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Kapitel 3 Die Patrouille der Einhorn-Reiter

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Der Gebirgszug von Norkam erstreckte sich nordöstlich der Provinz Endan und bildete die dortige Grenze des Imperiums. Die Eisbedeckten Gipfel stiegen Kilometerhoch auf, dazwischen hatten sich steile Grate mit schroffen Felsvorsprüngen gebildet. Die Erosion ließ immer wieder Steine aus den Wänden brechen, die andere mit sich rissen und als tödliche Lawinen in die Tiefe glitten. Gewitter von verheerender Gewalt entstanden scheinbar aus dem Nichts und wichen ebenso rasch strahlendblauem Himmel. Nur wenige größere Tiere fanden hier eine Heimat. Es war die Domäne der kleinen Nagetiere, Schlangen und Raubvögel.

Es war eine natürliche und nahezu unpassierbare Grenze. Kein zweibeiniges Wesen war in der Lage, sie zu überschreiten, wenn man von den wenigen Stellen absah, an denen Pfade durch das Gebirge führten. Selbst diese waren mühselig und gefährlich. Sie wanden sich, dem Verlauf der Berge folgend, an den Felsen entlang, und führten gelegentlich über den Grund eines der winzigen Gebirgstäler. Einzelne Menschen oder Walven vermochten sie zu nutzen, vielleicht sogar eine kleine Truppe, aber keine Armee von Bedeutung konnte sie überqueren. Im Norkamgebirge existierte nur eine einzige Stelle, an der das möglich war. Der Pass von Norkam, der von der gleichnamigen Festung und ihrer Besatzung bewacht wurde.

Norkam-Reet war eine der typischen Grenzfestungen des Imperiums. Letzter Außenposten menschlicher Zivilisation und erstes Bollwerk zu ihrem Schutz. Gebaut aus dem Material, dass in ihrem Umfeld so reichlich vorhanden war, ragte das Reet aus grauem Felsgestein auf. Die Quadern waren aufwendig bearbeitet, sodass die Festungsmauer fast fugenlos aufragte. In acht Metern Höhe, noch ein Stück unterhalb der Wallkrone, waren stählerne Stützen und Streben in das Mauerwerk eingelassen. Eine Verteidigungseinrichtung, deren Konstruktion es der Festungsbesatzung ermöglichte, das Anstellen von Sturmleitern zu verhindern oder sie, wenn man die Streben bewegte, umzustürzen. Die Zinnen auf dem Wall ragten hoch auf und waren breit, die Schießscharten schmal und konisch geformt, um den Verteidigern ein Maximum an Schutz und Schusswinkel zu gewähren.

Fünf Männer konnten bequem hintereinander auf der Mauerkrone stehen und dort kämpfen. Die Mauer bestand aus drei Lagen. Vorderseite und Rückseite aus Felsquadern, dazwischen eine Füllung aus Sand. Die Erfahrung hatte die Festungsbauer des Imperiums gelehrt, dass dies den Aufprallschock eines Geschosses dämpfte und die Mauer dadurch besser standhielt.

Die freie Fläche des Innenraums von Norkam-Reet war verhältnismäßig klein, denn sie wurde zum größten Teil durch das quadratische Gebäude des Festungsturms eingenommen. In der Form ähnelte er einer Scheibe mit einer gewaltigen Kerze in der Mitte. Im unteren Segment waren die Unterkünfte und Ställe untergebracht, Vorräte und Brunnen in dem mächtigen Aufbau des Turms. Schießscharten zogen sich um das Rund und oben, auf der Plattform, war ein Signalfeuer vorbereitet, um im Falle eines Angriffes die Provinz zu warnen.

Ein steter Wind wehte aus Nordost, mal stärker, mal schwächer und hatte dafür gesorgt, dass diese Seite von Norkam-Reet mit Moosen bewachsen war. Die Besatzung mochte diesen Wind und fürchtete ihn zugleich. Im Sommer brachte er Linderung und im Winter eisige Kälte. Doch vor allem warnte er die Besatzung vor drohender Gefahr, denn wenn der Luftstrom den scharfen Geruch der Walven zu ihnen trug, waren die Bestien noch weit genug entfernt, um sich auf die Verteidigung vorbereiten zu können.

Norkam-Reet sperrte den gleichnamigen Pass, und von der Anlage aus hatte man einen guten Überblick auf einen Teil des Weges und die Provinz Endan.

Die Besatzung der Festung war relativ klein und bestand lediglich aus fünf Schwadronen. Vier gehörten zu den Fußtruppen des Imperiums. Sie waren mit Schwertern, Lanzen und Armbrüsten bewaffnet. Die letzte Schwadron bestand aus Lanzenreitern. Reiter des berühmten siebenten Regiments, welches sich einst unter dem Imperator einen Namen gemacht, und seitdem seinen Ruhm noch gemehrt hatte. Die 7ten Lanzer gehörten zu den wenigen Einheiten, die noch mit Einhörnern beritten waren. Zwar keine wild aufgewachsenen Tiere, sondern solche aus der Zucht des Kaisers, aber sie hatten einige von den mentalen Fähigkeiten ihrer wilden Vorfahren geerbt und einen guten Teil deren Temperaments.

Einst hatte es große Herden der Einhörner gegeben, die in Körperbau und Größe den Pferden glichen. Die Einhörner waren von reinem Weiß oder hellstem Grau und trugen an der Knochenplatte ihrer Stirn ein knapp ein Meter langes, gedrehtes Horn, welches sie, wie eine Lanze, im Kampf einsetzten. Sie ließen sich weder leicht einfangen, noch bereitwillig zähmen. Wer eines von ihnen reiten wollte, musste eine enge mentale Bindung mit ihm akzeptieren. Ein wesentlicher Teil der Ausbildung eines Lanzenreiters bestand darin, diese Beziehung mit seinem vierbeinigen Gefährten zu entwickeln. Es gelang nicht immer und der Lanzer, welcher scheiterte, musste mit einem gewöhnlichen Pferd vorlieb nehmen und einem jener Regimenter beitreten, die keine Einhörner ritten.

