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Kapitel 4 In der Stadt des Kaisers
ОглавлениеJe weiter sich die Stadt Newam auf der Landseite ausgedehnt hatte und je mehr Bewohner in ihr lebten, desto schwieriger war es geworden, all die Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen. Das Problem war durch die zahlreichen Bauernhöfe und Rinderzuchten im Umland gelöst worden. Aber Newam war nicht nur eine Stadt. Es war die Stadt des Kaisers, die Hauptstadt des Imperiums. Ihre Bewohner verlangten nicht nur nach den Dingen, die das Überleben ermöglichten, sondern auch nach jenen, die es verschönten. Es gab eine Unzahl größerer und kleinerer Läden in den Straßen, verteilt auf die Viertel der Stadt, aber der umfangreichste Warenumschlag und Handel erfolgte über die vier großen Märkte. Der im Zentrum war der Größte und Bedeutendste. Eine Unzahl von Waren aus allen Teilen des Imperiums strömte auf den Markt, der nie zu ruhen schien.
Die Güter wurden auf den Straßen des Imperiums transportiert. Jenen breiten und gepflasterten Straßen, die es den Truppen des Imperators ermöglichten, bei jeder Witterung rasch zu marschieren. Sie waren schon vor Jahrhunderten entstanden und mehrere Generationen hatten an ihnen gebaut. Jede Stadt und jedes Dorf hatte bereitwillig mitgeholfen, den Gewaltakt zu bewältigen. Manchmal waren die quadratischen Steinplatten über Hunderte von Kilometern transportiert worden, eine quälende Arbeit für Mensch und Tier. Man hatte sie auf sich genommen, denn die Menschen behielten die Schlacht von Mintalon in ewiger Erinnerung. Jener blutige Kampf, bei dem die menschlichen Regimenter von den Walven fast vernichtet worden wären. Ein Teil der Truppen hatte, durch den Schlamm eines mehrtägigen Regens behindert, das Schlachtfeld nicht rechtzeitig erreichen können. Die Walven waren damals nur unter hohen Verlusten zurückgeschlagen worden. Keiner der Überlebenden sprach danach von einem Sieg. So waren die Straßen des Imperiums entstanden, die es nun wie steinerne Bänder durchzogen. Wo sie von Wasserläufen unterbrochen wurden, überspannten Brücken die Hindernisse. Gleichgültig, welche Weite überwunden werden musste, die Brücken wurden stets von drei Bogen getragen. Sie symbolisierten die drei Grundelemente des Lebens, Erde, Wasser und Luft.
Auch das Wasser wurde zum Transport genutzt. Wo die Flüsse sanft dahinglitten, war es leicht, die Waren mit den flachen Booten zu bewegen. Dies geschah mit kleinen Segeln und langen Stangen, die man in den Grund presste, um den flachen Kahn abzustoßen. An gefährlichen Stromschnellen gab es Umschlagplätze, an denen die Fracht entladen und weiter unten, mit anderen Booten, weitertransportiert wurden. Stromaufwärts wurden keine Güter bewegt. Es war mühselig genug, die leeren Kähne gegen den Druck des Wassers zu bewegen. An stabilen Tauen wurden sie dann, durch die Kraft von menschlichen oder tierischen Muskeln, auf Pfaden gezogen, die an einer Seite des Flusses angelegt waren.
Der Markt von Alt-Newam war ein Zeichen für die Größe und Vielfältigkeit des Imperiums.
Der riesige Platz diente an besonderen Festtagen den Vorführungen der Schausteller oder der Parade der imperialen Schwadronen und war großzügig angelegt. An den Seiten des Rechtecks ragten hohe Säulen aus blauem Marmor empor. Sie wurden noch von drei weiteren überragt, die in der Mitte des Platzes standen. Von den seitlichen Säulen führten Leinen zu den mittleren hinüber, an denen weiße Tücher zum Sonnenschutz aufgezogen werden konnten. Immer wieder mussten diese Sonnensegel erneuert werden, da der aufsteigende Rauch der zahlreichen Kochstellen des Marktes sie verschmutzte oder die Witterung ihnen zusetzte.
