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Kapitel 1
Die Architekten der Fehlinformation und Irreführung

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Zweifel ist unser Produkt, denn er ist das beste Mittel, um den Stand der Erkenntnisse anzufechten, der im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit existiert. Er ist auch ein gutes Mittel, um eine Kontroverse zu erzeugen.

— Unbenannte Führungskraft beim Tabakunternehmen Brown und Williamson (1969)

Die Ursprünge der fortwährenden Wortge­fechte um die Deutungshoheit in der Klimadebatte liegen in jahrzehntealten Desinformationskampagnen. Sie stammen aus einer Zeit, als wissenschaftliche Erkenntnisse mit den Agenden mächtiger Interessengruppen zu kollidieren begannen. Diese Kampagnen zielten darauf ab, das öffentliche Verständnis der zugrundeliegenden Wissenschaft zu vernebeln und die wissenschaftliche Botschaft zu diskreditieren. Das geschah oft durch Angriffe auf die Überbringer der Nachricht selbst. Die Wissenschaftler, deren Arbeit Probleme aufzuzeigen begann, wurden in den Fokus gerückt. Im Laufe der Jahre entwickelten und verfeinerten PR-Agenturen Taktiken zur Untergrabung von Fakten und wissenschaftlich fundierten Warnungen.

Den Boten aus dem Weg räumen

Unsere Zeitreise führt uns zurück ins späte neunzehnte Jahrhundert, zu Thomas Stockmann, dem angesehenen Badearzt eines florierenden norwegischen Kurorts, der wirtschaftlich stark vom dortigen Kurbad abhängig war. Nachdem Stockmann herausgefunden hatte, dass die Wasserversorgung der Stadt durch Chemikalien aus einer örtlichen Gerberei verunreinigt war, wollte er die Bevölkerung vor der Bedrohung warnen, jedoch wurden seine Bemühungen durchkreuzt. Zunächst weigerte sich die Lokalzeitung, einen Artikel zu veröffentlichen, in dem er über seine Erkenntnisse berichtet hatte. Anschließend wurde er beschimpft und niedergemacht, als er versuchte, seine Ergebnisse in einer öffentlichen Versammlung bekannt zu geben. Stockmann und seine Familie wurden wie Ausgestoßene behandelt, und seine Tochter wurde von der Schule verwiesen. Stadtbewohner bewarfen sein Haus mit Steinen, bis alle Fenster zerstört waren und seine Familie in Angst und Schrecken versetzt war. Die Familie zog in Erwägung wegzuziehen. Sie beschloss dann jedoch zu bleiben, in der vergeblichen Hoffnung, dass die Kleinstädter Stockmanns düstere Warnungen letztendlich akzeptieren und sogar zu schätzen wissen würden.

Das ist die Handlung von Henrik Ibsens Schauspiel namens Ein Volksfeind aus dem Jahr 1882. Das Stück wurde 1978 unter dem Titel Ein Feind des Volkes verfilmt, mit Steve McQueen in der Hauptrolle – einer seiner letzten Rollen und vielleicht seine beste. Die Geschichte ist fiktiv, aber sie schildert einen Konflikt, der dem Publikum im späten neunzehnten Jahrhundert bekannt gewesen sein dürfte. Die unheimliche Vorahnung dieser Erzählung auf die jüngere Vergangenheit, als ein wissenschaftsfeindlicher Präsident die Medien als »Feind des amerikanischen Volkes« abtat und konservative Politiker es wissentlich zuließen, dass eine ganze Stadt durch eine bleivergiftete Wasserversorgung gefährdet wurde, ist so manchen Beobachtern nicht entgangen.1 Ein Volksfeind ist eine mahnende Fabel und ein Paradebeispiel für den Konflikt zwischen Wissenschaft und Industrie- oder Unternehmensinteressen. Und sie dient als treffende Metapher für die Klimapropagandaschlachten, die ein Jahrhundert später stattfinden.

