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Kapitel 4

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Layla war bitterböse. Die unwillkommenen Störungen wollten einfach nicht aufhören. Kaum hatte sie am Flughafen in Sao Paulo ihre Kontaktperson getroffen, als plötzlich zwei uniformierte Polizisten vor ihr standen und sie fragten, ob sie Layla Méndez sei. Als sie bejahte wurde sie von dem Polizisten aufgefordert, ihnen zu folgen, wobei sie einer auffällig hinter ihr hielt. Sie konnte ihrem Kontaktmann gerade noch zurufen, dass sie ihn anrufen würde, da wurde sie auch schon unsanft in das direkt vor dem Terminal abgestellte Polizeiauto geschoben. Auf ihre Frage, ob sie den nun verhaftet sei und was der Grund für diese Maßnahme sein, hatte sie ebenso wenig eine Antwort erhalten, wie auf alle anderen Fragen auch. Dabei war sie sicher, dass die Polizisten Laylas Spanisch verstanden hatten. Das hatten sie ja am Flughafen deutlich gezeigt.

Die Fahrt zur Polizeistation hatte relativ lange gedauert, was aber bei der Größe von Sao Paulo kein Wunder war. Sie war schon öfters in dieser Stadt gewesen, aber ihr fiel die Orientierung immer noch schwer. Für sie sah alles gleich aus. Irgendwann kam man auf eine Autobahn, die dann irgendwann zu einem Fluss führte, an dem man endlos entlangfuhr. Auch diese Fahrt war mehr oder weniger so abgelaufen, nur dass diesmal die Polizisten nach einer gewissen Zeit von dieser Autobahn abgebogen waren, weil dort wieder einmal der obligatorische Stau war. Sie hatten offensichtlich eine Ausweichstrecke gewählt, die kreuz und quer durch die Stadt zu führen schien und Layla letztendlich total verwirrt hatte. Nun wusste sie nicht einmal in welchem Stadtteil von Sao Paulo sie war.

Angekommen in der Polizeistation wurde sie von den beiden Beamten sofort in einen speziellen Raum geführt, der fast schon kitschig wie ein Verhörzimmer aussah. Sogar der übergroße Spiegel war vorhanden, hinter dem sich wahrscheinlich ein anderer Raum befand, von wo aus sie unbemerkt beobachtet werden konnte. Dann wurde sie dann erst mal warten gelassen. Nicht einmal ein Kaffee wurde ihr angeboten. Sie wusste auch immer noch nicht, was ihr eigentlich vorgeworfen wurde.

Layla beschloss, sich erst einmal nicht anmerken zu lassen und so gelassen, wie möglich zu bleiben. Sorgen machte sie sich im Moment noch nicht. Ihr Kontaktmann wusste, wo sie war. Gut, natürlich nicht genau, aber doch so in etwa. Er würde auch sicher Igor Dorojewski informieren, der sofort sicher etwas unternahm.

Es dauerte dann fast auch eine komplette Stunde, als Layla etwas an der Türe hörte. Ein Schlüssel wurde ins Schloss geschoben und umgedreht. Aha, sie war sogar eingeschlossen worden. Das hatte sie bei ihrer Ankunft gar nicht bemerkt.

Die Türe öffnete sich und vier Personen traten ein. Die zwei Polizisten, die sie schon von ihrer Fahrt vom Flughafen her kannte und zwei, die sie noch nie gesehen hatte.

Als sie die Polizisten sah, wurde Layla doch mulmig zumute. Das waren mit Sicherheit keine normalen Streifenpolizisten. Alle vier waren auffallend groß und sehr muskulös. Auch die Uniform war anders, als bei normalen brasilianischen Polizisten. Sie sah eher wie ein Kampfanzug des Militärs aus. Ganz in schwarz gehalten. Alle vier Männer trugen große Sonnenbrillen, die durch eine Spiegelung verhinderten, dass Layla ihnen in die Augen sehen konnte. Was ging denn jetzt ab, fragte sich Layla, blieb aber im Moment noch ruhig sitzen. Ein Mann zog eine Pistole, die Layla sofort als eine Taserwaffe erkannte. Layla kannte diese Waffen. Erst vor wenigen Wochen hatte sie eine Reportage gehabt, wo es um Todesfälle ging, die durch diese Waffen verursacht worden sein sollten. Layla rief sich in Erinnerung, was sie darüber recherchiert hatte. Eine Elektroimpulspistole, oder auch Distanz-Elektroimpulspistole verschoss zwei bis vier mit Widerhaken versehene Projektile, über die dann auf die Zielperson starke elektrische Schläge übertragen wurde. Dadurch wurden die Muskeln gelähmt und die Person kampfunfähig gemacht. Damit wollte Layla auf keinen Fall getroffen werden.