Die ersten Anzeichen, dass man sich dem Markt von Alt-Newam näherte, waren die vielfältigen Gerüche, und das Gewirr von Stimmen und Geräuschen, die bald ein normales Gespräch unmöglich machten. An den hölzernen Ständen wurden Nahrungsmittel aller Art geboten und oft auch zubereitet. Geflügel, Rinder und Fisch, dazu Getreide und Brot, Salate und Muscheln, Gemüse und Gewürze wurden angeboten. Ebenso Lederwaren und Bekleidung, und die verschiedensten Dinge des täglichen Bedarfes, von den feinen Nähnadeln über Brennholz bis zu Waren, deren Zweck die Verschönerung des Lebens war. Der Handel erstreckte sich über das ganze Imperium und darüber hinaus, bis in das Inselreich der Duragen und das ferne Alaneris. Die hochgeborenen Frauen der vornehmen Häuser schätzten Duftstoffe aus vielfältigen Extrakten, und es gab Skulpturen und Gemälde, mit denen sich ein Heim schmücken ließ.
Menschen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Herkunft bevölkerten den Markt, dazwischen Gruppen von Nutztieren, die zum Verkauf angeboten oder frisch geschlachtet wurden. Während das einfache Volk farbenfrohe Bekleidung schätzte, bevorzugten die Hochgeborenen schlichte Gewänder in einfachen Farben.
Densen Jolas hatte sich entschlossen, in seiner freien Zeit zum Markt zu gehen. Er hatte die Uniform der imperialen Leibgarde abgelegt und trug eine rote Kniehose und einen mehrfarbigen Wams, wie er im Volk geschätzt wurde. Sein Schwert hatte er zurückgelassen und trug lediglich den schmalen Dolch bei sich, wie er von den meisten Männern und Frauen geführt wurde. Die Klinge war eher Werkzeug, als Waffe, und die Stücke Fleisch, die man damit aufspießte, waren gewürzt und schmackhaft.
Densen schätzte es, sich unauffällig unter dem Volk bewegen zu können. Das imperiale Wappen der Uniform hätte für Aufmerksamkeit gesorgt. Natürlich gab es Männer und Frauen in der Bekleidung der imperialen Truppe auf dem Markt. Die meisten nutzten ihre Freizeit, um kleine Besorgungen zu erledigen, andere trugen ihre Waffen sichtbar zur Schau. Sie waren ohne Harnisch, aber mit Helm, an dessen imperialem Wappenschild eine aufragende schwarze Feder befestigt war. Diese Männer und Frauen waren, dank der hohen Feder, auch in der Menge leicht zu entdecken. Man nannte sie im einfachen Volk „Federträger“. Sie achteten im Namen des Kaisers darauf, dass alles seine Ordnung hatte, und bei jedem Handel der Anteil von Imperator und Senat beglichen wurde. Gelegentlich mussten die Federträger einen Streit schlichten, vor allem am späten Abend, wenn die Schenken sich zu leeren begannen. Sehr viel seltener mussten sie einschreiten, weil ein Dieb sich am Eigentum eines anderen vergriffen hatte.
