Verfügung, sodass die lüneburgisch-dänische Seite über insgesamt viertausendsiebenhundert kampferfahrene Männer verfügte, die bereit waren, ihr Leben für ihren Grafen und König zu geben. Unter den Fußtruppen stand Gram bereit. Ruhig wartete er darauf, dass die Schlacht eröffnet wurde und er zeigen konnte, welche Bärenkräfte in ihm steckten. Unbarmherzig würde sein Schwert für die Ehre seines Grafen Albrecht in den Feind hineinfahren. Und er würde alles daransetzen, dass sein gefangener König Waldemar und dessen Sohn wieder befreit würden. Für seinen König und sein dänische Reich würde er selbstverständlich bis in den Tod kämpfen.
Die Späher Graf Albrechts meldeten dem Grafen, dass die deutschen Fürsten ebenfalls kampfbereit waren. Von Mulne aus gesehen, hatte Gebhard von Bremen sich ganz rechts aufgestellt. Sein Kontingent bestand fast nur aus dem Fußvolk. Nur sechzig Panzerreiter waren ihm unterstellt. Neben ihm stand Graf Adolf IV. von Schauenburg, zu allem entschlossen. Er war bereit, alles zu wagen, damit er wieder in den Besitz der nordalbingischen Ländereien gelangen würde, die die Dänen seinem Vater geraubt hatten.
Heinrich von Schwerin stand mit seinen Bannern daneben. Voller Selbstsicherheit wartete er auf den Beginn der Schlacht. Diese Selbstsicherheit resultierte daraus, dass selbst bei einer militärischen Niederlage er immer noch einen Trumpf im Ärmel hätte, der eine Niederlage in einen Sieg umwandeln könnte. Der König und sein Sohn befanden sich immer noch in seinem Gewahrsam, und nur er wusste wo sie sich aufhielten. Das war sein großer Trumpf.
Ganz links wartete Borwin II. von Mecklenburg. Er wusste, dass er es mit den Lüneburgern zu tun haben würde. Aber dies ängstigte ihn nicht. Er war sich sicher, dass die zahlenmäßige Überlegenheit am Ende einen deutlichen deutschen Sieg erbringen würde. Insgesamt standen der Allianz fünftausendzweihundert Männer zur Verfügung. Davon alleine zweitausendachthundert Panzerreiter. Somit würden nahezu zehntausend bewaffnete Männer, teilweise beritten, aufeinander stoßen. Eine friedliche Lösung war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr abzusehen.
Graf Albrecht sah seinen Vorteil in der Aufstellung der deutschen Heere. Dies wollte er ausnützen, denn seine Späher hatten gemeldet, dass Gebhard II. nur wenige Panzerreiter hatte.
Es war noch früher Morgen, und das erste dämmrige Licht war gerade erst hervorgetreten, als Albrecht das Angriffssignal gab. Sofort setzten sich seine Panzerreiter in Bewegung. Sein Ziel war es, die Stellung der fast ausschließlich aus Fußvolk bestehendenden Truppen des ehemaligen Bischofs Gebhard II. zu überrennen. Allerdings ließ er seine Mannen nicht einfach ungestüm anrennen.
Die Panzerreiter trabten zuerst nur auf den Feind zu. Sie sollten möglichst lange in geschlossener Formation bleiben, und erst keine hundert Meter vor dem Feind wurden die Pferde durch die Panzerreiter zum Galopp angetrieben.
Graf Albrecht war froh, dass er in friedlichen Zeiten darauf bestanden hatte, seine Reitertruppen gründlich auszubilden. Dabei wurden auch taktische Manöver wie Angriffe, Abwehr, Schwenkungen, Hinterhalte legen und Flankenangriffe bis zur Vollendung geübt. Dies war zwar ein teures Unterfangen gewesen, denn ein stehendes Heer wollte bezahlt werden. Doch letztlich hoffte er, dass sich der hohe Aufwand auch auszahlen würde.