Doch lassen Sie uns zunächst noch einen Blick in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts werfen, wo wir der ersten Desinformationskampagne der modernen Industrie begegnen. Diese Kampagne wurde von führenden Vertretern der Tabakindustrie in ihrem Bemühen orchestriert, Beweise für die süchtig machende und tödliche Natur ihres Produkts zu verschleiern. »Zweifel ist unser Produkt«, räumte 1969 ein leitender Mitarbeiter des Tabakunternehmens »Brown and Williamson« ein.2 Das Memorandum mit diesem Eingeständnis wurde später im Rahmen eines kolossalen gerichtlichen Vergleichsverfahrens zwischen der Tabakindustrie und der US-Regierung veröffentlicht. Dieses Dokument und weitere interne Belege zeigten, dass firmeneigene Wissenschaftler die Gesundheitsrisiken des Rauchens bereits in den 1950er Jahren diagnostiziert hatten. Anstatt diese Gefahren offenzulegen, entschieden sich die Unternehmen jedoch für eine aufwändige Kampagne, um die Risiken vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Die Tabakindustrie stellte sogar Experten ein, um die Arbeit anderer Forscher zu diskreditieren, die zu denselben Schlussfolgerungen gelangt waren. Der einflussreichste unter ihnen war Frederick Seitz, ein Festkörperphysiker, ehemaliger Leiter der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften und Träger der prestigeträchtigen »Presidential Medal of Science«. Diese beeindruckenden Qualifikationen machten ihn für die Tabakindustrie besonders wertvoll. Der Tabakriese R.J. Reynolds heuerte Seitz schließlich an und zahlte ihm sage und schreibe eine halbe Million Dollar, um sein wissenschaftliches Ansehen für Angriffe auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Wissenschaftler einzusetzen, die Tabak mit Gesundheitsrisiken in Verbindung brachten.3 Seitz war der erste der käuflichen Wissenschaftsleugner. Viele weitere sollten folgen.

In den 1960er Jahren machten sich Pestizidhersteller das Strategiebuch der Tabakindustrie zu eigen, nachdem Rachel Carson die Öffentlichkeit vor der von Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) für die Umwelt ausgehenden Gefahr gewarnt hatte. Ihr 1962 erschienenes Buch Silent Spring (Der stumme Frühling), ist ein Klassiker, er läutete die moderne Umweltbewegung ein.4 Carson beschrieb da­rin, wie DDT die Populationen von Weißkopfseeadlern und anderen Vögeln dezimierte, indem es die Bildung robuster Eierschalen behinderte. Die Eier zerbrachen während der Brut oder starben ab. Das Pestizid reicherte sich in Nahrungsketten, Böden und Flüssen an und stellte eine immer größere Bedrohung für die Tierwelt und letztlich auch für den Menschen dar. In den USA wurde DDT schließlich verboten, allerdings erst 1972.

Für ihre Bemühungen wurde Carson von den entsprechenden Industrieverbänden mit einer umfassenden Rufmordkampagne »belohnt«. Sie wurde als »radikal«, »kommunistisch« und »hysterisch« angeprangert. Das Ganze wurde mit all den bekannten frauenfeindlichen Konnotationen unterlegt, aber wie wir später sehen werden, gehen Misogynie und Rassismus mit der Leugnung des Klimawandels oft Hand und Hand. Der Firmenchef von Monsanto, dem größten DDT-Produzenten, bezeichnete sie damals als »fanatische Verteidigerin des Kults um das Naturgleichgewicht«.5 Teilweise wurde sie sogar als Massenmörderin tituliert.6 Auch heute noch diffamiert eine als Competitive Enterprise Institute (CEI) bekannte Industrielobbygruppe die längst verstorbene Wissenschaftlerin durch die Behauptung, dass »Millionen von Menschen auf der ganzen Welt unter den schmerzhaften und oft tödlichen Auswirkungen der Malaria leiden, weil eine Person namens Rachel Carson falschen Alarm schlug«.7 Dabei unterschlagen Carsons posthume Angreifer, dass sie gar kein Verbot von DDT, sondern lediglich ein Ende seines wahllosen Einsatzes forderte. Letztendlich wurde DDT nicht wegen der Umweltschäden, die Carson aufgedeckt hatte, abgeschafft, sondern weil seine Wirksamkeit allmählich zurückging, da die Moskitos resistent wurden. Ironischerweise hatte Carson genau davor gewarnt.8 Hier haben wir also ein frühes Beispiel dafür, wie sich die kurzsichtigen Praktiken profitgieriger Konzerne, die auf kurzfristige Gewinnmaximierung aus sind, oft als selbstzerstörerisch erweisen.