Der Polizist zielte mit der Waffe auf Layla, die genau in diesem Moment mit einen gewaltigen Satz aus ihrem Stuhl hochsprang. Die Drähte schossen dadurch an ihr vorbei ins Lehre. Layla hatte keine Zeit, sich über den Angriff zu wundern, denn die anderen Polizisten reagierten blitzschnell und gingen mit gehobenen Fäusten auf Layla los. Es wurde also offensichtlich ernst! Layla unterlief den Schlag des ersten Polizisten und rammte ihm ihr Knie genau an die Stelle, wo es am meisten wehtat. Der Polizist machte ein verwundertes Gesicht. Anscheinend hatte er nicht damit gerechnet, dass so eine winzige Person, wie Layla solch eine Geschwindigkeit und Kraft aufbringen konnte. Dann brach er zusammen. Aber der zweite war schon mitten im Angriff. Layla sah seine Faust kaum kommen und konnte sich gerade noch zur Seite drehen. Der Schlag ging nur Millimeter an ihrem linken Ohr vorbei. Layla griff zu, erwischte den Mann am Oberarm und drehte sich schnell um ihre eigene Achse, wobei sie den Mann aushebelte und auf den dritten Polizisten warf. Der vierte wollte offensichtlich seine Dienstpistole ziehen. Den Taser hatte er achtlos in die Ecke geworfen. Nachdem der Draht verschossen war, konnte die Pistole nicht noch einmal abgeschossen werden. Bevor die Waffe auch nur halb aus dem Halter gezogen wurde, erwischte ihn auch schon ein heftiger Tritt von Layla, der ihn gegen die Wand warf. Dabei rutschte ihm die Sonnenbrille vom Gesicht. Layla erstarrte. Er hat den gleichen abwesenden Blick, wie der Typ im Flughafen von Zürich. Layla war schockiert. Sie hatte das Gefühl, dass wirklich jeder ihrer Schritte überwacht wurde. Der zweite und der dritte Polizist hatten sich wieder erhoben und machten sich kampfbereit. Layla stand ganz locker da. Das musste ein komisches Bild ergeben: Diese riesigen Muskelberge in Kampfstellung vor dem locker da stehenden Zwerg Layla. Alleine die Vorstellung daran ließ Layla auflachen, dann sagte sie:

„Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten. Erstens: Ich prügle auch weiterhin die Scheiße aus Euch raus, oder zweitens, wir setzen uns hin, trinken einen Kaffee und ihr erklärt mir ganz genau, warum Ihr solch eine Stinkwut auf mich habt“

Die Polizisten zuckten mit keinem Muskel im Gesicht, sondern griffen Layla sofort wieder an. Dabei wollten sie anscheinend taktisch besser vorgehen. Wie vermutet, hatten sie Layla anfänglich unterschätzt und wollten es jetzt besser machen. Layla wollte es aber gar nicht erst so weit kommen lassen. Denn sie traute diesen kampferprobten Männern schon zu, dass sie selbst den Werwolf Layla in Bedrängnis bringen konnten. Sie war nämlich gar nicht so siegesgewiss, wie sie vorgab. Also sprang Layla den zweiten Polizist, der halblinks zu ihr positioniert war, an und hämmerte ihm die Faust auf die Schläfe. Der Mann klappte wie vom Blitz getroffen zusammen und sank zu Boden. Layla drehte sich schnell um. Gerade noch rechtzeitig, denn der dritte Polizist wollte ihr gerade in den Rücken springen. Layla riss das Bein hoch und erwischte den Mann im Flug. Auch er wurde heftig gegen die Wand geschleudert. Hinter sich hörte Layla ein Zischen und sprang zur Seite. Der erste Polizist hatte sich offensichtlich von ihrem Tritt in die Weichteile wieder in soweit erholt, dass auch er seinen Taser hatte ziehen können, denn er nun auf Layla abfeuern wollte. Bevor er jedoch abdrücken konnte, erwischte ihn ein brutaler Tritt von Layla direkt auf das Kinn, der ihn ins Land der Träume schickte. Layla war es egal, dass sie ihm dabei ganz offensichtlich den Kiefer gebrochen hatte, wie das deutlich wahrnehmbare Knacken verriet.

