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Ich zog den Atem scharf ein. Die Angst der Frau war nicht gespielt. Und dennoch … Irgendetwas störte mich. Ich konnte nur nicht festmachen, was.

»Bundesagenten! Bleiben Sie in Ihrem Sessel sitzen und rühren Sie sich nicht von der Stelle.« Meine Waffe zielte weiterhin auf die Frau.

Hinter mir schlüpfte Fariba durch die Tür. »Das Badezimmer ist safe«, sagte sie.

Ich nickte nur, konzentrierte mich weiter auf die Frau. Sie sah jung aus, wirkte nicht, als hätte sie erst vor Kurzem ihren achtunddreißigsten Geburtstag gefeiert. Schwarzes halblanges Haar, ein leidlich hübsches Gesicht. Die Wangenknochen waren ein wenig zu ausgeprägt, was auf eine Osteuropäerin schließen ließ.

Meine Kollegin drang weiter in die Wohnräume vor, während ich bei der Schwarzhaarigen blieb. Mein Blick checkte die Umgebung. Wir befanden uns im Wohnzimmer, das sauber, aufgeräumt und gemütlich wirkte. Zumindest auf den ersten Blick und den herrschenden Lichtverhältnissen.

Hinter mir trat Fariba eine Tür auf. Ich konnte sie nicht sehen, machte mir aber ein Bild von dem, was ich hörte.

Uns fehlte der dritte Mann zum Absichern. Dennoch machte ich Schuller keinen Vorwurf. Er hatte richtig gehandelt.

»Bin gleich bei dir …«

Schullers Stimme in meinem Ohrhörer. Er klang besorgt.

»Soll ich auch kommen?«

Ich wollte Bräutigam antworten, doch Schuller kam mir zuvor.

»Nein, bleib, wo du bist, Helmut.«

»Alles klar! Dann bleib ich halt, wo ich bin.« Bräutigam war enttäuscht, das war nicht zu überhören.

»Wer … Wer sind Sie? Was machen Sie in meiner Wohnung?«

Keine Zeit zu antworten. Meine Kollegin Fariba tauchte gerade wieder im Wohnzimmer auf und schickte sich an, das nächste Zimmer zu durchsuchen.

»Die Küche ist safe!«, rief sie mir zu.

»Letzte Warnung, Mann! Keinen Schritt näher. Sonst zwingt er ihn, auf ihn zu schießen.«

Meine Nackenhaare stellten sich auf, während ich mit einem Ohr Petermanns Worten lauschte und mit dem anderen bei Fariba war. Um gleich eingreifen zu können, falls etwas aus dem Ruder lief.

Was zum Teufel machte Schuller? Warum brauchte der so lange?

Zwei Schüsse peitschten auf. Mein rechtes Trommelfell fing zu pfeifen an, so laut waren sie über Petermanns Mikrofon, übertragen worden.

Mein Atem stockte. Ich war drauf und dran, nach unten zu stürmen. Fariba erging es wohl nicht anders. Das zeigte mir ihr Gesichtsausdruck, als sie unvermittelt wieder im Wohnzimmer auftauchte.

»Schlafzimmer ist auch safe, Mark. Noch zwei Zimmer übrig.«

Zwei weitere Schüsse vor dem Haus. Ich hörte sie über mein Headset und aus dem Treppenhaus. Die Wohnungstür musste nach wie vor offen stehen.

Herrgott … Mir standen die Haare zu Berge.

»Achtung, Leute! Bei dem Fenster ganz links war eben ganz kurz ein Schatten zu sehen. Wiederhole. Am Fenster ganz links war eben ein Schatten zu sehen.«

Bräutigam klang alarmiert. Gut, dass er seine Stellung hintern Haus nicht verlassen hatte.

»Bleiben Sie ruhig liegen, Mann. Halten Sie die Hände so, dass ich sie gut sehen kann«, bellte Schullers Stimme in meinem Ohrhörer.

Ich nahm sie nur am Rande wahr. Wir hatten hier selbst mehr als genug Probleme.

»Wer ist in dem Zimmer?«

Schweigen. Maskenhaftes Lächeln. Die junge Frau schien nicht willens, auf meine Frage zu antworten.