Glaubwürdigkeit und Integrität sind das A und O von Wissenschaftlern und ihr höchstes Gut, denn sie ermöglichen es ihnen, der Öffentlichkeit als vertrauenswürdige Gesprächspartner zu dienen. Deshalb nahmen die Kräfte der Leugnung Carson auch direkt ins Visier und warfen ihr allerlei wissenschaftliche Verfehlungen vor. Als Reaktion auf die Kontroverse berief Präsident John F. Kennedy sogar einen Ausschuss ein, um Carsons Aussagen überprüfen zu lassen. Der Ausschuss veröffentlichte seinen Bericht im Mai 1963 und entlastete sie und ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse.9 Wissenschaftsleugner lassen sich jedoch nicht durch lästige Fakten abschrecken, und so gehen die Angriffe auch heute noch weiter. Man beachte einen Artikel von Henry I. Miller und Gregory Conko, der 2012 in der konservativen Zeitschrift Forbes unter dem Titel »Rachel Carson’s Deadly Fantasies« (Rachel Carsons tödliche Fantasien) erschien. Miller und Conko sind Mitglieder des bereits erwähnten Competitive Enterprise Institute. Miller ist außerdem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats einer als George C. Marshall Institute (GMI) bekannten Lobbyorganisation und – wenig überraschend – ein Advokat der Tabakindustrie.10 In dem Artikel warfen sie Carson grobe Falschdarstellungen, Stümperei und ausgemachtes akademisches Fehlverhalten vor, obwohl ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse durch jahrzehntelange Forschung weitestgehend bestätigt wurden.11 So manche Vogelpopulation ist zwar weiterhin durch Pestizide gefährdet, aber wir können uns inzwischen wieder klangvollerer Frühlinge erfreuen. Dafür sind wir Rachel Carson zu großem Dank verpflichtet.12

Durch die Arbeit von Carson und anderen Wissenschaftlern, die die Auswirkungen von Industriegiften auf Mensch und Umwelt untersuchten, entstand in den 1970er Jahren ein Bewusstsein für weitere Bedrohungen. So wurde beispielsweise die durch die Kraftstoff- und Farbenindustrie verursachte Bleibelastung unter die Lupe genommen. Deshalb »Bühne frei« für Herbert Needleman, dessen Schicksal auf verstörende Weise an Thomas Stockmanns aus Ibsens Schauspiel erinnert: Needleman war Professor und Forscher an der medizinischen Fakultät der Universität von Pittsburgh. Seine Forschungsarbeiten wiesen auf einen Zusammenhang zwischen der Bleibelastung in der Umwelt und der Entwicklung des Gehirns im Kindesalter hin. Vertreter der Bleiindustrie versuchten daraufhin, Prof. Needleman und seine Untersuchungen zu diskreditieren, indem sie eine Rufmordkampagne starteten, die unbegründete Anschuldigungen wegen angeblicher wissenschaftlicher Verfehlungen enthielt.13 Needleman wurde entlastet, und zwar gleich zweimal. Die erste Entlastung war das Ergebnis einer gründlichen Untersuchung durch die National Institutes of Health (Nationale Gesundheitsinstitute). In einer Art wissenschaftlichem Äquivalent zur doppelten Strafverfolgung leitete Prof. Needlemans eigene Universität ebenfalls eine Untersuchung ein, während der ihm Zugang zu seinen Akten verwehrt wurde. Es gab keinerlei Anzeichen von Fehlverhalten. Im Gegenteil: seine Forschungen zum Nachweis von chronischer Bleiexposition, die in den vergangenen Jahrzehnten durch zahlreiche unabhängige Studien validiert wurden, haben wahrscheinlich Tausende von Leben gerettet und Hirnschäden bei Tausenden weiteren Menschen verhindert.14 Ist er ein Volksfeind? Wohl kaum!

