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Kapitel 4

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Fehde

1321 – 1342

„Nein.“ Zur Unterstreichung seiner Worte schlug er mit der Faust auf den Tisch. „Wir lassen sie nicht in die Stadt. Sollen sie doch in ihrer festen Burg bleiben. Ich werde keinesfalls die Zugbrücke für sie herniederlassen. Nur für Herzog Erich, ansonsten kommt keiner von ihnen in die Stadt.“

Voller Selbstsicherheit kommentierte Johannes de Belendorpe das Ersuchen der Herzogin Elisabeth und ihres Sohnes Albrecht IV., in die Stadt zu ihrem Slot eingelassen zu werden. In seiner Eigenschaft als erster – oder wie er sich selber gerne nannte – als worthaltender Bürgermeister teilte er den anwesenden Ratsherren mit, wie er darüber dachte. Seine Meinung war jedoch nicht so aufrührerisch, wie es den Anschein hatte. Er konnte sich breiter Zustimmung gewiss sein. Der zweite Bürgermeister Johannes de Gradu nickte zustimmend.

„Ich bin der gleichen Meinung. Wir sind eine starke Stadt. Haben wir uns nicht vom Joch durch den herzoglichen Vogt befreien können? Seit vielen Jahren können wir unser Geschick ohne Vogt bestimmen. So soll es auch bleiben.“

Ein einstimmiges Nicken war die Folge. Ratmann Gottfried de Krempe meldete sich zu Wort. Sein fülliger Bauch hinderte ihn jedoch daran, flink aufzustehen. Aber nicht nur seine Körperfülle, sondern auch sein Wort hatte Gewicht im Rat.

„Sehen wir es doch einmal nüchtern. Racisburg ist die Stadt des Bischofs und der Fürsten. Viele Kleriker gehen dort ein und aus. Sie ist die Stadt der Fürstlichkeit und der Ehrwürde. Die fürstliche Rangordnung und deren Zurschaustellung bestimmen das Stadtbild.

Doch jetzt stellen wir einmal unser Molne dagegen. Wir kommen ganz gut ohne diesen fürstlichen Firlefanz zurecht. Sollen sie doch dort bleiben. Unsere Stadt ist stark geworden. Stark geworden durch unsere eigene harte Arbeit. Arbeit, welche der Kaufmann, der kleine Händler, der schwitzende Handwerker, der Bauer und viele andere geleistet haben. Wir brauchen uns jedenfalls nicht wie eine wehrlose ängstliche Stadt zu ducken.“

„Unser Molne ist so erstarkt, dass wir uns vor keinem fürchten müssen. Was soll uns denn passieren? Seht euch doch um. Wir sind fast eine Insel, die noch zusätzlich durch eine feste Mauer geschützt ist. Jeder kriegslüsterne Herr würde sich an uns die Zähne ausbeißen. Wir brauchen uns wahrlich vor niemandem zu fürchten.“

Thidericus Rubeke hatte das ausgesprochen, was alle dachten.

„Möchte jemand der ehrenhaften Ratsherren noch das Wort ergreifen?“

„Es ist alles gesagt“, antwortete der schlanke und zierliche Colberch.

„Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer ist dafür, dass wir der Herzogin Elisabeth und ihrem Sohn Albrecht IV. innerhalb unserer Mauern Zutritt gewähren?“

Sein Blick wanderte umher. Er sah all die Ratsherren an, die auf ihren Stühlen thronten. Danneman, Colberch, Brand, Chorius, Thidericus Rubeke, Radolphus Muzen, Johannes de Wigheschen, Marquardus de Zoltwedele, Hermann Dusekop und Johannes de Gradu. Niemand hob seinen Arm.

„Gut, dann die Gegenfrage. Wollen wir der herzoglichen Familie den Zutritt zu ihrer woninghe innerhalb unserer Stadtmauern verwehren?“ Einstimmig wurde der Antrag angenommen.

Obwohl es erst Frühsommer im Jahre 1321 war, war die Hitze unerträglich. Herzogin Elisabeth saß auf ihrem Pferd und freute sich schon darauf, dass sie sich bald von dem Ritt würde ausruhen können. Sie ritt nie gerne und war dazu leicht erregbar und launisch. Deshalb wollte sie baldigst in ihre woninghe nach Molne. Ruhe und Erholung suchte sie in der Stadt, in ihrem Slot. Sie meinte, diese in ihrer Residenz in Racisburg nicht ausreichend genießen zu können. Viel zu viel Hofgesellschaft. Ihr Mann war auf seiner Burg geblieben. So war sie mit ihrem unmündigen Sohn Albrecht IV. alleine aufgebrochen. Nur ihr herzogliches Gefolge war dabei. Zum Schutz ritten einige Ritter nebenher, die den Tross säumten. Erfreut, die Strapaze fast überstanden zu haben, ritt sie an der Seite ihres Sohnes den Hügel hinab. Sie mochte keine Pferde, und daher war jeder Ritt für sie eine Qual.

Auf der anderen, nördlichen Seite des Sees erblickte sie auch schon die imposante Erscheinung der St. Nicolai-Kirche. Sie ritten zur hölzernen Brücke, in der Gewissheit, dass sich nur ein kurzes Stück hinter dem Gultzower Tor ihre Residenz befand. Sie hatten fast die Holzbrücke erreicht, als ihr begleitender Ritter, der für ihr Leben verantwortlich war, unversehens anhielt. Sein rechter Arm schnellte unerwartet in die Höhe, und gebot Halt.

Der gesamte Tross stockte. Elisabeth und ihr Sohn ritten ahnungslos an die Seite des Ritters.

„Was gibt es, Ritter Thomas? Warum haltet ihr?“

Sein Blick verriet Ratlosigkeit, als er der Herzogin berichtete.

„Seht selbst, Herrin. Der Zugang zur Stadt ist uns verwehrt. Die Brücke ist hochgezogen.“

Ritter Thomas irrte sich keineswegs. Die sechzig Meter lange Brücke war in Stadtnähe mit zwei separaten Klappteilen ausgestattet. Der kleinere konnte extra für Fußgänger hernieder gelassen werden, wogegen der größere für die Reiter und Fuhrwerke vorgesehen war.

„Das wird wohl seinen Grund haben“, meldete sich der junge Albrecht zu Wort. „Vielleicht ist eine Krankheit in der Stadt ausgebrochen. Dann wäre es doch gut und nur zu verständlich, wenn sie uns davor warnen und schützen wollten.“ Albrecht fürchtete sich vor Krankheiten, hätte dies aber nie zugegeben. Der Ritter verzog ungläubig das Gesicht.

„Das glaub’ ich weniger. In diesem Fall würde eine Fahne mit dem passenden Symbol auf dem Tor wehen. Aber ich sehe keine, die vor einer Seuche warnt. Hm, das muss einen anderen Grund haben. Ich werde bis zum Ende der Brücke vorreiten und um Einlass bitten. Vielleicht haben sie nur vergessen, die Klappteile wieder herunterzulassen. Herzogin, wartet bitte hier mit eurem Sohn und dem Tross. Ich bin bald zurück.“

Der Ritter ritt voran und hielt am äußersten Ende der Holzbrücke sein Pferd an. Von dort konnte er mit den Torposten sprechen, die auf dem Tor standen. Denn das hölzerne Doppeltor war verschlossen. Mit lauter und fordernder Stimme rief er herüber.

„Herzogin Elisabeth von Sachsen-Lauenburg, und ihr Sohn Albrecht VI .begehren Einlass innerhalb der Mauern der Stadt Molne. Öffnet augenblicklich die Tore.“

Als Ritter Thomas erwartete, dass sich die Brücke nun durch die Betätigung der Kettenvorrichtung, einhergehend mit dem üblichen krächzenden Geräusch senken, und das doppelflügelige Tor öffnen würde, zeigte sich stattdessen oben bei dem Torposten ein Mann, der offensichtlich anhand seiner Bekleidung als worthaltender Bürgermeister Johannes de Belendorpe zu erkennen war.

Der Bürgermeister antwortete mit der gleichen lauten Stimme.

„Der Einlass sei der herzoglichen Familie verwehrt. Wir weigern uns von nun an, der Herzogin Elisabeth unsere Tore zu öffnen und ihr weiterhin Gefolgschaft zu leisten. So soll sie auf ihre sichere Burg zurückkehren. Hier wird sie keine Aufnahme finden. Die Brücke bleibt für sie von nun an versperrt.“

In des Ritter Antlitz zeichnete sich aufsteigende Wut ab.

„Was erdreistet ihr euch? Macht sofort für die Herzogin das Tor auf. Ansonsten werdet ihr die Folgen zu tragen haben, die gewiss nicht gering sein werden. Seid euch dessen bewusst!“

„Seid sicher, dass wir den eventuellen Folgen mit wenig Aufregung und Gleichmut entgegen­sehen. Es sind doch nur leere Phrasen aus eurem Munde. Was soll uns schon geschehen?“

Mit seiner trompetenartigen Stimme schmetterte Johannes de Belendorpe die Worte von der Mauer der Turms herab. Verachtung klang in den Worten mit. Sie waren so laut, dass selbst Elisabeth und ihr Sohn fast jedes Wort aus der Entfernung verstehen konnten. Ihre Gesichter verfinsterten sich zusehends, bevor sie reine Wut signalisierten.

„Wenn ihr nun augenblicklich das Tor öffnet, so werden wir den kleinen Zwischenfall vergessen. Ansonsten habt ihr Strafe zu erwarten.“ Ritter Thomas versuchte es noch einmal auf die verständnisvolle Art.

„Geht endlich, Ritter. Ihr verschwendet hier nur unsere Zeit.“

„Bürgermeister, ihr vergesst, dass die woninghe Eigentum des Herzogs und seiner Familie ist. Ihr habt Ihnen Zugang zu gewähren. So steht es geschrieben. Haltet euch gefälligst daran.“

„Und ihr Ritter, übersieht, dass ein Nein bei mir auch Nein bedeutet.“

Ritter Thomas wendete daraufhin seinen Fuchs und ritt zur Herzogin zurück.

