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2. Kontrolle verlieren a) … über meinen Speicher
ОглавлениеÜber Jahrhunderte hinweg waren Bücher das Symbol für das Wissen der Welt. Wer etwas recherchieren wollte, ging in die Bibliothek und suchte sich durch Register und Mikrofiche-Platten. Wer etwas nicht vergessen wollte, schrieb es in ein Notizbuch. Wer etwas nachschlagen wollte, nahm ein Lexikon zur Hand, ein Wörterbuch oder ein Telefonbuch.
Diese Zeiten sind vorbei. Der gesamte Buchbestand der größten Bibliothek der Welt, der Library of Congress in Washington, wäre einer Schätzung aus dem Jahr 2000 zufolge im digitalisierten (sprich: gescannten) Zustand 208 Terabytes groß.7 Diese Informationsmenge wurde 2014 im Facebook-Netzwerk in anderthalb Stunden erzeugt.8 Doch nicht nur die Datenmenge, die das Internet bereithält, auch die schnelle Verfügbarkeit der Informationen sprechen für die digitalen Dienste. Die Wikipedia als größte Online-Enzyklopädie der Welt, Onlinewörterbücher, Übersetzungsdienste und Fachdatenbanken im Netz – und nicht zuletzt die Kontakt-Apps unserer Smartphones – haben in vielen Bereichen längst Bücher ersetzt.
Doch die sind nicht das einzige Opfer der digitalen Revolution. Die dauernde Verfügbarkeit von Informationen hat auch Teile unseres Gedächtnisses ersetzt.
Die US-Psychologin Betsy Sparrow hat in mehreren Tests belegen können, dass wir uns Informationen nicht mehr merken, wenn wir wissen, wo sie liegen. Das Internet sei zu einem externen Gedächtnis geworden, so Sparrow.9 Wenn wir Aufgaben-Apps nutzen und uns auf die digitale Verfügbarkeit von Terminen, Kontakten oder Vokabeln verlassen, um dann für andere Dinge den Kopf frei zu haben, sollte uns bewusst sein, dass unser Kopf dann tatsächlich frei ist – frei von Inhalten, die wir noch Jahrtausendwende gewusst haben.
Wer Sparrows These in Zweifel zieht, dem sei empfohlen, sich gedanklich in die Vorzeit des Internets zu begeben: Wie viele Telefonnummern konnten wir uns vor 15 oder 20 Jahren merken? Wie viele sind es heute? Aber wir wissen ganz sicher, in welchem Gerät und bei welchem Dienst wir nachschauen müssen, nicht wahr?
Ein anderes Beispiel für den Einfluss der digitalen Welt auf unseren Speicher ist der Gebrauch der Smartphonekamera. Der Branchenverband Bitkom geht für 2017 von weltweit 1,2 Billionen aufgenommenen Digitalfotos aus, von denen 85 Prozent aus Smartphones stammen.10 Jeden Tag werden also 2,8 Mrd. Handyfotos gemacht. Natürlich ist es praktisch, jede schöne oder auch erschreckende Situation jederzeit festhalten zu können.
Doch wie viele – vor allem schöne – Situationen nehmen wir aufmerksam wahr und genießen wir so sehr, dass sie sich in unser Gedächtnis einbrennen, wenn die Kamerataste quasi jederzeit am Anschlag ist?