Mit brachialer Gewalt stießen die elfhundert Panzerreiter auf die wie angewurzelt dastehenden Reiter Gebhards. Mit einem derart starken Flankenangriff hatten sie wahrlich nicht gerechnet. Sie wurden einfach überrannt. Dahinter stand das Bremer Fußvolk. Sie sahen, wie ihre Panzerreiter einer nach dem anderen niedergemacht wurden. Das war das Angriffssignal des Bannerherrn. Er ließ sein Fußvolk vorrücken. Zuerst waren die Bogenschützen an der Reihe. Mann an Mann stehend, viele Glieder tief, schossen sie ihre tödliche Fracht ab. Unmengen von Pfeilen erhoben sich in die Luft und wurden, nachdem sie einen Bogen vollführt hatten, zur Erde gelenkt. Dort trafen sie auf die Panzerungen der Reiter. Wie Regentropfen, die auf Gestein treffen, perlten sie ab. Einige bohrten sich in die Erde, andere wenige trafen die wenigen ungeschützten Stellen der Pferde. Eigentlich blieben sie wirkungslos.
Deshalb war der Bannerherr gefordert, sein Fußvolk einzusetzen. Er war beim Aufprall der Panzerreiter darum bemüht gewesen, die Reihen seiner Fußtruppen geschlossen zu halten, um somit eine undurchdringliche Wand zu bilden. Ihr Kriegsschrei ertönte. Die Lanzen waren nach vorne gestreckt und ihr Ende in die Erde gesteckt, um die anstürmenden Pferde aufzuspießen.
Doch gegen die immense Wucht der elfhundert Panzereiter war jeder Widerstand zwecklos. Die Fußtruppen wurden regelrecht niedergetrampelt. Die Schwerter der Panzerreiter sausten mit einer so enormen Wucht auf die stehengebliebenen Männer herab, dass sie wie Fallobst auf die Erde fielen. Die Kolben mähten jeden nieder, der ihnen im Weg stand. Nach wenigen Minuten war ersichtlich, dass das Bremer Banner gegen diese enorme Wucht keine Chancen hatte, und nach einer halben Stunde war ihr Schicksal besiegelt. Wer noch laufen konnte tat dies. Er warf seine Waffen weg und flüchtete nach hinten. Es war eine ehrlose Auflösung.
Den ersten Teil der Schlacht hatten die Dänen für sich entschieden. Inzwischen waren sich die übrigen Truppen bis auf zweihundert Meter nahegekommen. Durch den Kampfeslärm animiert, gelüstete es alle endlich zu kämpfen.
Mit der gleichen Strategie trafen nun die zweitausendsiebenhundert Panzerreiter der deutschen Allianz auf die fünfhundert Panzerreiter des Otto von Lüneburg. Nur, diesmal waren die Vorzeichen genau umgekehrt. Diesmal waren die Deutschen in zahlenmäßiger Überlegenheit. Die fünfhundert Lüneburger wurden ebenfalls nahezu überrannt.
So hatte sich also der anfängliche Erfolg des Grafen Albrecht zu einem großen Nachteil gewandelt. Denn eines hatte der Graf nicht bedacht. Er hatte sich durch die Verlockung des anscheinend leichten Sieges vom eigentlichen Kampfplatz weglocken lassen. Er war einer Finte aufgesessen. Damit war sein Verbündeter Otto der zahlenmäßigen Übermacht schutzlos und alleine ausgeliefert. Er hatte seinen einzigen Verbündeten im Zentrum der Schlacht alleingelassen. Bis er diese Situation begriffen und die nötigen Maßnahmen getroffen hatte, war es bereits zu spät. Eilig versuchte er seine Reihen zu ordnen, um wieder im Zentrum der Schlacht eingreifen zu können.
In diesem Zentrum war Folgendes passiert: Während die Panzerreiter miteinander beschäftigt waren, rückten beide Seiten mit ihren Fußtruppen vor. Zwar zügig, aber dennoch nicht zu schnell. Immer wieder waren sie darauf bedacht ihre Reihen zu schließen, so wie sie es tausendmal geübt hatten. Wären sie schon früher gelaufen, so wären die Männer schon beim Aufprall außer Atem, und somit erschöpft gewesen. Der Aufprall sollte möglichst so geschlossen wie möglich geschehen. Sie waren nur noch fünfzig Meter voneinander entfernt. Dann stürmten sie aufeinander los.
