Читать книгу Die Seelenräuberin - Michael Hamberger - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеEs dauerte dann auch fast 45 Minuten, bis ihr Kontaktmann endlich beim Restaurant angekommen war. Zum Glück gab es dort einen anständigen Kaffee, was in Brasilien gar nicht so selbstverständlich war, obwohl das Land einer der größten Kaffeeexporteure weltweit gesehen war. Offenbar wurde dabei die erste Qualität exportiert, während die zweite Qualität im Land blieb. Aber hier in diesem kleinen Restaurant war der Kaffee wirklich ausgezeichnet.
Hektisch kam ihr Kontaktmann hinein und sah sich um. Als er Layla sah, hellte sich sein Gesicht auf. Er hatte sich offensichtlich große Sorgen gemacht. Er wollte sich setzen, aber Layla erklärte ihm kurz, dass sie, wenn möglich, so schnell als möglich von hier verschwinden sollten. Also bezahlte der Mann umgehend und die beiden gingen zur Türe.
Angekommen im Wagen, sah sie der Mann erst einmal fragend an, aber Layla erklärte ihm, dass sie erst einmal nur von hier weg wollte. Schon seit 20 Minuten war in der Polizeistation die Hölle los. Fast minütlich kamen Polizeiwagen mit Blaulicht dort an. Der Mann sah Layla fragend an und Layla begann, ihm in kurzen Worten zu erzählen, was dort geschehen war, ohne aber die Katzenbestie, noch ihre Verwandlung zum Werwolf zu erwähnen. Sie wusste nicht, in wieweit der Mann informiert war, und inwieweit sie ihm trauen konnte.
Der Mann, von dem sie immer noch nicht wusste, wie er hieß, macht das Radio an und drückte auf einen speziellen Knopf. Augenblicklich war der Polizeifunk von Sao Paulo zu hören. Dort war ein hektisches Durcheinander. Deshalb verstand Layla überhaupt nichts mehr, aber der Mann wurde bleich und sah Layla immer wieder mit großen Augen an. Layla versuchte diesen Blick zu deuten, was ihr aber total misslang. Es schienen zu viele Emotionen auf einmal in ihm zu toben. Ihre feine Werwolf Nase sagte ihr, dass der Mann mächtig Angst hatte.
Nachdem er einige Minuten zugehört hatte, drehte er sich plötzlich zu Layla um und sagte:
„Da muss ja echt die Hölle los sein. Sie haben vier Leichen gefunden, die offenbar keine Polizisten sind, sondern anscheinend von einer Eliteeinheit des Militärs stammen, sowie ein ebenfalls totes Monster, dass die Soldaten getötet haben soll. Wer das Monster getötet hat, können sie sich nicht erklären. Haben Sie dieses Monster auch gesehen? Es wird auch von einer rätselhaften Frau berichtet, die kurz gesehen wurde, die aber nicht näher identifiziert werden konnte. Damit sind offensichtlich Sie gemeint.“
Layla sah dem Mann an, dass er etwas beleidigt ist, dass sie ihm von der Katzenbestie nichts erzählt hatte. Layla tat dies etwas leid, aber sie konnte es sich einfach noch nicht erlauben, ihn voll zu involvieren. Was wäre, wenn ihr Gegner ihn auch unter Kontrolle bekam?
Für Layla war es das wichtigste überhaupt, an Informationen zu kommen, damit sie ihre nächsten Schritte sinnvoll planen und Mark endlich zur Seite stehen konnte. Bisher hatte sie nur reagiert und nicht agiert. Es war für sie sehr, sehr kritisch, dass ihr Gegner offensichtlich jeden ihrer unbeholfenen, hilflosen Schritte kannte, während sie noch nicht einmal sicher wusste, um wen es sich dabei eigentlich handelte. Die Zigeunerin hatte von einer Seelenräuberin gesprochen, ja. Aber war dies tatsächlich ihr Gegner? Und wenn ja, wer war diese Seelenräuberin dann überhaupt? Sie drehte sich zu dem Mann um und lächelte, um ihn etwas wohler zu stimmen, bevor sie ihn fragte:
„Haben Sie schon einmal von einer Seelenräuberin gehört?“
„Die gleiche Frage hat mir Mark bei unserem letzten Treffen auch gestellt. Nein, davon habe ich nie gehört!“
Aha, Mark war also auch darauf gestoßen, Na, das war doch etwas. Offenbar war diese Seelenräuberin tatsächlich ihr Gegner. Nur, was hatte Mark herausgefunden und wo hatte er es herausgefunden?