Stattdessen blickte sie zur Tür, ihr Lächeln wurde breiter, nahm diabolische Züge an.

»Weg von der …«

Fariba reagierte bereits, während meine Warnung noch durch den Raum geisterte. Keine Sekunde zu früh. Plötzlich wies die Füllung des Türblatts ein riesiges Loch auf. Der Knall folgte nur eine Nanosekunde später. Ohrenbetäubend laut. Ich war mir sofort sicher, dass wir es mit einer abgesägten Schrotflinte zu tun hatten. Eine mörderische Waffe. Zumindest auf kurzer Distanz oder in einer Wohnung, wo der Raum zum Ausweichen recht eingeschränkt war.

»Unten bleiben!«

Faribas Blick traf meinen. Sie nickte mir zu und kroch dann hastig noch einen guten halben Meter von der Tür weg. Hoffentlich waren die Wände dick genug und bestanden nicht nur aus Latten, Isoliermaterial und dünnen Leichtbauplatten.

Ruuumms …

Die nächste Ladung Schrot fetzte durch die Tür; sie vergrößerte das Loch auf Kindsgröße.

Die Schwarzhaarige schrie unvermittelt auf, griff sich an den Hals und kippte dann – es wirkte beinahe wie in Zeitlupe - aus dem Sessel. Blut spritzt zwischen ihren Fingern hervor. Der Menge nach zu urteilen musste ihre Halsschlagader zerfetzt worden sein. Vermutlich von einem Querschläger. In direkter Schusslinie hatte die Frau jedenfalls nicht gesessen.

Keine Zeit, ihr zu helfen. Unsere Eigensicherung ging jetzt vor. Ich sprang in Deckung, jagte aber noch schnell zwei Kugeln durch die ramponierte Tür.

»Sperrfeuer, Helmut. Gib alles, was du hast.«

Bräutigams Waffe bellte auf. Im Zimmer nebenan ging Glas zu Bruch.

Schullers Stimme meldete sich zu Wort. »Außenbereich gesichert! Zwei Verletzte nach Schusswechsel.«

Mein Kopfkino sprang augenblicklich an. Ich musste mich zwingen, ihn nach Petermann zu fragen. So tief saß die Furcht, es könne ihm Schlimmeres widerfahren sein.

»Was ist mit Sebastian?«

Ruuumms …

Die nächste Schrotladung – das Loch in der Tür wuchs.

»Was zum Teufel ist bei euch da oben los?«

Ich ignorierte Schullers Frage und wiederholte meine.

»Was ist mit Sebastian?«

Kurzes Schweigen. Ich wartete, wagte kaum zu atmen. Dann die Antwort: »Wurde angeschossen. Ist momentan bewusstlos. Atmung und Puls sind vorhanden. Bin aber noch nicht dazu gekommen, ihn mir näher anzuschauen.«

Oh nein …

Ich schloss die Augen.

Du verdammter, kleiner Idiot hast mal wieder zu lange überlegt

Ruuumms …

Die nächste Ladung Schrot. Doch dieses Mal galt sie nicht uns, sondern Bräutigam, der hoffentlich eine halbwegs brauchbare Deckung bezogen hatte. Das war der Moment. Darauf hatte ich gewartet! Der Schütze war abgelenkt, seine Aufmerksamkeit galt nun Bräutigam, der das Feuer sofort erwiderte.

»Jetzt!«

Ich kam hoch, sah, dass meine Kollegin Fariba es mir gleichtat. Wir waren ein eingespieltes Team. Es bedurfte keiner weiteren Worte. Ich stürmte los, während Fariba bereits die Tür – oder das, was von ihr noch übrig war – mit einem kräftigen Kick aus den Angeln trat.

Freie Sicht ins Zimmer. Der Schatten eines Mannes zeichnete sich gut sichtbar vor dem zerschossenen Fenster ab.

Keine Zeit für einen Warnruf. Keine Zeit den leidigen Vorschriften Genüge zu tun. Ich drückte in dem Moment ab, als der Kerl sich anschickte, den Waffenlauf in unsere Richtung zu schwenken.