Layla drehte sich wieder schnell um die Achse. Aber die vier hatten offensichtlich genug. Der dritte, der wohl am wenigsten abbekommen hatte, rappelte sich gerade wieder auf. Die anderen Polizisten waren mehr oder weniger bewusstlos und auf jeden Fall kampfunfähig. Der abwesende Blick war aus dem Blick des Mannes verschwunden. Er sah sich um, als ob er gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht wäre. Er war ganz offensichtlich verwirrt. Ganz langsam stand er auf. Dabei schüttelte er den Kopf, als ob er nicht verstehen könnte, was da gerade geschehen war. Na, dann würde ihn sich Layla mal zur Brust nehmen.

Plötzlich knallte es und Layla blieb wie angewurzelt stehen. Ein regelrechtes Alptraumwesen stürmte durch die Türe hinein. Es war gut über zwei Meter groß und fast schon unnatürlich muskulös. Es war unheimlich schnell, geschmeidig und gewandt. Das Wesen erinnerte ganz entfernt an einem Menschen. Dies bezog sich aber lediglich auf die Statur und den Körperbau. Alles andere erinnerte eher an einen Leoparden oder Jaguar. Selbst der Kopf wirkte katzenhaft. Nicht einmal die Fangzähne fehlten. Der ganze Körper war mit einem gefleckten Fell bewachsen, das in der Farbe irgendwo zwischen Ockergelb, Gelbbraun und Orange angesiedelt war. Die Flecken hatte den gleichen Farbton, waren aber dunkler und hatten ein fast schwarzen Rand. Trotz der riesigen Fangzähne war das Merkmal, dass Layla am meisten beeindruckte die Augen. Von denen ging eine regelrechte hypnotische Wirkung aus, die einem wie paralysiert stillstehen ließ. Und dabei sah diese Bestie Layla nicht einmal direkt an.

