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3. DER ORGANISATORISCHE UND RECHTLICHE RAHMEN Wer organisiert die Wahlen?

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„Wer auszählt, gewinnt“, heißt ein alter Diktatorenspruch, der getrost auf die gesamte Wahlorganisation ausgeweitet werden kann. Die Freiheit und Fairness der Wahl hängen entscheidend davon ab, wer die Wahlen durchführt und kontrolliert.

Da Wahlen ein ureigener Akt staatlicher Souveränität sind, ist es zunächst wichtig, dass nationale Institutionen die Verantwortung für die Organisation von Wahlen übernehmen. Allenfalls in besonderen Situationen sollten internationale Organisationen in die Wahlorganisation eingebunden sein. Dies war besonders deutlich in Kambodscha der Fall: Nach dem Pariser Friedensabkommen von 1991 organisierte die United Nations Transitional Authority in Cambodia (UNTAC) die dortigen Wahlen von 1993, errichtete gewissermaßen eine Wahlinfrastruktur aus dem Nichts.52 So weit ging die Rolle der internationalen Staatengemeinschaft im Rahmen des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina zwar nicht, aber immerhin waren dort bei den Wahlen 1997, 1998 und 2002 internationale Mitglieder, darunter der Leiter der OSZE-Mission, in die Provisional Electoral Commission einbezogen. Die nationalen Wahlen des Jahrs 2006 waren die ersten, die dort nach dem Zerfall Jugoslawiens ohne internationale Beteiligung durchgeführt wurden.

Wichtig ist weiterhin, dass die für die Wahlorganisation zuständigen Stellen unabhängig, professionell und transparent arbeiten. In vielen etablierten Demokratien, in denen Wahlen eine lange Tradition aufweisen, werden Wahlen von Behörden organisiert, die der Exekutive auf nationaler, regionaler und/oder lokaler Ebene unterstellt sind. Häufig spielt hier das Innenministerium eine wichtige Rolle. In Deutschland ist beispielsweise das „Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat“ formal die oberste staatliche Wahlbehörde. Mit der Vorbereitung, Durchführung und Überprüfung der Wahl beauftragte Wahlorgane sind allerdings der Bundes-, die Landes- und die Kreiswahlleiter sowie zur Überprüfung von Wahlbeschwerden ein Bundeswahl-, ein Landeswahl- und der Kreiswahlausschuss. Hinzu kommt ein Wahlvorstand für jeden Wahlkreis zur Feststellung der Briefwahlergebnisse. Die Bundeswahlleitung wird vom Innenministerium auf unbestimmte Zeit bestellt, die Landeswahlleitung, die Kreiswahlleitung und der Wahlvorstand von der jeweiligen Landesregierung (oder der von ihnen bestimmten Stelle).53

Im Fall einer professionellen, parteipolitisch unabhängigen Verwaltung ist ein governmental model of electoral management für gewöhnlich kein Problem. Gleichwohl haben einige etablierte Demokratien eigenständige Wahlkommissionen eingeführt, um die Unabhängigkeit vis-à-vis der Regierung zu stärken: so etwa Kanada (1920), Indien (1950) und Australien (1984). Vor allem in Staaten mit einer wenig entwickelten demokratischen Kultur oder autoritären Wahlerfahrungen sind von der Regierung ernannte und der Exekutive unterstellte Wahlbehörden oft nicht angebracht. Hier sind von der Regierung unabhängige Wahlkommissionen (independent model of electoral management) vorzuziehen, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass die Regierung auf die Durchführung der Wahlen Einfluss nimmt, und zwar zu ihren Gunsten. Dementsprechend wurden weltweit im Zuge politischer Öffnungs- und Demokratisierungsprozesse regierungsunabhängige Wahlkommissionen gefordert und (wieder-)eingeführt, auch in Ost(mittel)europa.

Vorreiter ist hier jedoch Lateinamerika, wo die Bemühungen um saubere Wahlen eng mit der Entwicklung der Demokratie im 20. Jahrhundert zusammenhingen. Tatsächlich stellt Lateinamerika geradezu eine „paradigmatische Region“ für unabhängige Wahlkommissionen dar, die im Zuge der (Re-)Demokratisierung ab den 1980er Jahren ausgebaut und professionalisiert wurden.54 So verfügen alle lateinamerikanischen Staaten, die Mehrparteienwahlen durchführen, über eigenständige Wahlkommissionen, deren Unabhängigkeit zumeist verfassungsrechtlich garantiert ist. Mitunter fungieren sie sogar im Sinne eines Poder Electoral als vierte verfassungsmäßige Gewalt neben Exekutive, Legislative und Judikative. Die Wahlkommissionen in Lateinamerika sind dabei oft für die gesamte Wahlorganisation – von der Wählerregistrierung bis zur Anerkennung der Wahlen – zuständig, verfügen über eigene Haushaltsmittel und sind der Exekutive gegenüber nicht rechenschaftspflichtig. Vor allem werden ihre Mitglieder nicht von der Regierung bestellt. Damit unterscheiden sie sich von so manchen Wahlkommissionen in anderen Ländern, die nur über wenige Kompetenzen verfügen. Die „Nationale Autonome Wahlkommission“ im Senegal beispielsweise überwacht lediglich die Wahlen, organisiert sie aber nicht selbst.55