In den vergangenen Jahrhunderten hatte die Anzahl der freien Einhörner stetig abgenommen. Es gab nur noch kleine Gruppen von ihnen. Vielleicht paarten die edlen Tiere sich aus diesem Grunde auch mit den Stuten normaler Pferde, obwohl es nie gelang, eine gemischte Schwadron mit beiden Reittieren zu bilden.

Die 7ten Lanzer waren ein Eliteregiment und ritten ausschließlich von Einhörnern abstammende Tiere. Der enge Verbund von Reiter und Einhorn machte die Truppe besonders schlagkräftig, aber in anderer Hinsicht verwundbar. Der Tod eines der beiden Kampfgefährten führte unweigerlich dazu, dass der Überlebende keinen neuen Gefährten akzeptierte. Die Stärke der Schwadronen der 7ten Lanzenreiter schwankte daher weit mehr, als in den anderen Truppen des Kaisers.

Im Innenhof von Norkam-Reet rief ein Signalhorn die Männer und Frauen einer Streife zusammen. Ihre Einhörner waren gesattelt, Gurtzeug und Ausrüstung überprüft. Die Lanzer vergewisserten sich, dass die Hufschuhe fest saßen. Die leicht gezahnten Metallsohlen der ledernen Konstruktionen sollten die empfindlichen Hufe der Einhörner schützen. Hier im Gebirge drohte zu schnell Verletzungsgefahr, durch spitze Steine und scharfkantiges Geröll. Als die Streifenführerin, in Begleitung eines stämmigen und eines hageren Mannes, aus dem Festungsturm trat, war die Gruppe bereit.

Svenem Jolas hatte das mittelbraune Haar seines Bruders Densen, aber er hatte eine kräftigere Figur, und die tiefen Linien um seinen Mund und die Augen verrieten, dass seine besten Jahre hinter ihm lagen. Er begann einst als einfacher Lanzenreiter und war bis zum Regimentskommandeur aufgestiegen. Als Senior-Hauptmann befehligte er alle zwanzig Schwadronen des 7ten Regiments. An diesem Tag würde er die Unterführerin Sonia Malten bei deren Patrouillenritt begleiten. Er trug die einfache Uniform eines Lanzenreiters, mit grauer Hose und blauem Wams, verzichtete allerdings auf den üblichen Helm und die Lanze, sondern begnügte sich mit seinem Schwert. Jolas wollte ursprünglich die übliche Kampfuniform anlegen, mit vollem Harnisch und Helm, aber die Streifenführerin hatte ihn davon abgehalten. „Nimm den dicken Lederpanzer, den wir bei den Waffenübungen benutzen, Senior-Hauptmann. Glaube mir, das ist in den Bergen praktischer.“

Sonia Malten war aus dem Raum geeilt, bevor Svenem etwas erwidern konnte und als er nun die anderen Mitglieder der kleinen Truppe sah, trugen diese ebenfalls nur einfache Übungsmonturen. Sie bestanden aus dickem Leder und sollten die Stöße und Hiebe dämpfen, welche eine unvermeidliche Folge der Waffenübungen waren. Die Ledermonturen waren bequemer und ließen sich leichter ausbessern, als die stählernen Kampfrüstungen.

Svenem war nicht sonderlich überrascht, als auch die Einhörner der Gruppe keinen Vollschutz trugen. Im Kampfeinsatz erhielten die kostbaren Tiere normalerweise Kopfschutz und Brustpanzer, aber die Reittiere der Streife hatten nur den stählernen Schutz für die langen Hörner angeschnallt bekommen. Der silbrige Glanz des Stahls verschwand unter einer stumpfen Farbschicht, was Svenem durchaus einleuchtete. Offensichtlich bevorzugte Sonia Malten es, dass ihre Gruppe sich möglichst leise und ohne verräterische Reflexe bewegen konnte.

Der hagere Mann an seiner Seite trug die lederne Bekleidung eines Jägers. Es gab nicht viele Menschen, die es wagten, in den Bergen und so nahe der Walven zu jagen. Man musste ausgesprochen mutig und geschickt sein, um zu überleben und dabei die kostbaren Felle der seltenen Steinspringer zu erbeuten. Doch wer es schaffte, konnte mit einem guten Verdienst rechnen, denn die schillernden Pelze waren begehrt.

Wenn Sonia Malten durch die Anwesenheit ihres Kommandeurs verunsichert wurde, so zeigte sie es nicht. Ihr Blick war ebenso fest wie ihre Stimme, als sie die zwölf Männer und Frauen des Trupps ins Stillgestanden befahl. Sonia Malten mochte Anfang der Zwanzig sein und trug ihr blondes Haar kurz geschnitten, wie es in den Kampftruppen des Imperiums üblich war. Sie besaß ein hübsches, mädchenhaft wirkendes Gesicht, in dem zwei große grau-blaue Augen dominierten. Je nach Stimmung erschienen diese Augen in reinem Blau oder Grau und Svenem Jolas hatte noch nicht herausgefunden, bei welcher Stimmung welche Farbe zutraf. Obwohl Sonia gerne lächelte, schien dies nicht für ihre Augen zu gelten.