„Wie ich euch ansehe, Herrin, habt ihr jedes Wort des Bürgermeisters von Molne verstanden.“

„Wohl wahr. Jedes. Was erdreistet sich dieser kleine Wurm? Woher nimmt er die Frechheit, mich nicht in mein Slot zu lassen?“

„Eins ist offensichtlich, Herzogin. Dieses Benehmen ist keinesfalls hinzunehmen. Was werdet ihr jetzt tun, Herrin?“ Des Ritters Stimme klang gedämpfter, und absichtlich ruhig. Aber Thomas war auch Realist und erkannte die Zeichen. Er wusste selber, dass dies gerade der Auftakt zu einer unruhigen Zeit war.

„Was ich vorhabe?“ Die Augen der Herzogin verengten sich zu einem Spalt, wie es ansonsten nur den Echsen eigen ist. Gefährlich war ihr Blick. Denn sie dachte nicht daran ,sich von einer aufstrebenden Stadt wie gewöhnliches Gesindel behandeln zu lassen. War sie etwa eine Aussätzige, Leprakranke, oder eine von sonstigen Gebrechen gezeichnete? Nein, sie war Herzogin Elisabeth. Plötzlich war der Ärger, der sie angetrieben hatte verschwunden, und die angeborene Machtgier der Familie, aus der sie abstammte, erwacht – eine Machtgier, welche keine Resignation zuließ. Sie war schließlich die Tochter des Grafen Heinrich von Holstein-Reinoldsburg. Dieser Familie war der willensstarke Hang zum Erreichbaren im Blut verankert. Niemand würde sie aufhalten. Auch nicht diese Stadt. Was erlaubten sie sich?

Ihr Mann Johann II. würde ihren Plan sicherlich gutheißen. Denn Johann war mit allem einverstanden, was sie wollte und tat.

Sie wusste auch schon, wie sie diesen aufmüpfigen Bürgermeister für seine arrogante und selbstherrliche Art bestrafen konnte. Der Bürgermeister und seine ebenso überheblichen Ratsherren kannten wohl ihren Bruder, de groote Gert, noch nicht. Das sollte sich ändern. Es wäre besser für Molne gewesen, sie hätten ihr friedlich Einlass gewährt.

Herzog Johann war im Jahre 1285 überraschend gestorben. Das Land wurde daraufhin zehn Jahre später geteilt. Seine drei unmündigen Söhne Johann II,. Albrecht III. und Erich erhielten nach ihrer Volljährigkeit den Sachsen-Lauenburger Teil, der Oheim Albrecht II. den Sachsen-Wittenberger-Teil. Gemeinschaftlich sollte das Herzogtum von den drei Brüdern zu gleichen Teilen beherrscht werden. Doch den drei Brüdern war es nicht vergönnt, ihr Land in Eintracht zu verwalten. Streit, Neid und Zwist beherrschten bald das Geschäft. Ihre nahezu letzte gemeinsame Tat war die erneute Bestätigung des lübschen Rechts 1302 für die Stadt Molne. Nachdem 1302 die ersten Rivalitäten aufgekommen waren, eskalierten sie drei Jahre später regelrecht.

Diese Streitigkeiten bedurften sogar einer Schlichtung durch ein Schiedsgericht. Dazu wurden die Molner Ratsherren Nanno Dannemann, Dusekop, Johannes Wallenpunkt, Koep und Walterus Smylowe als Vertreter des Herzogs Johann beordert. Dazu kamen noch die Ritter Detlevus de Partentove, Johannes de Crummesse und Conradus Wackerbart. Sie trafen sich mit den Delegierten der Brüder Albrecht III. und Erichs. Die Aufgabe der Schiedsherren war es, gegen jeden Partei zu ergreifen, der den Schiedsspruch nicht anerkannte. In diesem Schiedsspruch und der Urkunde vom 25. April 1305 wurde unter anderem bestimmt, dass die Stadt Molne den Herzögen gegenüber freien Zutritt zu gewähren hatte.

Außerdem kam es zur weiteren Teilung des Landes. Die beiden jüngeren Brüder Albrecht III. und Erich zeigten offen ihre Feindschaft gegen den älteren Johann II. Es ging wieder um Gebietsansprüche, wobei Johann II. unterlag. Er musste sich mit Mölln, der Vogtei Mölln11 und dem entfernt liegenden Land Hadeln12 begnügen. Die jüngeren Brüder behielten das deutlich größere Gebiet. Aber auch das war ihnen nicht genug. Sie streckten bald auch ihre Fühler nach Hadeln aus. Drei Jahre später starb überraschend Herzog Albrecht III., sodass sein Bruder Erich von nun an alleiniger Herr über dass weitaus größere Gebiet war.

Gerhard III., de groote Gert, stand am Fenster seiner Burg und schaute auf die Eider. Davor lag die Stadt Reinoldsburg, die er zu seinem und der Grafschaft Holstein-Reinoldsburg Hauptsitz gemacht hatte. Er war ein Abkömmling des Schauenburger Grafengeschlechts. Ungern gedachte seines Vorfahren Graf Adolf III., der sein Land damals an die dänischen Könige verloren hatte. Aber das war jetzt über hundert Jahre her, und inzwischen war seine Macht gefestigt. So sehr gefestigt, dass sich diesmal die Dänen vor ihm fürchteten. Es gab immer wieder Scharmützel mit ihnen. Bei den Dänen wurde er daher gefürchtet und de kullede Greve - der kahlköpfige Graf genannt. Gerade jetzt ärgerte er sich, dass die Dänen sich mit einem Lauenburger Herzog verbündet hatten. Dies konnte er nicht gutheißen.

Ja, Gerhard III. ärgerte sich leicht. Sein Charakter war leicht zu beschreiben. Er war impulsiv, leicht reizbar und streitsüchtig. Keinem Handgemenge oder gar einer Fehde ging er aus dem Weg. Bevor unnötige Zeit mit diplomatischem Geplapper verschwendet wurde, griff er lieber gleich zum Schwert. Das ging schneller, direkter, ehrlicher und war wirkungsvoller. Am Ende bekam er doch was er wollte.

Die Burg, die jetzt sein eigen war, hatte vor zweihundertfünfzig Jahren Ritter Reinhold erbaut, der ihr auch seinen Namen gab. Sie war quadratisch und lag direkt an der Eider. Zur Landseite hin befand sich ein hoher schmaler Turm, auf dem er gerade stand.

Sein Blick schweifte über die weiten ebenen Felder bis zum Horizont. Die Sicht war klar an diesem warmen Tag. Es hatte einen Grund, warum er Ausschau hielt. Seine geliebte Schwester Elisabeth hatte sich durch einen Eilboten angekündigt. Lange hatte er sie nicht mehr gesehen. Sie hatte nur ihre Ankunft angekündigt. Worum es ging, wusste er noch nicht. Doch er kannte Elisabeth zur Genüge. Wenn sie etwas haben wollte, so konnte sie äußerst nett sein. Aber im richtigem Moment verstand sie es auch, zuzupacken. Elisabeth war die gleiche Ungeduld und der gleiche Ehrgeiz zu eigen wie ihm. Sie waren wahrlich Geschwister.

In der Ferne sah er aus Südosten sich eine Staubwolke nähern. Das konnte nur Elisabeth mit ihrem herzoglichen Gefolge sein. Er ging die engen steinernen Stufen des Turmes hinab.

Im Hof herrschte Betriebsamkeit. In großer Eile wurde alles für die Ankunft der Schwester des Grafen vorbereitet. Erst gedachte der Graf im Hof zu warten, doch änderte er seinen Plan und wartete im Thronsaal auf seine Schwester.

Als Elisabeth eintrat, erkannte er sofort in ihrem Gesicht eine schiere Wut. Er war sicher, bald den Grund dafür in Erfahrung zu bringen. An ihrer Seite ging ein blonder Jüngling. Es war sein Neffe Albrecht IV. Lange hatte er ihn nicht mehr gesehen.

„Gottes Gruß.“

„Gottes Dank.“

„Verehrter Graf. Es ist mir eine Ehre, dass ihr mich empfangt.“

Gerhard III. winkte ab, und ging zu seiner Schwester.

„Genug der Förmlichkeiten. Es ist schön euch, und euren prachtvoll gewachsenen Sohn nach so langer Zeit wiederzusehen. Ihr seht verärgert aus. Ich vermute, dass die letzte Zeit nicht einfach für euch war. “

„Gewiss nicht, mein Graf. Sie war hart, und ist es noch heute. Deshalb bin ich auch hier. Kann ich mit euch darüber reden?“

„Später, meine Schwester. Auch ich bin ungeduldig zu erfahren, warum ihr so einen Gram in eurem Gesicht führt. Doch lasst uns erst speisen. Nach so einer langen Reise solltest Ihr Euch erst einmal kräftigen und erholen. Dann spricht es sich besser.“

Der Graf klatschte in die Hände und die Diener eilten herbei. Nachdem die Ankömmlinge gestärkt waren, empfing Gerhard abermals Elisabeth und Albrecht.

„Also, geliebte Schwester. Warum schaut ihr so leidvoll drein?“

„Dieses gemeine Pack von Molne. Es verwehrt uns den Zutritt zu unserer herzoglichen woninghe. Wie Aussätzige ließen sie uns vor dem Tor stehen. Eine unglaubliche Schmach. Es war peinlich und erniedrigend. Wie geprügelte Hunde mussten wir gedemütigt davonziehen.“

„Wie bitte?“ Zornesröte überzog mit einem Mal des Grafen Antlitz.

„Was erlauben sie sich? Für wen halten sie sich?“

War der Graf bei Elisabeths Ankunft bisher ruhig geblieben, so änderte sich dies schlagartig. Sein impulsives Wesen trat augenblicklich hervor. Zuerst fuhr er mit seiner rechten Hand über sein kahles Haupt. Dann musste er jedoch seine Aggressionen abbauen. Eine herumstehende Schale fiel ihm in die Hände, und flog mit hoher Wucht gegen die steinerne Wand der Burg. Scheppernd fiel die Messingschale zu Boden.