„Wissen Sie, wo Mark recherchiert hat? Mit wem hatte er gesprochen? An welchen Orten war er?“
Der Mann lächelte. Offenbar gefiel es ihm, dass Layla ihn endlich mit einbezog. Er legte deshalb auch eine wichtige Miene auf bevor er begann:
„Entschuldigen sie, Layla, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Hans Wirthmann. Ich betreue für das Convento seit zwei Jahren Brasilien und Argentinien. Bisher ist dies aber mein erster richtiger Einsatz. Herr Dorojewski hat mir nahe gelegt, Sie wo ich nur kann, zu unterstützen, was ich gerne tun möchte. Ich habe sehr viele gute Verbindungen hier in der Stadt, die uns oft viele Türen öffnen werden. Also, wie sie sicher wissen hat Mark den Fall über einen Mann untersucht, der offensichtlich von einem Dämon befallen war. Er war für eine gewisse Zeit verschwunden gewesen, kam jedoch nach einigen Wochen wieder zurück. Dabei hatte er aber eine starke Änderung in seiner Persönlichkeit gezeigt. Es war, als ob er nicht mehr Herr seiner Sinne, sondern fremd gesteuert gewesen war. Mark hatte sich mit der Familie des Mannes unterhalten. Soll ich Sie mit der Familie in Verbindung bringen?“
„Ja, bitte, Hans, so schnell, als möglich“
Glücklich, Layla endlich zeigen zu können, was er drauf hatte, drückte Hans einige Tasten an seinem Handy. In den Lautsprechern des Radios rauschte es, was darauf hindeutete, dass das Handy mit der Freisprecheinrichtung verbunden war. Nach endlos langer Zeit mit starkem statischem Rauschen begann es endlich zu tuten. Offenbar war die Verbindung nicht besonders gut. Am anderen Ende meldete sich eine Frau. Hans fragte die Frau, ob sie bereit wäre, die Fragen über ihren Onkel noch mal einer anderen Person gegenüber zu beantworten. Die Frau klang gar nicht glücklich, sagte am Ende aber doch zu. Hans erklärte Layla, dass die betreffende Familie in einer Hazienda lebte, die etwas außerhalb von Sao Paulo lag. Offenbar handelte es sich um eine reiche, sehr bekannte Familie. Des Weiteren erklärte Hans, dass es wohl etwas länger dauern würde, da der Weg relativ weit und die Straßen sicher sehr verstopft sein würden. Er kenne aber auf dem Weg dorthin eine exzellente Churrascaria. Layla lief das Wasser im Mund zusammen. Eine Churrascaria ist ein traditionales Brasilianisches Steakhaus, wo hauptsächlich gegrilltes Fleisch angeboten wurde, dass dann von den Passadores, eine Art Kellner an großen Spießen an den Tisch gebracht wurde, wo es direkt auf den Teller abgeschnitten wurde. Für Layla war dies ein göttlicher Gedanke, weshalb sie auch sofort zusagte. Dann schloss sie die Augen. Der Jetlag forderte jetzt doch seinen Zoll.
