Читать книгу Mit den Narben der Apartheid - Michael Lapsley - Страница 7
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Die Geschichte Südafrikas ist eine Parabel für eine Welt, die sich nach Hoffnung sehnt. Nach langem, erbittertem Kampf brach ein System zusammen, dessen Verfassung Rassismus institutionalisierte. Die Apartheid fand damit ein Ende und wurde durch eine facettenreiche Demokratie ersetzt. Dieser Triumph hatte jedoch seinen Preis, für das Land und für mich. Mein eigener Lebensweg spiegelt die Geschichte meiner Wahlheimat wider. Als junger anglikanischer Priester aus Neuseeland wurde ich auf dem Höhepunkt der rassistischen Unterdrückung in Südafrika von meinem geistlichen Orden dorthin entsandt. Ich schloss mich dem Freiheitskampf an, ging ins Exil und wurde zum Stachel im Fleisch des Apartheidregimes. Eine Briefbombe nahm mir beide Hände und ein Auge, aber nicht mein Leben, ebenso wenig wie die Apartheid dem südafrikanischen Volk seine Ziele und Hoffnungen nehmen konnte. Als ich nach Südafrika zurückkehrte, musste ich erkennen, dass die Zeit der Apartheid bei allen Narben hinterlassen hatte und jeder hat seine eigene Geschichte zu erzählen. So kam ich zu dem Entschluss, ganz Südafrika bei der Heilung zu unterstützen. In dieser Autobiografie schildere ich also meinen Weg vom Freiheitskämpfer für Südafrika zum verwundeten Heiler mit einer globalen Mission.
Das Apartheidregime versuchte oft, die Repression mit einer pervertierten Interpretation der Bibel zu rechtfertigen: eine Entscheidung für den Tod, die im Namen eines lebensbejahenden Evangeliums gefällt wurde. Als Priester im Freiheitskampf zweifelte ich an der religiösen und moralischen Legitimität, die sich das Regime selbst zusprach. Nach einer tiefen Glaubenskrise gab ich den Pazifismus widerstrebend auf und befürwortete den bewaffneten Kampf als Notwendigkeit, um die Menschen Südafrikas zu befreien. Ich wurde von der Apartheidregierung vertrieben und ging ins Exil, zunächst nach Lesotho und anschließend nach Simbabwe. Dort wurde ich durch die Briefbombe schwer verletzt und trug eine dauerhafte Behinderung davon. Meine Genesung verlief zeitlich parallel zu den Verhandlungen, die in das Ende der Apartheid und die Einführung der Demokratie mündeten, so dass ich nach meiner Gesundung nach Südafrika zurückkehren konnte. Dort wurde ich Seelsorger im Trauma Centre for Victims of Violence and Torture (Zentrum für traumatisierte Gewalt- und Folteropfer) und gründete später das Institute for Healing of Memories.
Wo auch immer Gewalt, Armut und Unterdrückung herrschen, inspiriert die Geschichte Südafrikas nach wie vor die Menschen, die körperliche, geistige und seelische Verletzungen erlitten haben und erleiden. In unserer finstersten Stunde erwies sich die Macht des Guten als der des Bösen überlegen – das Apartheidregime stürzte, und die Gerechtigkeit siegte. So macht auch meine eigene Geschichte anderen Menschen Mut. Die Briefbombe ließ mir nicht nur mein Leben, sondern auch meine einzige Waffe gegen die Apartheid: meine Zunge. Durch meine sichtbaren Verletzungen entsteht jedoch eine Verbundenheit mit anderen Menschen, deren Verletzungen häufig weniger sichtbar, aber nicht minder spürbar sind. Und Schmerz bringt Menschen einander näher. Bei meiner Arbeit als Heiler höre ich von vielen, dass sie mir vertrauen können, weil ich selbst Schmerz erfahren habe. Am wichtigsten ist letztendlich unsere Fähigkeit, den Schmerz in eine lebensspendende Kraft umzuwandeln. Doch kann dies eine Reise in vielen kleinen Etappen sein. Unsere Arbeit bei Healing of Memories bietet Menschen die Chance, einen Anfang zu machen.