Ein ohrenbetäubender Kriegsgeschrei erscholl aus den Kehlen tausender Waffen schwenkender Krieger. Tausende schreiende, wie entfesselnd laufende, Schwerter schwingende Männer sah jeder auf sich zu kommen. Es waren nur wenige, die die Gefahr und den Tod vor ihren Augen erkannten und fast in Lähmung erstarrten. Die meisten wurden jedoch vom Fanatismus ihrer Nachbarn mitgerissen. Jeder achtete auf seinen Nachbarn, um die Formation stets geschlossen zu halten. Sollte dies einmal nicht gelungen sein, wurde die Lücke von den nachrückenden Männern sofort geschlossen.
Zwei eng geschlossene Linien brüllender Männer stürmten aufeinander zu. Der Siegeswille und die Entschlossenheit zu töten war in jedem Gesicht deutlich abzulesen.
Dann war der Augenblick gekommen, dass Tausende Männer aufeinander trafen. Das durch Mark und Bein dringende Kampfgeschrei wurde leiser, wurde aber bald durch metallische Geräusche abgelöst. Eisen auf Eisen schlug aufeinander. Die Schreie sterbender Männer erfüllte die vormittägliche Luft. Stunde um Stunde verging. Es war noch immer kein eindeutiger Sieger zu erkennen, auch wenn sich der Vorteil, der durch die Panzerreiter erzielt worden war, allmählich deutlich für die deutschen Seite auswirkte.
Inzwischen war über der schon seit Stunden tobenden blutigen Schlacht der Nachmittag angebrochen. Diese äußerst brutale und blutige Schlacht fand fast unter gänzlichem Ausschluss der Mulner Bevölkerung statt. Fast alle saßen sie in ihren Häusern und fürchteten sich vor dem Ende der Schlacht und vor dem, was dann unwiderruflich folgen würde.
Wie gesagt, fast alle.
Denn zwei zwölfjährige Jungen empfanden das genaue Gegenteil. Neugierde, Abenteuerlust, Blutdurst und die Sehnsucht nach Sensationellem hatte sie nicht zu Hause verweilen lassen können. Sie hatten sich in den Morgenstunden von zu Hause weggeschlichen und konnten es nicht abwarten, dem Schlachtgetümmel beizuwohnen. Auf der westlichen Seite versteckten sie sich hinter wild wachsenden Büschen und verfolgten mit großen Augen das Kampfgetümmel. Sie sahen, wie Graf Albrecht versuchte, sich mit seinen Panzerreitern in das Schlachtengetümmel im Zentrum zu werfen, was ihm nicht gänzlich gelang. Er kam einfach nicht weiter. Ein Banner Heinrichs VI. versperrte ihm den Weg. Die Fußsoldaten kämpften mutig und hielten den Dänen auf, und somit aus dem Herzen des Kampfes heraus. Graf Albrecht blieb damit also auf der westlichen rechten Flanke isoliert.
Durch die aber insgesamt immer mehr im Zentrum konzentrierten Kämpfe angelockt, robbten und schlichen sich die Jungen immer dichter an das Kampfgeschehen heran.
Walter meinte eine bekannte Gestalt erkannt zu haben. Auf dem Bauch liegend stupste er seinen Freund an.
„Sieh mal dort ,Henrik. Ist das nicht Gram?“
„Welchen meinst du?“
„Den rechts neben dem Banner. Er hat sein Schwert erhoben. Sieh, jetzt sticht er zu.“
Henrik sah genauer hin. Jetzt meinte auch er ihn erkannt zu haben.
„Ja, du hast recht. Das ist Gram. Sieh, wie er mit seinen Feinden umspringt. Er macht sie alle nieder. Mann, ist der stark.“
In ihren Stimmen klang größte Bewunderung für den nordischen Hünen mit. Sie waren von seiner Kraft und seiner offensichtlichen Stärke wahrlich fasziniert. Er hatte eine Ausstrahlung auf sie bewirkt, die es für sie schwer machte, sich ihr zu entziehen. Mit einem Mal wollten sie so groß und stark sein wie er.
Von ihrem sicheren Platz aus sahen sie die Schlacht weiter toben. Sie sahen die Menschen fallen und sterben. Sie hörten stundenlang die Todesschreie und das Wimmern der Verletzten auf dem Schlachtfeld. Sie sahen, wie das Blut aus den klaffenden Wunden lief und im Erdreich versickerte. Die Freunde beobachteten, wie sich die Reihen auf beiden Seiten lichteten. Bald standen nur noch wenige Kämpfer aufrecht. Einer darunter war Gram. Es war seltsam, aber Walter und Henrik empfanden für ihn wahren Stolz.