*
Das nächste was Layla wusste, war, dass Hans sie weckte. Sie hatte tatsächlich geschlafen. Tief und fest. Entschuldigend sah sie Hans an, der sie verstehend anlächelte. Die Entschuldigung wurde offenbar akzeptiert. Sie stiegen aus und als Layla den Geruch des gegrillten Fleisches vernahm, knurrte ihr Magen deutlich wahrnehmbar, was Hans fröhlich auflachen ließ. Selbst der Kellner am Eingang hatte es gehört, lachte und führte sie in das Restaurant auf ihren Platz. Das Lokal war fast leer. Es war wohl noch etwas früh für ein Mittagessen. Dennoch war schon alles hergerichtet. Es gab ein großes Buffet mit herrlichem Salat, verschiedenen Meeresfrüchten, Wurst, Käse und andere Leckereien. Layla konnte gar nicht schnell genug ihren Teller voll schaufeln, bevor sie an den Platz eilte und zu essen begann. Layla sah es als einzigen Nachteil ihres Werwolf Daseins an, dass sie deutlich mehr Energie benötigte, als normale Menschen, speziell in ihrer Werwolfgestalt. Sie kam dann oft mit dem Essen einfach nicht mehr hinterher. So wie auch jetzt. Sie war nach der Verwandlung ausgehungert wie ein ganzes Rudel Wölfe. Und so aß sie auch, sodass der Teller im Handumdrehen wieder leer war. Hans sah ihr belustigt zu und drehte eine kleine Scheibe um, die bisher rot gewesen war und jetzt eine grüne Farbe zeigte. Fast augenblicklich näherten sich dem Tisch mehrere Passadores mit großen Spießen. Layla ließ sich von jedem Fleisch etwas geben und begann wieder mit vollen Backen zu essen. Nach kurzer Zeit schaute Hans gar nicht mehr belustigt, sondern erstaunt über die riesige Menge, die Layla verdrückte. Selbst bei den Passadores war sie schon die Sensation. Während der ganzen Zeit sprach Layla kein einziges Wort. Es blieb ihr einfach keine Zeit dazu. Sie brauchte ihre ganze Konzentration, um ihren leeren Energievorrat wieder aufzufüllen. Was für viele Frauen, die sich mit permanenten Diäten das Wunschgewicht abquälen müssen, ein Traum wäre, war Layla in der glücklichen Lage, dass sie essen musste, um kein Gewicht zu verlieren. Nur war dies wirklich eine „glückliche Lage“? Layla wurde eigentlich fast immer von Hunger gequält. Sogar in der Nacht musste sie mehrfach aufstehen und etwas essen. Selbst diese riesige Menge Fleisch, die sich jetzt in ihrem Magen befand, würde vielleicht drei bis vier Stunden ausreichen, dann würde Layla wieder fast vor Hunger sterben.
Als dann selbst Layla endlich mit dem Essen fertig war, fragte sie Hans:
„Wann haben Sie Mark das letzte Mal gesehen?“
„Das war vor drei Tagen. Er sagte, dass er eine Spur gefunden hätte und die verfolgen wollte!“
„Was er gefunden hatte, hat er Ihnen nicht gesagt?“
„Nein, es muss aber mit der Familie zu tun haben, die wir jetzt besuchen. Er rief mich direkt nach dem Treffen mit ihnen an.“
„Was wissen Sie über die Familie!“
„Oh, es ist eine sehr einflussreiche, vermögende Familie. Sie werden sich freuen, sie sind nämlich deutschstämmig und sprechen immer noch sehr gut Deutsch. Sie haben ihr Geld anfänglich in der Textilindustrie verdient. Der Großvater hatte in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine gut gehende Färberei gegründet. Die hat er seinem Sohn vermacht, die dieser mit großem Gewinn verkauft hat. Irgendwie haben sie jetzt was mit Import und Export und mit Immobilien zu tun. So genau weiß das niemand. Auf jeden Fall ist das Vermögen in den letzten zwanzig Jahren fast sprunghaft angestiegen. Mit dem Geld kam natürlich auch der Einfluss. Es gibt glaube ich niemanden, der in Brasilien etwas zu sagen hat, der nicht mit der Familie Damann befreundet ist. Sogar Lula da Silva, der ehemalige Präsident von Brasilien soll im Haus der Familie ein und ausgehen.“
„Wer ist die Person, die vom Dämon besessen sein soll?“