Der Wohlstand des Volkes war nicht gleichmäßig verteilt. Ein Dorf zu gründen, erforderte lediglich den Willen seiner Bewohner, die Kraft ihrer Arme und die Ressourcen des umliegenden Landes. Aber sobald aus einer Gemeinschaft eine Stadt wurde, wuchsen Bevölkerung und Einkommen. Man konnte die Arbeiten teilen, sich spezialisieren und Dinge produzieren, die nicht mehr nur dem nackten Überleben dienten. Mit dem einsetzenden Handel entstand ein bescheidener Wohlstand. Die vornehmen Häuser des Imperiums waren einst aus großen Handwerksbetrieben oder Handelsniederlassungen hervorgegangen. Wo Menschen auf dichtem Raum zusammenlebten, entstand die Gefahr mangelnder Hygiene und ausbrechender Krankheiten. Nachdem vor 400 Jahren eine Seuche das Imperium erschütterte, hatte der damalige Imperator ein öffentliches Gesundheitswesen und Badehäuser errichten lassen. Die Gelder nahm er von jenem Anteil, den das Volk als Steuer zu entrichtete. Aber diese Möglichkeit erschöpfte sich rasch, denn der Konflikt gegen die Walven forderte Tribut, an Menschenleben und finanziellen Mitteln. Da der Imperator für den Schutz des Imperiums verantwortlich war, und somit für Truppen und Befestigungsanlagen Sorge trug, hatte einer der Vorfahren Donderem-Vobs sich entschlossen, den Grund und Boden innerhalb befestigter Mauern zu veräußern, um die Kriegskasse aufzufüllen. Die Hochgeborenen verfügten über die Finanzen, ihn zu erwerben, und sie waren klüger als der Imperator. Sie verkauften ihn nicht an die Bevölkerung weiter, sondern vermieteten ihn, wodurch sie sich eine permanente Einnahmequelle erschlossen. So mussten die Bürger des Imperiums für ihr Wohnrecht in den Städten zahlen, und der Reichtum der vornehmen Häuser mehrte sich stetig. Es gab Menschen, die aus diesem Grund die Städte verließen, aber genug andere, welche in ihren Schutz und Luxus strebten.
Einige suchten die Städte auf, um sich unrechtmäßig zu bereichern. Vor allem auf den Märkten waren jene Menschen zu finden, die mit langen Fingern und spitzen Klingen auf jene Beutel aus waren, in denen die Bürger die imperialen Münzen aufbewahrten.
Die Federträger mühten sich redlich, solche Diebe zu ergreifen und die Strafen des Kaisers waren drakonisch. Einem einmaligen Dieb wurde der lange Finger abgeschnitten, einem Wiederholungstäter drohte der Verlust der ganzen Hand. Dennoch gab es immer wieder Menschen, die, aus Gier oder Not, nach dem Eigentum anderer fingerten.
Densen war die von Bäumen gesäumte Allee herunter geschlendert, die vom imperialen Palast, vorbei am Senatsgebäude, in das Viertel der Hochgeborenen führte. Ihre Häuser bestanden aus weißem Marmor oder wenigstens weiß gekalktem Stein, und die Vordächer ruhten auf sorgsam behauenen Säulen. Vorgärten zogen sich um die Gebäude herum und Brunnen, deren Wasserspender verschiedene Motive zeigten, plätscherten munter. Dieses Viertel war relativ ruhig, aber je näher Densen dem großen Marktplatz kam, desto geschäftiger schien die Stadt zu werden.
Der Hauptmann der imperialen Leibgarde bemerkte den Blick einer jungen Frau, die ihn aufmunternd ansah und er lächelte zurück. Er war durchaus ein Mann, nach dem sich die Frauen umsahen und er wusste das andere Geschlecht zu schätzen. Die eine oder andere Liebschaft hatte er bereits erlebt, aber bislang keine, bei der er den Wunsch einer dauerhaften Bindung verspürt hätte.
Die bisherigen Jahre prägten sein Leben. Mit dem Eintritt in das 7te Regiment der Lanzenreiter war der Kampf gegen die Walven zu seiner Bestimmung geworden. Der Imperator hatte mit dem Regiment gekämpft, Seite an Seite mit Densen, und der Kampf, und andere gemeinsame Erlebnisse, schweißten die beiden Männer zusammen. Nachdem die Grenzen ruhig schienen, war der Hauptmann der Lanzenreiter, Densen Jolas, dem Angebot seines Imperators gefolgt und hatte das Kommando über dessen Leibgarde übernommen.