„Wir haben Befehl, den Pass auf zehn Kilometer zu bestreifen“, schallte Sonia Maltens Stimme über den Innenhof. Sie stand, wie die anderen Reiter, rechts an ihrem Einhorn, das Lenkholz in der linken Hand, die rechte an der Schusslanze. „Der Jäger Tellen hat Spuren von Walven entdeckt und wir sollen feststellen, ob es sich um einen kleinen Erkundungstrupp handelt oder ob die Bestien etwas Größeres planen. Ihr kennt das Gelände. Die ersten sechs Kilometer können wir auf den Einhörnern reiten, danach wird der Pass schwierig und wir müssen sie führen. Senior-Hauptmann Jolas wird uns heute begleiten, um sich ein Bild von der Lage an der Grenze zu machen. Also, benehmt euch ein wenig und tut so, als wärt ihr gute Lanzer.“

Die Männer und Frauen lachten gut gelaunt. Sonia blickte Svenem kurz an. „Willst du ein paar Worte an die Streife richten, Kommandeur Jolas?“

Svenem nickte und sah die Gruppe an. „Ich war eine Weile nicht an der Grenze, Lanzer. Es kann also sein, dass ich Fehler mache. Scheut euch nicht, es mir zu sagen. Das Wohl der Streife steht über meinen Befindlichkeiten.“

Damit hatte der Regimentskommandeur klargestellt, dass Sonia Malten die Streife führte und er lediglich ein zusätzlicher Begleiter war.

„Lanzen, aufgesessen!“, befahl Sonia und die Streife saß auf. Die Einhörner waren ein wenig unruhig und die junge Frau spürte die Erregung ihres Reittieres Ragos. Der grau-weiße Einhornhengst schnaubte leise, als er ihr Gewicht im Sattel spürte und Sonia sich ein wenig vorbeugte, um ihm sanft über den Hornansatz zu streichen. „Ich weiß, Ragos, du bist auch froh, endlich den engen Mauern zu entkommen.“

Tellen, der Jäger, blieb als Einziger zu Fuß. Reittiere waren im Gebirge eher hinderlich, als nützlich und der hagere Mann war es gewohnt, sich schnell und sicher zu bewegen. Als die Streife anritt, sah er Sonia kurz an und lief den Lanzern voraus. Er tat es mit dem langen, ausholenden Trab, der typisch für Jäger war. Er schonte ihre Kräfte und erlaubte ihnen, erstaunliche Strecken zu bewältigen.

Svenem Jolas lenkte sein Einhorn neben das der Streifenführerin. Während die anderen Reiter ihre Tiere mit den Schenkeln lenkten, musste er das Lenkholz benutzen, indem er es sanft an die eine oder andere Seite des Einhorns legte. Er bemerkte Sonias Blick und zuckte verlegen die Achseln. „Nicht mein eigener Hengst. Prius hat sich einen verdammten Stachel in den Huf getreten und ich musste mir dieses Einhorn ausleihen.“

„Hm.“ Sonia lächelte. „Man merkt dennoch, dass sie ein echter Lanzer sind, Kommandeur. Ich kenne die Stute, die Sie reiten und sie akzeptiert Sie immerhin als neuen Reiter.“

Es war nicht selbstverständlich, dass Einhörner einen anderen Reiter akzeptierten. Im Gegenteil, es verriet großes Einfühlungsvermögen Svenems, dass die grau-schwarze Stute seinen Berührungen folgte.

Hinter ihnen flüsterten die Angehörigen der Streife miteinander und es war offensichtlich, dass sie ebenso froh wie ihre Einhörner waren, der engen Festung, wenn auch nur vorübergehend, entronnen zu sein. Da Sonia nichts dagegen unternahm, akzeptierte Svenem die Unterhaltung der Lanzer. Er vertraute darauf, dass sie sich auf die Umgebung konzentrieren würden, wenn es erste Anzeichen einer Gefahr gab. Aber das war nicht der Fall. Die Einhörner blieben ruhig und der Wind trug auch keine verdächtigen Gerüche heran.

„Ragos vermisst die weiten Ebenen der Provinzen“, sagte Sonia leise und tätschelte die Flanke ihres Hengstes. „Er fühlt sich im steinigen Gebirge nicht wohl.“

„Das kann ich gut verstehen.“ Svenem musterte die aufragenden Felswände. Noch befand sich die Streife in dem kleinen Tal, welches sich zwischen der Festung von Norkam-Reet und dem eigentlichen Pass erstreckte. Schon bald würden die Felsen enger aneinander rücken und die Bewegungsfreiheit einschränken. „Es ist ein unvergleichliches Gefühl, im vollen Galopp, auf dem Rücken eines Einhorns zu reiten. Man spürt die Freude, die das Tier dabei empfindet. Sie überträgt sich auf den Reiter.“

Das Tal begann, nun enger zu werden. Einer der kristallklaren Gebirgsbäche verlief in seiner Mitte, floss ein Stück in Richtung auf Norkam-Reet, um kurz vor der Grenzfestung im Boden zu versickern. Ein gutes Stück unterhalb, fast schon in der Ebene von Endan, brach er erneut aus dem Fels hervor und mündete in den kleinen Fluss Anjai.

Tellen lief in seinem eigentümlichen Schritt am Bachlauf entlang, musterte den weichen Grund, der das Wasser säumte. Feiner, ausgewaschener Kies und Sand, welche die Spuren zeigten, die durstige Benutzer des Baches hinterließen. „Ein paar Felsspringer“, brummte der Jäger und dachte wohl daran, was ihm die Pelze der kleinen Tiere einbringen könnten, „und dies hier ist die Spur von einem Groller. Selten, dass sie so weit herunterkommen.“

„Spuren von Walven?“ Svenem beugte sich im Sattel vor und sah, wie der Jäger den Kopf schüttelte.