„Es ist Markus Damann, der Bruder des jetzigen Familienpatrons. Der Onkel von Naomi Damann, mit der wir sprechen wollen“
„Was wissen wir von ihm?“
„Er ist im Gegensatz zu Hugo Damann, dem Familienpatron eine schwache, unsichere Person, der in seinem Leben nichts auf die Reihe bekommen hat und nur vom Ruf der Familie lebt!“
„Können wir mit Hugo Damann sprechen?“
„Nein, der ist im Moment in Europa. Wie gesagt: Wir sprechen mit Naomi Damann, seiner Tochter. Das ist sogar eher besser, da die alles mitbekommen hat. Außerdem ist es nicht ganz leicht, mit Hugo Damann zu sprechen. Er fühlt sich wie ein König und lässt alle in seinem Umkreis dies auch spüren.“
„Haben Sie schon mit Naomi Damann gesprochen?“
„Nein, Mark wollte es alleine tun!“
Er setzte wieder seinen beleidigten Blick auf. Hans brauchte offenbar die permanente Bestätigung, dass er gebraucht wurde. Er tat Layla leid. Er war offenbar echt ein netter Kerl. Layla beschloss, ihn soweit es ihr möglich war in das Geschehen zu involvieren.
Kurz später waren sie auch mit dem Kaffee fertig. Hans bezahlte und sie gingen zurück zum Ausgang. Während sie darauf warteten, dass ihnen ein Parkplatzwart das Auto brachte, sah sich Layla um. Eigentlich weckte nichts Spezielles ihr Interesse. Sie fühlte sich im Moment sogar relativ sicher. Wie trügerisch diese Sicherheit war, zeigte sich jedoch kurz später, als Layla plötzlich ein Fahrzeug sah, dass außerhalb des Parkplatzes am Randstein hielt. Der Fahrer dort betrachtet sie auf die gleiche Art und Weise, wie dies der Mann im Flugzeug getan hatte. Wahrscheinlich verfolgte auch er sie. Layla wollte nicht, dass ihre Pläne gleich bei der Seelenräuberin, oder wer auch immer ihr Feind war, ankämen und so starrte sie den Mann provokativ an. Sie winkte ihm sogar, wohl wissend, dass sie damit auch sein Leben in Gefahr brachte. Darauf konnte sie jedoch im Moment keine Rücksicht nehmen. Der Mann war auch ganz augenscheinlich erschrocken darüber, dass Layla ihn entdeckt hatte und zündete den Motor seines Autos. Er fuhr aber nicht davon. Offensichtlich wollte er trotzdem seine Überwachung fortsetzen. Das kam überhaupt nicht in die Tüte, dachte sich Layla, entschuldigte sich kurz bei Hans und ging in Richtung des Fahrzeugs. Der Mann machte ein obszönes Zeichen in ihre Richtung und fuhr letztendlich doch mit quietschenden Reifen davon. Jetzt wurde auch Hans auf das Auto aufmerksam. Er fragte Layla, ob sie den Wagen verfolgen sollten, aber Layla verneinte. Er würde so oder so nichts zu sagen haben. Es war eher wahrscheinlicher, dass er einfach starb. Layla hoffte, dass sie ihrer Überwachung damit wenigstens für kurze Zeit entgangen waren. Schnell gingen sie zum Auto und fuhren ebenfalls davon.
Hans schien jetzt richtig aufgetaut zu sein, denn während der ganzen weiteren Fahrt, hörte er nicht auf, zu schwätzen. Über Brasilien, seinen Job, über Kriminalität in Sao Paulo und was dagegen seiner Meinung nach gemacht werden sollte. Layla hörte nur mit einem halben Ohr zu und sagte an den richtigen Stellen „Ja“ und „Aha“. Was sie dagegen wirklich beschäftigte, war die konstante Überwachung dieser Seelenräuberin. Sie musste über ein unglaubliches Netzwerk verfügen. Aber reichte dies wirklich bis nach Zürich? Layla glaubte dies nicht. Also suchte sie sich bei Bedarf die passenden Personen einfach nur aus? Nur wie bewerkstelligte sie dies? Wie suchte sie die Leute aus? Woher wusste sie, wer die richtigen waren, selbst über die riesige Distanz von Brasilien in die Schweiz? Wie wusste sie überhaupt über Layla Bescheid? Und was wusste sie von Layla? Hatte diese Seelenräuberin Mark etwas angetan? Es gab so vieles, auf das sich Layla einfach keinen Reim machen konnte und die Sorge um Mark brachte sie fast um.