„Was hast du bisher unternommen?“, fragte er wieder etwas ruhiger, nachdem der erste Wutausbruch abgeklungen war.

„Noch nichts, mein Bruder. Ich bin sogleich zu euch geeilt. Ich weiß, dass ihr die Macht und die Möglichkeiten habt, diese aufsässige Brut in die Schranken zu weisen.“

Das war klug von ihr gesprochen, denn sie kannte seinen Hang zum praktischen Handeln.

„Das ist gut. Je weniger davon wissen, um so besser. Ich habe schon gehört, dass diese Stadt Molne im Konzert der Großen mitspielen will. Doch lehnen sie sich wohl zu weit aus dem Fenster. Deshalb wird es Zeit, ihnen die Flügel zu stutzen. Mit deinem Schwager Erich machen sie gemeinsame Sache, obwohl die Stadt und Vogtei Molne zu euren Landen zählt. Wusstest du davon?“

„Davon hatte ich schon gehört, mein Bruder. Doch dachte ich nicht, dass sie so offen und mutig Partei gegen mich ergreifen werden. Ich muss eingestehen, dass ich anhand ihrer Unverfrorenheit doch ein wenig überrascht war.“

„Ich nenne es weniger mutig, sondern eher unvernünftig und größenwahnsinnig. Sie verges­sen, dass sie nur eine Stadt sind, die gänzlich vom Handel abhängig ist. Sonst steckt nichts dahinter. Sie haben kein großes Heer, womit sie ihre Machtansprüche geltend machen und unterstreichen könnten.“

Gerhard trat dicht an Elisabeth heran. Sie sahen sich in die Augen, und kannten sogleich die Gedanken des anderen. Ein Lächeln zeichnete sich ab. Gerhard drehte sich daraufhin um und ging zum Fenster. Den festen Blick auf die sich durch die Wiesen schlängelnde Eider gerichtet, sprach er weiter.

„Dein Schwager Erich ist mir schon lange ein Dorn im Auge. Erich unterstützt nämlich offen den dänischen König Christian II., meinen Todfeind. So will er mir in den Rücken fallen. Für diese hinterlistige Tat wird auch er zur Rechenschaft gezogen werden. Jetzt geht er sogar noch einen Schritt weiter, und will euch auch noch Molne abspenstig machen.“

„Was werdet ihr tun, mein Bruder? Könnt ihr mir zu unserem Recht verhelfen?“

Gerhard ging zu Elisabeth zurück. Dann nahm er ihren Kopf in beide Hände.

„Ich werde Molne zwischen meinen Händen wie ein rohes Ei zerdrücken. Sie haben es gewagt euch zu demütigen, und mich somit herausgefordert. Ich habe die Macht dazu. Sie werden es fürchterlich bereuen, und dafür teuer bezahlen.“

Dann wandte er sich an seinen Neffen Albrecht IV., der die ganze Zeit still daneben gestanden und aufmerksam zugehört hatte. Nichts war ihm entgangen.

„Albrecht, was sagst du dazu?“ Albrecht hatte das Wesen seiner Mutter geerbt. Deshalb war er trotz seiner Jugend für schnelles aber dennoch effektives Handeln.

„Oheim, ihr macht genau das Richtige. Die Stadt muss brennen für ihren Frevel. Wir können uns nicht alles von diesem Pöbel gefallen lassen.“

„So sei es!“, verkündigte Graf Gerhard III. von Holstein-Reinoldsburg, als er seinen obersten Feldherrn durch einen Diener rufen ließ.

Als dieser sich meldete, verkündigte der Graf mit knappen Worten:

„Sorgt sofort für die Abmarschbereitschaft des gesamten Heeres. Keiner bleibt hier. Wir ziehen zur Fehde gen Molne.“

Colberch war missmutiger Laune. Genauer gesagt, nagten Sorgen an seinem Gemüt. Sorgen um seine Frau Gertrude. Sie war sehr krank und in der Obhut der Magd, die sich aufopfernd in seinem Haus um die Kranke kümmerte. Gertrude litt an einem Fieber, welches sie schon seit Tagen quälte. Es ließ sich einfach nicht senken.

Er war auf dem Weg zum Heilig-Geist-Hospital von Molne, wo er als Hospitalvorsteher des Rates seiner Pflicht nachzugehen hatte. Das Hospital zum heiligem Geist war eine kirchliche Einrichtung und lag an der Seestrate. Es war ein großes und weitläufiges Haus und konnte viele Kranken aufnehmen. Kurz nach der Stadtgründung und der dänischen Besatzung war es als Armen- und Seuchenhaus errichtet worden. Dann war vor fünf Jahren zusätzlich noch eine Badestube errichtet worden, damit den armen luden bynnen mollne die Möglichkeit gegeben war, dreimal jährlich ein Bad nehmen zu können.

Das große Hospital besaß sogar eine eigene Kapelle mit eigener Pfarrei mit Vikariat, die unabhängig von der St. Nicolaikirche war. Sie nannte selbst einen Friedhof ihr eigen. Ein junger Vikar namens Albert stand der Pfarrei vor.

Die Einnahmen des Hospital wuchsen stetig, sodass es bald als Geldleiher gegenüber Rittern und der Stadt auftreten konnte. Das Hospital tätigte aber auch noch andere Geschäfte. Dem Johannes von Albertesfelde beispielsweise war vor drei Jahren, 1318, eine Wiese und ein Acker für 22 Mark lübsch von der Kapelle zum Heiligen Geist abgekauft worden. Damit wuchs die Bedeutung und Macht des Hospitals noch mehr.

Aber das Hospital hatte noch eine andere Bedeutung. Als Colberch zur Tür ging, sah er, wie eine Prähme anlegte. Hinter dem Hospital befand sich nämlich der älteste Hafen der Stadt. Dieser Hafen war ein Garant für den großen wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt gewesen, und hatte demnach einen großen Anteil daran. Ständig legten Prähme an und wurden be- und entladen. Sie kamen aus Lubecke oder von der Elbe. So hatte es sich eingebürgert, dass die Stecknitzfahrer im Hospital sogar ihren eigenen Versammlungsraum hatten. Selbst eigene Übernachtungskammern für die Fahrer standen bereit. Daneben befand sich auch noch, ebenfalls in der Seestrate, ein Lagerhaus, das casam soltböden, mit mehreren Böden für die Salzlagerung.

Doch hatte Colberch wahrlich andere Sorgen, als sich um die Belange der Flussfahrer und des Salzhandels zu kümmern. Er betrat das Haus und ging in den Saal, wo die Kranken lagen. Die Beginen kümmerten sich um die Kranken. Ein unheilschwangerer Geruch empfing ihn. Es war eine Mischung aus Schmutz, Schweiß, Kräuter, Fäkalien, Elend und dem undefinierbaren Geruch des nahenden Todes.

Aber das merkte Colberch alles nicht. Seine Sorge galt ganz allein seiner Frau, die er nach all den Jahren der Ehe noch genauso liebte wie am ersten Tag. Seine Gedanken galten nur ihr. Selbst die Querelen mit der herzoglichen Familie, die die Ratsversammlungen zur Zeit bestimmten, hatte er verdrängt. Nachdem der Herzogin Elisabeth und ihrem Sohn der Zutritt verweigert worden war, mehrten sich die Gerüchte, dass ein Angriff auf die Stadt bevorstände. Doch wurden sie meist als absurd von Johannes de Belendorpe abgetan. Der worthaltende Bürgermeister setzte alles daran, dass der normale Alltag nicht unterbrochen wurde, und alles weiterhin seinen geregelten Gang nahm. Einige in der Stadt machten sich dennoch auf Grund der Gerüchte Sorgen. Aber Colberchs einzige Sorge galt zur Zeit Gertrude.

Er fand den Vikar Albert bei den Kranken und ging mit ihm in dessen Scrivekamere, wo sie ihre Angelegenheiten besprachen.

Als seiner Pflicht als Hospitalvorsteher Genüge getan war, eilte er nach Hause. Er ging an ihr Bettlager und betrachtete ihr Gesicht. Nasse Haarsträhnen klebten auf ihren eingefallenen Wangen und der Stirn. Schweißperlen prangten daneben. Die Augen starrten glasig hervor. Es war eindeutig, dass sie ihn nicht wahrnahm.

Er setzte sich an den Rand des Bettes und hielt ihre Hand. Colberch hatte jedes Zeitgefühl verloren und wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Es war der Medikus der Stadt, der seine Frau behandelte. Deshalb scherte es ihn wenig, was der Medikus von ihm verlangte. Colberch drehte den Kopf und sah den großen Mann an. Dann stellte er ihm eine Frage mit nur einem Wort.

„Wann?“

Nachdem der Medikus einen leicht entmutigenden Seufzer ausgestoßen hatte, ließ er seine Hand von der Schulter abgleiten.

„Wir haben unser Bestes getan. Auf alle fiebersenkenden Heilmittel und Kräuter spricht sie nicht an. Ich bin ratlos. Es liegt jetzt nur noch in Gottes Hand.“

Colberch nickte. Er vertraute auf Gott. Doch wusste auch er, dass allein Gott den Tag bestimmen würde, wann er Gertrude zu sich rief.

Nach einigen Stunden, während derer er der Kranken Hand gehalten hatte, verließ er ihr Krankenlager. Völlig erschöpft legte er sich auf sein Bett und schlief lange. Müde und ermattet erwachte er. Die Sonnenstrahlen hatten schon lange sein Haus durchleuchtet. Er ging zum Krug, der auf dem Tisch stand, und füllte sich einen Becher mit Wasser. Er sah, wie die Magd mit kühlen feuchten Tüchern wieder das Zimmer der Herrin betrat. Da vernahm er ein Klopfen an der Tür. Mit zerwühltem Haar öffnete Colberch die Tür. Vor ihm stand der Büttel der Stadt. Er kannte als Ratsherr den Manfred nur zu gut.