Gram focht nun mit einem Mann aus dem Heer des Borwin. Dieser war sogar noch einen halben Kopf größer als Gram, aber nicht so korpulent. Seine Bewegungen waren geschmeidig und schnell. Deshalb hatte Gram Mühe, diesen Gegner schnell zu bezwingen. Dieser hier war von einem anderen Kaliber als die Vorherigen, die meist leichte Beute für ihn dargestellt hatten.
Gram holte aus. Mit enormen Schwung sauste sein Schwert auf den Mann Borwins nieder. Dieser versuchte der gewaltigen Kraft auszuweichen, indem er einen Schritt nach hinten tat. Dabei übersah er, dass die Leichen und Verwundeten überall herumlagen. So stolperte er über ein Bein und fiel hin. Neben der Leiche blieb er liegen. Gram trat vor und holte zum entscheidenden Schlag aus. Sein Schwert sauste nieder.
Mit einer Beweglichkeit, die er dem Mann Borwins nicht zugetraut hatte, riss dieser sein Schwert hervor und stieß es so schnell senkrecht empor, dass Gram mit seiner Schwerfälligkeit nicht mehr ausweichen konnte. Das Schwert drang in seinen Bauch. Aber auch Grams Schwert fand sein Ziel in der Brust des Mannes.
Zuerst fiel er auf ihn herab, dann rollte er vom Körper herunter, sodass er bewegungslos neben dem Feind auf dem Rücken liegen blieb.
„Nein.“
Walter hatte den Kampf verfolgt. Mit Schrecken hatte er wahrgenommen, dass Gram leblos liegen blieb. Jede Vorsicht außer Acht lassend und entgegen jeder Vernunft schnellte Walter aus seinem sicheren Versteck hervor und lief zu seinem großem Freund.
„Bleib hier.“ Henrik war verwirrt. Er roch die Gefahr und wagte nicht, selber loszulaufen. Aber seine Aufforderung blieb ungehört. Verwirrt blieb Henrik allein zurück und sah seinen Freund laufen.
Walter hüpfte über die Leichen und Verwundeten hinweg und musste einmal einem geschwungenen Schwertstreich gebückt ausweichen. Dann kniete er sich neben Gram hin. Es war noch Leben in ihm, Aber nicht mehr fiel. Es lief Blut aus der Wunde.
„Siehst du Walter, jetzt haben wir uns doch noch einmal gesehen. Ich wusste es.“
„Du sollst nicht sprechen. Es wird alles wieder gut.“
Gram schüttelte leicht den Kopf.
„Nein, mit mir geht es zu Ende. Ich erleide das gleiche Schicksal wie mein Namensgeber. Vielleicht hätten mir meine Eltern doch einen anderen Namen geben sollen.“
Gram versuchte zu lächeln, doch es gelang nur krampfhaft Dann musste er einmal röcheln, und jedwedes Leben in seinen Augen erlosch für immer.
Walter war verstört. Er wusste nicht, was er tun sollte und kniete hilflos neben den Leichen. So bekam er nicht mit, dass um ihn herum die Schlacht unverdrossen weiter tobte. Er bekam nicht mit, wie ein dänischer Bogenschütze seinen Bogen hob und als Ziel einen Knienden anvisierte, welchen er nicht als dänischen Landsmann erkannte. Also musste der kniende Jüngling ein Feind sein. Der Bogenschütze lud seine tödliche Fracht ab. Sie bohrte sich in den Rücken des Jungen, der sich kurz aufrichtete und dann zur Seite kippte. Walter rollte auf das Schwert des Gram mit dem goldenen Griff.
Henrik sah aus der Entfernung seinen Freund zu Boden sinken. Mit geöffnetem Mund und großen Augen lag er regungslos da, unfähig auch nur einen Finger zu bewegen.
Nach einer Minute hatte er nur noch einen Gedanken – weg, einfach nur weg von diesem schaurigen Ort.
Der Junge stand auf und lief so schnell er konnte den Hügel hinunter, und durch die abgestellten Karren hindurch. Angst erfüllte ihn. Plötzlich hatte für ihn der Krieg seine abenteuerliche Fassade verloren. Er sah mit einemmal den Tod, den nackten wahren Tod. Er wollte noch nicht sterben. Sein bester Freund Walter hingegen war tot.