Das Katzenwesen überbrückte mit einem gewaltigen Satz die Distanz bis zum einzigen Polizisten, der noch bei Bewusstsein war. Ein einziger Schlag mit seiner mit langen Krallen bewaffneten Tatze. Layla konnte noch lange Striemen auf seinem Hals sehen, bevor das Blut regelrecht herauszuspritzen begann. Der Mann sah das Wesen noch erschrocken an, dann brach er tot zusammen. Dem Alptraumwesen war er kein Blick mehr wert. Langsam drehte es sich um. Dabei legte es die Ohren an und ließ ein feindseliges Fauchen hören. Alle Muskeln des Wesens waren bis auf das Äußerste angespannt. Der Angriff auf Layla stand offenbar unmittelbar bevor. Dabei schien sich das Wesen seiner Überlegenheit sehr sicher zu sein. Es schien den Augenblick regerecht auszukosten. Layla wusste auch, dass sie in ihrer menschlichen Gestalt gegen dieses Katzenwesen wohl keine Chance haben würde. Es fehlte ihr aber natürlich die Zeit, sich in ihre Werwolfgestalt zu verwandeln. Sie musste also Zeit gewinnen und sich einen ruhigen Ort suchen, wo sie die Verwandlung einleiten könnte und das bevor das Katzenwesen sie in Stücke riss. Als Mensch war sie zwar hart im Nehmen, aber doch verletzlich, als Werwolf dagegen fast nicht. Auch würde ihre Kampfkraft als Werwolf natürlich unendlich viel besser sein. Deshalb sprang Layla mit einem riesigen Satz in Richtung der offenen Türe. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass das Katzenwesen ebenfalls in Richtung Türe sprang. Ganz offensichtlich wollte es ihr den Weg abschneiden. Den Bruchteil einer Sekunde war Layla schneller und kaum aus der Türe hinaus, und schmiss diese mit all ihrer Kraft zu. Es gab einen dumpfen Knall, als die Katzengestalt gegen die Türe stieß. Layla hörte ein wütendes Fauchen. Sie zog ihr wertvolles Amulett aus ihrer Bluse hervor, das ihr im Kampf gegen die Werwölfe von Aguas Verdes so gute Dienste geleistet hatte. Dieses zeigte jedoch diesmal keine Regung. Nicht einmal der leichteste blaue Schimmer war zu sehen. Dabei hätte es in der unmittelbaren Nähe zu diesem Monster eigentlich tiefblau leuchten müssen. Die Türe sprang mit einem Knall auf und dieses seltsame Katzenwesen sprang elegant heraus. Layla eilte zur nächsten Türe, die wahrscheinlich zum Nebenraum des Verhörzimmers führte, von wo aus die Personen hinter dem großen Spiegel überwacht werden konnten. Hoffentlich war die Türe nicht abgeschlossen, sagte sich Layla. Und sie hatte Glück. Die Türe war tatsächlich offen. Layla sprang hinein und schlug die Türe wieder zu. Keine Sekunde zu früh, denn das Katzenwesen sprang schon dagegen. Layla wurde nach vorne geschleudert, konnte aber im Fallen mit dem Fuß nach der Türe treten, sodass die wieder zuschlug und erneut das Katzenwesen traf, dass abermals ein wütendes Fauchen hören ließ. Da die Türe nicht sofort wieder aufsprang, war es Layla wohl gelungen, die Bestie vorerst etwas abzubremsen. Dies würde aber nur für Bruchteile einer Sekunde anhalten. Deshalb sprang Layla schnell wieder auf die Füße und schlug die Türe wieder ganz zu. Sie entdeckte einen Hebel, der die Türe wohl verriegelte, welchen sie genau in dem Moment umlegte, als das Katzenwesen wieder gegen die Türe sprang. Sie hörte ein Klicken, das offenbar das Schließen des Mechanismus ankündigte. Die Bestie war vorerst ausgesperrt. Der Verschlussmechanismus, der anscheinend für Notfälle gedacht war, sah recht stabil aus, aber die harten Schläge an der Türe, die diese zum erbeben brachten, zeigten, dass sie der rohen Gewalt des Katzenwesens wohl nicht lange würde standhalten können. Layla konzentrierte sich und leitet die Verwandlung in ihre Werwolfgestalt ein. Darin hatte sie mittlerweile große Übung, sodass die Verwandlung auch sofort begann. Zu Beginn ihres Werwolf Daseins hatte sie sehr viel mehr Mühe gehabt, diese Verwandlung willentlich herbeizuführen und zu kontrollieren. Jetzt lief es wie am Schnürchen, selbst in der Stresssituation, in der sie sich im Moment befand. Trotzdem würde sie einige Sekunden