Tief in Gedanken versunken merkte Layla gar nicht, wie die Zeit verging und war sehr überrascht, als Hans ankündigte, dass sie beim Anwesen der Familie Damann angekommen seien. Layla sah sich um und stieß einen begeisterten Ruf aus. Es schien fast so, als ob sie im Garten Eden, im Paradies angekommen seien. Duzende wohlgeformte Palmen säumten einen Weg ein, der perfekt in die Landschaft eingepasst war. Hinter den Palmen begann der schönste Garten, den Layla je gesehen hatte. Tausende, farbenfrohe Blumen die, wie es schien alle in voller Blüte standen. Alle farblich optimal aufeinander abgestimmt. Dazwischen immer wieder Bäume und Sträucher, die das Bild perfekt abrundeten. Das Auto stand vor einem Zaun. Selbst dieser schien ein Teil der Natur zu sein. Das einzige, was man vielleicht als störend empfinden konnte, war die große Überwachungskamera, die auf einem Pfahl montiert war.
Hans stieg aus, klingelte und meldete sie beide offensichtlich an. Dann kam er ins Fahrzeug zurück. Layla konnte sich an der Pracht einfach nicht satt sehen. Plötzlich gab es einen quietschenden Laut, der auch gleich von Tieren im Garten beantwortet wurde, dann öffnete sich langsam das Tor. Hans legte den Gang ein und fuhr langsam weiter. Bisher hatte Layla noch gar keine Villa bemerkt. Das Grundstück war offensichtlich sehr, sehr groß. Und tatsächlich brauchten sie fast zwei Minuten, bis sie bei einer im altspanischen Hazienda Stil erbauten Villa standen. Vor der Villa, war eine Fläche von der Größe eines Fußballfeldes mit sehr gepflegtem, perfekt gestutztem Rasen. Genau in der Mitte der Rasenfläche war ein Brunnen, der aussah, als wäre er direkt aus dem Mittelalter entsprungen. Er war rund, circa 8 Meter im Durchmesser. In der Mitte waren kunstvoll bearbeitete Steinskulpturen, die mehrere Engel in verschiedenen Größen zeigte, die alle irgendwie an das berühmte Manniken Piss in Brüssel erinnerten. Belustigt stellte Layla fest, dass sämtliche Wasserfonteinen aus dem imposanten Wasserspiel des Brunnen auf eine ähnliche Art zustande kamen, wie bei dem berühmten Belgischen Vorbild.
Begeistert stieg Layla aus. Die Geräuschkulisse zeigte an, dass in diesem Paradies auch eine Unmenge von Tieren lebte. Auf einem großen Baum, der halblinks hinter der Villa stand, war ein Schwarm Papageien. Es waren diese herrlichen hellroten Aras, die einen Heidenlärm verursachten. Layla lächelte. Es ergab ein wunderbares Bild. Die Villa, der Garten, der Baum mit den Aras. Selbst der etwas alberne Brunnen schien in dieses idyllische Bild zu passen. Wenn Layla doch bloß malen könnte.