„Gottes Gruß.“

„Gottes Dank.“

„Was gibt es, Manfred?“

„Der Bürgermeister wünscht alle Ratsherren sofort zu sehen.“

Unwirsch schüttelte Colberch den Kopf. Das passte ihm nun gar nicht. Er hatte anderes vor.

„Richte dem worthaltenden Bürgermeister aus, dass ich später kommen werde. Ich werde bei meiner todkranken Frau gebraucht.

„Es tut mir leid, Ratsherr Colberch, es euch sagen zu müssen, doch bin ich dazu angehalten, euch unverzüglich und ohne Aufschub zum Steintor zu geleiten. Eure Frau muss warten.“

Entgegen seiner natürlichen Art wurde Colberch wütend.

„Büttel, was erlaubst du dir? Meine Frau liegt im Sterben, und da kommst du daher und willst mir verbieten, mich um meine kranke Frau zu kümmern? Sag dem Bürgermeister, dass ich nicht kommen werde. Was kann denn schon am Steintor so Wichtiges sein?“

„Graf Gerhard hat mit seinem Heer vor dem Steintor Aufstellung genommen und ist dabei, die Stadt anzugreifen.“

Hatte Colberch sich verhört? Wahrscheinlich waren seine Ohren zu verschmutzt, oder die Müdigkeit hatte ihn nicht richtig zuhören lassen. Der Büttel hatte etwas von einen Angriff auf die Stadt gefaselt. Nein, das konnte nicht sein.

„Ich habe mich wohl verhört. Sag das noch einmal.“

„Ratsherr Colberch, ich bin wirklich nicht zu Späßen aufgelegt, und es tut mir Leid um den Zustand eurer Frau, doch bin ich gehalten euch zum Steintor zu geleiten, weil die Stadt vom Grafen Gerhard angegriffen wird. Ihr werdet dort dringend erwartet. Alle Ratsherren sind dort versammelt, um gemeinsam Entscheidungen treffen zu können.“

Sofort wich die Müdigkeit aus Colberchs Körper. Ohne ein weiteres Wort zog er seinen Wams an und folgte mit schnellem Schritt dem Büttel. Er musste ihm folgen.

Bald war er am Steintor angekommen. Viele Bürger hatten sich mit angstvollen Gesichtern versammelt. Wie ein Lauffeuer war die Nachricht verbreitet worden. Colberch zwängte sich durch die vielen Leute. Das war nicht einfach, weil alle so eng beieinander standen, und ein Durchkommen beschwerlich war. Andere Wachmänner und Büttel hielten das gemeine Volk mit ihren langen diagonal gehaltenen Lanzen zurück. Da man ihn erkannte, wurde er schließlich durchgelassen. Er durchschritt das innere Tor, eilte den Damm entlang und betrat das runde Steintor. Oben wo sich die Schießscharten und Fenster befanden, waren schon all die anderen Ratsherren versammelt. Colberch sah in Gesichter, auf denen sich die ver­schieden­artigsten Gefühle widerspiegelten. Er sah ängstliche, furchtsame, erwartungs­volle, mutige, herausfordernde, gleichgültige, lächelnde und in solche, die so taten, als ginge das alles sie nichts an.

Durch eines der Fenster überblickte er die Lage. Der Graben vor der Stadt lag ruhig wie immer da. Die Holzbrücke, über die sonst die gesamten Fußgänger, Reiter und Fuhrwerke passierten, war hochgezogen, ebenso die Brücken bei den anderen Toren der Stadt.

Nun war Molne wahrlich eine Insel. Davor hatte sich das feindliche Heer des Grafen Gerhard III. von Holstein-Reinoldsburg gelagert. Er sah das bunte Fahnenmeer der Banner. Er sah schwerbewaffnete Ritter, mit erhobenen Lanzen, in geordneten Reihen stehen. Ihre an den Helmen befestigten bunten Büsche wehten lustig im Wind. Das Fußvolk war in einer Phalanx angetreten. Stolz und erhaben war dieser Anblick. Die Bürger und Ratsherren der Stadt waren eines so martialischen Anblicks nicht gewohnt. Um so intensiver wirkte er auf sie. Es gab nicht wenige, die angesichts des waffenstrotzenden Heeres schwer schluckten.

Die Ratsherren sahen auf dieses imposante Heer. Johannes de Belendorpe war einer jener Männer, die so taten, als ginge es sie nichts an. Offensichtlich beeindruckte ihn das nicht.

„Ratsherren, hört mich an. Graf Gerhard mit seinem Heer sieht ja ganz eindrucksvoll und ehrfurchtheischend aus, doch brauchen wir uns angesichts des gewaltigen Aufmarsches nicht zu fürchten oder zu resignieren. Ich sage euch, warten wir erst einmal ab. Wir sind wie auf einer Insel. Soll der Graf erst einmal zeigen, ob er es vermag, uns zu Leibe rücken zu können. Vielleicht kann er ja schwimmen? Aber auch das würde ihm wenig nützen.“

Die Rede von Johannes war selbstsicher gesprochen. Doch vermochte sie nicht restlos die Zweifel auszuräumen. In einigen Gesichtern war noch immer Anspannung zu lesen.

Marquardus de Zoltwedele war einer von ihnen. Er trat einen Schritt vor und sprach laut, sodass alle ihn hören konnten.

„Sicherlich haben wir hier eine starke Festung erbauen können. Leicht wird es ihnen sicherlich nicht gemacht, uns zu überrennen. Doch vermögen sie unsere Häuser mit Brandpfeilen oder den Wurfgeschossen der Bliden in Brand zu stecken. Dann säßen wir in der Mausefalle. Ich bin dafür, dass wir verhandeln.“

„Hört zu, Ratsherren,“ sprach der Bürgermeister. „Als wir bestimmten, dass wir Herzogin Elisabeth und ihrem Sohn Albrecht den Zugang zur Stadt verweigern wollten, waren wir alle einstimmig dafür. Warum seid ihr auf einmal so mutlos? Nur weil da Männer mit glänzenden und geputzten Rüstungen stehen? Seid keine Angsthasen.“

„Sicherlich waren wir damals alle dafür. Doch konnte keiner ahnen, dass uns so ein starkes Heer bedrängen würde. Das war nicht zu erwarten.“

„Ach nein?“ brüllte Johannes de Belendorpe den Marquardus an. „Warst du etwa so naiv zu denken, sie würden es stillsitzend hinnehmen? Ich dagegen habe an jede Möglichkeit gedacht, und hatte für mich entschieden, dass wir hier sicher sind. Und an dieser Meinung hat sich auch bei dem waffenstarrenden Anblick nichts geändert.“

Diesen Vorwurf der Naivität gedachte Marquardus nicht auf sich sitzen zu lassen. Er setzte gerade zum lauten Dementi an, als er von Colberch unterbrochen wurde.

„Streitet euch später. Seht hinab. Da kommt ein Reiter. Es ist wohl der Herold des Grafen. Seid endlich leise, und vernehmt die Worte des Herolds.“

Ein Herold des Grafen war tatsächlich bis an den Rand des Graben geritten. Der Graben war zwar breit, dennoch waren seine Worte klar auf dem Steintor zu vernehmen.

„Der ehrwürdige Graf Gerhard III. zu Holstein-Reinoldsburg verlangt die bedingungslose Kapitulation der Stadt Molne. Er verlangt die Herausgabe aller Ratsherren und Bürgermeister der Stadt, weil sie sich vor dem Herzog Johann II. und dem Grafen Gerhard III. zu verantworten haben. Ferner verlangt er den ungehinderten Zutritt für den Herzog, die Herzogin Elisabeth und Albrecht IV. zu ihren herzoglichen Gemäuern.

Dazu ist eine Frist bis zur Abenddämmerung gesetzt. Sollte die Zeit ungenützt verstreichen, so wird mit der Schleifung Molnes in den Morgenstunden des nächsten Tages begonnen werden. Niemand wird verschont werden. Nutzt also die Zeit für die Übergabe der Stadt. Nur eine bedingungslose Unterwerfung kann die Stadt vor dem Untergang, und die Menschen vor dem sicheren Tod retten.“

Der Herold machte eine Pause, um den Angesprochenen Gelegenheit zu geben, das Gehörte verinnerlichen zu können.

„Wie ist die Antwort der Stadt?“

Alle hatten sie die Worte vernommen. Einige bekamen dadurch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Ihre vorherige Furcht wurde verstärkt. Dagegen setzte bei den meisten seltsamerweise das genaue Gegenteil der beabsichtigten Wirkung ein. Und diese Wirkung hieß Trotz.

Johannes de Belendorpe hielt einen kurzen Rat ab. Es mochten nur wenige Minuten vergangen sein, als die markante Stimme des Herold ungeduldig erneut zu vernehmen war.

„Bürgermeister der Stadt Molne. Wie lautet eure Antwort?“

Große Spannung machte sich allenthalben breit.

Da lehnte sich Johannes de Belendorpe so weit es ging mit seiner kräftigen Gestalt aus dem Fenster, und rief so laut mit seiner mächtigen und kräftigen Stimme, dass seine Worte weit zu vernehmen waren.

„Der kahlköpfige Gert soll sich zum Teufel scheren.“

Ungläubig vernahm der Herold diese Worte. Nach einer kurzen Weile, die er benötigte den Schock zu überwinden, wendete er ohne eine Antwort sein Pferd und ritt zum Grafen, der ihn schon sehnsüchtig erwartete. Für den Herold war dieser kurze Ritt der schrecklichste seines Lebens. Er kannte seinen Herrn nur zu gut und wusste, wie sehr dieser solche unliebsamen Nachrichten hasste. Er betete, dass der Zorn des Grafen ihn verschonen möchte.