Doppelschuss. Auch Faribas Waffe brüllte hinter mir auf. Unser Mündungsfeuer fraß sich in den Raum, beleuchtete für einen Sekundenbruchteil das Gesicht des Schützen. Männlich, jung, europäisch. Wahrscheinlich ein Südländer, der mediterrane Einschlag war unverkennbar.

Der Mann schwankte, stöhnte auf und sackte zu Boden.

»Feuer einstellen, Helmut! Wiederhole. Feuer einstellen!«

Der Lichtstrahl aus Faribas Taschenlampe erfasste den Mann. Ein kurzer Blick genügte – hier kam jede Hilfe zu spät.

»Habt ihr den Sack?«

Ich nickte nur, überließ es Fariba, Helmut zu antworten.

»Ja! Haben wir.« Sie lächelte bitter, tiefe Furchen um ihren Mund. »Ist bei dir alles okay, Helmut?«

Ich hörte ein trockenes Lachen. Es klang wie das Bellen eines Hundes.

»Ob bei mir alles okay ist? Mann, ich hab die Hosen gestrichen voll. Das war das zweite Mal heute. Verdammt! Aber ja. Ich bin okay.«

Mein Blick eilte zu der Frau, die zusammengekrümmt auf dem Boden lag. Der helle Teppich war dunkel vor Blut - auch für sie würde jede Hilfe zu spät kommen.

Zwei Tote und zwei Verletzte. Einer davon unser Kollege Petermann. Himmel … Das war wirklich nicht unser Tag.

»Was ist mit Sebastian? Wie geht’s ihm?«

War das wirklich ich?

Meine Stimme klang fremd, war belegt und rau.

Rauschen im Äther. Jeder von uns wartete gebannt auf Schullers Antwort. Mein Kopfkino sprang erneut an. Ich schloss die Augen, betete inständig, er möge nicht allzu schwer verwundet sein.

»Tja …« Schuller klang ein wenig ratlos. »Er scheint so weit ganz okay zu sein. Ich kann jedenfalls kein Blut oder eine Schussverletzung bei ihm feststellen. Sieht aus, als hätte der Glückspilz nur zwei Treffer auf die Schutzweste abbekommen.«

Grenzenlose Erleichterung. Selbst Bräutigam rutschte ein verhaltenes ›Gott sei Dank!‹ heraus.

Ich sah Fariba an, die jetzt lächelte; die Furchen um ihren Mund waren nicht mehr ganz so tief. Sie nickte in Richtung der letzten Tür. Ein Zimmer stand noch aus. Das mussten wir natürlich auch noch überprüfen.

»Wie sieht’s bei euch da oben aus? Habt ihr die Bude gesichert?«

»Fast. Ein Zimmer haben wir noch.«

»Okay. Dann geh ich mal kurz off und verständige die Leitstelle. Braucht ihr auch einen Sanka?«

Mein Blick wanderte von der Frau zu dem toten Flintenschützen. Nein, die beiden brauchten bestimmt keinen Arzt mehr. »Eher nicht«, sagte ich. »Wir benötigen hier das volle Programm. SpuSi, Gerichtsmedizin und Staatsanwaltschaft.«

»Okay …« Schullers Stimme blieb neutral, auch wenn unverkennbar Irritation mitschwang. »Wie gesagt, ich bin dann mal kurz off. Wir hören uns gleich wieder.«

»Alles klar, Peter. Bis dann.«

»Du oder ich?«

Mein Blick wanderte zu Fariba zurück, die ihre Brauen hochzog.

»Du die Tür, ich den Raum!«

»Also dann …« Faribas Fuß schnellte vor, kaum dass wir vor der Tür Stellung bezogen hatten. Sie traf gut, erwischte das Türblatt knapp oberhalb der Klinke. Dennoch hielt das Schloss stand, obwohl es vernehmlich knackte und knirschte.

Meine Kollegin trat erneut zu. Dieses Mal gab das Schloss nach und die weiße Zimmertür flog krachend auf.

Freien Einblick in den Raum. Ein Kinderzimmer. Ziemlich chaotisch. Der Boden übersät mit Spielsachen.

Ich schnellte vor und tauchte ins Zimmer ein, die Glock in beiden Händen, sofort bereit, auf einen Angriff zu reagieren.