Densen schätzte den Kaiser als Herrscher und Freund, und es war ihm eine Ehre, für dessen Sicherheit zu sorgen. Dennoch vermisste er gelegentlich die Freiheit, fern der Hauptstadt Newam mit einer Gruppe von Lanzenreitern und ihren Einhörnern auf Streife zu ziehen. Die Mauern der Stadt engten ihn ein, aber er erduldete die quirlige Unruhe der Stadt, um dem Imperator nahe zu sein. Donderem-Vob brauchte Densen und die offenen Worte, welche die alten Kampfgefährten miteinander wechseln konnten.
Densen kam an einem Laden vorbei, vor dem zwei Männer feine Lederwaren herstellten. Einem von ihnen fehlte eine Hand und man hätte ihn für einen bestraften Dieb halten können, aber der Mann trug eine Tätowierung an der Stirn, die das imperiale Wappen darstellte und ihn als Veteranen der Lanzenreiter offenbarte. Männer und Frauen, die aufgrund einer schweren Verletzung keinen Dienst mehr leisten konnten, erhielten dieses Zeichen und die lebenslange Fürsorge des Imperators. Eigentlich hätte der Veteran nicht arbeiten müssen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, aber Densen wusste, dass Untätigkeit dem Wertgefühl eines Menschen verhängnisvoll zusetzen konnte.
Er überquerte die gepflasterte Straße und trat zu den beiden Männern. Sie waren sich schon oft begegnet und Densen war als Hauptmann der imperialen Leibgarde eine bekannte Persönlichkeit der Stadt. Er nickte den beiden zu und deutete auf den Ledergürtel, den der Invalide bearbeitete. „Eine hervorragende Arbeit, Numes. Ich frage mich, wie du es schaffst, die Feinheiten eines Einhorns so detailliert herauszuarbeiten.“
Der Veteran grinste erfreut. „Ja, ich schaffe mit einer Hand, was andere nicht mit zweien zuwege bringen.“ Er hob den breiten Ledergürtel an und hielt ihn Densen entgegen. „Man muss sich zu helfen wissen, Hauptmann. Man darf niemals aufgeben.“
„Niemals aufgeben.“ Densen betrachtete die feine Punzarbeit und Stickerei des Gürtels. „Der Wahlspruch der 24sten Lanzenreiter.“ Er lächelte. „Man kommt von seinem alten Regiment einfach nicht los, nicht wahr, Numes?“
Der Mann neben dem Veteranen seufzte. „Bah, den ganzen Tag muss ich mir anhören, was die 24sten Lanzen für Ruhmestaten vollbrachten.“ Er zwinkerte dem Hauptmann zu. „Und wenn er abends in der Schenke war, und einen oder zwei Becher guten Wein getrunken hat, dann fängt er auch noch an, zu singen. Wirklich, Hauptmann Jolas, seine Stimme ist weit weniger beeindruckend, als seine Lederarbeiten.“
Densen stimmte in das Lachen der Männer ein. Erneut musterte er den Gürtel anerkennend und ließ das dicke Leder durch die Hände gleiten. „Dickes Leder, aber erstaunlich geschmeidig. Das wurde sehr sorgfältig bearbeitet.“
„Dafür sind wir bekannt.“ Der Invalide deutete auf die Schnalle des Gürtels. „Das imperiale Wappen. Man kann es an den Schwingen des Einhorns teilen und den Gürtel öffnen.“ Er zuckte verlegen die Schultern. „Das habe ich allerdings nicht selber fertigen können.“
„In jedem Fall eine sehr schöne Arbeit.“ Densen fuhr die Konturen mit den Fingerspitzen entlang. Der Gürtel zeigte Lanzenreiter auf ihren Einhörnern, die ihn zu umrunden und dabei der Gürtelschnalle entgegen zu streben schienen. Der Veteran hatte keine Einzelheit vergessen und selbst Gesichtszüge und Gurtzeug eingearbeitet. Es war eine Meisterleistung und Densen bedauerte, dass das Tragen des Gürtels dieses kleine Kunstwerk beeinträchtigen würde. Die Benutzung würde Risse und Narben in dem Leder hinterlassen. Es war kein Gürtel für den täglichen Gebrauch, eher einer von der Sorte, die man bei festlichen Gelegenheiten trug.