Gebhard II. von Bremen hatte seine geflohenen Mannen am nördlichen Waldesrand nah beim Lager gesammelt. Niedergeschlagen und teilweise erschöpft standen sie da. Gebhard war als Führer gefordert. Als Mann der Kirche verstand er es wie kein Zweiter, die Menschen durch das Wort zu beeinflussen. Er hielt eine flammende Rede und appellierte an ihr Ehrgefühl und ihre Pflicht. Er erinnerte sie, dass sie den Dank für ihren Mut im späteren Leben erhalten würden. Mit seiner flammenden Ansprache hatte er ihren Nerv getroffen. Aus dem vorher demoralisierten Haufen wurde eine enthusiastische Gruppe. Sie waren bereit, ihr Debakel vom Morgen auszugleichen. Gebhard verstand es, eine neue Kampfformation zu bilden. So führte er sie wieder in die Schlacht zurück.
Gebhard erfasste sofort mit seinem geübten Auge die Lage. Er erkannte, dass Albrecht mit seinen Panzerreitern in ein Scharmützel mit den zahlenmäßig überlegenen Panzerreitern von Heinrich, Borwin und Adolf verwickelt war. Hoch zu Ross tobte der Kampf. Die Pferde stocherten mit ihren Hufen zwischen und auf den Leichen so herum, sodass die meisten Toten durch die Hufe der Pferde bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurden. Die Hufe trafen Köpfe, Gliedmaßen und Körper. Oft blieb nur ein matschiger Haufen zurück. Unter ihrem tänzelnden Schritt war es einerlei, auf was ihre Hufen traten.
Gebhard von Bremen schätzte die Lage richtig ein. Er sah auch, dass der Fahnenwagen des Grafen Albrecht von Orlamünde mit nur einer geringen Bewachung am Rande des Schlachtfeldes stand. Sofort reifte in ihm eine Idee, die er sofort ausführen ließ. Mit seinem Fußvolk stürmte er den leichten Hügel hinab und traf mit seinen Mann auf die verdutzte Bewachung. Im Handstreich hatte er die Fahne des Grafen Albrecht erobert. Somit war die Schmach vom Morgen ausgemerzt. Stolz führte er seine Mannen an den Platz heran, wo die Panzerreiter unerbittlich kämpften. Gebhard II. offenbarte, welche große Beute ihm gelungen war. Graf Albrecht erkannte dies bald mit großem Zorn. Seine Fahne war in Feindeshand. Am liebsten hätte er seine Fahne zurückerobert. Welche Schmach.
Er wollte auch schon auf das Bremer Fußvolk losstürmen, als ihn seine Vernunft zurück hielt. Er sah sich um. Was er registrierte, war eine große Niederlage. Sein Fußvolk war aufgerieben. Seine Panzerreiter konnten gegen die zahlenmäßige Übermacht nichts mehr ausrichten. Die Gegenwehr erlosch immer mehr. Sein Fazit konnte daher nur eins sein: Flucht.
Albrecht wusste nur zu genau, was dies für seine Ehre bedeuten würde. Adelige, die vom Schlachtfeld flohen, verloren nicht nur ihre Ehre, ihnen drohten außerdem Schande und großer Spott. Es würde zwar keine gerichtlichen Folgen haben, wie bei den Ritterorden üblich. Er könnte sich dann selbst nicht mehr achten. Dennoch, er musste sich in Sicherheit bringen. Er war in einem großen Gewissenskonflikt, der ihn innerlich fast zerriss. Das Schlimmste was ihm geschehen könnte war, in die Gefangenschaft des Feindes zu geraten. Dann wäre das dänische Reich für immer zerstört.
Mit einem Seufzer entschied er sich. Er war zur Entscheidung zugunsten der Flucht gekommen, die er nur widerwillig antrat. Flucht war nie sein Charakter gewesen. Er hatte stets die offene Auseinandersetzung gesucht. Doch nun war er im Interesse des dänischen Reiches dazu gezwungen.
Albrecht drehte sein Pferd um und ließ es über das Meer der Leichen galoppieren. Wer ihm folgen konnte, folgte ihm.
Der Fluchtversuch des Dänen war nicht unbemerkt geblieben. Heinrich war mit seinen Panzerreitern am dichtesten heran. Sofort nahm er mit einer großen Eskorte die Verfolgung auf. Die Pferde galoppierten auf der Wiese hinterher.
