Читать книгу Netz aus Lügen - Michael Bardon - Страница 8
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ОглавлениеDie Luft schmeckte staubig, kratzte in Hals, Augen, Nase und Lunge. Ich lief neben Petermann her, dessen ausgreifender Schritt, unser Tempo vorgab. Wir schwiegen beide, nahmen die Verwüstungen, die die Staubwolke hinterlassen hatte, mit Fassungslosigkeit in uns auf. Petermann verzog keine Miene, doch ich sah an der Art, wie er sich bewegte, dass es ihm nicht anders erging als mir.
Mein Blick checkte die Umgebung, flog die Häuserzeilen entlang, streifte über Fahrzeuge, Straßenschilder, Bäume und Gehwege. Die ersten Neugierigen lugten aus den Fenstern, hier und da hasteten ein paar Passanten durch die verwaisten Straßen.
Endzeitstimmung. Es sah aus wie in einem Film, der das klassische Endzeit-Szenario heraufbeschwor. Über allem lag eine zentimeterdicke Staubschicht. Die Straßenzüge sahen aus, als hätte ein Verrückter Unmengen an Ruß, Glassplitter und Geröll über der Stadt ausgekippt.
Ich war schockiert. Mit solch einer Apokalypse hatte ich nicht gerechnet. Wenn es hier schon so aussah, wie sah es dann erst am eigentlichen Ort des Geschehens aus, dem Einkaufszentrum?
Mein Blick zuckte zu Petermann zurück, der nach wie vor schweigend neben mir herlief; seine Mimik sprach Bände, von Zeit zu Zeit blickte er verstohlen über die Schulter; es wirkte auf mich, als wolle er sich vergewissern, dass uns niemand folgte oder hinterherspionierte.
»Suchst du jemanden?«
Kopfschütteln. Petermanns Brauen wuchsen zusammen, während er mir unverwandt ins Gesicht starrte. Unwille in seinem Blick. Meine Frage nervte ihn, das sah man ganz deutlich.
»Was ist los, Sebastian? Sprich endlich mit mir!«
Erneutes Kopfschütteln. Petermann machte dicht. Er wollte oder konnte jetzt nicht reden, was wirklich nicht allzu oft vorkam.
»Du schuldest mir noch immer eine Antwort«, sagte ich. »Mit dieser Nummer hier sind es dann zwei.«
Keine Reaktion. Petermann eilte neben mir her, als säße uns der Teufel im Nacken. Sein Blick war jetzt stur auf die Kreuzung gerichtet, an der wir unsere Kollegin Fariba vor gut drei Stunden in der Obhut der Feuerwehrmänner zurückgelassen hatten.
Ich fragte mich, was zum Teufel hier los war. Mein Kollege verhielt sich selbst für seine Verhältnisse absolut sonderbar. Es wurde Zeit für ein klärendes Gespräch. Sobald wir hier fertig waren, würde er mir Rede und Antwort stehen müssen.
»Da vorne ist die Sedate.«
Mein Blick folgte Petermanns ausgestrecktem Arm, der auf eine kleinere Gruppe Feuerwehrmänner wies, die etwas abseits vom Geschehen einträchtig beieinanderstanden. Fariba trug noch immer eine Schutzmontur, hatte jedoch Helm und Atemschutz bereits abgelegt. Unsere Blicke trafen sich. Sie lächelte kurz und winkte uns zu.
Eine Minute später hatten wir die Straßenkreuzung passiert, die als solche kaum noch zu erkennen war. Auch hier: eine zentimeterdicke Staubschicht, die mit Glassplittern, Asche und Gesteinsbrocken übersät war.
»Jesses … der schöne Benz.«
Ich sah mich um, erkannte nun auch unseren Dienstwagen, der vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, nach einem mehrtägigen Aufenthalt in der Werkstatt wieder fahrtauglich sein würde.
»Sieht echt übel aus, was?«
Ich schaute auf. Meine Kollegin Fariba stand neben mir. Ihr Lächeln war verschwunden - sie wirkte müde, sah besorgt und abgekämpft aus.
»Ja! Der Schlitten könnte mal eine anständige Wäsche vertragen. Ich hab ja gleich gesagt, dass Schwarz ’ne Scheiß-Farbe ist.«
Sarkasmus. Mein Patentrezept gegen das Verzweifeln. Es half nicht immer aber meistens.