„So dumm sind die nicht, deutliche Spuren zu hinterlassen.“ Tellen kratzte sich ausgiebig. „Es sei denn, es handelt sich um einen großen Kriegstrupp. Die Spuren, die ich vor einigen Tagen fand, stammten von zwei der Bestien.“

„Kundschafter“, vermutete Sonia. „Sie streifen immer wieder um das Reet herum, um festzustellen, ob wir Schwächen zeigen.“

Svenem stieß ein leises Seufzen aus. „Mag sein, dass das bald der Fall ist.“

Die blonde Unterführerin sah ihn forschend an. „Was meinst du, Senior-Hauptmann?“

„Es heißt, der Senat will die Truppen reduzieren.“ Svenem Jolas zuckte die Schultern. „Ich weiß auch nichts Genaues, Unterführerin. Aber wenn es dazu kommt, wird das die Grenzen schwächen.“

Sonia lachte spöttisch auf. „Das würde den Walven nicht lange verborgen bleiben.“

„Natürlich nicht.“ Svenem registrierte, dass die Unterhaltungen der anderen Lanzen verstummt waren. Offensichtlich bemühten sie sich, dem Wortwechsel zwischen ihm und Sonia zu folgen. Er sah die junge Frau lächelnd an. „Du trägst zwei Namen, Sonia Malten, also stammst du aus einem vornehmen Haus. Normalerweise treten Angehörige der hohen Familien sofort als Offiziere in die Truppe ein.“

Sonias Gesicht wurde für einen Augenblick abweisend. Sie fasste die Worte des Kommandeurs als Kritik auf. „Ich habe als einfache Lanzenreiterin begonnen, Senior-Hauptmann.“

„Dann hattest du einen raschen Aufstieg, Sonia.“ Er lächelte entschuldigend. „Ich wollte dich nicht beleidigen. Aber da du aus vornehmer Familie stammst, ist es ungewöhnlich, dass du als einfache…“

„Meine Familie ist tot.“ Ihre Stimme klang kalt und abweisend.

Svenem räusperte sich. „Tut mir leid, das zu hören.“

In der Stimme der jungen Frau schwang ein Ton von Hass mit. „Es waren Walven, Senior-Hauptmann. Meine Familie hatte ein Weingut in der Provinz Jonran. Sie starb, als die Festung Dergon-Reet fiel und die Walven in die Provinz eindrangen.“

„Das ist nun sieben Jahre her“, brummte Svenem. „Ich kann mich noch gut daran erinnern. Die 7ten Lanzen gehörten zu den Entsatztruppen. Wir haben die Bestien in harten Gefechten zurückgedrängt.“

„Zu spät für meine Familie“, sagte Sonia bitter. „Aber das war nicht deine Schuld, Kommandeur.“

„Danach gingst du zum Regiment?“

„Ja, danach ging ich zum Regiment.“ Ihre Augen blickten hart und schimmerten in kaltem Grau. „Meine Möglichkeit, Walven zu töten.“

„Rache ist ein schlechter Ratgeber für einen Soldaten, Sonia Malten.“

Die blonde Reiterin lachte auf. „Weil Rache blind macht, Kommandeur? Mich spornt sie an.“ Sie wies hinter sich, zu den anderen Mitgliedern der Streife. „Und meine Lanzen auch. Alle haben Angehörige durch die Bestien verloren.“

„Viele Menschen des Imperiums kennen das.“ Svenem Jolas seufzte leise. „Der Kampf gegen die Bestien dauert schon Jahrhunderte, und ich fürchte, ein Ende ist nicht abzusehen. Immerhin“, er lächelte die Unterführerin an, „wir haben ihnen vor sieben Jahren eine schwere Niederlage beigebracht und vor drei Jahren ebenfalls. Seitdem halten sie Ruhe.“

„Mehr oder weniger“, räumte Sonia ein.

Svenem zuckte zusammen, als er ein leises Poltern hörte. Als er den Blick in die Richtung wandte, sah er eine kleine Steinlawine, die in das Tal hinabstürzte.

Der Jäger Tellen winkte ab. „Erosion oder ein Tier. Das kam von ganz oben. So weit hinauf schafft es niemand, auch keine Bestie.“

Sie näherten sich dem Ende des kleinen Tals. Der Weg wurde schmaler und die Felswände schienen aufeinander zuzuwachsen. Jene Seite, an welcher der Wind stetig entlang strich, war mit Moosen bewachsen. Einige wenige Dornensträucher wuchsen hier. Irgendwann hatte der Wind ihre Samen zu den Felsspalten getrieben, und die genügsamen Pflanzen hatten dort Halt gefunden und genug Nährstoffe, um zu überleben.

Ragos schnaubte leise. Ein seltsamer Schimmer schien über sein Stirnhorn zu gleiten. Er war in dem Blickschlitz des metallenen Hornpanzers gut zu erkennen. Sonia Malten strich sanft über den Ansatz des Horns. „Ruhig, Ragos, ruhig. Ich spüre es auch.“ Sie wandte sich im Sattel um. „Ragos spürt etwas. Haltet Augen und Ohren offen und die Münder geschlossen. Streife, absitzen! Wir führen die Hörner.“ Sie sah Svenem an. „Der Weg wird zu schlecht, um noch zu reiten. Geh ein Stück nach hinten, Senior-Hauptmann.“

Die Männer und Frauen saßen ab. Die linke Hand am Sattel ihrer Einhörner, hielten die rechten Hände die Schusslanzen bereit. Ein leises Klicken ertönte aus der Gruppe, als die Waffen feuerbereit gemacht wurden.

Svenem Jolas leckte sich über die Lippen. Auch er hatte sich aus dem Sattel gleiten lassen. „Ich kann nichts riechen, Unterführerin, und die anderen ebenfalls nicht. Auch die Einhörner sind ruhig.“

„Ragos spürt etwas, Senior-Hauptmann, und ich spüre es auch.“ Sonia sah ihren Vorgesetzten an. „Geh nach hinten, Kommandeur Jolas, das ist ein Befehl.“

Sie führte die Streife. Es spielte keine Rolle, welchen Rang Svenem ihr gegenüber innehatte. Bei diesem Ritt musste er sich ihrer Entscheidung fügen, so verlangte es die Disziplin der Lanzenreiter.

„Es gefällt mir nicht, mich hinter anderen zu verstecken“, brummte er missmutig.

„Und mir würde es nicht gefallen, wenn der Kommandeur der 7ten Lanzer ausgerechnet bei meiner Streife im Felde bleibt“, erwiderte die junge Frau lakonisch. „Und jetzt befolge meinen Befehl.“

Tellen, der Jäger, war ein Stück in den schmaler gewordenen Pass vorgedrungen. Er verharrte mitten auf dem Weg. Leicht gebückt und witternd, wie ein Raubtier. Auch er schien Gefahr zu spüren, obwohl nichts darauf hindeutete, außer dem Verhalten des Einhornhengstes Ragos.