„Nimm ihn.“ Densen hob fragend den Kopf und der Veteran nickte. „Nimm ihn, Hauptmann. Du weißt diese Arbeit wenigstens wirklich zu schätzen.“
„Mein Freund, für diese Arbeit kannst du einen hohen Preis verlangen. Ich kann den Gürtel nicht annehmen.“
Numes zuckte die Schultern. „Warum nicht? So ist es wenigstens ein Lanzenreiter, der ihn nutzt.“
Der andere nickte. „Zudem ist es keine schlechte Werbung für unseren Laden, wenn der Hauptmann der imperialen Leibgarde unseren Gürtel trägt, nicht wahr?“
Densen Jolas leckte sich zögernd über die Lippen. In diesem Gürtel steckten eine Menge Zeit und Arbeit. Ein guter Verdienst für die beiden Männer, der ihnen entging, wenn er das Geschenk annahm. Er war in einer Zwickmühle. Verweigerte er die Annahme, fühlte sich der Veteran vielleicht verletzt, gab er ihm Geld dafür, dann fühlte er sich zu Recht beleidigt.
Densen nickte zögernd. „Gut, ich will ihn gerne nehmen und in Ehren tragen. Aber ich knüpfe eine Bedingung daran. Macht mir eine dazu passende Scheide für mein Schwert.“
Der Veteran nickte erfreut. „Das mache ich gerne, Hauptmann. Bring mir dein Schwert vorbei, damit ich die Maße nehmen kann, und ich werde die Scheide danach fertigen.“
„Dann ist es so beschlossen“, stimmte Densen zu. Die Scheide war eine Auftragsarbeit und er würde den Männern gutes Geld dafür geben. So konnte er sie auch für den Gürtel entlohnen und sie alle konnten dabei ihr Gesicht wahren.
Während Densen seinen alten Gürtel öffnete und den neuen anlegte, blickte Numes die Straße entlang. „Willst du zum Markt hinunter, Hauptmann? Dann gib Acht, es sind einige Beutelschneider in der Stadt, wie ich hörte. Zwar streifen die Federträger umher, aber die langen Finger wissen ihre Nähe zu meiden.“
„Sind ja auch nicht zu übersehen“, brummte der andere Mann und nahm ein unbearbeitetes Stück Leder aus dem Korb, der zwischen ihnen stand.
„Ich werde an euren Rat denken“, versicherte Densen. Er befestigte seinen Geldbeutel an dem neuen Gürtel, nickte den Männern nochmals zum Abschied zu und ging weiter die Straße entlang.
Aus einer kleinen Querstraße hörte er leises Zischen und Stampfen. Dort befand sich eine der Schmieden. Sie musste einem wohlhabenden Mann gehören, denn die Geräusche stammten offensichtlich von einer der neuartigen Dampfmaschinen. Erst vor zwei Jahren hatte man entdeckt, wie man aus Dampf die Kraft zum Antrieb von Werkzeugen gewinnen konnte. Inzwischen gab es einige der lärmenden Maschinen in der Stadt. Sie wurden dort nutzbringend eingesetzt, wo es nicht auf die Feinheiten des Handwerks ankam, sondern auf rasche Massenproduktion und große Kraft. In den Dampfschmieden wurden einfache Geräte für die Landwirtschaft, Kessel und Pfannen für die Küchen und Rüstungsteile für die imperialen Truppen hergestellt.
Eine Horde fröhlicher Kinder strömte an Densen vorbei und stieß ihn an. Den aufgeregten Rufen konnte er entnehmen, dass auf dem Marktplatz von Alt-Newam eine Schaustellertruppe eingetroffen war. Sie würden magische Zaubereien und Akrobatik bieten und wahrscheinlich auch eines der Bühnenstücke, die beim Volk immer beliebter wurden.