Globalisierung des Leugnens

In den 1970er und 1980er Jahren wurden zum ersten Mal globale Umweltbedrohungen wie saurer Regen und Ozonabbau beobachtet. Industriekonzerne, die ihre Gewinne durch Umweltvorschriften in Gefahr sahen, begannen damit, wissenschaftliche Untersuchungen und die Wissenschaftler selbst, die diese Bedrohungen aufzeigten, anzugreifen.

Frederick Seitz, dem Urvater des Leugnertums, der von der Tabakindustrie in deren Kampf gegen die Wissenschaft angeheuert worden war, wurden von Seiten der Industrie Mitte der 1980er Jahre umfangreiche Finanzmittel zur Gründung des George C. Marshall Institute zur Verfügung gestellt.15 Als Partner rekrutierte Seitz den Astrophysiker Robert Jastrow, Gründer des ehrwürdigen NASA Goddard Insti­tute for Space Studies, und den Ozeanographen William Nierenberg, ehemaliger Direktor der angesehenen Scripps Institution for Oceanography in La Jolla, Kalifornien. Wie Naomi Oreskes und Erik M. Conway in ihrem 2010 erschienenen Buch Merchants of Doubt (Die Machiavellis der Wissenschaft) feststellten, könnte man diese drei als Fundamentalisten der freien Marktwirtschaft bezeichnen. Keiner von ihnen hatte eine Ausbildung in Umweltwissenschaften. Was sie jedoch besaßen, war ein ideologisches Misstrauen gegenüber jeglichen Bestrebungen, die ihrer Meinung nach die Freiheit von Einzelnen oder Unternehmen einschränkten. Von daher ließen sie sich bereitwillig für regulierungsfeindliche Einzelinteressen einspannen.16 Mit ähnlicher Taktik, die Seitz zehn Jahre zuvor im Dienst der Tabakindustrie eingesetzt hatte, säte das GMI-Team Zweifel in den Bereichen der Wissenschaft, die sich für die mächtigen Interessen, die sie vertraten, als bedrohlich erwiesen.

Eines dieser wissenschaftlichen Themen war der saure Regen, ein Phänomen, mit dem ich aus meiner Kindheit in den 1970er Jahren in Neuengland bestens vertraut bin. Damals wurden Seen, Flüsse, Bäche und Wälder im gesamten östlichen Nordamerika durch zunehmend saure Regenfälle stark in Mitleidenschaft gezogen. Ein Wissenschaftler namens Gene Likens und andere Kollegen kamen dem Problem auf die Spur: Es waren Kohlekraftwerke im Mittleren Westen der USA, die die Umwelt mit Schwefeldioxid verschmutzen. Likens würde später zum Nachhaltigkeitsbeauftragten der Universität von Connecticut ernannt.

Im April 2017 hielt ich einen Vortrag an der Universität von Connecticut, bei dem ich über eigene Erfahrungen im Fadenkreuz der Klimawandelleugner berichtete. Beim Abendessen im Anschluss an den Vortrag saß Likens neben mir. Wir kamen ins Gespräch und er berichtete von verblüffend ähnlichen Erfahrungen: fiese Briefe und Beschwerden an seine Vorgesetzten, feindselige Aufnahme durch konservative Politiker und Angriffe von durch die Industrie finanzierten Helfershelfern und Politikern, die versuchten, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diskreditieren. Vor ein paar Jahren drückte Likens es in einem Interview so aus: »Es war schlimm. Es war wirklich scheußlich. Man hatte quasi Auftragskiller auf mich angesetzt.«

Likens bezog sich auf einen Branchenverband der Kohleindustrie namens »Edison Electric Institute«, der fast eine halbe Million Dollar als Belohnung dafür ausgeschrieben hatte, ihn in Verruf zu bringen.17 William Nierenberg, das bereits erwähnte Mitglied des GMI-Trios, nahm diese Herausforderung an, als Ronald Reagan ihn zum Vorsitzenden eines Gremiums zur Untersuchung des sauren Regens ernannte. Die Fakten erwiesen sich jedoch als hartnäckig, und die Schlussfolgerungen des Gremiums, die 1984 in einem Bericht veröffentlicht wurden, bestätigten weitgehend die Erkenntnisse von Likens und anderen wissenschaftlichen Experten. Aber in einem Anhang, der von einem konträren Wissenschaftler namens S. Fred Singer verfasst worden war, war eine Passage versteckt, die nahelegte, dass die Sachlage nicht eindeutig genug war, um Emissionskontrollen einzuführen. Diese Passage genügte der Reagan-Regierung als Rechtfertigung für ihre Politik der Untätigkeit.18