Plötzlich waren die Aras still. Irgendetwas schien sie gestört zu haben. Kurz später begannen sie jedoch wieder mit ihrem Geschrei, doch die Nuance des Lärms, den sie veranstalten, hatte sich geändert. Hatte es bei ihrer Ankunft noch friedvoll geklungen, hörte es sich jetzt fast aggressiv an. Auch die Intensität des Geschreis hatte deutlich zugenommen. Hans schien von all dem nichts mitbekommen zu haben. Bildete sich Layla dies nur ein? Nein, die Vögel rotteten sich offensichtlich wirklich zusammen. Was hatten sie vor? Die Antwort darauf ließ nicht lange auf sich warten. Ein überlauter Schrei eines der Vögel schien das Startzeichen zu sein. Auf jeden Fall begannen alle Aras genau in dieser Sekunde an, wie wild mit den Flügeln zu schlagen und erhoben sich in die Luft. Sie kamen schnell auf Hans und Layla zu. Layla kann gerade noch „Vorsicht“ brüllen, als die Vögel schon da waren und auf sie niederstießen. Layla machte einen Hechtsprung nach vorne um den Angriff der Vögel zu entkommen. Der arme Hans hatte leider nicht so schnell reagiert. Die Vögel landeten auf seiner Schulter, seinem Kopf, seinen Armen und überall dort, wo sie sich festhalten konnten und begannen mit ihren kräftigen Schnäbeln, Hans zu zwicken und zu beißen. Hans schrie vor Schmerz und Panik auf. Layla, die durch ihren Hechtsprung vom Angriff der Vögel vorerst verschont geblieben war, eilte ihm zu Hilfe. Während sie mit der linken Hand nach den Vögeln schlug, zog sei mit der rechten Hand Hans vom Ort des Geschehens weg. Mittlerweile hatten sich jedoch auch die Vögel wieder versammelt, deren Angriff auf Layla zuerst fehlgeschlagen war und stießen erneut auf sie herab. Da konnte Layla auch mit ihrer Werwolf Kraft nichts anfangen. Es waren einfach zu viele Vögel, die sie auf einmal anfielen. Außerdem tat es ihr leid, nach den prächtigen Vögeln zu schlagen, sodass Layla nichts anderes übrig blieb, als sich mit einem weiteren Hechtsprung in Sicherheit zu bringen. Der arme Hans war jedoch auch diesem Angriff schutzlos ausgeliefert, was sie seinen spitzen Schreien entnahm. Layla musste ihm nochmals zur Seite springen. Die Vögel hackten nach ihr, als sie sie von Hans wegzog, könnten ihr aber im Gegensatz zu Hans nichts anhaben. Sie riss Hans auf die Füße und zog ihn hinter sich her in Richtung des rettenden Hauses. Da schlug die nächste Angriffswelle auf sie nieder. Die Vögel schienen dabei zu lernen. Sie hatten offenbar gemerkt, dass Layla zum einen kein einfaches Ziel war, aber zum anderen auch ihren Kameraden nicht zurückließ, der im Gegensatz zu Layla offenbar ein einfaches Ziel war. Deshalb konzentrierten sie sich beim nächsten Angriff auf Hans, der von den Vögeln regelrecht umzingelt wurde. Layla sprang mitten in das Gewusel hinein. Es hatte keinen Sinn, es waren einfach zu viele Vögel, also stieß Layla Hans mit all ihrer Kraft auf das Haus zu. Der arme Kerl flog auch in hohem Bogen aus dem Pulk heraus und landete unsanft auf dem Boden. Noch bevor er sich abrollen konnte, war Layla schon wieder bei ihm und riss ihn auf die Füße. Im Haus schienen die Bewohner den Tumult bemerkt zu haben, denn die Türe ging auf. Eine junge, blonde Frau in Reiterkleidung kam mit verwundertem Gesicht heraus. Layla rief ihr zu, dass sie wieder ins Haus zurückgehen solle, bevor sie den armen Hans mit Schwung hinter ihr her warf. Hans prallte mit der Frau zusammen und beide wurden über die Türschwelle katapultiert. Dann sprang auch Layla hinterher. Im Haus angekommen, schlug sie die Türe zu. Draußen hörte sie, wie die Vögel mit mehreren lauten Schlägen gegen die Türe knallten. Es hörte sich fast an, wie ein Maschinengewehrfeuer. Hans, der aus mehreren kleinen Wunden blutete, richtete sich gerade mühsam wieder auf. Auch die junge Frau stand auf und sah Layla mit fragendem Blick an.