Der Herold hielt sein Pferd vor dem des Grafen an. Der Graf war in seiner prächtigsten Rüstung gekommen. Sie glänzte und war auf dem Helm mit einem prächtigen Wedel verziert. Stolz saß er auf seinem Hengst und erwartete den Rapport, während Johann II. und Albrecht IV. neben ihm standen. „Herold, was habt ihr zu verkünden?“

„Mein Herr, …edler Graf …ich …“

Jetzt wurde der Graf ungeduldig.

„Nun sprich endlich, elendiger Wurm. Wann öffnen sie die Tore?“

Der Herold nahm all seinen Mut zusammen. „Herr Graf! Der Bürgermeister weigert sich die Tore zu öffnen. Er denkt nicht daran, sich zu ergeben.“

Nun war es heraus. Da der Herold sanftere Worte gewählt hatte und das Zitat nicht getreu wiedergab, so hielt sich der Zorn des Gerhard in Grenzen. Verletzt war dennoch dessen Stolz. Gerhard wandte sich seinem Schwager und Neffen zu. Besonders an Albrecht waren die Worte gerichtet. Sein Blick war dennoch voller Hass.

„Sieh genau hin, Neffe. Sogleich wirst du sehen, wie man eine Stadt erobert. Du wirst lernen, dass diese Winzlinge sich noch vor uns im Staub winden werden. Jammern werden sie, und um ihr armseliges Leben werden sie flehen. Und alles nur, weil sie sich geweigert haben, uns hereinzulassen. Du wirst sehen, wohin falscher Stolz führen kann. Du wirst lernen, dass jeder Ungehorsam erbarmungslos bestraft werden muss. Heute Abend werdet ihr wieder in eurer woninghe nächtigen können. Wir werden gleich angreifen.“

Sogleich gab er seinen Bannerführern den Befehl zum Angriff. Mit den Panzerreitern konnte er allerdings wenig anfangen. Sie waren besser in einer offenen Feldschlacht einzusetzen. So ließ er das Fußvolk marschieren. Die ersten Reihen traten vor, gingen bis zum Graben. Dann schossen sie ihre tödliche Fracht an Pfeilen ab. Die zweite Reihe folgte darauf, und so ging es immer weiter. Ein wahrer Regen an Pfeilen ergoss sich hinter der Stadtmauer. Die zu kurz geschossenen prallten von der Mauer ab.

Dann versuchten die hinteren Fußtruppen, den trennenden Graben zu überwinden. Aber das schlug fehl. Denn plötzlich erschienen auf der Mauer viele Bürger und kampffähige Männer ihrerseits mit ihren Bögen. Unter dem Druck des nun sie eindeckenden Pfeilregens wichen die Angreifer zurück. Auch auf dem Steintor waren die Ratsherren zurückgetreten und hatten den waffenkundigen Männern der Stadt Platz gemacht. Weiterhin folgte von Seiten der Stadt ein Pfeilregen. Der Bürgermeister hatte nämlich schnell gehandelt. In der Wallstrate, direkt an der Mauer gelegen, gab es ein Bussenhaus, welches als Magazin für Waffen diente. Dort waren Bögen und Pfeile, Speere, Hellebarden, Schwerter und andere Waffen in ausreichender Menge deponiert. Das Magazin war vorausschauend in friedlichen Zeiten angelegt worden, damit in Zeiten der Fehde genügend Waffen zur Verfügung standen. Und dieser Augenblick war jetzt gekommen. Schnell waren die Waffen ausgegeben worden.

Unermüdlich ließ Gerhard seine Truppen vorrücken. Einige mutige Soldaten durch­schwammen den Graben. Aber auch wenn sie glücklich am anderen Ufer angekommen waren, so empfing sie immer noch ein von oben abgeschossener Pfeilhagel. Wenigen wagemutigen Holsteinern gelang es trotzdem, bis zum Fuße der Stadtmauer zu gelangen. Doch wurden sie heiß begrüßt. Inzwischen hatten nämlich die Frauen der Stadt Wasser in Grapen auf ihren Kochstellen erhitzt. An Wasser fehlte es den Bürgern ja nicht. Jünglinge der Stadt brachten dann diese Grapen auf die Mauer. Dann ergoss sich auf die Angreifer die kochende Ladung. Mit Schreien und vielen Verbrennungen stürmten die Getroffenen davon. Sie suchten gleich Abkühlung und Linderung der Schmerzen im Wassergraben. Nebenbei flogen die Pfeile der Verteidiger weiterhin. Viele gräfliche Fußsoldaten ließen dabei ihr Leben. Die Verluste wuchsen. Sie wurden weit größer, als der Graf einkalkuliert und erwartet hatte.

Die Stunden gingen dahin, und der Tag neigte sich dem Ende zu. Der Graf war gezwungen, die Angriffe einzustellen. Er war ratlos geworden. Das kannte er nicht, dass ihm auf diese Weise Widerstand geleistet wurde. Albrecht blieb es somit verwehrt, die Nacht wie versprochen in seiner woninghe zu verbringen.

Tapfer und zupackend hatten die Bürger die Stadt verteidigt. Jeder half auf seine Weise. Frauen setzten sich hin und schnitzten stundenlang Pfeile. Es wurden derer ohne Zahl benötigt. Schmiede gossen unaufhörlich die Spitzen dazu. Auf den Türmen und an den Mauern stand der Bäcker neben dem Knecht. Der Bader kämpfte neben dem gemeinen Dienstmann. Im Kampf um das eigene Leben und den Fortbestand der Stadt waren unmissverständlich alle Rangesunterschiede ausgesetzt.

Da es um das eigene Leben ging, wurden bei jedem Kräfte freigesetzt, die in jedem schlummerten, und von deren Vorhandensein viele nichts geahnt hatten. Das war allgemein der Vorteil gegenüber Söldnern. Sie kämpften nur für Geld, aber nicht mit dem letzten Einsatz und dem Herzen.

Sobald die Kämpfe abgeflaut waren, lief Colberch zu seinem Haus. Gertrudes Zustand hatte sich nicht geändert. Colberch meinte, dass ihre Wangen im Vergleich zum vergangenen Tag eingefallener wirkten. Er sah, wie ihre Kräfte zunehmend schwanden. Da wusste er, dass er seine Frau bald verlieren würde. Schweren Herzens ging er aus dem Zimmer. Die Magd fragte, wann er zu essen gedächte. Es wäre bald angerichtet. Doch winkte er ab. Er hatte keinen Hunger. Darauf schloss er sich ein, und seine Gedanken kreisten nur um seine Frau.

Der nächste Tag begann wieder mit den verzweifelten Angriffen der Holsteiner Truppen. Viele Möglichkeiten, von der Landseite anzugreifen, blieben Gerhard nicht. Das erschwerte den Angriff für ihn noch zusätzlich. Denn so konnte er die Verteidiger nicht schwächen, indem er die Angriffsstellen breit ansetzte, und sich die Städter so hätten verteilen müssen. Und diese wenigen Stellen waren noch mit tiefen und breiten Gräben umgeben. Graf Gerhard musste sich selbst zu seiner Schande eingestehen, dass er sich nicht richtig auf diesen Feldzug vorbereitet hatte. Zu eilig war er vorangeprescht. Er war, durch seinen Zorn verleitet, davon ausgegangen, dass dies ein einfaches Unterfangen sein würde. Er hatte geglaubt, dass alleine sein Erscheinen und der Anblick des Heeres ausreichen würde, um der Bevölkerung genügend Angst zu machen. Mit dieser Annahme hatte er weit gefehlt.

Auf eine lange Belagerung war er nicht gefasst und vorbereitet gewesen. Er hatte keine Leitern und Belagerungsmaschinen wie Bliden mitgenommen. Sie hätten seinen eiligen Vormarsch nur aufgehalten. Dieses ungestüme Vorrücken rächte sich nun. Er ließ eiligst Leitern anfertigen. Sie wurden zuerst als Brücken über die Gräben gebraucht. Alleine dies war ein waghalsiges Manöver angesichts des ständigen Pfeilbeschusses von den Mauern und Türmen herab. Sollte es jedoch einmal gelungen sein, eine Leiter heil an der Mauer aufgestellt zu bekommen, so wurden die heraufsteigenden Söldner mit dem bekannten kochenden Wasser begrüßt.

Colberch hatte sich wie alle Ratsherren während der Angriffe an der Mauer und auf dem Turm aufgehalten. Sobald die Bedrängnis abschwächte, lief er wieder zu seinem Haus. Er wollte gerade die Tür aufmachen, als der Medikus unerwartet vor ihm stand. Die Magd stand mit Tränen in den Augen dahinter. Colberch brauchte nicht nachzufragen. Er sah es auch schon dem Gesicht des Medikus an. Der Blick war traurig, hilflos und leicht gesenkt.

„Es tut mir leid. Wir konnten nichts mehr für sie tun. Das Fieber hatte sie zu sehr geschwächt. Der Pfarrer hat ihr die letzte Ölung gegeben. Wenn ich etwas für euch tun kann?“

Colberch schüttelte den Kopf.

„Grämt euch nicht deswegen, Medikus. Es ist nicht eure Schuld. Ich sah es schon gestern ihrem Gesicht an. Sie war zu sehr geschwächt. Es hat Gott gefallen, sie heimzurufen. Damit muss ich mich abfinden.“

Er ging in seinen Wohnraum, welchen er von nun an nur noch mit der Magd bewohnen sollte. Kinder hatte er keine. Gertrude hatte keine empfangen können. Das hatten sie zwar erst in den Jahren nach der Hochzeit festgestellt, sich in all den Ehejahren aber daran gewöhnt. So blieb ihm niemand, mit dem er den Schmerz und die Trauer teilen konnte.

Der Tod seiner Frau war nicht überraschend für ihn gekommen. Was ihn allerdings ärgerte, oder besser gesagt, was er sich selber vorwarf, war die Gewissheit, dass er in ihrer letzten Stunde nicht bei ihr gewesen war. Er hatte nicht ihren letzten Atemzug gehört, und in ihrer schwersten Stunde ihre Hand gehalten. Statt dessen hatte er geholfen, Menschen zu töten, die ihn töten wollten. Colberch war in der letzten Stunde nicht bei seiner Frau Gertrude gewesen. Das würde er sich nie verzeihen können. So war es eben.