brauchen, bis die Verwandlung vollständig war. Und die Türe zeigte schon jetzt erste Auflösungserscheinungen. Das Schlimmste, was Layla passieren konnte, wäre, dass das Katzenwesen sie angriff, wenn sie zwischen den beiden Gestalten schwebte. Dann würde sie sich nicht wehren können, da die Verwandlung all ihre Energie brauchte. Aber Layla blieb das Glück treu. Die Türe hielt noch zwei weitere harte Schläge aus, bevor sie mit einem lauten Krachen zerbrach, was Layla genug Zeit gab, sich vollständig zu verwandeln. Angriffsbereit wartete sie darauf, dass die Bestie in den Raum eindrang. Layla wunderte sich noch kurz, warum dieser Höllenlärm, dass dieses Monster veranstaltete keine weiteren Polizisten auf den Plan rief, als das Wesen mit einem gewaltigen Satz in den Raum springt. Layla sah noch das Erschrecken in den eindrucksvollen Augen des Wesens, bevor sie es frontal angreift. Der Schlag mit ihren kräftigen Krallen traf das Wesen direkt am Hals. Es taumelte zurück und versuchte nun seinerseits aus der direkten Gefahrenzone zu fliehen. Layla wollte den Vorteil der Überraschung jedoch nicht wieder aus der Hand geben und setzte augenblicklich nach. Bei Werwölfen in ihrer Werwolfgestalt, so wusste Layla, war die einzige Stelle, wo sie verletzlich waren, die Augen, weshalb ihr nächster Schlag mit voller Härte in Richtung der Augen der Bestie ging. Das Wesen wich jedoch elegant aus und schlug nun seinerseits in Richtung Layla, aber der Schlag war unkoordiniert und überstürzt. Offenbar lag dem Wesen der Schock, plötzlich einem offensichtlich ebenbürtigen Gegner gegenüber zu stehen, noch in den Gliedern. Layla wich mühelos aus und sprang das Wesen an. Ihre mächtigen, mit langen Fangzähnen bewaffneten Kiefern erwischen die Bestie an der Kehle und bissen brutal zu. Das Katzenwesen ließ ein Fachen hören und schlug nach Layla. Aber die ließ nicht los, sondern verstärkte sogar noch den Druck ihrer Zähne. Wie erwartet konnte sie das Katzenwesen dadurch nicht töten, aber sie war jetzt trotzdem in der deutlich besseren Situation. Mit beiden Daumen stieß sie nochmals in Richtung der Augen des Katzenwesens und diesmal traf sie. Zwar konnte sie überraschenderweise die Augenäpfel wie bei einem Werwolf nicht sofort durchbohren, aber der schmerzerfüllte Aufschrei des Katzenwesens zeigten ihr, dass der Schlag wohl doch Wirkung zeigte. Also schlug Layla nochmals zu und obwohl das Katzenwesen seinen Kopf soweit wie nur möglich hin und her warf, traf Layla auch diesmal genau. Sie merkte, dass etwas gliebrig - schleimiges über ihre Finger lief. Also doch! Layla schlug nochmals mit voller Kraft zu und durchdrang endlich die Augenäpfel. Das Katzenwesen schrie wild. Wut, Schmerz, Panik, Frustration. Alles war in diesem Schrei. Dann erlahmte es plötzlich und bevor Layla verstand, was vor sich ging, verendete das Wesen, fast so, als ob es die Niederlage eingesehen hätte und Layla seinen Leib nicht lebend überlassen wollte. Vorsichtig ließ Layla los. Ihre Sinne waren immer noch in voller Alarmbereitschaft. Aber sie konnte keine weitere Gefahr orten. Das ganze Gebäude schien leer zu sein. Wie konnte das sein? Eine Polizeistation sollte doch immer besetzt sein. Na, egal, dachte sich Layla. Sie hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie musste weg und zwar schnell. Nur konnte sie natürlich nicht als Werwolf auf die Straße gehen. Da würde sie sicher für eine Panik sorgen. Wie aber war dann das Katzenwesen unbemerkt in das Gebäude gekommen? Auch dafür hatte Layla keine Erklärung. Fragen über Fragen, auf die Layla keine Antwort hatte. Offensichtlich hatte sie in ein Wespennest gestochen. Was Layla aber frustriert, war, dass ihr Gegner, den sie noch nicht einmal kannte, sehr wohl über sie Bescheid wusste und sie offenbar konstant überwachte. Sie vermutete zwar, dass diese angesprochene Seelenräuberin ihr Gegner war, war sich aber da nicht sicher. Und wenn es so wäre. Außer einem Namen hatte sie selbst dann nichts zur Verfügung.