Fariba schmunzelte kurz, schaute mich aber gleich darauf, wieder ernst an.
»Geht es dir gut?« Meine Stimme klang besorgter als beabsichtigt.
Fariba nickte knapp, kam dann gleich zur Sache. »Es gibt eine gute und eine schlechte Neuigkeit«, sagte sie. »Welche wollt ihr zuerst hören?«
Lippenschürzen. Nachdenkliche Miene. Petermann überlegte noch, ich war schneller. »Die schlechte zuerst.«
»Okay, dann also die schlechte zuerst«, nickte Fariba, während sie sich eine Locke aus der Stirn wischte, die vorwitzig vor ihrem linken Auge baumelte.
»Das Nordwestzentrum ist nach wie vor für uns tabu. Ich habe gerade mit dem zuständigen Brandmeister telefoniert: Sie kriegen das Feuer einfach nicht unter Kontrolle. Er meinte, dass sich die Löscharbeiten noch den ganzen Tag über hinziehen könnten.«
»Shit!« Damit hatte ich nicht gerechnet. Petermann auch nicht, wie mir seine Reaktion bewies.
Er schob das Kinn trotzig vor und stach mit dem rechten Zeigefinger Luftlöcher in meine Richtung. »Soll das etwa bedeuten, dass er ganz umsonst die letzten drei Stunden in diesem Starbucks-Café herumgesessen hat und mit ansehen musste, wie ein beleibter Kollege, den Namen nennt er hier jetzt natürlich nicht, sich einen Blaubeer-Muffin nach dem anderen einverleibt hat?«
Ich nickte. »Sieht ganz danach aus. Ja.«
»Das ist unproduktives Arbeiten. Und wie jeder hier weiß, hasst er nichts mehr, als ineffizient zu sein. Das ist eine Vergeudung seiner Ressourcen, er hätte in dieser Zeit sicherlich anderen, weit bedeutsameren Hinweisen nachgehen können.«
»Er nun wieder … Sonst hast du keine Probleme oder was?«
Ich sah Bräutigam an, der sich vor ein paar Sekunden zu uns gesellt hatte. Unsere Blicke trafen sich – er schaute schuldbewusst zu Boden.
Kindsköpfe …
»Mir passt das auch nicht«, sagte ich. »Aber es ist eben, wie es ist. Wir müssen jetzt einfach nur das Beste daraus machen.«
»Und ganz so unproduktiv, wie du es gerade darstellst, waren die letzten Stunden doch gar nicht«, warf Bräutigam ein. »Wir haben doch einiges ausgegraben, bei dem es sich lohnen könnte, ein wenig genauer hinzuschauen.«
»Da bin ich bei dir«, sagte ich. »Wir haben interessante Ansätze, die wir auf jeden Fall weiterverfolgen werden.«
Petermann verzog das Gesicht; es sollte wohl ein Grinsen werden, sah aber aus, als litte er unter Zahnschmerzen. »Mag schon sein, dass er eben ein klein wenig übertrieben hat«, lenkte er ein. »Wenn er sich recht entsinnt, sah das ein oder andere eigentlich ganz vielversprechend aus.«
»Hört, hört … Der Superermittler gibt einen Fehler zu.« In Bräutigams Stimme schwang die pure Freude mit.
»Schön.« Fariba lächelte kurz, sprach aber gleich darauf weiter. »Nachdem das jetzt geklärt ist, kann ich ja endlich zu der guten Neuigkeit kommen.«
»Moment noch!« Ich schaute mich um, suchte nach dem toten Attentäter, sah aber außer vier knapp kniehohen Pylonen nichts Auffälliges. Sie bildeten ein Rechteck, das ungefähr zwei auf drei Meter groß war.
»Suchst du was?«
»Ja, den toten Feuerwehrmann. Wo ist der Kerl?«
»Da vorne.« Faribas ausgestreckter Arm deutete auf die Pylonen. »Wir haben ihn mit einer Plane zugedeckt, damit die Jungs von der SpuSi später etwas mit ihm anfangen können.«
»Gut gemacht!« Petermanns Lob kam einem Ritterschlag gleich. Ein anerkennendes Wort aus seinem Mund war eine Seltenheit.
»Weißt du schon, wann die SpuSi hier eintrifft?«, fragte ich.