Diese Autobiografie besteht aus vier Teilen. Im ersten Teil schildere ich das Schlüsselerlebnis: den Briefbombenanschlag, durch den ich beide Hände und ein Auge verlor. Ich erzähle von der langen Zeit meiner Genesung und der Anpassung an meine Behinderung. In Teil II hören Sie die Geschichte meines Lebens als Freiheitskämpfer. Ich beginne jedoch mit einem Rückblick auf meine Kindheit in Neuseeland und auf die Entwicklung meines Glaubens, der jeden Aspekt meines Lebens geprägt hat und weiterhin prägt. Dann teile ich mit Ihnen, wie sehr mich die Konfrontation mit der Apartheid in Südafrika schockierte und wie mein Glaube dadurch erschüttert wurde, und schließlich meine Verbannung aus Südafrika und meine Jahre als Freiheitskämpfer in Lesotho, später in Simbabwe. In Teil III nehme ich den Briefbombenanschlag als Ausgangspunkt für die Veränderung meines Lebens vom Freiheitskämpfer zum Heiler, die mich letztlich das Institute for Healing of Memories gründen ließ. Im letzten Teil des Buches geht es um die weltweite Arbeit des Instituts, von Südafrika aus in die ganze Welt; überall dorthin, wo Menschen Hilfe und Heilung brauchen: unsere Arbeit mit australischen Aborigines, mit Überlebenden des Völkermords in Ruanda und der anhaltenden Repression in Simbabwe sowie mit Kriegsveteranen in den USA. In diesem Teil der Schilderung tritt mein Leben mehr in den Hintergrund, vor dem die Geschichten anderer bemerkenswerter Menschen erzählt werden, mit denen wir zusammengearbeitet haben.
Ich betone gern, dass nun die Zeit gekommen ist, die Erinnerungen, das Gedächtnis zu heilen. Wir beschäftigen uns mit grundlegenden Fragen, die sich Menschen überall auf der Welt angesichts ihrer eigenen Konflikte stellen. Was bedeutet heilen? Wird das Unrecht, das uns angetan wurde, jemals anerkannt werden? Wie gehen wir mit schrecklichen Erinnerungen um? Welche Rolle spielt der Glaube? Sollten wir vergeben? Kann man Vergebung mit dem Kampf für Gerechtigkeit vereinbaren? Unsere Workshops sprechen Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen an. Sie eröffnen einen großen Raum, den die Teilnehmer mit all dem füllen können, was für sie persönlich oder kulturell bedeutsam ist. Wir arbeiten mit sehr unterschiedlichen Menschen, mit Opfern von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, von Diskriminierung und Ungerechtigkeit, mit Kriegsveteranen, Gefangenen und HIV/AIDS-Infizierten. In einer Welt begrenzter Ressourcen und eines wachsenden Bedarfs an unserer Art von Arbeit weist unser Erfolg den Weg in die Zukunft. Aus praktischen und theoretischen Gründen erkennen Menschenrechtsaktivisten, Traumahelfer und Pflegende im Allgemeinen zunehmend, dass kulturorientierten und gemeinschaftsbasierten Heilmethoden, wie sie Healing of Memories anwendet, die Zukunft gehört.
Abschließend möchte ich mich noch einmal dem Glauben zuwenden, der sich wie ein roter Faden durch meinen Lebensweg zieht. In gewisser Hinsicht stellen diese Memoiren die Geschichte meiner Berufung dar, meinen Glauben als Teil der Befreiung aller Völker Gottes zu leben. Auch wenn nicht alle Menschen religiös sind, sind wir doch alle spirituelle Wesen, indem wir versuchen, unser Leben zu verstehen und in ihm einen Sinn zu erkennen. Für mich, wie für die meisten Menschen, bedeutet dies eine lebenslange und nicht eben einfache Suche. Ich wollte meinen Glauben nicht lauthals verkünden, sondern ihn durch meine Handlungen leben. Meine eigene Glaubensentwicklung reichte vom einfachen Kinderglauben über die frühreife Frömmigkeit des Jugendlichen, eine durch den Konflikt zwischen Pazifismus und bewaffnetem Kampf ausgelöste Krise, lange Jahre des Ausharrens im Freiheitskampf, die Genesung nach dem Briefbombenanschlag, bis hin zu einem reiferen, heilenden Glauben, der zwar tief in der christlichen Tradition wurzelt, jedoch einen enormen Umfang spiritueller Erfahrung beinhaltet. Durch unsere Arbeit bei Healing of Memories haben wir eine sehr wirkungsvolle Methode entwickelt: Wir respektieren die Opfer, die die Menschen gebracht haben, ermutigen sie jedoch zugleich, sich ihrer Last nach und nach zu entledigen und ihren Schmerz als Teil eines neuen Lebens zu begreifen. So muss niemand in der eigenen Vergangenheit gefangen bleiben. Stattdessen werden wir zu Vertretern der Zukunft, indem wir helfen, eine bessere Welt zu schaffen und zu gestalten. Das ist für mich der Sinn von Befreiung. Das ist, glaube ich, Gottes Traum für die Menschheit.