Nichts! Kein versteckter Schütze, keine weiteren bösen Überraschungen. Das Kinderzimmer schien verwaist, nur in der Ecke mit dem Bett sah man einen größeren Gegenstand liegen. Es roch muffig, die Luft war abgestanden.

»Leuchte mal da rüber!« Meine Linke deutete in Richtung des Bettes, während ich darauf wartete, dass meine Kollegin ihre Taschenlampe anknipste. Natürlich hätten wir auch das Licht einschalten können, doch ich wollte einem möglichen Gegner, kein allzu gutes Ziel bieten.

Faribas Taschenlampenstrahl geisterte den Fußboden entlang, erfasste das Bett und wanderte dann weiter zu dem Gegenstand, der größer war als vermutet und in mindestens zwei, nein, eher drei Decken eingeschlagen war.

Meine Kopfhaut kribbelte. Mich beschlich ein mulmiges Gefühl. Der Gegenstand besaß Konturen, die durchaus von einem Menschen herrühren konnten.

»Das sieht nicht gut aus, Mark.«

Da hatte Fariba verdammt noch mal recht. Gut sah wirklich anders aus.

»Das mit der Taschenlampe, das seid ihr doch, oder nicht?«

Schuller. Er klang aufgeregt.

»Ja! Das sind wir«, sagte ich, während ich mich vorsichtig dem zugedeckten Was-auch-Immer näherte.

Keine Zeit zu spekulieren. Keine Zeit, sich über Gebühr Gedanken zu machen. Es war einfach so, wie es war. Wir mussten herausfinden, was unter den verdammten Decken lag. Meine Gefühle fuhren Achterbahn: Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, wo Grünbecks Ehefrau und die beiden Mädchen steckten? In der Wohnung schienen sie nicht zu sein. Fariba hatte jedes Zimmer kontrolliert. Zumindest auf die Schnelle.

Noch zwei Schritte … Das Kribbeln auf meiner Kopfhaut nahm zu. Ich streckte die Hand aus, während ich mit der anderen weiter auf das Deckenbündel zielte.

Bitte nicht! Lass es nicht die Kinder sein!

Dann lieber schon einen weiteren Angreifer, der versuchte, sich mit den Decken zu tarnen. Von mir aus auch mit einer Schrotflinte. Hauptsache, wir fanden hier keine toten Mädchen.

Ich zog die oberste Decke zurück. Die Konturen wurden deutlicher, vor uns lag zweifelsfrei ein Mensch. Allerdings zu groß, um ein Kind zu sein.

Ausatmen, einatmen und weiter.

Ich zog die zweite Decke zurück. Dann die dritte. Faribas Taschenlampenstrahl zitterte leicht. Ihr erging es nicht anders als mir: Wir fürchteten beide um das Leben der Mutter.

Um so erstaunter waren wir, als wir in das Gesicht eines Mannes blickten. Es wirkte wächsern, war von Todesflecken gezeichnet. Dieser Mann lag nicht erst seit Kurzem da. Er musste hier schon ein paar Tage in die Decken gehüllt liegen.

Ich schaute meine Kollegin an, die ratlos mit den Schultern zuckte.

»Was ist? Habt ihr die Frau und die beiden Mädels gefunden?«

»Negativ, Helmut. Die sind nicht hier. Wir haben aber eine männliche Leiche entdeckt, die schon seit mehreren Tagen hier oben liegen muss. «

»Eine Leiche? Wo?«

»In einem der Kinderzimmer. Sie war dort in mehrere Decken gehüllt.«

»Verstehe …«

»Ist dieses Haus eigentlich unterkellert?«

Faribas Frage kam nicht von ungefähr. Falls zu dieser Wohnung ein Kellerraum gehörte, schloss der Durchsuchungsbeschluss den natürlich mit ein. Das Gleiche galt für Garagen, den Dachboden oder Fahrzeuge.

»Wir überprüfen das, sobald Verstärkung eingetroffen ist«, sagte ich, während ich aufstand und meine Glock zurück ins Holster schob.

»Jetzt schauen wir uns erst einmal hier gründlich um. Vielleicht finden wir ja einen Anhaltspunkt, wo wir nach der Frau und den beiden Kindern, suchen müssen.«

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