»Das dauert noch.« Fariba zog bedauernd ihre Schultern hoch. »Erst müssen die Jungs vom Kampfmittelräumdienst ran. Solange der Sprengstoffgürtel noch aktiv ist, darf kein anderer an den Kerl.«
»Shit! Ich hatte wenigstens gehofft, dass wir ihn flüchtig durchsuchen können.«
»Da ist er nicht der Einzige«, pflichtete Petermann mir bei.
»No chance, Jungs. Der Sprengsatz könnte jederzeit hochgehen. Wir wissen nicht, welche Sicherheitsmaßnahmen die Attentäter für einen Fall wie diesen verbaut haben.«
Ich nickte. So sehr es mich auch wurmte: Was Fariba sagte, klang absolut einleuchtend. Leider!
Ich beschloss, einen Haken unter die Sache zu machen und mich nicht weiter darüber zu ärgern. Unsere Sicherheit ging vor. Da gab es nichts zu diskutieren.
»Also gut, dann erzähl uns mal die gute Neuigkeit«, forderte ich meine Kollegin auf. Zur Abwechslung mal was Positives konnte nun wirklich nichts schaden.
»Ich habe ein paar Fotos von dem Toten gemacht und sie zusammen mit seinen Fingerprints und einer DNA-Probe zu Arno geschickt«, sagte Fariba. Sie lächelte vielsagend, hob ihren Zeigefinger zum Zeichen, dass sie jetzt keinen Einwand wollte, und fuhr dann fort. »Ich weiß, was du jetzt sagen willst, Mark. Aber zu meiner Verteidigung: Ich hatte die Bilder bereits gemacht, bevor ich die Anweisung erhielt, den Attentäter auf keinen Fall anzurühren.«
»Kluges Mädchen …« Ein neuerliches Lob. Und schon wieder aus Petermanns Mund. Langsam wurde er mir unheimlich.
»Geschenkt! Hat Arno was über den Kerl herausgefunden?«
Fariba nickte. »Ja! Hat er.«
»Und?«
»Also … Der Kerl heißt tatsächlich so, wie er es uns gegenüber behauptet hat.«
»Grünbeck. Eugen Grünbeck, oder?«
Fariba nickte erneut. »Grünbeck ist, nein, war, dreiundvierzig, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Beides Mädchen. Die eine ist sieben, die andere neun.«
»War er Deutscher?«
»Ja! War er!«
Ich nickte. »Okay, was wissen wir noch über Grünbeck? Was machte er beruflich?«
»Er war Feuerwehrmann, wurde jedoch vor knapp drei Wochen vom Dienst freigestellt.«
»Er war also wirklich Feuerwehrmann. Was hat er getan? Warum wurde er vom Dienst freigestellt?«
Fragen über Fragen. Meine Gedanken glichen einem Bienenschwarm. Ich rief mir Grünbecks letzte Worte in Erinnerung: Er hatte uns gegenüber beteuert, dass er dies tun müsse.
»Unsere Freunde vom Verfassungsschutz haben gegen ihn ermittelt. Er stand bei ihnen wohl unter ständiger Beobachtung.«
Faribas Worte rissen mich zurück in die Wirklichkeit.
»Der Verfassungsschutz? Warum? Was lag gegen ihn vor?«
Meine Kollegin lächelte entschuldigend, bevor sie meine Frage mit einem leichten Achselzucken zu beantworten suchte. »Wie das alles zusammenhängt, weiß ich natürlich auch nicht so genau. Ich kann euch nur sagen, dass Grünbeck wohl unter Generalverdacht stand, ein islamistischer Gefährder zu sein.«
»Grünbeck? Ein Gefährder? Und dann noch mit islamistischen Hintergrund?« Ich war ein wenig irritiert, obwohl Grünbecks Verhalten eigentlich eine deutliche Sprache gesprochen hatte.
Petermann räusperte sich. »Für ihn klingt das jetzt ehrlich gesagt nicht allzu weit hergeholt. Man erinnere sich nur, was er mit uns im Sinn hatte.«
Ich schaute Petermann an, dann wanderte mein Blick wieder zu meiner Kollegin zurück. »Erzähl weiter …«
»Grünbecks Arbeitgeber, die Stadt Frankfurt, hat nach Bekanntwerden der Vorwürfe wohl sofort reagiert und Grünbeck vom Dienst bei der Feuerwehr freigestellt.«
»Heiliges Kanonenrohr.« Bräutigam schüttelte fassungslos den Kopf. »Unter Beobachtung vom Verfassungsschutz. Hat wohl nicht viel gebracht, was?« Sein Blick machte die Runde, indem er sich einmal um sich selbst drehte. »Wo sind die Vollpfosten eigentlich? Die mischen sich doch sonst, auch überall ein.«
Berechtigte Frage. Der gleiche Gedanke war mir vor ein paar Sekunden ebenfalls durch den Kopf geschossen.