Sie leitete die Rückverwandlung ein und kurz später stand sie wieder als Mensch auf dem Gang. Ihre Kleidung hatte ganz schön was abbekommen. Auf gut Deutsch sah sie aus, als ob eine Dampfwalze über sie hinweg gefahren wäre. Gut, zum Glück war es ein Märchen, dass ein Werwolf nach seiner Verwandlung soviel grösser wurde, dass praktisch seine komplette Kleidung zerriss und er nach der Rückverwandlung praktisch nackt dastand. In ihrer Werwolfgestalt war Layla nur unwesentlich grösser. Und da sie sich bei ihren Einsätzen oftmals schnell in einen Werwolf verwandeln musste, kaufte sie in weiser Voraussicht ihre Kleidung immer eine Nummer grösser, bzw. Achtete darauf dass die Kleidung sehr dehnfähig war.

Layla rüttelte an allen Türen. Sie musste ihren Koffer und ihr Handgepäck finden. Da wäre dann auch ihr Handy, sodass sie ihren Kontaktmann anrufen konnte.

Sie brauchte auch nicht lange zu suchen. Die Polizisten hatten ihre Sachen einfach am Eingang liegen gelassen. Layla seufzte. Die Tasche hatte sie auch bitter nötig. Sie musste sich dringend umziehen. So konnte sie nicht unter die Leute gehen. Selbst ein Waschbecken an dem sie sich waschen konnte, war vorhanden. Als Layla dort im Spiegel ihr Gesicht sehen konnte, musste sie fast lachen. Wenn die hier jemanden brauchten, der in einer Geisterbahn arbeitete, dann wäre Layla wohl die richtige Bewerberin. Blutunterlaufene, funkelnde Augen. Blut am Mund und eine Frisur, wie eine Hexe auf dem Weg zur Walpurgisnacht.

Dann ging Layla zu ihrem Gepäck zurück und öffnete ihre Handtasche. Dort suchte sie nach ihrem Handy. Dies lag genau dort, wo sie es hingetan hatte. Offensichtlich war ihr Gepäck nicht einmal untersucht worden. Das kam Layla sehr seltsam vor. Jeder Polizist in jedem Land der Erde hätte ihr Gepäck sofort untersucht und versucht, Erkenntnisse daraus zu gewinnen. Was sagte ihr das, dass dies hier nicht geschehen war? Es war uninteressant gewesen. Also waren die Polizisten nur an ihrer Person interessiert gewesen. Layla nahm das Handy, gab die Geheimzahl ein und wollte ihren Kontaktmann anrufen. Nur, wo war sie eigentlich? Sie hatte bei der Fahrt ja total die Orientierung verloren. Also suchte Layla nach einem Anhaltspunkt. Ihr Blick fiel auf ein Büro am Ende des Ganges. Sie ging dort hin und sah einen Schreibtisch. Dort angekommen, begann sie diesen genau zu untersuchen. Kurz später sah sie die Visitenkarte eines Polizisten. Auf dieser fand sie die genaue Adresse der Polizeistation. Layla stieß einen aufmunternden Schrei aus. Dann suchte sie in ihrem Adressenverzeichnis die Nummer des Kontaktmannes und wählte diese aus. Schon beim zweiten Klingeln meldete sich der Mann:

„Layla, wo stecken Sie!“

„Ich bin in der Polizeistation 34 in Interlagos!“

„Die kenne ich, ich kann in einer halben Stunde bei Ihnen sein.“

„Ich warte vor der Türe!“

„OK. Wie kam es eigentlich zu der Verhaftung? Igor Dorojewski ist fast hysterisch geworden.“

„Das weiß ich auch nicht. Es ist alles ganz dubios. Die Einzelheiten erkläre ich Ihnen jedoch erst dann, wenn Sie hier sind!“

Layla legte auf und begann sich wieder umzusehen. Die Polizeistation war tatsächlich menschenleer, fast so, als ob sie evakuiert worden wäre. Da fielen Layla die drei überlebenden Polizisten ein, die sie im Verhörraum ins Land der Träume geschickt hatte. Sie ging also dahin zurück und sah sich um. Die drei Polizisten (waren es wirklich Polizisten??) lagen noch genau so da, wie Layla sie zurückgelassen hatte. Die Leiche des vierten, toten Polizisten ignorierte sie. Die konnte ihr mit Sicherheit nicht mehr helfen, also ging sie zum ersten Lebenden, um ihn zu untersuchen. Geschockt stellte sie fest, dass der Mann Schaum vor dem Mund hatte. Rasch versuchte Layla, einen Puls festzustellen. So sehr sie sich aber auch bemühte, konnte sie trotzdem keinen finden. Der Mann war also ebenfalls tot. Hektisch eilte Layla zum zweiten. Der zeigte genau das gleiche Bild. Auch der dritte Polizist war tot. Was war da passiert? Als sie den Raum verließ, waren alle drei noch am Leben gewesen, da war sich Layla sicher. Dies erinnerte sie stark an den Mann im Flugzeug, der kurz vor der Landung so mir nichts dir nichts gestorben war. Warum nur? Es schien fast so, als ob diese Leute ihre Schuldigkeit getan hätten und nicht mehr gebraucht würden. Steckte da ihr Gegner dahinter? Konnte er Menschen, aber auch Tiere, wie zum Beispiel die Hunde in Zürich kontrolliert? Und wenn er sie nicht mehr brauchte, dann gab er ihnen einfach den Befehl zu sterben, damit keine Spuren zurückblieben. Layla erschien dies möglich. Aber die Kontrolle war offenbar nicht unüberwindlich. Der letzte Polizist war augenscheinlich nach dem Kampf mit Layla seiner Kontrolle entwichen. Und was war dies für ein Alptraumwesen, das diesen armen Polizisten getötet und sie angegriffen hatte? Es stand anscheinend auch unter dem Einfluss ihres Gegners, wie sein Tod nach der Niederlage bewies. Nur was war dies für ein Wesen? So etwas konnte es einfach nicht geben. Halt einmal: Einen Werwolf konnte es auch nicht geben. War dies etwas Ähnliches? Konnte es auch seine Gestalt ändern, wie Layla? Die konnte sich nicht erinnern, dass es nach seinem Tod sich in einen Menschen zurückverwandelt hatte, wie dies bei einem Werwolf der Fall gewesen wäre. Trotzdem vermutete Layla, dass es etwas ähnliches sein musste. Es war offensichtlich sehr intelligent und unglaublich kampfstark. Auch war es ähnlich wie ein Werwolf fast unverwundbar. Nur bei den Augen schien auch dieses Wesen seinen Schwachpunkt zu haben. Layla hatte Glück gehabt, dass sie das Wesen hatte überraschen können. Wenn nicht, dann wäre es wohl wesentlich schwerer gewesen, als Sieger aus diesem Kampf hervorzugehen.

