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VORWORT
Оглавление»Das Virus hat uns wie ein Asteroid getroffen und in der Wirtschaft ein kraterartiges Loch hinterlassen.« So die Europäische Kommission im Wortlaut. Fehlt der Zusatz, dass in diesem Krater unglaublich viele Jobs verschwunden sind – ohne Wiederkehr.
Keiner von uns hat das je erlebt. Wie nach einem Donnerschlag stand die Welt, wie wir sie kannten, still. Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger mussten an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit gehen und manchmal auch darüber hinaus, Zehntausende erkrankten und viel zu viele Menschen starben an den Folgen dieser Pandemie. Während die Kliniken ihre Bewährungsprobe erlebten und die Versorgung mit Lebensmitteln irgendwie weiterlief, stand der Rest des alltäglichen Lebens still. Universität, Schule und Kita, Büro und Fabrik. Bleibt zu Hause, hieß die Parole. Distanziert euch voneinander, wurde uns gesagt. Das Leben, wie wir es kannten, war vorüber.
Vorüber war es auch mit der Welt der Arbeit. Jene Wirtschaftswelt, die mit ihrem prallen Leben und ihrer Betriebsamkeit die Quelle unseres Wohlstands war. Wir erlebten eine Vollbremsung bis zum völligen Stillstand. Bankenhochhäuser in Frankfurt? Stillgelegt und von Security bewacht. Flughäfen? Licht aus, leer, die Rollbahnen wurden Parkplätze für Flugzeuge. Autofabriken in München, Stuttgart oder Wolfsburg? Sie wurden zu stummen Hallen mit leeren Fließbändern. Und so wie in Deutschland war es in allen anderen entwickelten Ländern.
Aber: Die Arbeitswelt befand sich schon vor Corona in einem radikalen Umbruch. Immer mehr Berufsbereiche – die Industrie, der Dienstleistungssektor, der öffentliche Dienst – verzichten auf den Faktor Mensch und übergeben Verantwortung an künstliche Intelligenz. Ein Großteil unserer Alltagsjobs – Verkäufer, Lastwagenfahrer, Bankmitarbeiter und viele mehr – ist dabei wegzubrechen. Der Staat ist machtlos, und wir Menschen werden immer mehr zu Zeitarbeitern, Freelancern und digitalen Tagelöhnern. Zu Restposten in der Welt der Arbeit. Corona funktionierte da wie ein Brandbeschleuniger, der die dramatische Lage erst recht entzündete und sogar beschleunigte. Angesichts dessen wir uns fragen müssen: Sind unsere Jobs überhaupt noch zu retten?
Deutschland lebt stärker als andere Nationen von seinen Industriearbeitsplätzen, von den vielen mittelständischen Unternehmen, die ihrerseits mit den großen Industrieunternehmen verflochten sind. Innerhalb dieser Unternehmen hat das Fließband Symbolkraft. Wenn es läuft, heißt das: Der Firma geht es gut, es gibt genug Arbeit für alle. Das Fließband gibt vor, der Mensch folgt.
Ich kenne aus meiner jahrzehntelangen TV-Berichterstattung das Innenleben fast aller Autohersteller dieser Welt. Ich war immer beeindruckt von den komplexen Abläufen in den Werkshallen. Für mich waren das Produktionsanlagen mit Symbolgehalt: Sie standen für Ingenieursleistung, Geldverdienen und für Arbeit, für die Mobilität und den Wohlstand. Jahrzehntelang sind in unserem Land diese Fließbänder gelaufen. Es gab immer genug Arbeit. Oft war sogar ein Drei-Schicht-Betrieb notwendig, Tag und Nacht, pausenlos. Manchmal mussten die Bänder sogar am Wochenende laufen, weil so viel Arbeit anfiel. Die Arbeiter hatten ein sicheres Einkommen, die Ingenieure und Manager erst recht. Jahrzehntelang ging alles gut, regelmäßig, ohne Höhe- oder Tiefpunkte. Das wird immer so weitergehen, dachten alle. Ich auch.
Wobei in den letzten Jahren erste Warnzeichen aufschienen: Die Autoindustrie, diese Schlüsselindustrie mit ihren Millionen Arbeitsplätzen, geriet ins Zwielicht. Der Dieselskandal kratzte am Image. Die Umstellung auf neue Technik, Elektroantrieb oder Wasserstofftechnologie machten uns andere vor. Was war denn aus dem vielbeworbenen »Vorsprung durch Technik« geworden? Das schier endlose Wachstum der deutschen Industrie geriet ins Stocken. Zweifel machten sich breit.
Und dann auch noch die gewaltsame Vollbremsung in der Corona-Krise. Sie standen abrupt still, die deutschen Fabriken. Wochenlang. Leere Werkshallen. Ein vorher in Industrieländern nie erlebter regierungsamtlich angeordneter Stillstand. Unternehmen schlossen die Pforten. Menschen wurden nach Hause geschickt. Städte waren plötzlich menschenleer. Politiker versuchten mit Finanzspritzen das Schlimmste zu verhindern. Von allen wurde ein Neustart herbeigesehnt, in der Hoffnung, dies sei nur ein kurzer Albtraum gewesen. Dann werde es weitergehen wie bisher. Dann werden die Arbeiter aus der Kurzarbeit zurückkehren in die Vollbeschäftigung. Dann werde es wieder volle Büros geben und vor Betriebsamkeit summende Konferenzräume. Dann werde die Lufthansa Tausende Menschen wieder in die weite Welt transportieren. Alles wie früher.