Zum Glück setzten sich die Kräfte der Leugnung und Untätigkeit letztendlich nicht durch. Die amerikanische Öffentlichkeit erkannte das Problem und forderte Maßnahmen, die Politiker reagierten schließlich. Genau so soll es in einer repräsentativen Demokratie funktionieren. George H.W. Bush, wohlgemerkt ein republikanischer Präsident, unterzeichnete 1990 den Clean Air Act (Luftreinhalteverordnung), der die Betreiber von Kohlekraftwerken dazu verpflichtete, Schwefel aus dem Rauchgas abzuscheiden, bevor er aus den Schornsteinen austrat. Er führte sogar einen als »Cap and Trade« bekannten marktbasierten Emissionshandel mit festen Obergrenzen ein. Ironischerweise wird das Cap-and-Trade-Prinzip heute von den meisten Republikanern angeprangert. Die Idee für das Prinzip geht auf William K. Reilly zurück, der unter George H.W. Bush Leiter der Umweltschutzbehörde (EPA) war. Reilly ist ein moderner Umweltheld, und ich bin stolz darauf, ihn zu kennen und meinen Freund nennen zu dürfen.

Meine Familie macht häufig Urlaub am Big Moose Lake in den westlichen Adirondacks (Gebirge im nordöstlichen Teil des US-Bundesstaates New York). Die Familie meiner Frau geht bereits seit siebzig Jahren dorthin. Ihre Eltern erinnern sich an die 1970er Jahre, als der See so säurehaltig war, dass man buchstäblich nicht duschen musste: Ein Sprung in den See, und schon war man sauber. Das Wasser war kristallklar, jedoch leblos. Inzwischen ist die Tierwelt zurückgekehrt und wir können sie sehen und hören, wenn wir dort sind: Insekten, Fische, Frösche, Enten, Schildkröten – und die eindringlichen Rufe der Seetaucher. Manchmal sieht man kleine Teams von Wissenschaftlern in Booten, die Wasserproben sammeln und untersuchen. Die betroffenen Ökosysteme haben sich noch immer nicht vollständig erholt, da Umweltverschmutzung die Nahrungsketten, Waldökosysteme und die Wasser- und Bodenchemie so stören kann, dass die Schäden noch Jahrzehnte oder Jahrhunderte andauern, selbst wenn die Schadstoffe gar nicht mehr vorhanden sind. Aber dank – ich traue mich es einmal so zu sagen – marktbasierter Mechanismen zur Lösung eines Umweltproblems, sind die Adirondack Mountains auf dem Weg der Besserung.