Sonia Malten vertraute den Fähigkeiten ihres Reittieres und die übrigen Angehörigen der Gruppe taten dies ebenfalls. Jolas kannte das Gespür kampferprobter Soldaten und er fragte sich, warum seine Instinkte nicht reagierten. Vielleicht war er der Grenze schon zu lange ferngeblieben.

Der Regimentskommandeur bemerkte, wie zwei der Lanzenreiter ihn zwischen sich nahmen, um ihn zu decken. Die Männer hielten die zwei Meter langen Lanzen scheinbar lässig in den linken Armbeugen, aber Svenem konnte erkennen, dass ihre Finger neben den Auslösern lagen. Einen einzelnen Bolzenschuss konnte man mit den Lanzen abfeuern, danach wurden die Waffen zum Stoß, mit blanker Klinge, eingesetzt. Vor jedem Schuss musste eine kleine Kurbel am Lanzenende eingesteckt werden, mit der die Spiralfeder im Inneren gespannt wurde, bis sie im Auslöser einhakte. Dann legte man den stählernen Bolzen in die Führung und schloss sie. Der Vorgang nahm einige Zeit in Anspruch, und im Kampf blieb selten die Zeit, die Schusslanzen nachzuladen. Immerhin hatte der einzelne Bolzenschuss eine verheerende Wirkung, wenn er sein Ziel traf. Das stählerne Geschoss traf über fast hundert Meter genau und durchschlug dabei auch schwere Rüstungen und Schilde. Die Spitzen der Bolzen waren eingekerbt, wodurch sie furchtbare Wunden rissen.

„Ich rieche noch immer nichts“, murmelte Svenem. „Und Tellen wohl auch nicht.“

„Aber auch er spürt, dass etwas nicht stimmt“, sagte einer der Lanzer leise. Er wies zu dem Jäger, der noch immer unbewegt kauerte und inzwischen einen Pfeil auf die Sehne seines Jagdbogens gelegt hatte. „Die Bestien sind nicht dumm, Senior-Hauptmann. Die wissen genau, dass wir sie riechen können. Manchmal reiben sie sich mit einem Pflanzensekret ein, das überdeckt ihren typischen Gestank.“

„Ruhe“, zischte Sonia Malten.

„Mein Einhorn wird jetzt auch unruhig“, flüsterte eine schlanke Frau. „Die Bestien müssen da sein und sie kommen näher.“

Svenem spürte den Wind, der aus dem Pass heran strich, aber er konnte den typischen, stechenden Geruch der Walven nicht wahrnehmen. Man wusste nicht, ob diese Körperausdünstung eine Eigenheit der Bestien war oder mit ihrer Ernährung zusammenhing. Aber der Geruch war unverwechselbar.

„Vier halten den Grund, je drei nach rechts und links“, befahl Sonia leise. „Die Einhörner hinter die Linie. Hier ist es zu eng, als dass sie in den Kampf eingreifen könnten. Hogen und Talis, vierzig Schritte zurück. Ihr seid die Reserve. Und gebt mir auf den Kommandeur Acht.“

„Ich kann selbst auf mich aufpassen“, knurrte Svenem verdrießlich. Mit sanftem Schaben glitt seine zweischneidige Klinge aus der Scheide. Der Handschutz zeigte das geflügelte Einhorn, das Symbol des Imperiums. Der Kaiser schenkte es dem Kommandeur des 7ten Regiments, nachdem dieser ihm in einer Schlacht das Leben gerettet hatte.

Sonia strich sanft über Ragos Hornansatz. „Ich verlasse mich auf dich, Ragos.“

Der Einhornhengst schnaubte leise und trabte dann mit den anderen Reittieren nach hinten, gefolgt von den Lanzenreitern Talis und Hogen sowie dem missmutigen Svenem.

Tellen schien nun auf etwas aufmerksam geworden zu sein. Noch immer geduckt, begann er behutsam, Schritt für Schritt, aus dem engen Pass zurückzuweichen. Die Lanzer verteilten sich in Gefechtslinie quer über den Pass. Die vier in der Mitte waren nahezu ungeschützt und knieten mit schussbereiten Lanzen am Boden. Die anderen fanden Deckung hinter Felsen. Die Lanzer Hogen und Talis hatten die Einhörner ein Stück nach hinten geführt, zusammen mit Svenem, der erregt den Griff seines Schwertes umklammerte. Er sah die vier ungeschützten Männer in der Mitte des Passes und hätte der Unterführerin am liebsten zugerufen, sie in Deckung zu befehlen. Es war ein Fehler, vier Kämpfer so offen zu positionieren, und der Regimentskommandeur hatte sich gerade entschlossen, einzugreifen, als es geschah.

Tellen machte eine rasche Bewegung, schien sich aufrichten und zu der Streife hasten zu wollen, als er plötzlich die Augen weit aufriss und dann lautlos vornüber stürzte. Zwischen seinen Schultern ragte der Schaft einer Wurflanze empor. Noch während die Beine des Jägers ein letztes Mal zuckten, war das Poltern von Steinen zu hören und der enge Pass schien sich übergangslos mit Walven zu füllen.

Svenem hatte schon oft gegen sie gekämpft und doch erfüllte ihn ihre Kampfesweise immer wieder mit neuem Staunen. Gewöhnlich schrien Kämpfer ihren Kampfeswillen oder auch ihre Furcht hinaus und stürmten brüllen auf den Feind ein. Aber das galt nicht für die Walven. Als sollte es die Unmenschlichkeit ihrer Art unterstreichen, hasteten die Bestien in grimmigem Schweigen auf die Stellung der Lanzenreiter zu. Nur das schwere Atmen und das Hasten ihrer Schritte waren zu hören, dazwischen das Klingen metallener Rüstungsteile und Waffen.