Aber jetzt musste Layla so schnell, als möglich verschwinden. Sie vermutete, dass es nicht lange dauern würde, bis es hier wieder von Leuten wimmeln würde. Es war sehr wahrscheinlich, dass ihr Gegner dafür gesorgt hatte, dass die Polizeistation für die Zeit der Befragung leer war und jetzt, wo er sie nicht mehr brauchte, würde die sich wohl schnell wieder füllen. Und wie sollte sie dann die toten Polizisten erklären?

Was Layla erschütterte war, dass wenn sie Recht hätte, ihr Gegner sehr, sehr mächtig sein müsste. Wie Recht hatte doch die Zigeunerin im Zug gehabt, als sie Layla warnte, dass sie mit mehr Ehrfurcht an die Sache herangehen solle. Mittlerweile hatte Layla richtig Angst bekommen. Ebenfalls Recht hatte die Zigeunerin mit ihrem Amulett gehabt, dass offensichtlich keine Wirkung zeigte. In was war sie da wieder hineingeschlittert?

Da hörte Layla Stimmen. Die Leute, die hier arbeiteten kamen offenbar zurück! Jetzt wurde es höchste Eisenbahn, dass sie verschwand! Layla richtete sich auf und ging zur Türe. Zwei Frauen, höchstwahrscheinlich Sekretärinnen, liefen in Richtung des Büros, wo sie über die Visitenkarte des Polizisten ihren Aufenthaltsort bestimmt hatte. Layla schlich sich aus dem Raum und ging zügig, aber ohne Eile zu zeigen zum Ausgang. Dabei waren ihre Nerven bis aufs Äußerste angespannt. Fast konnte sie den grellen Schrei einer der Sekretärinnen hören, wenn sie die Leichen im Verhörzimmer fanden. Und was war erst lost, wenn sie die Katzenbestie fanden! Layla schaffte es tatsächlich, unbehelligt die Polizeistation zu verlassen. Gut, sie hatte mit Sicherheit Millionen von Fingerabdrücken hinterlassen. Da sie aber ihrem Wissensstand nach noch nicht bei Interpol registriert war, würde es wohl noch einige Zeit dauern, bis diese die Polizisten auf ihre Spur bringen würde. Verlassen wollte sich Layla da aber nicht darauf und nahm sich vor, sehr gut aufzupassen. Wo sich Layla jedoch hundertprozentig sicher war, war, dass ihr Gegner dafür gesorgt hatte, dass keine der Überwachungskameras eingeschaltet gewesen war. Na, dann hatte er ihr doch erstmalig geholfen. Laylas Gesicht hellte sich auf. Das Lächeln war jedoch nicht erlösend, sondern eher wie ein Trost. Layla war bis ins Mark hinein erschrocken, mit was für einem mächtigen Gegner sie es zu tun hatte. Fast wünschte sie sich, die Zigeunerin wäre bei ihr und konnte ihr wenigstens ein paar ihrer Fragen beantworten. Da sah Layla ein kleines Restaurant, oder Bar. Hier würde sie auf ihren Kontaktmann warten!

Die Seelenräuberin

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