In den 1980er Jahren erkannten Wissenschaftler, dass Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs), die damals in Sprühdosen und Kühlschränken verwendet wurden, für das wachsende Ozonloch in der unteren Stratosphäre verantwortlich waren. Die Ozonschicht schützt uns vor der schädlichen, energiereichen ultravioletten Sonnenstrahlung. Die Erosion dieser Schicht brachte ein häufigeres Auftreten von Hautkrebs und anderen gesundheitsschädlichen Auswirkungen in der südlichen Hemisphäre mit sich. Mein Freund Bill Brune, der ehemalige Leiter der Abteilung für Meteorologie an der Staatlichen Universität von Pennsylvania (Penn State University), war einer der ersten Wissenschaftler, die die relevante atmosphärische Chemie erforschten. Er schrieb: »Einige der Wissenschaftler, die diese bahnbrechende Forschung durchführten, haben beschlossen, sich für Maßnahmen zur Minderung der durch einen Abbau der Ozonschicht verursachten Schäden einzusetzen. Diese Wissenschaftler waren heftiger Kritik ausgesetzt.«19 Jene Kritik nahm, wie Bill feststellte, unterschiedlichste Formen an: »Hersteller und Anwender von FCKWs und ihre Regierungsvertreter initiierten Öffentlichkeitskampagnen, die nicht erhellen, sondern verschleiern sollten. Das Ziel war, die Hypothese und die wissenschaftlichen Indizien in Zweifel zu ziehen und Gesetzgeber und Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Ergebnisse nicht zuverlässig genug waren, um darauf zu reagieren.« Bill weiter: »Wenn ihre Ansichten nicht mehr haltbar waren oder sich ihre eigenen Arbeiten als falsch erwiesen oder zur Veröffentlichung abgelehnt wurden, änderten diese konträren Wissenschaftler, Regierungsvertreter und Industriesprecher ihre Taktik, um den gesamten Peer-Review-Prozess (wissenschaftliche Begutachtung) zu verunglimpfen.« Unter diesen umstrittenen Wissenschaftlern war just jener S. Fred Singer, dem wir im Zusammenhang mit der Leugnung des sauren Regens bereits begegnet waren. Merken Sie sich diesen Namen – wir werden später auf ihn zurückkommen.

Ungeachtet der Neinsager unterzeichneten 1987 insgesamt 46 Länder – darunter die Vereinigten Staaten unter Reagan – das Montrealer Protokoll, das die Herstellung von FCKW verbietet. Seither ist das Ozonloch auf das geringste Ausmaß seit Jahrzehnten geschrumpft. Umweltpolitik funktioniert also. Aber sowohl beim sauren Regen als auch beim Ozonabbau kamen politische Lösungen nur aufgrund des unerbittlichen Drucks zustande, den die Bürger auf die politischen Entscheidungsträger ausübten, in Verbindung mit anhaltender parteiübergreifender Unterstützung durch redliche Politiker, die sich für systemische Lösungen bei Umweltbedrohungen einsetzen. Dieser Art von Redlichkeit geriet mit der Trump-Regierung ins Hintertreffen. Trump berief nach seiner Wahl viele Personen in wichtige Positionen, die nicht nur die Realität und Bedrohung des Klimawandels leugneten, sondern bereits vor Jahrzehnten eine entscheidende Rolle bei den von der Industrie geführten Bemühungen gespielt hatten, sowohl den Ozonabbau als auch den sauren Regen zu leugnen. Sie könnten auch als Allzweckleugner bezeichnet werden, die man anheuern kann.20

Man könnte sie auch als spirituelle Nachfolger des George-C.-Marshall-Instituts bezeichnen, jener wissenschaftsleugnenden Ideenschmiede von Frederick Seitz, die Ende der 1980er Jahre weitgehend auf Umweltfragen ausgerichtet war. Aber es war weder der saure Regen noch der Ozonabbau, die zur Gründung des Instituts geführt hatten. Es war vielmehr eine Bedrohung, die wissenschaftliche Erkenntnisse für eine ganz andere Interessengruppe, nämlich den militärisch-industriellen Komplex, darstellten. Während der Spätphase des Kalten Krieges profitierten führende Rüstungsunternehmen wie Lockheed-Martin und Northrop Grumman von dem eskalierenden Wettrüsten zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Sie profitierten insbesondere von Reagans Vorschlag einer strategischen Verteidigungsinitiative, auch bekannt als Star Wars, einem antiballistischen Raketenprogramm, das Atomraketen im Weltraum abschießen sollte. Ihnen stand jedoch ein Wissenschaftler im Weg.