»Keine Ahnung, ob die auch da sind. Ich kann euch auch nur das sagen, was mir Arno vorhin am Telefon über diesen Grünbeck erzählt hat. Er meinte aber, er bliebe weiter an der Sache dran. Sobald er was Neues hat, lässt er es uns wissen.«
»Haben wir seine Meldeadresse?«
Fariba nickte erneut. »Ja, haben wir. Arno hat sie mir schon aufs Smartphone geschickt. Grünbeck wohnt in Preungesheim. Laut Einwohnermeldeamt lebt er dort mit seiner Frau und den beiden Kindern zur Miete. Ein Mehrfamilienhaus. Normale Wohngegend. Alles gutbürgerlich und ruhig.«
»Was wissen wir über seine Frau?«
»Nicht viel«, sagte Fariba, während sie ihr kleines Notizbüchlein aufklappte. »Irene Grünbeck. Achtunddreißig, gelernte Erzieherin. Seit der Geburt ihrer ersten Tochter ist sie Hausfrau. Sie ist gebürtige Deutsche. Ihr Führungszeugnis ist sauber. Es liegt nichts gegen sie vor. Ob der Verfassungsschutz auch gegen sie ermittelt hat, konnte mir Arno auf die Schnelle nicht sagen. Er checkt sie aber durch. Wenn es was über sie gibt, findet er es.«
»Klingt beinahe nach einer normalen Familie«, sagte ich. »Wie also bitteschön wird ein deutscher Familienvater, der einen anständigen Beruf ausübt, quasi aus dem Nichts zu einem Terrorristen?«
»Gute Frage, Chef! Wenn es nach mir ginge, würden wir jetzt gleich mal nach Preungesheim rausfahren und der guten Frau so richtig auf den Zahn fühlen. Es kann doch nicht sein, dass eine Ehefrau nicht mitkriegt, wenn ihr Mann sich radikalisiert. Also meine Hannelore würde so was auf der Stelle spitzkriegen. Hundert Pro … da gebe ich euch Brief und Siegel.«
»Da pflichtet er ihm bei. Auch wenn seine Beweggründe selbstredend anderer Natur sind.«
»Wie meinst du das, Sebastian?«
»Nun ja. Er ist in den vergangenen Minuten ein wenig in sich gegangen. Wenn er sich richtig entsinnt, und das tut er, waren Grünbecks letzte Worte ›Ich muss das tun‹. Das lässt nach seinem Dafürhalten doch wohl eher auf eine erzwungene Tat schließen, nicht wahr.«
Schweigen. Jeder von uns dachte über Petermanns Worte nach. Und mir gingen tausend Dinge durch den Kopf. Falls Petermann wirklich richtiglag und Grünbeck aus einem Zwang heraus gehandelt hatte, bestand für seine Familie mit Sicherheit Gefährdungspotenzial.
»Was meint ihr dazu?«, fragte ich. »Für mich klingt Sebastians Gedanke eigentlich ganz plausibel.«
»Für mich auch.« Fariba nickte. »Das würde auch erklären, weshalb er so lange gezögert hat.«
»Ja, das würde es.«
Mein Blick ging zu Bräutigam, forderte auch von ihm eine Antwort ein. »Könnte schon sein«, brummte der nach einer Weile. Überzeugt war er nicht. Musste er ja auch nicht. Unterschiedliche Ansätze waren erwünscht und ein wesentlicher Bestandteil unserer Ermittlungsarbeit.
Ich dachte kurz nach. Grünbecks Frau aufzusuchen, stand auf meiner To-do-Liste ziemlich weit oben. Warum also damit warten? Hier konnten wir im Moment sowieso nichts ausrichten. »Okay, Leute, ich ruf jetzt Peter an. Er soll herkommen und uns abholen. Wir fahren zu Grünbecks Frau nach Preungesheim. Bin gespannt, was uns dort erwartet.«