Sollte der Bürgermeister doch seinen selbst angezettelten Krieg ohne ihn weiterführen. Ihm war es jetzt einerlei. Sollten sie doch alle sterben. Ohne Gertrude machte das Leben für ihn doch keinen Sinn mehr. Für ihn war der Krieg zu Ende.

Für die Bürger der Stadt war der Krieg allerdings noch lange nicht vorbei. Für sie begann der Krieg jetzt erst richtig. Verzweifelt ließ Graf Gerhard seine Soldaten anrennen. Doch was er auch versuchte, der Werder blieb für ihn uneinnehmbar. Mit dem Mute der Verzweiflung wurde die festungsgleiche Stadt verteidigt.

Ein Tag nach dem anderen verging. Aus Tagen wurden Wochen, und aus Wochen ein Monat.

Doch Graf Gerhard konnte auch stur sein. Wenn er sich etwas vorgenommen hatte, so setzte er alles daran, es durchzuführen. Er wollte diese Stadt in seine Gewalt bringen und niederreißen. Dafür war ihm jedes Mittel recht. Da er jetzt gezwungen war, sich auf eine längere Belagerung der Stadt einzustellen, ließ er sich ein hus aus Holz bauen. Er dagegen bevorzugte den Namen werborch. Es wurde ein praktisches Haus, in dem auch sein Schwager und sein Neffe wohnten. Ihnen ging es dabei gut, während seine Männer ihre Zelte rund herum aufgebaut hatten. Die werborch wirkte trotz ihrer schnellen Errichtung imponierend.

Außerdem ließ Gerhard Prähme bauen oder heranschaffen. Er versuchte es von der Seeseite. So wollte er die dichtgedrängten Reihen der städtischen Bogenschützen ausdünnen und ihre Kräfte schwächen. Aber auch dieser Versuch misslang. Sobald die Prähme in Schussweite der Bögen gelangten, ließ Johannes de Belendorpe seine Schützen los. Mit Brandpfeilen wurden die Prähme getroffen. Die Soldaten sprangen daraufhin ins Wasser, um nicht auf den Booten zu verbrennen. Für Johannes de Belendorpe war es wichtig, seinerseits die Holsteiner mit ihren Brandpfeilen auf Abstand zu halten. Sie durften erst gar nicht in Schussweite gelangen.

Nun versuchte Gerhard verstärkt, die Stadt auszuhungern. Dies gelang nur teilweise. Zum einen hatte die Stadt durch den Zufluss zur Mühle, den Hafen am Heilig-Geist-Hospital und in der Grubenstrate genügend Möglichkeiten, um an Trinkwasser zu gelangen. Zum anderen waren die Speicher durch den Handel noch gefüllt, und in den Straßen lief noch genügend Vieh aller Arten wie Schweine, Kühe, Hühner, Schafe und andere herum.

Aber auch dieser Vorrat nahm langsam ab. Mitte August begannen die Vorräte zu schmelzen. Sie waren bald aufgebraucht. Es war an der Zeit, einen Ausweg zu finden. Vor allem, weil Gerhard und Johann keine Anstalten machten, ihre Belagerung vorzeitig abzubrechen. Von ihrem festen Willen, die Stadt zu erobern, zeugte ihre prächtig erbaute werborch. Wer so ein Gebäude aufstellt, gibt nicht so leicht auf.

Graf Gerhard hatte weiterhin in seiner werborch ausgeharrt. Allmählich nahm die Verzweiflung zu. Was sollte er denn noch alles versuchen? Er war dabei, sich die Zähne an dem hartnäckigem Widerstand der Stadt auszubeißen. Das hatte er sich wahrlich leichter vorgestellt. Insgeheim bewunderte er sogar die Standhaftigkeit der Stadt. Sie war zu stolz, um sich leicht erobern zu lassen. Insgeheim bewunderte er ihren Mut, denn so etwas imponierte ihm. Aber andererseits war dadurch eine Lösung schwieriger. Irgend eine Lösung musste gefunden werden. Aber aufgeben konnte er nicht. Sein Nimbus als de groote Gert wäre auf Jahre hinaus irreparabel beschädigt wenn nicht gänzlich zerstört. Der Widerstand der Molner würde Schule machen und ihm zukünftige Angriffe auf andere Städte nur erschweren. Keine Stadt würde nur angesichts seines Erscheinens mehr kapitulieren. Was würden alleine die Dänen über ihn an Häme verbreiten. Nein, einfach aufgeben und unverrichteter Dinge abziehen konnte und durfte er nicht.

In den Mauern der Stadt nahm die anfängliche Euphorie und die einhergehende Zuversicht, den Belagerern ewig Widerstand leisten zu können, allmählich ab. Der Hunger stieg, weil die Vorräte schwanden und die Portionen eingeschränkt wurden. Der Jubel darüber, den Grafen außerhalb der Mauern demütigen zu können, war verflogen. Nüchternheit hatte Einzug gehalten. Nicht nur die Bürger, sondern auch der Rat machte sich zunehmend Gedanken darüber, wie es weitergehen sollte.

„Wollen wir es bis zum Äußersten kommen lassen?“ Johannes de Wigheschen hat seine anfängliche Zurückhaltung aufgegeben. Er war dafür, auf den Grafen zuzugehen.

Thidericus Rubeke beugte sich daraufhin nach vorne.

„Ich finde, wir sollten dem Grafen Verhandlungen anbieten. Derer brauchen wir uns weiß Gott nicht zu schämen. Seit vielen Wochen halten wir seiner Belagerung stand. Wir haben stark und ehrenvoll unsere Stadt verteidigt. Darauf können wir stolz sein. Wir sind wahrlich nicht die Verlierer, wenn wir mit dem Grafen Verhandlungen aufnehmen.“

Johannes de Gradu stand ihm bei.

„Ich denke, wir sollten Verhandlungen anbieten. Bis jetzt haben wir fast keine Verluste. Der Graf dagegen Hunderte. Doch befürchte ich, dass wir jetzt an einem Punkt angelangt sind, wo sich dies ändern könnte. In den nächsten Wochen könnten viele an Hunger sterben. Krankheiten und Seuchen können ausbrechen. Dadurch würden unsere Verluste drastisch zunehmen. Wir haben gezeigt, dass wir stark sind. Wir sollten Verhandlungen beginnen.“

Nun meldete sich Dusekop.

„Auch ich bin dieser Meinung. Vergessen dürfen wir auch nicht, dass uns die Belagerung viel Geld kostet. Geld, welches wir dringend benötigen. Der Handel ist natürlich völlig zum Erliegen gekommen. Das, was uns groß und stark machte, geht jetzt andere Wege, und zwar an unserer Stadt vorbei. Die Handelszüge ziehen vorbei. Die Bauern kommen nicht mehr zu den Markttagen herbei. Sie suchen sich andere Märkte, um ihre Produkte zu verkaufen. Auch deshalb müssen wir jetzt schnell handeln. Wir können noch günstig aus dieser Fehde herauskommen. Wir sollten uns wenigstens anhören, was der Graf von uns fordert.“

„Das liegt allein am Verhandlungsgeschick des Bürgermeisters“, gab Gotfridus de Krempe zu bedenken. Was meint denn der Bürgermeister dazu?“

Johannes wartete einen Moment. Seine anfängliche Zuversicht war geschwunden.

„Ihr wisst, dass ich gegen eine Aufgabe der Stadt war. Ich bin immer noch der Meinung, dass wir richtig gehandelt haben. Dadurch haben wir gezeigt, dass wir kein Spielball der Herzöge sind. Tapfer und ehrenvoll haben wir gekämpft. Doch nun hat sich die Lage geändert. Jetzt sollten wir zusehen, einen noch größeren Schaden von der Stadt abzuhalten. Allein aus dieser Sicht wäre ich bereit, Verhandlungen anzubieten. Wenn ihr wollt, so bin ich bereit die Verhandlungen zum Wohle der Stadt zu führen.

„Wollen wir abstimmen?“ Dusekop richtete die Frage an alle.

Einstimmig wurde der Antrag auf Verhandlungen angenommen.

Johannes de Belendorpe nickte zustimmend. Auch er hatte eingesehen, dass nur noch Verhandlungen halfen. Er sah, dass die Kräfte der Bürger schwanden. Es war seine Pflicht, Leid von der Stadt abzuhalten. Aber hatte er nicht erst durch seinen Stolz und seine Eitelkeit das Leid über die Stadt gebracht?

Noch bevor am nächsten Morgen die Holsteiner Truppen aufmarschierten, öffnete sich seit zwei Monaten zum ersten Mal wieder im Morgentau das Steintor. Auch die Brücke wurde hernieder gelassen, und ein Ratsherr ging ohne Furcht auf die werborch zu. Radolphus Muzen hatte sich freiwillig gemeldet. Sicherlich war ihm die Gefahr bewusst, in der er schwebte.

Die Holsteiner Wachmänner empfingen ihn und geleiteten ihn unter Waffen in die werborch. Radolphus sah sich um, denn es gab in dieser provisorischen Unterkunft nicht wenig an Annehmlichkeiten. Er sah Teppiche und goldene Kelche. Vielarmige Kerzenleuchter standen mit brennenden Kerzen herum. Der Graf verstand es meisterlich, auch auf einem Feldzug nicht auf die angenehmen Dinge des Lebens verzichten zu müssen. Da es noch so früher Stunde war, musste er warten, bis Graf Gerhard in seiner glänzenden Rüstung den Raum betrat. Der Graf verzog das Gesicht. Er war gespannt auf das Angebot des frühen Besuchers.