Äußerlich ähnelten die Walven den Menschen, auch wenn ihre Haut ungewöhnlich blass und ihre Ohren lang und spitz waren. Svenem hatte genug verstümmelte Kadaver der Bestien gesehen, um zu wissen, dass sie über zwei Herzen verfügten und ihr gelbes Blut eine stark ätzende Wirkung besaß. Blutspritzer auf menschlichem Gewebe bewirkten schwere Verletzungen, und nur Stahl konnte dem Blut der Bestien widerstehen. Dies war auch der Grund, warum die Truppen des Imperiums vollständige Rüstungen trugen, wenn sie gegen die Walven zogen.

Die vier Lanzer in der Mitte des Pfades feuerten beim Anblick des anstürmenden Feindes eine unregelmäßige Salve. Svenem sah entsetzt, wie einer der Männer versuchte, seine Lanze nachzuladen. Ein verhängnisvoller Anfängerfehler, der einfach nicht geschehen durfte. Der Nachladevorgang dauerte viel zu lang. Die drei anderen Männer wirkten seltsam unentschlossen, starrten zu den schweigend heranhastenden Walven und dann in Svenems Richtung.

Der Regimentskommandeur stöhnte auf, als der erste der Lanzer sich zur Flucht wandte und die anderen drei nach kurzem Zögern folgten.

„Diese verfluchten Bastarde“, stieß Svenem grimmig hervor und es war nicht sicher, ob er die fliehenden Lanzen oder die angreifenden Walven meinte.

Als der Senior-Hauptmann sich aufrichten wollte, riss Lanzenreiter Talis ihn in Deckung zurück. „Unten bleiben, verdammt“, zischte der Mann und sah Svenem wütend an. „Willst du alles ruinieren?“

Svenem wollte protestieren, aber Talis drückte ihn Rücksichtslos nach unten. „Runter und unten bleiben! Du kommst schon noch zu deinem Gemetzel.“

Einer der vier fliehenden Lanzenreiter ließ in Panik seine Waffe fallen, wohl um rascher entkommen zu können. Die Männer hasteten auf Svenem und seine beiden Begleiter zu, hatten keinen Blick für das, was hinter ihnen geschah.

Von den Walven stieg ein seltsames Knurren auf. Jenes Knurren, das Svenem schon oft vernommen hatte, wenn die Bestien sich des Sieges sicher waren. Die Blicke auf die Fliehenden gerichtet, rannten die Walven an den Lanzern von Sonia vorbei, die mit diesen zwischen den Felsen verborgen blieb. Es mussten fünfzig oder sechzig Krieger sein, weit mehr als ein harmloser Erkundungstrupp.

Über das Knurren der Walven erhob sich ein lauter Schrei von Talis. „Lanzen und Hörner zum Sturm!“

Erst jetzt begriff Svenem Jolas die Brillanz der Unterführerin. Sie hatte aus dem gescheiterten Hinterhalt der Walven einen eigenen Hinterhalt gebildet. Talis hatte den richtigen Moment abgepasst und der Schlachtruf der Lanzenreiter wendete das Bild.

Die scheinbar fliehenden Männer blieben stehen, wandten sich um, und stellten sich dem überraschten Feind. Zugleich sprangen Talis und Hogen aus der Deckung und Svenem beeilte sich, ihnen zu folgen und sich mit den anderen in der Mitte des Pfades zusammenzuschließen.

Die Walven zögerten nicht. Dicht gedrängt stürmten sie auf die sieben Feinde zu. Hogen und Talis feuerten ihre schussbereiten Lanzen ab und töteten zwei Gegner, dann zogen sie die Lanzen zum ersten Stoß eng an die Körper. Automatisch trat Svenem hinter die Lanzenkämpfer. Mit dem Schwert war er in vorderster Linie fehl am Platz, aber wurde einer der Lanzenträger zurückgedrängt und öffnete sich eine Lücke, dann konnte Svenems Klinge sie schließen.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Gegner aufeinanderprallten. Augenblicke, in denen sich Svenem viele Details einprägten. Die nervös zuckenden Ohrspitzen des Walvenführers, die schartige Klinge, die der Mann schwang. Die aufgerissenen Augen der Bestien, mit ihren violett schimmernden Pupillen. Lederne und metallene Rüstungsteile und Helme, Äxte, Schwerter und Spieße, die sich den Lanzenreitern entgegen reckten.

Die scheinbare Flucht der Lanzenreiter hatte die Walven vierzig Schritte in das kleine Tal hinein gelockt. Vierzig Schritte, die für den Kriegstrupp der Bestien den Tod bedeuteten. Vierzig Schritte, die den Einhörnern Gelegenheit gaben, ihre Hörner in die Leiber der Walven zu senken.

Selbst Svenem war überrascht, war ganz auf den stürmenden Feind fixiert, und registrierte die Attacke der Einhörner erst, als diese schon in den Feind einbrachen.

Die Walven hatten beabsichtigt, die kleine Gruppe Lanzenreiter zu überflügeln, und hierzu ihre Formation auseinandergezogen. Ihre Flanken wurden vom Ansturm der Einhörner aufgespießt und zerfetzt. Die metallbewehrten Hörner durchbohrten die Leiber der Walven, metallbewehrte Hufschuhe zertrümmerten Rüstungen und Schädel, und in der Mitte der Walvenformation zuckten die Lanzen der Männer vor und forderten ihren blutigen Tribut.

Der Schock für den Feind war immens und Svenem bemerkte, wie die Gruppe der Walven sofort zerfiel, auseinandergedrängt von den wütenden Einhörnern.