Seit vielen Jahren gab es Gruppen, die, in verschiedensten Kostümen und Rollen, Geschichten aus dem einfachen Volk erzählten. Einfache Geschichten von Liebe und Leid, die bei den Menschen gut ankamen, zumal am Ende das Liebespaar stets zueinanderfand. Auch die Hochgeborenen schätzten diese Stücke, obwohl sie die Schausteller als gewöhnliches Volk bezeichneten, das ohne Kunstverstand und Poesie sei. Densen wusste jedoch, dass viele Hochgeborene sich ein Vergnügen daraus machten, die Stücke des Volkes in ihren Häusern mit Puppen nachzustellen. Die Bühne eines Marktplatzes wurde dann durch einen hölzernen Rahmen mit Vorhang ersetzt. Im letzten Jahr war herausgekommen, dass sogar einer der Hochgeborenen Stücke für die Schausteller schrieb. Zunächst ein Skandal in der hochgeborenen Gesellschaft, entpuppte sich diese Erkenntnis inzwischen als Durchbruch, denn die vornehmen Häuser akzeptierten zunehmend die Schaustellerei. Es gab sogar Gerüchte in Newam, der Imperator wolle ein Schauspielhaus errichten lassen, damit man die Darbietungen bei jedem Wetter und jeder Jahreszeit erleben könne. Densen wusste, dass dieses Gerücht falsch war. Der Kaiser war kein Freund verkleideter Männer und Frauen und schätzte allenfalls die Akrobatik, die manche Schausteller boten.
Er hörte die Fahrgeräusche einer leichten Kutsche hinter sich und trat instinktiv zur Seite, als der Kutscher einen Warnruf ausstieß. Eine blau lackierte Kutsche, von einem Einhorn gezogen, ratterte an ihm vorbei.
Densen empfand Scham, dass ein Einhorn zu solcher Arbeit erniedrigt wurde. Die Tiere waren dazu geboren, sich in Freiheit zu bewegen oder an die Seite des Menschen zu treten, aber nicht dazu, sich ihm als Arbeitstier unterzuordnen. Dieses Einhorn war sicher nicht reinrassig und auch nicht wild gefangen worden, sonst wäre es lieber gestorben, als sich vor einen Wagen schirren zu lassen. Densen und die meisten Lanzenreiter waren sich darin einig, dass die Einhörner weit mehr als nur Tiere waren und jeder, der mit ihnen eine mentale Bindung einging, schloss sich ihrer Meinung an. Auch der Kaiser empfand viel für sie. Für den Imperator war sein „Sturmwind“ ein wirklicher Weggefährte.
„Sie werden alt, unsere vierbeinigen Freunde“, hatte der Imperator einmal zu Densen gesagt. „Viel älter, als wir Menschen es uns erträumen lassen. Ich spüre die enge Bindung zwischen Sturmwind und mir, und ich frage mich, was aus ihm werden wird, wenn ich einmal nicht mehr bin.“
„Er wird keinen anderen Reiter akzeptieren“, hatte Densen Jolas erwidert. „Er wird um Euch trauern, Eure Imperialität, und er wird von den Lanzenreitern sein Ehrenfutter erhalten. Solange, bis er Euch eines Tages folgt und ihr wieder vereint seid.“
Donderem-Vob hatte Densen traurig angesehen und dabei das Horn seines Reittieres sanft berührt. „So mag es sein, Densen, mein Freund.“ Der Imperator hatte ihn gemustert, mit einem langen, forschenden Blick, und nach einer Weile nachdenklich genickt. „Sturmwind würde dich akzeptieren, mein Freund. Eines Tages, wenn ich zu meinen Ahnen gegangen bin, dann wünsche ich, dass du sein Horn berührst. Dann wird sich weisen, wie Sturmwind sich entscheidet. Wirst du das für mich und Sturmwind tun, Densen Jolas? Ich sage dies nicht als dein Kaiser und Vorgesetzter, sondern ich bitte dich als Kampfgefährte und Freund um diesen Dienst.“
Densen wusste, welche Verantwortung dies für ihn bedeutete, aber er hatte nicht gezögert. „So sei es beschlossen, Eure Imperialität.“
Die Kutsche entschwand Densens Blicken und seine Gedanken kehrten aus fernen Tagen in die Gegenwart zurück. Eher unbewusst spuckte er auf das Straßenpflaster. Wem immer diese Kutsche gehörte, er stammte aus vornehmem Haus und hatte niemals das Horn eines Einhorns berührt.