Es war, als ob seit der Gefangennahme König Waldemars und seines Sohnes ein Fluch auf den dänischen Herrschern lasten würde. Sie hatten einfach kein Glück. So geschah es Graf Albrecht, dass sein Pferd in ein Loch trat und zu Fall kam. Albrecht stürzte mit seiner kompletten metallenen Rüstung vom Pferd und kam mit einem scheppernden Klang auf dem Rücken zu liegen. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Seine Männer versuchten ihm zu helfen und ihn zu beschützen, doch war es zu spät. Sie waren von den Deutschen umstellt.
Herzog Heinrich war bald zur Stelle, und mit einem verschmitztem Lächeln verkündete er seinem Widersacher:
„Graf Albrecht, es ist mir eine Ehre, euch meinen Gefangenen nennen zu dürfen.“
Der Tag ging bald zu Ende. Anstatt die gegnerischen dänischen Panzerreiter zu töten, wurden sie gefangengenommen. Die dänischen Panzerreiter ergaben sich. Sie wussten, dass sie so weiter leben könnten. Denn als die Schlacht zu Ende war, waren die Reiter lebend mehr wert, als tot. Es konnte bares Lösegeld für jeden Einzelnen eingefordert werden. So ließ sich die Kriegskasse nach den Ausgaben wieder redlich auffüllen.
Das Schlachtfeld war mit Leichen übersät. Das Fußvolk begann mit der Leichenfledderei. Jeder nahm von den Toten, was er noch gebrauchen konnte. Dem Sieger gehörte die Beute.
Als die Nacht hereingebrochen war, sah man zwei Männer mit einer Laterne von der Stadt aus zum Schlachtfeld gehen. Sie wurden von einem zwölfjährigem Jungen zum westlichen Rand des Feldes geführt. Henrik hatte sich wieder gefangen und sich bereit erklärt, dem Vater seines Freundes die Leiche zu zeigen. Johannes wollte beim Tragen helfen. Sie betraten das Schlachtfeld, und ihr Entsetzen über den blutigen Anblick, der sich im Schein iher Kerze bot, war groß. Der hüpfende Schatten, den die Kerze warf, ließ alles noch viel unheimlicher und gruseliger erscheinen. Sie konnten ihren Ekel kaum unterdrücken. Doch musste Prabislaw die Leiche seines Sohnes bergen.
Henrik fand den Ort bald wieder, und Prabislav kniete sich neben seinen Sohn. Zum Weinen hatte er keine Tränen. Behutsam nahm er Walters Körper hoch. Er brach den Schaft des Pfeils ab und drehte den Jungen um. Er sah nicht, wie die Leichenfledderer um ihn herum ihrem pietätlosen Handwerk nachgingen. Gute Schuhe, Waffen, Helme. Sie nahmen alles mit, was sie noch selbst gebrauchen, oder zu Geld machen konnten. Die Toten würden es ja doch nicht mehr benötigen.
Tränen wollten ihm immer noch nicht kommen, als er seinem Sohn zärtlich durch das Haar strich. Die Augen des Jungen waren geschlossen. Johannes und Henrik standen stumm daneben.
Prabislaw hob den Körper hoch, um ihn in die Stadt zurückzutragen. Da vernahm er ein Röcheln. Zuerst registrierte sein Verstand es nicht, doch dann hörte er es wieder. Er führte die Lampe mit der Kerze dichter an das Gesicht Walters heran, und entdeckte, dass doch noch Leben in seinem Sohn war. Bisher war der Pfeil noch nicht tödlich gewesen. Bewusstlos war er nur gewesen. Hoffnung keimte im Vater auf.
„Schnell, Johannes. Er lebt noch. Wir müssen ihn sofort zum Bader bringen.“
Eilig trugen sie den Jungen zum Bader. Sie fanden ihn im seinem Haus. Auch er hatte das Ende der Schlacht abgewartet. Der Bader operierte die Pfeilspitze heraus und versicherte dem Vater, sein Bestes getan zu haben. Alles weitere, so sagte er, liege in Gottes Hand.