Wenn es eine schöne Frau gibt, dann die, dachte Layla. Das schulterlange, goldblonde Haar war in einem Zopf zusammengebunden. Dadurch wurde das edle, fast bleiche Gesicht noch betont. Darin war einfach alles perfekt. Der wohlgeformte Mund, den nicht einmal ein Schönheitschirurg so perfekt hinbekommen hätte, die hohen Wangenknochen, die Augen umrahmten, die wirklich einen goldenen Farbton aufwiesen und in der Farbe perfekt zu ihren Haarfarbe passten. Sie sah dabei aus, wie eine junge griechische Göttin. Layla schätzte, dass sie so etwa 1,70 bis 1,75 Meter groß sein musste. Die junge Frau war etwa 18 – 20 Jahre alt. Ihren eleganten Bewegungen entnahm Layla, dass die junge Frau sehr, sehr viel Sport trieb. Es konnte sogar sein, dass sie genau wie Layla einen Kampfsport betrieb. Trotz ihrer Schönheit wirkte die Frau aber nicht arrogant, oder sogar überheblich. Sie begann sogar zu lächeln und antwortete:
„Das ist ja eine stürmische Begrüßung. Was war denn das, ist die versteckte Kamera mit Euch gekommen, oder wird gerade der zweite Teil zu Hitchcocks Vögel gedreht?“
Da musste selbst Layla lachen. Die Frau war ihr auf Anhieb sympathisch. Nur Hans war immer noch in Panik und schrie zusammenhanglose Wörter, deren Sinn wohl nur er verstand. Dann rannte er zum Fenster und blieb mit offenen Augen stehen. Auch Layla und die junge Frau gingen zum Fenster. Die Vögel schienen gemerkt zu haben, dass ihr Angriff fehlgeschlagen war und flogen zu ihren Baum zurück. Dabei sahen sie wieder aus, wie die lieben Papageien, fast so als ob der Angriff niemals geschehen wäre.
Layla wurde angst und bange. Es schien wirklich fast so, als ob die Kontrolle dieser Seelenräuberin (Layla war sich immer noch nicht einhundertprozentig sicher, dass sie tatsächlich ihr Gegner war, aber es war besser, wenigstens einen Namen zu haben) allumfassend und komplett wäre. Sie schien tatsächlich jeden Schritt von Layla zu kennen. Dabei benützte sie sowohl Menschen, als auch Tiere. Sogar eine Bestie, die es eigentlich gar nicht geben durfte. Offenbar konnte dieses Seelenräuberin nach Bedarf über eine riesige Arme verfügen. Sie hatte offenbar auch Mark unter ihre Kontrolle gebracht. Nur wie machte diese Seelenräuberin dies? Was, wenn sie plötzlich auch Hans oder sonst wen in ihrem Umfeld kontrollierte? Sie würde niemandem mehr trauen können.