Der Anblick hatte seine Stimmung getrübt und Densen schlenderte automatisch die Straße entlang, achtete kaum auf die Menschen, die ihm begegneten und deren Anzahl konstant wuchs, je näher er dem Marktplatz kam. Er schreckte erst aus seinen Gedanken, als er erneut angestoßen wurde und erkannte, dass er den Markt fast erreicht hatte.
Der Duft gebratenen Fleisches, heiß und scharf gewürzt, drang an seine Nase und er spürte den Hunger, der sich plötzlich in ihm ausbreitete. Er folgte dem lockenden Geruch und der Stimme des Koches, der seine Mahlzeiten anpries, zu einem der kleinen Stände. Die Webart des Stoffes und seine Farben verrieten, dass der Besitzer aus der Provinz Endan stammte. Ein einfacher Mann, in der schlichten Kleidung eines Dörflers und Densen fragte sich, was den Mann bewogen haben mochte, den weiten Weg aus seiner Provinz in die Hauptstadt zu nehmen.
Der Mann bemerkte Densen und drehte dabei einige Spieße, auf denen sich ansehnliche Fleischstücke befanden, von denen die Verlockung aufstieg. „Komm nur näher, junger Mann. Bei mir wirst du nur das beste Fleisch erhalten und die beste Würze. Große Portionen, zu kleinen Preisen. Nur einen Imperial, junger Mann. Komm und koste.“
Ein junges Paar machte Densen bereitwillig Platz und er trat an das hölzerne Brett, das den Tresen improvisierte. Er zog einen Imperial aus seinem Münzbeutel und reichte ihn dem Mann, der ihm lächelnd einen Fleischspieß reichte. „Vorsicht, junger Mann, es ist heiß.“
Der Mann hatte nicht übertrieben. Densen verbrannte sich fast die Lippen, als er in den ersten Brocken beißen wollte. Hastig blies er Luft an das Fleisch, während der Koch neugierig die kleine Münze anstarrte. „Das ist kein imperiales Schüsselchen, Herr.“
„Ist es“, bestätigte Densen und lächelte. „Aber jetzt werden die Imperials nicht mehr mit einem Hammer geschlagen, sondern mit Dampfkraft geprägt. Dadurch sind sie jetzt flach und nicht mehr gewölbt.“
„Aha.“ Der Mann zuckte die Achseln. „Nun, es ist Gold und es trägt das imperiale Wappen. So wird es auch ein Imperial sein.“
Das Fleisch war nun ein wenig abgekühlt und Densen zupfte mit den Zähnen daran. Seine Augen weiteten sich überrascht und der Koch grinste breit. „So etwas habt ihr in Newam sicher noch nie gegessen, nicht wahr?“ Der Mann wies hinter sich, zu den Regalen, in denen Töpfe und Tiegel standen. „Bestes Rindfleisch, aber das habt ihr hier ja auch. Das Geheimnis ist die Würze. Wildkräuter und Honig aus den Stachelbeeren, die in den unteren Bergregionen zu finden sind. Und nur dort, mein Herr. Dieser Honig gibt den typischen Geschmack. Scharf und zugleich süß.“
Densen nickte. „Es ist wirklich ausgezeichnet. Gib mir einen Becher Wasser dazu. Der Honig mag süß sein, aber die Schärfe der Kräuter hat es in sich.“
Der Mann lachte gutmütig und füllte einen Tonbecher mit klarem Wasser. „Die meisten trinken Gerstensaft oder Wein dazu.“ Er beugte sich ein wenig vor und sah den Hauptmann verschwörerisch an. „Offen gesagt, ich selbst nehme auch Wasser. Alles andere würde den Geschmack der Würze nur verfälschen.“