„Wer seid ihr?“

„Ich bin Radolphus Muzen, Ratsherr in Molne. Ich wurde vom Rat der Stadt gesandt, um in ihrem Auftrag um die Aufnahme von Verhandlungen zu bitten.“

Es war gesagt. Radolphus musterte das kahlköpfige Gesicht des Grafen. Konnte er schon anhand der Mimik und der Körpersprache eine Antwort daraus ablesen?

Graf Gerhard zeigte es nicht, doch freute er sich innerlich über das Angebot. Das war die beste Möglichkeit, ohne Ansehensverlust aus dieser Lage herauszukommen. Seine Verluste waren zu groß. Die Moral seiner Truppen war gesunken. Sie sahen sich um ihre versprochene Beute nach der Plünderung gebracht. Es musste etwas geschehen. Doch durfte er nicht den ersten Schritt zu Verhandlungen tun. Das verbot sich aus Gründen der Ehre von selbst. Das wäre ihm als unverkennbares Zeichen der Schwäche ausgelegt worden. Doch nun hatte die Stadt den ersten Schritt getan. Das war gut so.

„Sagt euren Bürgermeistern, dass ich sie in zwei Tagen zur Mittagsstunde erwarte. Bis dahin werden die Waffen schweigen. Freies Geleit sei ihnen zugesichert.“

Mehr sagte der Graf nicht. Aber das genügte Radolphus. Er verbeugte sich ehrerbietig und verließ das hus.

Im Ratssaal des theatrums wurde Radolphus Muzen ungeduldig erwartet. Allen war die Freude über den Beginn der Verhandlungen anzusehen. Sie waren kriegsmüde. Die anfäng­liche Euphorie gab es nicht mehr.

Noch am gleichen Abend, im Schutze der Dunkelheit, gelang es Johannes de Belendorpe einen Reiter mit einer geheimen Botschaft über die Brücke des Gultzower Tores aus der Stadt zu schmuggeln. Er hatte dieses Tor gewählt, weil hier keine Männer des Grafen mehr standen. Der zuverlässige Mann trieb sein Pferd eilig nach Norden an.

Zwei Tage später, zur festgesetzten Stunde, durchschritt Johannes de Belendorpe zusammen mit Johannes de Gradu das Steintor. Die Brücke wurde wieder heruntergelassen, sodass die Bürgermeister bald in die werborch traten. Der Raum, in dem schon Radolphus empfangen worden war, war voll. Herzog Johannes II., Albrecht IV. und seine Mutter, sowie einige treue Ritter des Grafen standen bereit. Der Graf wartete auf seinem Stuhl, der einem provisorischen Thron glich. Als endlich Ruhe eingekehrt war, eröffnete der Graf die Verhandlung.

„Ich begrüße die Bürgermeister der Stadt. Wollen wir sehen, ob wir uns einigen können. Ich denke …“

Der Graf wandte seinen Kopf zur Tür, denn er hatte unverhofft Geräusche gehört, die ihn wunderten. Viele Reiter waren gekommen. Er hörte erst den Trab und dann das Schnauben der Pferde. Dann vernahm er das metallische Geräusch, als wenn Schwerter nacheinander aufeinander schlugen. Was war da los?

Seine Frage wurde bald beantwortet.

Ein unbewaffneter Mann betrat den Raum. Die Überraschung war sehr groß. Ungläubiges Staunen war in allen Gesichtern abzulesen. Allen war der Mann bekannt. Alle, bis auf einen, waren über das unerwartete Erscheinen des Manns verwundert. Und dieser eine war Johannes de Belendorpe. Seine hinausgeschmuggelte Nachricht hatte Herzog Erich erreicht. Zufrieden war Johannes, dass er bei den Verhandlungen gegen seine mächtigen Gegner nicht alleine stand. Erich hatte ihm Unterstützung zugesagt. Und nun hatte er sein Versprechen gehalten, und war erschienen.

Herzog Erich stand in seiner glänzenden Rüstung da. Seine kräftige Gestalt wirkte dadurch noch imposanter. Über seinem Bart lugten zwei Augen vergnügt hervor. Er war sich der Wirkung seines unerwarteten Erscheinens bewusst. Das war ganz nach seinem Geschmack. Auch er ließ ungern eine Gelegenheit aus, seinem Bruder und dessen Familie eins auszuwischen und sie zu verärgern.

Nachdem die erste Verblüffung über das unerwartete Erscheinen seines Schwippschwagers gewichen war, fand Gerhard wieder zu seiner normalen Gesichtsfarbe zurück. Sofort wurde Gerhard klar, dass diese Verhandlungen sich nicht mehr allein um das Schicksal der Stadt Molne drehen würden, sondern das diese Zusammenkunft von seinem Schwager Erich dazu genutzt werden würde, die Erbstreitigkeiten unter den Verwandten zur Einigung zu nutzen.

Vorsicht war also angebracht.

Darüber waren Elisabeth, Johann und auch Albrecht nicht erfreut, doch sahen sie, dass Molne in Erich einen starken Verbündeten hatte, der sie nun unterstützte.

Unter diesen besonderen Vorzeichen begangen die Verhandlungen. Sie dauerten lange, und wurden nur zur Nachtruhe unterbrochen. Die Bürgermeister und Herzog Erich, samt seinem Gefolge, betraten die Stadt. Der Herzog wurde in der woninghe untergebracht, die seinem Bruder und dessen Familie verwehrt worden war. Danach wurden die Verhandlungen am gesamten nächsten Tag fortgesetzt. Spannung allenthalben lag über der Stadt und der davor liegenden werborch und dem dazugehörenden Lager.

Endlich war es soweit, und die Verhandlungen waren am Abend des 20. August 1321 zu einem friedlichen Abschluss gekommen. Keiner konnte direkt als Verlierer bezeichnet werden. Jedem wurde das zugesagt, worum es ihm in erster Linie gegangen war.

In der Urkunde, bei deren Unterzeichnung alle Versammelten als Zeugen gegenwärtig waren, standen folgende Ergebnisse fest:

Der Stadt Molne wurden ihre Recht und Freiheiten des lübschen Rechtes erneut bestätigt. Vor allem aber binnen der stat, vnde buten der stat, eris lubischen rechtis to brukende vrigliken. Die Herzöge und der Graf hatten eingesehen, dass eine blühende Handelsstadt Molne für ihre Interessen wertvoller war, als eine Stadt am herzoglichen Gängelband.

Als Gegenleistung verpflichteten sich die Bürger der Stadt dazu, den Herzögen freien Zutritt zu gewähren, und den Herzog, Elisabeth und ihren Sohn samt ihres Gefolges auf deren Verlangen sofort in die Stadt zu lassen. In der Urkunde stand es dat de Borgere us un unsen rechten Erven scholen de Stadt un Slot ewiglieken thor Hand holden uppe all de lewit un schall use open Slot wesen tho allen Tyden.

Zwischen der herzoglichen Familie kam es noch zu einer Neuverteilung des Herzogtums Sachsen-Lauenburg. Dem Herzog Johann II. wurden die Kirchspiele Bergedorf, Curslack, Altengamme und Geesthacht zugewiesen. So entstand die Bergedorf-Möllner Linie.

Auch Erich konnte zufrieden sein. Er behielt den Löwenanteil des Herzogtums, und führte von nun an die Ratzeburg-Lauenburger Linie an.

Nach der Unterzeichnung vor so vielen Zeugen wurde die werborch von Graf Gerhard III. in Richtung Holstein-Reinoldsburg verlassen. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass er noch einmal beim Geschick der Molner Stadt ein Wort mitzureden haben würde. Herzog Erich reiste auch wieder ab, und Elisabeth konnte endlich mit ihrem Sohn in ihr Slot in der Hauptstraße einziehen. Dieses Schloss innerhalb der Stadtmauer war keineswegs eine festungsähnliche Burg. Mit diesem Slot, oder auch woninghe genannten Gebäude war nichts anderes als ein schließbares gesichertes Haus inmitten der Stadt gemeint.

In der Stadt waren alle zufrieden. Nur wenige Bürger waren den Angriffen zum Opfer gefallen. Am meisten hatte der Handel mit Salz und mit den umliegenden Bauern gelitten. Nun kehrte wieder Normalität ein.

Die Belagerung war noch gut überstanden worden. Man hatte der martialischen Kraft stand­halten können. Nun konnte die Stadt im Konzert der Großen mitspielen. Ein gewisser Stolz war wegen des guten Ausgangs in fast allen Gesichtern abzulesen. Bei einem Bürger aller­dings weniger, denn Colberch lebte seit dem Tod seiner Frau zurückgezogen und ließ sich nicht mehr sehen.

Ein einziges Mal betrat er noch das theatrum.

„Ich trete von meinem Amt als Ratsherr und Hospitalvorsteher zurück.“

Der Bürgermeister und die Ratsmitglieder nahmen den Rücktritt an, und sogleich wurde ihm sein rotes Kissen ausgehändigt. Es war im Rat üblich, dass ein neuernannter Ratsherr ein Kissen für seinen Stuhl in das theatrum schickte. Dies war als Geste für die Inbesitznahme des Ratsstuhles und sogleich des Ratsamtes anzusehen. Wenn sich in seiner Amtszeit der Ratmann bei groben Pflichtverletzungen oder sträflichem Lebenswandel wie zum Beispiel Ehebruch erwischen ließ, so erhielt er sein Kissen zurück. Durch diesen Akt war die Absetzung vollzogen. Colberch hatte sich keiner Amtsverletzungen schuldig gemacht, doch fand er nicht mehr die Kraft, sein Amt zum Wohle der Stadt auszuüben. Daher hatte er von sich aus darum gebeten, sein Kissen ausgehändigt zu bekommen. Dies geschah unter bedauernden Kommentaren seiner Ratsbrüder, denn er war stets angesehen gewesen.