Am nächsten Tag erwachten die Mulner Bürger mit Unbehagen. Jeder wusste inzwischen, dass mit dem eindeutigen Ausgang der Schlacht die dänische Zeit der Unterdrückung zu Ende gegangen war. Aber was würde folgen? Würden die deutschen Fürsten die Lage ausnützen, um die einst dänische Stadt für ihre „dänische“ Treue zu bestrafen? Brandschatzungen, Plünderungen und Vergewaltigungen wären die Folgen. Alles legitime Rechte der Sieger.
Die Bürger warteten in ihren Häusern. Keiner ging seiner Arbeit nach. Die Stunden vergingen. Bald war der Tag zu Ende, und niemand hatte sich in der Stadt sehen lassen. Die Befürchtungen waren unnötig gewesen. Doch in diesen unruhigen Zeiten wusste man ja nie.
Vielleicht kamen sie erst am nächsten Tag.
Die deutschen Fürsten hatten mehrere Massengräber ausheben lassen. Viele waren durch die Spuren der Pferdehufe und die des Beutezuges der Leichenfledderer nicht mehr an ihren Wappenröcken zu erkennen gewesen. So wurden Freund und Feind gemeinsam beerdigt.
Die deutschen Truppen zogen ab.
Sie ließen Mulner Borger zurück, die vor Erleichterung aufatmeten.
Walter hatte noch einmal Glück gehabt. Er überlebte die Verletzung. Seine ungezügelte Natur wäre ihm beinahe zum Verhängnis geworden.
In den nächsten Monaten setzte wieder Normalität ein. Es gab sogar einen Grund zum Feiern. Johannes war der erste Mulner Bürger, dem das Privileg zuteil wurde, Ratsherr in Lubecke zu werden. Sein Titel war der eines Consuls. Als Johannes de Mulne gründete er das Möllner Ratsherrengeschlecht, welches in Lubeke hohes Ansehen erlangen sollte, und einen erheblichen Bedeutungsanstieg der Stadt begründete. Damit wuchs die Stimme Mulnes.
Albrecht von Orlamünde blieb in der Gefangenschaft Heinrichs von Schwerin. Die Druckmittel gegenüber König Waldemar waren nun zu groß, sodass Waldemar keinen anderen Ausweg mehr sah, als nachzugeben. Er willigte schließlich in die Forderungen Heinrichs ein. Es war im November des gleichen Jahres, als in Bardowik ein Vertrag geschlossen wurde. Waldemar und sein Sohn kamen gegen eine Zahlung von 45 000 Silberstücken am 21. Dezember frei. Aber das war noch lange nicht alles. Er musste die Ländereien von Schwerin und Holstein abtreten. Er verzichtete insgesamt auf alle deutschen Lehengebiete bis auf das Fürstentum Rügen. Er musste allen deutschen Städten die Handelsfreiheit gewähren. Er musste sich außerdem dazu verpflichten, auf Rache zu verzichten. Am meisten schmerzte ihn jedoch die Forderung, auf die er eingehen musste. Drei seiner Söhne waren als Geiseln zu stellen.
Aber Waldemar gab nicht auf. Er ließ es auf eine Schlacht ankommen. Diesmal lag das Schlachtfeld bei Bornhöved. Es war der 22. Juli 1227. Das dänische Heer verlor diesmal, weil die Panzerreiter zu große Lücken in ihren Bannern aufwiesen.
Waldemar war gezwungen, den Vertrag von Bardowick zu erneuern. Erst im Jahre 1230 wurden seine drei Söhne, die in Schwerin festgehalten wurden, gegen weiter 7000 Mark Silber freigelassen.
Albrecht von Orlamünde blieb bis nach der Schlacht von Bornhöved in Schwerin gefangen. Die Schlacht bei Bornhöved war nämlich der letzte Versuch Waldemars und Albrechts gewesen, ihre südlichen Ländereien behalten zu können. Die Niederlage begrub alle Hoffnungen. Erst nachdem er seinen Verzicht auf die Grafschaft Racisburg bekundete, wurde Albrecht freigelassen. Er lebte fortan auf einem Gut seines Onkels, des Königs, auf der dänischen Insel Alsen.
Das dänische Reich hatte durch die zwei verlorenen Schlachten in Mulne und Bornhöved einen herben Schlag erhalten, und seine Großmachtstellung im Ostseeraum wurde gebrochen. Die Mulner Zeit unter dänischer Herrschaft war somit nach dreiundzwanzig Jahren beendet.