Normalerweise sah man an dem abwesenden Blick, dass die betreffende Person nicht mehr Herr über die eigenen Sinne war. Normalerweise: Bei dem Mann im Flugzeug und dem Mann im Auto vor dem Restaurant war es anders gewesen. Denen hatte man es nicht auf den ersten Blick angesehen. Wenn sie Layla nicht so eindringlich fixiert hätten, dann wäre es Layla vielleicht gar nicht aufgefallen. Offenbar hatten nur die Personen, die in direkten Kontakt mit Layla kamen, diesen abwesenden Blick. Layla vermutete, dass sich diese dann unter einer besonders starken Kontrolle befanden. Doch diese Kontrolle konnte trotzdem gelöst werden, wie Layla am Polizist, den das Katzenwesen getötet hatte, sehen konnte. Es gab also offenbar verschiedene Arten der Kontrolle. Konnte es sein, dass andere Personen sich nur unter einer ganz leichten Kontrolle befanden? Sie brauchten dies nicht einmal selbst zu spüren? Irgendwoher musste die Seelenräuberin doch wissen, was ihre nächsten Schritte gewesen waren. Konnte es Hans sein? Das wäre schlimm. Layla muss Hans wenigstens zum Teil vertrauen. Ohne ihn wäre es wesentlich schwerer an die nötigen Informationen zu kommen, um Mark aus den Klauen dieser Seelenräuberin zu befreien. Aber trotzdem musste sie immer etwas in der Hinterhand haben, das die Seelenräuberin noch nicht wusste. Dies bedeutete, dass sie Hans erst einmal nichts darüber sagen würde, dass sie ein Werwolf war. Layla glaubte nicht, dass das Katzenwesen es der Seelenräuberin verraten haben konnte. Dafür war ihr Kampf zu kurz gewesen und Layla war sich ziemlich sicher, dass dieses Wesen zwar für die Seelenräuberin kämpfte, von ihr aber nicht mental kontrolliert wurde. Das hätte seine Kampfkraft sehr wahrscheinlich zu sehr beeinträchtigt. Die Polizisten, die zu einer Eliteeinheit gehört haben sollen, waren sehr leicht zu besiegen gewesen. Was sollte Layla tun? Sie musste auf jeden Fall versuchen, eine Person, die unter der Kontrolle der Seelenräuberin stand, in die Finger bekommen und die Kontrolle lösen, bevor die Gegnerin Gelegenheit hatte, diese Person zu töten. Das musste sehr schnell gehen.
Zuerst musste sie aber mehr Informationen über die Gegnerin haben. Sie blickte Naomi an und fragte:
„Haben Sie mit Mark Bishop gesprochen?
„Ja, er war vor zwei Tagen bei mir. Wir haben über meinen Onkel gesprochen“
„Können sie bitte wiederholen, was Sie ihm gesagt haben?“
„Was ist mit Herrn Bishop? Warum fragen Sie ihn nicht selbst?“
„Er wurde entführt!“
„Dann hat sie ihn!“
„Wer ist ‚sie’? Die Seelenräuberin?“
„Dann haben Sie schon von ihr gehört. Sie ist eine mächtige Zauberin!“
„Was können sie mir von ihr erzählen?“
„Ich persönlich nicht viel, aber ich kenne jemanden, der es kann. Sie ist eine Hexe, aber eine gute. Wenn jemand etwas über die Seelenräuberin weiß, dann sie“
„Und sie ist in Floreanapolis!“
„Richtig!“
„Na, dann ist wohl klar, wo unser nächster Weg hinführt. Wo genau kann ich diese Hexe finden!“
„Kein Problem. Ich zeige es Ihnen sogar persönlich!“
Layla schaute Naomi etwas konsterniert an. Hatte sie sie da richtig verstanden? Die junge Frau lächelte und nickte:
„Ja, ich komme mit. Ich habe so oder so im Moment nichts vor.“
„Naomi, es kann sehr gefährlich werden. Sie wissen besser, als ich, wer unser Gegner ist! Das ist kein Abenteuer, dass man stolz seinen Enkel erzählt.“
„Ja, ich weiß, wer der Gegner ist und die hat meinen Onkel auf dem Gewissen. Deshalb komme ich mit. Außerdem bin ich die einzige, die Donerta kennt!“
„Donerta ist die Hexe!“
„Ja. Sie müssen wissen, dass mein Vater sehr, sehr abergläubisch ist. Er macht praktisch keinen Schritt, ohne einen Talisman bei sich zu haben. Bei allen wichtigen Entscheidungen fragt er dann immer die Sterne, also Donerta. Sie ist praktisch wie eine Tante zu mir!“
„Also gut, Naomi, aber wenn es gefährlich wird, dann gehen Sie bitte aus der Schusslinie!“
Hans, der immer noch wie abwesend aus dem Fenster sah und die Vögel beobachtete drehte sich um und sagte:
„Ich gehe natürlich auch mit!“
Diese Ankündigung machte Hans mit solch einer kratzigen und unsicheren Stimme, aber doch so bestimmt, dass sowohl Naomi, als auch Layla lachen müssten.