Ein klirrend kalter Tag war der Tag der Petri-Stuhlfeier am 22. Februar des folgenden Jahres. Es stand die Wahl des neuen Rates an. Viele neue Namen gab es im Vergleich zum alten Rat. Der Rat setzte sich von nun an aus Brand, Emeke Soltvedele, Johannes Wigheschen, Henneke de Bruteno, Johannes Trammo aus Smylowe, Thiderikus Petzeke Thiderikus Rubeke und Henrikus Sebeneke zusammen. Von den Bürgern der Stadt waren auch ein neuer wort­haltender Bürgermeister und sein zweiter Bürgermeister gewählt worden. Denn Johannes de Belendorpe war unverhofft verstorben, und Johannes de Gradu stellte sich nicht mehr zur Verfügung, nach den unseligen Ereignissen im vergangenem Sommer.

Bald war Ersatz gefunden in Hermann Dusekop als erstem, und Gottfried de Krempe als zweitem Bürgermeister.

Nach der Petri-Stuhlfeier kehrte in das handelsstarke Städtchen wieder Normalität ein. Die Einnahmeverluste waren nach einigen Monaten wieder ausgeglichen. Die Ruhe erfreute alle. Aber nicht für lange, denn bald wurde die Stadt wieder Spielball der mächtigen Fürsten, diesmal aber ohne ein Verschulden Molnes.

Es begann, als am 22. April der siebenundvierzigjährige Herzog Johann II. von Sachsen- Lauenburg ein Opfer seiner angegriffenen Gesundheit wurde. Daraufhin wurde sein Sohn Albrecht IV. neuer Landesherr.

Er ließ sich augenblicklich über den Zustand seiner Staatskasse berichten. Es gefiel ihm gar nicht, dass sie gähnend leer war. Infolge dessen ritt er zur Reinoldsburg und bat seinen Onkel Gerhard um einen Betrag von 6000 Pfund löthigen Silbers. Dies war die Summe seiner Schuld, die es zu tilgen galt. Auch wenn er innerhalb der Familie Geld verlieh, so ließ sich Gerhard auf kein großes Risiko ein. Er forderte Sicherheiten. Diese konnte Albrecht IV. dem Onkel aber nur geben, wenn er seine Besitztümer verpfändete. Dafür überschrieb er Gerhard III. die Stadt Molne, das Slot, daselbst und alle Schlösser, Burgen und Herrschaft, welche er habe und ihm gehöre, seinem Onkel, dem Grafen Gerhard III von Holstein.

Damit war Albrecht erst einmal wieder flüssig, und er konnte seinen Hofstaat aufrecht­erhalten. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Wiedereinführung eines landesherrlichen Vogtes in der Stadt Molne. Dessen Name lautete Stowphenberch.

Der Rat und die Bürger Molnes waren darüber keineswegs erfreut. Wegen der Verpfändung änderte sich jedoch nicht viel. Gerhard hielt sich verdeckt im Hintergrund. Er hatte gelernt, dass eine handelsstarke Stadt für ihn nur Vorteile brachte. Denn auch sein Säckel füllte sich durch die Betriebsamkeit. Dadurch versüßt, vergaß Gerhard die Schmach in der werborch, als die Stadt seiner Belagerung tapfer getrotzt hatte. So ließ er Molne in Ruhe.

Diese Zeit war aber auch nach einigen Jahren beendet. Albrecht IV. hatte die 6000 Pfund gespart und konnte die Stadt wieder einlösen. So war Molne 1329 wieder in seinem Herrschaftsbereich eingegliedert.

Hermann Dusekop und Gottfried de Krempe warteten vor der woninghe der Herzöge. Sie waren zu dieser Tagesstunde herbestellt worden. Die Diener öffneten ihnen und ließen sie zum Herzog vor. Herzog Albrecht IV. und seine Mutter warteten bereits. Nach den formalen Ehrerbietungen zeigte der Herzog auf den verzierten Tisch aus Eichenholz, der an der Seite des Saales stand. Auf ihm befand sich nur eine ausgebreitete Urkunde, die noch nicht mit heißem Wachs gesiegelt worden war.

„Bürgermeister Dusekop, dort seht ihr die Urkunde. Lest sie Euch noch einmal durch, bevor ich sie siegeln lasse.“

Dusekop nahm die Urkunde auf und las den Text aufmerksam durch. Seine Zufriedenheit versuchte er beim Lesen mit einem neutralen Blick zu verstecken. Der Herzog selber war nicht so glücklich über diesen Handel, weil er dadurch seine Schwäche gegenüber der Stadt eingestehen musste. Er ließ sich anhand der Urkunde in seinem Lande durch die Stadt in seinen Rechten beschneiden. Dennoch war in der Urkunde alles so verzeichnet, wie der Bürgermeister und der Herzog es ausgehandelt hatten.

In dieser Urkunde verpflichteten sich nämlich Herzog Albrecht IV. und Elisabeth, innerhalb der Stadt keine Zwingburg oder jegliche sonstige Form eines castrums zu erbauen.

Der Rat wollte nämlich keine neue Burg innerhalb oder außerhalb der Stadt haben, von der sie beherrscht werden würde. Dies galt es zu verhindern. Hermann Dusekop war vor acht Jahren als Ratsherr selber dabei gewesen, als Gerhard vor den Toren der Stadt seine werborch erbaut und die Macht besessen hatte, dem Rat seine Bedingungen zu diktieren. Dies war dem Rat ein warnender Hinweis gewesen, ein derartiges Bauwerk für die Zukunft zu verhindern. Vor dem Steintor befanden sich immer noch Reste der werborch. Nach all den Jahren war es noch nicht gelungen, alle Spuren davon zu tilgen. Den Bürgern und dem Rat der Stadt war es daher wichtig gewesen, nie wieder in ihrer Nähe eine Zwingburg zu wissen. Sie fürchteten sich davor.

Obwohl die Belagerung und die Streitigkeiten mit der herzoglichen Familie jetzt schon acht Jahre zurücklagen und der damalige Vertrag auch eingehalten worden war, hatte all die Jahre der Konflikt weiter geschwelt. Erst jetzt galt es, sich durch einen neuen Vertrag zu versöhnen. Der Herzog und seine Mutter, die immer noch aktiv an den Regierungsgeschäften beteiligt war, mussten auf eine gewaltsame Beherrschung der Stadt verzichten. Dazu waren sie gezwungen worden. Zu gerne hätten sie von einer Zwingburg in der Stadt aus diese rebellischen Bürger beherrscht. Sie bestätigten erneut die lübschen Rechte der Stadt. Der Rat gelobte dafür, ihren herzoglichen Herren allzeit gehorsam zu sein, wie es Brauch war.

Dusekop konnte sich seiner Zufriedenheit nur schwer entziehen. Für ihn war diese Urkunde ein Friedensvertrag zum Vorteil der Stadt. Eigentlich wurde darin nur der alte Zustand bestätigt. Dusekop reichte die Urkunde an Gottfried de Krempe weiter. Als dieser nach der Lesung nickte, reichte Gottfried die Urkunde dem jungen Herzog zurück.

„Mein Herzog, es ist zu unserer Zufriedenheit. Wir hoffen, dass wir Euch unsere Dankbarkeit als treue Untertanen noch oft beweisen können.“

„Das hoffe ich auch.“

Albrecht war der leicht hochnäsige Ton des Bürgermeisters nicht entgangen. Doch tat er so, als habe er ihn überhört. Dann siegelte er im Beisein von Zeugen die Urkunde.

Ein Jahr darauf litt der Herzog erneut unter der adeligen Krankheit der Geldarmut. Als ob es keinerlei Alternative geben würde, so führte sein Weg ihn wieder nach Holstein. Jedoch war dieses Mal die Summe höher, die er sich von seinem Onkel lieh. Es ging um die Summe von 10000 Mark Silber. Aber diesmal war das Geld nicht dafür gedacht, Löcher in seiner Kasse zu stopfen, um den Hofstaat aufrechtzuerhalten. Das Geld wurde nämlich mit seiner Mutter Elisabeth als Mitgift nach Dänemark gebracht. Herzogin Elisabeth heiratete in ihrer zweiten Ehe Erich, einen Sohn Christophs von Dänemark. Durch die Hochzeit versuchte ihr Bruder Gerhard, mehr Einfluss am dänischen Hof zu erlangen. Die Verpfändung selbst umfasste wieder die Stadt Molne, die Vogtei Molne, die Vierlande und den Sachsenwald.

Somit verschwand die ehrgeizige Herzogin Elisabeth aus dem Herzogtum Sachsen-Lauenburg. Albrecht war darüber nicht unglücklich. Endlich konnte er trotz seiner jungen Jahre so leben, wie er es für richtig hielt. Seine Mutter hatte ihn stets bevormundet. Jetzt war er froh darüber, die Regierungsgeschäfte alleine bewältigen zu können.

Viel Arbeit wartete auf ihn. Der junge Herzog war nicht mit Dummheit geschlagen. Mit Herz und Verstand meisterte er die ihm gestellten Aufgaben. Auch der Salzhandel verlangte ihm Entscheidungen ab. In einer Urkunde vom 07. September 1342 verfügte der Herzog, Wan also vell soltes is to Molne, dat men schepen mag 24 pramen, eder 30, und dar enttwischen degene kemen, de dat solt begehret und dat water eschet von deme de de schlusse bewahret, des negesten dages darna schal man dat water geven, also dat se to Lubecke mögen kamen to allen tiden von Paschen went to unser Frowen dage der ersten.

So wurde verfügt, dass dann, wenn soviel Salz in der Stadt gelagert wurde, dass es auf 24 bis 30 Prähme verladen werden könnte, und falls Käufer hierfür vorhanden waren, und das Wasser vom Schleusenwärter gefordert wurde, am nächsten Tage dem aufgestauten Wasser freien Lauf gelassen werden sollte. Dies sollte aber nur in der Zeit zwischen Ostern und dem 15. August geschehen. Es gab auch Stecknitzfahrer aus Molne und nicht nur aus Lubecke oder Lauenburg. Einige Bürger der Stadt hatten nicht nur die Prähme erbaut und waren am Transport beteiligt, sondern einige besaßen sogar Salinenanteile. Der Salzhandel brachte so den Reichtum in die Stadt.

Möllner Zeiten

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