„Hast du die weite Reise, aus Endan nach Newam, nur wegen des Verkaufs deines Fleisches gemacht?“
Der Koch lachte amüsiert. „Sicher nicht. Aber meine Frau, das gute Weib, wollte unbedingt einmal die Stadt des Kaisers sehen. Einmal in das Zentrum des Imperiums. Gütige Götter, wie oft hat sie mir damit in den Ohren gelegen. Glaube mir, junger Mann, nichts gegen eure Stadt, sie ist sehr hübsch. Aber es gibt viele Städte, wenn auch vielleicht nicht so groß, wie die eure. Ich habe meiner Frau gesagt, lass uns nach Kentara oder Dorma reisen, meinetwegen auch nach Leondara, aber nein, es musste Newam sein.“ Er seufzte leise. „Glaube mir, junger Mann, so eine Reise kostet einige Imperial. Wirklich, das tut sie. Nun, ich koche recht gerne und so habe ich das Angenehme meiner Frau mit dem Nützlichen für mich verbunden.“ Sein Grinsen wurde noch breiter. „Offen gesagt, sie ist eine gute Frau, aber eine lausige Köchin.“
Einer der Männer an dem einfachen Tresen gab dem Koch einen Wink. „Gib mir noch so einen Spieß. Du hast übrigens Glück, dass ihr heute in Newam seid. Der große Otwaga wird heute seine Vorstellung geben. Ein unvergleichliches Erlebnis. Da habt ihr zu Hause einiges zu erzählen.“
Irgendwo hatte Densen den Namen schon einmal gehört und überlegte. Der Koch aus der Provinz kam ihm zuvor. „Otwanga? Wer soll das sein?“
„Otwaga“, korrigierte der Einwohner Newams. „Einer der Hochgeborenen Newams. Nun ja, eigentlich kommt er aus Azamon und ist nur zugereist. Kein Einheimischer, ihr versteht? Er schreibt Stücke für die Schausteller. Hält sich für einen großen Poeten.“ Der Mann lachte spöttisch. „Eigentlich ist er ein Idiot, denn er meint seine Stücke ernst. Dabei sind sie ausgesprochen vergnüglich und alle lachen über sie. Otwaga war anfangs erbost, weil man sein Talent nicht erkennen wollte, aber nachdem seine Stücke inzwischen auch bei anderen Hochgeborenen ankommen, sonnt er sich in deren Anerkennung.“
Fröhliches Gelächter brandete auf. Offensichtlich kannten die meisten der Umstehenden Otwaga. Densen hörte ein leises Hüsteln hinter sich und wandte sich um. Überrascht erkannte er einen der Federträger. Der imperiale Leibgardist sah seinen Hauptmann nervös an. „Verzeih, Hauptmann Jolas, aber du wirst sofort im Palast gebraucht.“
Der Gardist war in Begleitung einer zweiten Wache, die ebenso unruhig wirkte. Densen sah, dass der andere Mann seine Hand nervös um den Schwertgriff gelegt hatte. Er nickte den beiden Männern zu. „Ich komme mit euch, Männer.“ Er nickte den Umstehenden freundlich zu. „Ich werde wohl nicht in den Genuss kommen, Otwagas Stück anzusehen. Aber ich hoffe, ihr lasst mir etwas von dem Fleisch für später übrig.“
Die beiden imperialen Leibgardisten hielten sich einen Schritt hinter Densen, wie es der Rang ihres Vorgesetzten verlangte. Der Hauptmann wandte sich halb um. „Also gut, Hermen, ich sehe, du bist nervös. Was geht im Palast vor sich?“
„Es ist der Kaiser“, stieß der Gardist hervor und man sah ihm an, wie betroffen er war. „Ihre Imperialität… Der Kaiser… Er ist tot.“