Wissenschaftler als Kämpfer

Carl Sagan lehrte als Stiftungsprofessor für Astronomie und Weltraumwissenschaften und war Direktor des Laboratory for Planetary Studies an der renommierten Cornell University. Er war ein angesehener, kompetenter Forscher mit einer beeindruckenden Erfolgsbilanz in der Geo- und Planetenwissenschaft. Sagan leistete bahnbrechende Arbeit über das »Faint Young Sun Paradox« (Paradoxon der schwachen jungen Sonne), der überraschenden Tatsache, dass die Erde vor mehr als drei Milliarden Jahren bewohnbar war, obwohl die Sonne damals um 30 Prozent weniger leuchtete. Die Erklärung, so erkannte Sagan, muss ein stärkerer Treibhauseffekt gewesen sein. Diese Arbeit ist so grundlegend, dass sie das erste Kapitel des Lehrbuchs darstellt, mit dem ich Studierende im ersten Semester an der Penn State über Erdgeschichte unterrichtet habe.21

Sagan war jedoch weit mehr als ein Wissenschaftler. Er war ein kulturelles Phänomen. Er hatte eine unübertroffene Fähigkeit, die Öffentlichkeit mit der Wissenschaft in Kontakt zu bringen. Er verstand es nicht nur, Normalbürgern Zusammenhänge zu erklären, er konnte Menschen auch dafür begeistern. Ich kann mich persönlich dazu äußern, denn es war Carl Sagan, der mich zu meiner wissenschaftlichen Karriere inspirierte.

Ich hatte schon immer eine gewisse Begabung für Mathematik und Naturwissenschaften, aber es war sozusagen ein Weg des geringsten Widerstands, keine Leidenschaft. Dann feierte Sagans beliebte Fernsehserie Cosmos Premiere, gerade zu Beginn meines ersten Studienjahres an der High-School. Sagan zeigte mir die Magie der wissenschaftlichen Forschung. Er enthüllte einen Kosmos, der wundersamer war, als ich es mir hätte vorstellen können. Er zeigte die Kostbarkeit unseres Platzes in diesem Kosmos – als einfache Bewohner eines winzigen blauen Punktes, der von den äußeren Bereichen unseres Sonnensystems kaum wahrnehmbar ist. Und erst die Fragen! Wie hat sich Leben gebildet? Gibt es da draußen noch mehr davon? Gibt es andere intelligente Zivilisationen? Warum haben sie uns noch nicht kontaktiert? Ich dachte lange über diese und viele andere Fragen nach, die Sagan in der monumentalen dreizehnteiligen Serie aufgeworfen hatte. Sagan machte mir klar, dass es möglich ist, ein Leben lang seiner wissenschaftlichen Neugier nachzugehen, indem man solch fundamentale existentielle Fragen stellt und beantwortet.

Leider hatte ich nie die Gelegenheit, meinen Helden persönlich kennenzulernen. Ich schloss mein Doktorat in Geologie und Geophysik 1996 ab, im selben Jahr, in dem Sagan verstarb. Da ich auf dem gleichen Gebiet wie Sagan tätig bin, hätte ich ihn mit ziemlicher Sicherheit auf Tagungen oder Konferenzen getroffen, wenn ich ein paar Jahre früher in den Beruf eingestiegen wäre. Aber ich hatte das Vergnügen, ihn durch seine Schriften kennen zu lernen, und durfte einige Menschen treffen, die ihn gut kannten. Dazu gehört auch seine Tochter Sasha, eine Schriftstellerin, die das Werk ihres Vaters fortsetzt, uns mit Gedanken über den Kosmos und unseren Platz im Kosmos zu inspi­rieren.22

Sagan war eine so überzeugende und charismatische Persönlichkeit, dass er schnell zur Stimme der Wissenschaft für die Nation wurde. In Johnny Carsons Tonight Show (sehr erfolgreiche Late-Night-Show im US-Fernsehen) zog er Zuschauer in den gesamten Vereinigten Staaten mit seinen Beobachtungen, Einsichten und oft amüsanten Anekdoten in seinen Bann. Damit machte er Carsons früherem Wissenschafts­experten den Garaus – keinem geringeren als Astrophysiker Robert Jastrow, den bereits erwähnten GMI-Mitbegründer.23 Womit wir wieder beim Hauptanliegen unserer Geschichte angelangt sind.