Mir scheint, die meisten von uns glauben auch jetzt noch an einen kurzen schlechten Traum. Sie erwarten, dass in der Arbeitswelt bald alles irgendwie weiter seinen Gang gehen wird. Oder dass Veränderungen so langsam kommen, dass sie uns nicht wehtun. Oder dass wir genug Zeit haben werden, uns auf Veränderungen einzustellen. Ob das nun die körperliche Arbeit am Fließband ist oder die Büroarbeit am Schreibtisch. Die Arbeit erlebte zwar auch früher schon Modernisierungsschübe, aber im Prinzip ging es immer weiter. Also wird es jetzt auch weitergehen.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Mit der Corona-Krise kommt eine neue Zeitrechnung. Die Krise ist eine Initialzündung für eine neue Revolution. Wer sich ihr entgegenstellt, wird überrollt. Wer im alten Modus verharrt, wird zum Restposten.
Ich berichte hier über den unaufhaltsamen Schwund der Arbeit, wie wir sie kennen. Aber auch über neue zukunftsträchtige Formen der Arbeit. Dieses Buch richtet sich zum einen an die jungen Leute, die sich jetzt oder bald für eine Ausbildung oder einen Berufseinstieg entscheiden. Die vielleicht hoffen, dass sie trotz aller Hindernisse bei einem der großen Konzerne einen Arbeitsplatz fürs Leben finden, dass sie dort aufsteigen und mehr verdienen als bei den kleinen oder mittleren Betrieben. Und vor allem: dass sie dort nicht permanent um ihrem Arbeitsplatz fürchten müssen. Zum anderen geht es aber auch um die Älteren, die seit Langem fleißig in »ihren« Betrieben arbeiten und die noch eine längere Strecke vor sich haben. Die sich zudem sicher sind, dass nach kurzer Unterbrechung alles seinen gewohnten Gang gehen wird. Ohne allzu große Neuerungen.
Doch unsere vertraute Arbeitswelt verändert sich. Politiker versprechen Kontinuität, ohne das Versprechen einlösen zu können. Firmenbosse sprechen von neuen Herausforderungen. Aber so formulieren sie immer, wenn sie nicht genau wissen, wie es weitergehen soll. Gewerkschaftsfunktionäre geben sich stark und kündigen Widerstand an. Aber Widerstand gegen was oder wen? Und ist nicht ihr eigene Zukunft ungewisser denn je? Rentenversicherungen, Banken- oder Fondsmanager tönen von sicherer Zukunft und ertragreicher Geldanlage, während die öffentliche Verschuldung jedes bisher gekannte Maß übersteigt, während notwendige Investitionen nicht mehr finanzierbar sind.
Schauen Sie genau hin. Auch wenn der Anblick wehtut. Das Verhältnis der Dinge zueinander ändert sich in rasantem Tempo. Ich will die Veränderungen sichtbar machen und zeigen, inwiefern sie uns alle angehen. Wir müssen uns verändern, um mithalten zu können. Wenn sich die Arbeitswelt verändert, trifft es fast alle. Für viele wird es schmerzhaft, für manche nicht, betroffen sind wir alle.
Wer berufstätig ist, als Angestellter oder Arbeiter sein Gehalt bezieht und noch ein paar Jahre vor sich hat, der wird mit einer veränderten Arbeitsumgebung, einer veränderten Arbeitsweise und neuen Einkommensquellen konfrontiert werden. Nur wer sich auf diese Veränderungen vorbereitet, wird weiter erfolgreich arbeiten können.
Doch nicht nur Berufstätige, auch Rentner werden die Veränderungen der Arbeitswelt zu spüren bekommen. Könnte sein, dass die zu erwartende Revolution auch die sozialen Systeme einschließlich der gesetzlichen Rentenkasse und der privaten Versicherungen erschüttert.
Die Jungen unter uns, die vor der Berufswahl stehen oder vor einer Ausbildung oder schon mittendrin stecken, sollten sich darauf einstellen, dass sie sich immer wieder verändern und weiterbilden müssen oder dürfen (je nach Einstellung), wenn sie im Job glücklich und erfolgreich sein wollen.
Ich möchte mit diesem Buch verdeutlichen, dass es nur dann positiv für uns weitergehen wird, wenn wir uns mit den Neuerungen auseinandersetzen und Strategien entwickeln, um in einer veränderten Arbeitswelt zurechtzukommen. Mit dem oft dahergesagten Spruch »Alles wird gut!« kommen wir diesmal nicht durch.
Michael Opoczynski, Mainz im Juli 2020
PS: Noch ein Hinweis: Wann immer ich in diesem Buch eine genaue geschlechtliche Zuschreibung verwende, was bestimmte Berufe oder Arbeitsformen anbelangt, also zum Beispiel »den Arbeiter«, »die Pflegerin« oder »der Freelancer«, sind jeweils auch die anderen Geschlechtszuschreibungen intendiert, also, um bei dem Beispiel zu bleiben, »die Arbeiterin«, »der Pfleger« oder »die Freelancerin«. Die Nichterwähnung im jeweiligen Fall ist allein der Lesbarkeit des Textes geschuldet.