„Lanzen und Hörner zum Sturm!“, brüllte der Regimentskommandeur erregt. „Macht die Bestien nieder! Sie dürfen sich nicht sammeln!“

Die Waffe eines Lanzenreiters wurde von einem Walven ergriffen, der mit brutaler Kraft an ihr zog und den Lanzer aus dem Gleichgewicht brachte. Eine Axt zuckte nieder und zertrümmerte den Schädel, aber bevor der Walve sie aus dem toten Körper befreien konnte, stieß eine andere Lanze durch seine Rüstung und Brust. Gekonnt befreite der Lanzenreiter die Klinge mit einer leichten Drehbewegung, zog sie zurück und stieß sie dem nächsten Feind entgegen.

Svenem parierte den Stoß einer Walvenlanze, drückte sie zur Seite, rammte seine Klinge in den Halsansatz der Bestie. Er sah, wie sich die violetten Pupillen weiteten, wie Blut aus der Halswunde hervor sprühte, und sprang rasch zurück. Er war zu langsam, ein Spritzer traf seine Brust.

Ohne metallene Rüstung war das Blut tückisch und die ledernen Übungsharnische schützten nur wenig. Immerhin brauchte das ätzende Blut Zeit, sich durch das dicke Leder zu fressen. Svenem spürte einen brutalen Stoß, als ein Mann ihn auf den Boden warf.

„Auf den Bauch, Mann!“, schrie der Lanzenreiter. „Den Harnisch ab, sonst ist es zu spät.“

Svenem musste alleine klarkommen, denn der Mann musste sich einem Gegner zuwenden. Er hörte Schreie und Waffenlärm um sich. Staub wirbelte auf und nahm zunehmend die Sicht. Er wusste nicht, wie es um den Kampf stand, nur, dass er den von Blut besudelten Lederharnisch schnellstens loswerden musste. Mit hastigen Bewegungen öffnete er die Schnallen, hörte das Zischen, mit dem sich das Walvenblut durch das Leder fraß. Gerade rechtzeitig löste sich der Panzer und Svenem warf ihn instinktiv von sich, richtete sich auf, um sich erneut dem Feind zu stellen.

Der heftige Kampf wandelte sich. Die Schreie der Erregung machten zunehmend angestrengtem Grunzen Platz. So kurz die Auseinandersetzung auch toben mochte, sie wurde mit aller Kraft und Wut ausgefochten. Klingen drangen mit vernehmlichem Klirren durch metallene Rüstungen, das Schmatzen sich öffnender Wunden war zu hören, das Stampfen der Füße.

Svenem keuchte vor Anstrengung, strich mit dem Schwert kurz über den Boden, um Walvenblut abzustreifen. Zu leicht könnten Spritzer davon ihn oder seine Waffengefährten verletzen. Einen Stoß blockieren, fintieren, selber zustoßen oder schlagen… Eine ständige Abfolge, die kaum bewusst gesteuert, sondern instinktiv ausgeführt wurde. Aus Richtung des Passes drangen nun auch Sonia Malten und andere Männer auf die Bestien ein.

Mit einem Mal war es vorbei.

So rasch, wie die Walven erschienen waren, wandten sie sich zur Flucht. Nur fünf von ihnen erreichten den Pass, doch keine der Bestien entkam, denn zwischen den Felsen lauerten jene beiden Lanzenreiter, die Sonia dort im Hinterhalt belassen hatte.

Svenem sank ächzend auf den Boden, war kaum in der Lage, darauf zu achten, ob er vom Blut eines Walven befleckt war. Talis, der eine blutige Schramme von der Klinge eines Feindes davongetragen hatte, beugte sich kurz zu ihm und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. „Ruhe dich einen Moment aus, Kommandeur. Wir räumen hier schon auf.“

Svenem Jolas schämte sich dafür, seiner Schwäche nachzugeben. „Verdammt, ich werde alt und fett“, brummte er missmutig und richtete sich seufzend auf. „Erst das Einhorn und die Verwundeten, dann man selbst und die Toten“, brachte er sich in Erinnerung. „Ein schöner Senior-Hauptmann, der seine Lanzen für sich arbeiten lässt.“

Sonia Malten warf ihm einen kurzen Blick zu, der nicht verriet, was sie dachte. Svenem glaubte dennoch, eine leichte Kritik in ihren Augen gesehen zu haben und, verdammt, die Unterführerin hatte recht. Es gab Arbeit, bevor man an Ruhe denken konnte.

Die blonde Frau stieß die Klinge ihrer Schusslanze in den Boden, um sie von Walvenblut zu säubern. „Kontrolliert die Bestien, damit sich keine tot stellt. Sorgt dafür, dass sie es auch sind. Nehmt dafür eure Schwerter und gebt die Lanzen an Hogen. Talis und Jeona, ihr kümmert euch um die Wunden. Hogen, du lädst alle Lanzen nach, ich will sie schnellstens schussfähig haben. Kommandeur, wenn du dich fähig fühlst, so sollten wir beide nach den Einhörnern sehen.“

Männer und Frauen schritten den Kampfplatz ab, sorgten dafür, dass sich keine der Bestien mehr erheben konnte. Svenem und Sonia überprüften die Einhörner. Eines von ihnen hatte eine stinkende Wunde an der Hinterhand, wo das Blut einer Bestie es getroffen hatte.

Sonia klopfte dem Tier beruhigend an die Flanke. „Das bekommen wir wieder in Ordnung. Du hast gutes Heilfleisch, mein Bester, und diese Salbe wird dir helfen.“ Die blonde Frau öffnete eine Satteltasche und nahm eine Dose mit einer übel riechenden Salbe heraus. „Die Einhörner sind stark. Irgendwie schaffen sie es, die Säure im Blut der Walven zu neutralisieren“, sinnierte sie, während sie vorsichtig die Salbe auftrug und darauf achtete, nicht selbst mit der Wunde in Berührung zu kommen.