Carl Sagan wurde in den 1980er Jahren zunehmend politischer, als er die wachsende Bedrohung durch die atomare Aufrüstung erkannte. Er nutzte seine öffentliche Bekanntheit, seine Medienkompetenz und seine unübertroffene Kommunikationsfähigkeit, um das Bewusstsein für die existenzielle Bedrohung durch einen globalen thermonuklearen Krieg zu schärfen. Sagan erklärte der Öffentlichkeit, dass die Bedrohung weit über den unmittelbaren Tod und die Zerstörung oder die daraus resultierende nukleare Strahlung hinausging. Die Detonation nuklearer Sprengköpfe während eines solchen Krieges, argumentierten Sagan und seine Kollegen in der wissenschaftlichen Literatur, könnte genug Staub und Trümmer produzieren, um durch Blockierung des Sonnenlichts eine Abkühlung und folglich einen Zustand ewigen Winters oder, wie sie es nannten, »nuklearen Winters« herbeizuführen.24

Oder anders ausgedrückt, die Menschheit könnte das gleiche Schicksal erleiden wie die Dinosaurier nach einem massiven Asteroideneinschlag: ein sonnenlichtblockierender Staubsturm, der ihre Vorherrschaft vor 65 Millionen Jahren beendete. Sagan trug durch seine verschiedenen Interviews und einem Artikel für die weit verbreitete Sonntagszeitungsbeilage Parade zum öffentlichen Verständnis dieses Szenarios bei.

Sagan befürchtete, dass Reagans strategische Verteidigungsinitiative (SDI), die von vielen Falken des Kalten Krieges (Vertreter eines harten politischen Kurses gegen den sogenannten Ostblock) und Rüstungsunternehmen unterstützt wurde, zu einer Eskalation der Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion und zu einer gefährlichen Anhäufung von Atomwaffen führen würde, was wiederum auf das Szenario des nuklearen Winters hinauslaufen könnte, dass er so sehr fürchtete. Aber, wie Oreskes und Conway in Merchants of Doubt bereits anmerkten, sahen die Physiker des Kalten Krieges bei GMI diese legitimen Bedenken bezüglich der SDI als Panikmache von mit der Sowjetunion sympathisierenden Friedensaktivisten an.25 In ihren Augen war schon das bloße Gedankengut eines nuklearen Winters eine Bedrohung für unsere Sicherheit. In Zusammenarbeit mit konservativen Politikern und industriellen Einzelinteressen versuchte das GMI-Trio, die besorgniserregenden Argumente zu diskreditieren, indem es die zugrundeliegende Wissenschaft attackierte. Dabei schreckten sie auch nicht vor Versuchen zurück, Carl Sagan persönlich in Verruf zu bringen. Die Angriffe fanden im Rahmen von Briefings an den Kongress und in den etablierten Zeitungen statt, wo sie Artikel veröffentlichten, um die Ergebnisse von Sagan und seinen Kollegen zu untergraben. Diese Kampagne beinhaltete sogar die Einschüchterung öffentlicher Fernsehsender, die eine Sendung über den nuklearen Winter in Erwägung zogen.26

Interessanterweise ist Sagans Anti-SDI-Kampagne höchst relevant für das zentrale Thema dieses Buches, denn die Simulationen zum nuklearen Winter, die Sagan und seine Kollegen durchführten, basierten auf globalen Klimamodellen der ersten Generation. Wenn man also der Wissenschaft des nuklearen Winters nicht zugeneigt war, würde man von der Wissenschaft des Klimawandels umso weniger angetan sein, die dieselben mächtigen umweltverschmutzenden Interessen anprangerte, die Organisationen wie GMI verteidigten. Mit dem Ende des Kalten Krieges gegen Ende der 1980er Jahre brauchten die GMI-Leute ein anderes Thema, auf das sie sich konzentrieren konnten, wie Oreskes und Conway feststellten. Mit saurem Regen und Ozonabbau waren sie noch bis Anfang der 1990er Jahre beschäftigt. Aber als diese Themen aus dem Blickfeld verschwanden, was zum großen Teil daran lag, dass, wie bereits erwähnt, schließlich sogar Republikaner Gegenmaßnahmen unterstützten, benötigten die GMI-Leute und ihre Gesinnungsgenossen ein weiteres wissenschaftliches Schreckgespenst, um ihre Existenz zu rechtfertigen. Der Klimawandel passte hervorragend ins Bild.

Propagandaschlacht ums Klima (Telepolis)

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