Formal unabhängige Wahlkommissionen gibt es inzwischen auch in vielen anderen Ländern weltweit – von „A“ wie Afghanistan bis „Z“ wie Zambia. Die Verfassung des Jahrs 2014 in Tunesien hat beispielsweise die Unabhängigkeit der Wahlkommission verankert. Dies heißt selbstverständlich nicht, dass formal unabhängige Wahlkommissionen tatsächlich immer unabhängig agieren, schon gar nicht in Wahlautokratien. Auch reicht es sicherlich nicht, nur ein Independent vor den Namen der Wahlkommission zu setzen, wie dies in Uganda 2015 geschehen ist, um die von der dortigen Opposition geforderte Unabhängigkeit der Wahlkommission zu gewährleisten. Auch ist stets zu prüfen, welche Aufgaben und Kompetenzen die Wahlkommissionen bei der Durchführung und Kontrolle der Wahlen innehaben – und ob sie diese mit Regierungsbehörden teilen (mixed model). Der Electoral Management Design Database von International IDEA zufolge orientierten sich die Wahlorgane in 215 Staaten und abhängigen Gebieten zu 63 % an einem independent model, zu 21 % an einem governmental model und zu 14 % an einem mixed model. Die übrigen 2 % hielten keine nationalen Wahlen ab.56

Während von der Regierung eingesetzte Wahlbehörden in der Regel von Verwaltungsbeamten geleitet werden, ist die Zusammensetzung eigenständiger Wahlkommissionen ein Politikum, zumal in solchen Ländern, in denen großes Misstrauen zwischen den politischen Kontrahenten herrscht. Reformbestrebungen zielen zunächst darauf ab, den Einfluss der Regierung auf die Zusammensetzung zurückzudrängen, um tatsächlich deren Unabhängigkeit zu gewährleisten. In einigen Ländern wurde oder wird nämlich selbst im Falle angeblich unabhängiger Wahlkommissionen der Regierung die Möglichkeit eingeräumt, eine gewisse Anzahl an Kommissionsmitgliedern zu benennen. Hier empfiehlt es sich, die Zahl der durch die Regierung ernannten Personen möglichst gering zu halten und eine Übermacht regierungsnaher Mitglieder zu vermeiden. Sinnvoll ist zudem, dass zumindest ein Teil der Mitglieder von unpolitischen Institutionen berufen wird, die als unabhängig wahrgenommen werden. Das können Gerichte sein, sofern diese nicht als korrupt gelten, oder andere Institutionen, die im Land Vertrauen genießen.

Falls alle oder einige Mitglieder der Wahlkommission vom Parlament bestellt werden, kann es zudem angebracht sein, dass diese mit qualifizierten Mehrheiten – etwa mit einer Zweidrittelmehrheit wie in Tunesien – gewählt werden. Soweit von Parteien entsandte Personen in die Wahlkommission eingebunden werden, ist eine ausgeglichene Balance zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien sicherzustellen. Allerdings geht mit einer – selbst ausgeglichen – parteilichen Zusammensetzung der Wahlkommission die Gefahr einer Politisierung einher. So kann es sein, dass die Kommissionsmitglieder eher im Interesse ihrer Partei als im Sinne der Wählerschaft agieren. In Albanien, wo die Wahlkommission von den zwei größten Parteien im Parlament beherrscht wird, kam es in der Vergangenheit beispielsweise immer wieder zur Politisierung wahlorganisatorischer Probleme.57

Auf alle Fälle sollte das Wahlgesetz eindeutige und transparente Regelungen für die Nominierung der Kommissionsmitglieder beinhalten. Verstärkt eingefordert wird dabei auch eine angemessene Vertretung von Frauen, die in den jeweiligen Wahlkommissionen oft unterrepräsentiert sind. Anzuraten wäre gewiss auch die Einbeziehung von Menschen mit Behinderung. Eine feste Amtszeit sowie klare Regeln für eine Absetzung nur unter besonderen Bedingungen stellen zudem institutionelle Vorkehrungen zur Sicherung einer etwaigen Unabhängigkeit dar. Dies ist nötig, denn es kann Versuche geben, missliebige Kommissionsmitglieder aus dem Amt zu entfernen.

In Bezug auf die Arbeitsweise der Wahlkommissionen sind Transparenz und Inklusion geboten, um die Legitimität der Wahlen zu erhöhen. Die Vorgaben und Entscheidungen der Kommissionen sollten öffentlich nachvollziehbar sein und möglichst einvernehmlich zustande kommen. Zugleich sind die mit der Wahl betrauten Personen, gerade auch auf lokaler Ebene, gut zu schulen, zumal, wenn neue Wahlvorschriften oder Technologien zur Anwendung kommen. Mit der zunehmenden Digitalisierung der Wahladministration müssen die Wahlbehörden zudem Vorkehrungen treffen, um die Wahlinfrastrukturen vor Hacker-Angriffen zu schützen und die Datensicherheit zu gewähren. Entsprechende Schulungen und Trainingsprogramme werden, ggf. mit internationaler Unterstützung, durchgeführt. Im Idealfall werden auch umfassende Informationen zu den Wahlen oder dem Wahlprozedere im Rahmen sogenannter voter-education-Programme vermittelt, einschließlich von Maßnahmen zum kompetenten Umgang mit Desinformationen in sozialen Medien. Den mit der Wahlorganisation betrauten Organen kommt hierfür eine große Verantwortung zu. Wichtig ist dabei, dass die Wahlinformationen auch in der Sprache nationaler Minderheiten und für Menschen mit Behinderungen verfügbar sind.

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