„Schade, dass sie uns nicht verraten können, wie sie das schaffen.“

Sonia warf Svenem einen ironischen Blick zu. „Du warst etwas beunruhigt, Senior-Hauptmann Svenem Jolas?“

„Das war ich.“ Er errötete ein wenig. „Ich habe dich unterschätzt, Unterführerin. Ich muss zugeben, ich glaubte wirklich, deine Lanzenreiter würden fliehen.“

Sie lachte fröhlich. „Gut, dass es die Walven ebenfalls glaubten.“

„Du und deine Steife machen so etwas nicht zum ersten Mal, nicht wahr?“

Die Streifenführerin schloss die Dose mit der Salbe und schüttelte dann den Kopf. „Nein, nicht zum ersten Mal.“

„Deine Gruppe hat das geübt“, brummte Svenem. „Das ist nicht zu leugnen. Die Männer und Frauen sind aufeinander eingespielt. Hast du keine Angst, dass die Walven eines Tages merken, wie du es anstellst, ihre Trupps zu vernichten?“

„Eines Tages. Vielleicht.“ Sonia blickte nachdenklich in den Pass. „Bislang ist nie eine der Bestien entkommen.“

Für einen Augenblick schwang kalter Hass in der Stimme der blonden Frau mit. Immerhin musste Svenem neidlos anerkennen, dass dieser Hass die Frau keineswegs am Denken hinderte. Insgeheim gestand er sich ein, dass die junge Frau ihn ebenso hereingelegt hatte, wie die Walven, denn er hatte an ihren Fähigkeiten gezweifelt.

Lanzenreiter Talis trat zu ihnen. „Mers und Iruna haben einiges abbekommen, Sonia. Aber das wird wieder. Lanzenreiterin Monara ist tot. Axthieb in den Schädel.“

Svenem hatte für einen Moment das Bild vor Augen, in denen die Reiterin gefallen war. Unglaublich, dass bei dem wilden Kampf gegen die Walven nur so geringe Verluste zu beklagen waren. Der Senior-Hauptmann konnte sich an weit weniger einseitige Kämpfe erinnern. Sonias Taktik hatte die Walven überrascht. Zudem hatte der Feind nicht damit gerechnet, dass die Einhörner noch in den Kampf eingreifen könnten. Hoffentlich verließ die Frau sich nicht zu sehr auf ihre Erfolge.

Sonia Malten schien seine Gedanken erraten zu haben. „Wir haben sie in die Falle gelockt und einen glänzenden Sieg errungen. Aber einer der Unseren ist nun tot und dabei haben wir noch Glück gehabt. Monara hinterlässt eine schmerzliche Lücke in unseren Reihen.“ Sie blickte zu den Einhörnern hinüber. „Und ihr Einhorn wird mit den anderen um sie trauern.“ Die Unterführerin seufzte leise. „Wir nehmen Monara mit heim, nach Norkam-Reet. Sie wird in Ehren verbrannt werden. Dort wird sich auch entscheiden, ob ihre Stute einen neuen Lanzenreiter akzeptiert oder ihr Ehrenfutter erhalten wird.“

„Was ist mit den toten Bestien?“

„Das Übliche.“ Sonias Gesicht wurde erneut hart. „Sucht einen Felsvorsprung und begrabt sie tief unter dem Geröll. Die Bestien sollen ruhig rätseln, wohin ihre Truppe verschwunden ist.“

Eine knappe Stunde später saß die Streife auf den Einhörnern auf. Tellen, der tote Jäger, ruhte nun in seinen Bergen, tief genug vergraben, dass kein Walve oder Raubtier ihn entdecken konnte. Monara jedoch, die tote Lanzenreiterin, kehrte mit der Gruppe heim. So, wie es die Ehre der 7ten Lanzenreiter verlangte.

„In der letzten Zeit kommen die Walven mit größeren Gruppen“, wandte sich Sonia Malten an den Regimentskommandeur.

„Kein Wunder, wenn du und deine Streife schon öfter zugeschlagen haben.“

Die blonde Frau schüttelte den Kopf. „Nein, da steckt etwas anderes dahinter. Wir haben erst mit den Hinterhalten begonnen, nachdem die Bestien immer öfter in der Nähe von Norkam-Reet auftauchten. Das sind keine Kundschafter, die über den Pass kommen, Svenem Jolas. Das sind Trupps, die unsere Streifen schlachten wollen. So können sie uns, Leben um Leben, schwächen.“

„Du meinst also, die Bestien haben Größeres vor?“

„Eine normale Streife von uns besteht aus vier Mann. Das wissen die Walven ganz genau. Deshalb ließen sie sich auch zum Angriff provozieren, als ein Teil unserer Gruppe in der Passmitte stand.“ Sie seufzte leise. „Die Burschen sind nicht dumm. Nachdem nun erneut einer ihrer Trupps verschwunden ist, werden sie vorsichtiger werden.“

Svenem lenkte sein Einhorn dichter an das der blonden Frau. „Ich habe vorhin einmal gesagt, du bist sehr jung für eine Streifenführerin.“ Er sah sie ernst an. „Nun frage ich mich, warum du nicht längst Hauptmann bist und eine Schwadron führen.“

Sonia Malten lächelte ihn an. „Mit einer Schwadron kann ich mich den Walven nicht auf diese Weise stellen.“

Ihr Lächeln hatte etwas Beunruhigendes, Raubtierartiges und ließ Svenem frösteln. „Das Töten macht dir Spaß, nicht wahr?“

„Walven töten?“ Erneut lachte sie auf. „Ja, das macht mir Spaß.“

„Eine Frau sollte an andere Dinge denken“, brummte Svenem.

„Solche Dinge wie Kinder und Familie?“ Sonia strich sanft über den Ansatz von Ragos Horn. „Nicht bei den Lanzenreitern, Kommandeur. Nicht, solange es Walven gibt. Aber irgendwann, später einmal… Vielleicht…“

Svenem warf einen Blick zurück, auf das Einhorn, welches eine leblose Last trug. Für die Lanzenreiterin Monara würde es kein Später geben. Keine Aussicht auf die Gründung einer Familie. Aber vielleicht gab es ein paar Menschen, die der Toten nun die Chance hierzu verdankten.

Die Ei-Geborenen

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