Читать книгу Die Toten kehren wieder mit dem Wind - Michael Höveler-Müller - Страница 7
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Die Nacht war über Ägypten hereingebrochen und hatte ihren dunklen Mantel über dem Land ausgebreitet. Die Luft war sanft und mild, aber ein starker Wind wehte aus westlicher Richtung – aus der Gegend, in der der Sonnengott Ra allabendlich in die Unterwelt eingeht und den Himmel mit dem Blut seiner Feinde tränkt. Dort im Westen liegen die großen Friedhöfe des Landes und dort ruhen sie, die Toten. Dort liegen ihre Häuser – vom Pharao bis hin zum einfachen Bauern, der auf seinem Feld hockt ... Irgendwann ziehen alle Lebenden in das Land jenseits des Horizonts.
Der Wind war jetzt so stark, dass sich die gewaltigen Palmen bei Men-nefer bogen.
Der Palast lag in tiefer Dunkelheit. Nur im Schlafgemach des Pharaos flackerten unruhig einige Öllampen und Feuerbecken und warfen tanzende Schatten auf die Gesichter der beiden Anwesenden. Der schwache König lag auf seinem Bett, sein Oberster General und Wesir Ra-messu saß auf einem Stuhl neben ihm.
„Wir sind beide alt geworden, Ra-messu“, sprach der Pharao und sah sein Gegenüber aus müden Augen an.
„Da war es schon wieder!“, sagte Ra-messu ernst.
„Was?“, der Pharao horchte aufmerksam in die Stille, in die sein Palast und sein Land gefallen waren. Irgendwo in der Ferne machte kaum wahrnehmbar ein Esel auf sich aufmerksam, aber das konnte Ra-messu nicht gemeint haben.
„Was denn?“, fragte der König erneut und nun ein wenig schärfer.
„Dieses Wort!“, erwiderte Ra-messu störrisch.„Alt – ich hasse es. Es mag auf dich zutreffen, aber verbinde mich nicht damit! Du weißt doch, was der Weise Ptah-hotep über das Alter meinte, ich selbst bekomme es nicht mehr ganz in die Erinnerung, aber ein Teil davon hieß: ‚Die Nase ist verstopft und kann nicht mehr atmen, Aufstehen und Hinsetzen sind gleichermaßen beschwerlich. Gutes ist zu Schlechtem geworden, und jeder Geschmack ist verschwunden. Was das Alter dem Menschen antut – Übel ist es in jeder Hinsicht!‘ So fühle ich mich nicht!“
Der Pharao brach in schallendes Gelächter aus, das jedoch brüchig und dünn klang.„Du eitler Ganter! Ganz so geschmeidig sind deine Bewegungen auch nicht mehr!“
Ra-messu stutzte zunächst, fiel dann aber in die überraschende Heiterkeit seines Freundes ein.
Doch das Lachen des Herrschers wurde bald von einem kehligen Husten erstickt, der in einem schmerzhaften Krampf endete und den ermatteten Körper zum Aufbäumen zwang.
Nachdem der König sich beruhigt hatte, sank er wieder auf sein Lager zurück und schüttelte den Kopf.
„Noch heute Nacht werden die Klageweiber zu heulen beginnen “, sagte er schwach. Ra-messu senkte den Blick. Gefährliche Feldzüge hatten dem König nichts anhaben können. Er hatte Intrigen, Mordanschläge und Verfemungen überstanden und musste nun vor der Last des Alters kapitulieren.
Der Wesir wusste, dass er seinen Freund bald verlieren würde, und es war unverkennbar, dass es in den bevorstehenden Stunden geschehen sollte. Das heutige Datum war in den Kalendern als unheilvoll vermerkt worden und in dieser Nacht hatte der Kranke seinen gesundheitlichen Tiefpunkt erreicht. Seine Stirn glühte und eine Perlendecke kleiner Schweißtropfen glänzte darauf. Die Lippen waren trocken und aufgeplatzt, die Haut wirkte fahl, alt und welk wie trockenes Leder. Seine Augen blickten matt und erschöpft aus tiefen Höhlen. Der große Herrscher war in dieser Nacht ein jämmerlicher Anblick.
Kurze Zeit nach dem Husten schien es, als würde der Pharao sein irdisches Leben nicht länger halten können. Seine Pupillen zuckten wie die vom Wind bewegten Flämmchen der Öllampen und seine Lider flackerten.
Schließlich schlossen sich seine Augen ganz. Besorgt berührte Ra-messu einen Arm des Königs und erschrak, weil dieser so kalt und schwer war. Als er jedoch sah, dass sich der Brustkorb im kargen Licht kaum merklich und ungleichmäßig hob und senkte, war er beruhigt.
Er wollte ihn nicht wecken. Sein Freund sollte schlafen und seinem schwachen Körper Erholung gönnen.