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Es geht auch anders »MITTAGS GEH ICH HEIM!« WIE DETLEF LOHMANN SEINE LEUTE BEHANDELT

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Es geht auch anders. Der von Managern mit Eifer betriebene Abbau von fest angestelltem Personal ist keineswegs unumgänglich. Firmen können auch erfolgreich sein und Gewinn machen und gleichzeitig mit den Mitarbeitern sorgsam umgehen. Das sind dann allerdings Unternehmen, die sich deutlich von den Betrieben der »Kostenkiller« unterscheiden. Sie werden anders geführt, setzen sich andere Ziele. Folglich herrscht dort auch ein anderes Klima. Die Mitarbeiter werden wertgeschätzt und bringen sich mit ihrem Wissen engagiert und motiviert in den Betriebsablauf ein. Hier ein Beispiel:

Detlef Lohmann ist Geschäftsführer von allsafe, einem mittelständischen Unternehmen der Metallindustrie. 300 Mitarbeiter. Firmensitz in Engen am Bodensee. Die Firma ist seit vielen Jahren sehr erfolgreich, mit jährlich wachsenden zweistelligen Umsatzrenditen, mit hohen Exportquoten und gesundem Wachstum.

allsafe stellt Sicherungssysteme für Ladegut in Lastwagen und Flugzeugen her, auch Befestigungs- und Sicherungssysteme für Sitze in Flugzeugen. allsafe ist also im buchstäblichen Sinne ein Produktversprechen, denn würden sich Kästen oder Container während einer Fahrt oder eines Fluges ungewollt in Bewegung setzen, würde es schnell gefährlich – nicht nur für den Lkw oder das Flugzeug, sondern für die Allgemeinheit. allsafe garantiert, dass dieses Risiko nicht eintritt. Und damit ist man Marktführer geworden, ein sogenannter »Hidden Champion«, ein in seinem Bereich führendes Unternehmen, das man in der Öffentlichkeit nicht kennt.

Lohmann, heute Anfang sechzig, kam aus der Automobilindustrie, wo er als Abteilungsleiter in einem Weltkonzern gearbeitet hatte. Aufstiegschancen sah er dort nicht. Ohnehin war ihm die Welt der strengen Hierarchien zu eng. Er wollte es in seinem Betrieb besser machen und verzichtete deshalb auf ein statisches, konventionelles Managementsystem. Stattdessen führte er die Demokratie im Unternehmen ein. Demokratie? Heißt das, jeder kann machen, was er will und wann er will? Keineswegs! Das, so sieht es Lohmann, wäre Anarchie und vermutlich bald das Ende des Unternehmens. Demokratie im Betrieb ist – ähnlich wie in unserer demokratischen Gesellschaft – die etwas anstrengendere, aber letztlich bessere, lohnendere und befriedigendere Organisationsform, bei der alle mitmachen können und sollen.

Ist Demokratie im Betrieb also tatsächlich eine neue zukunftsträchtige Form der Arbeit? Wie läuft das genau ab und wie geht es den Angestellten damit?

Lohmann berichtet über seine Anfänge als Firmenchef von allsafe: »Ich kam vor zwanzig Jahren in den Betrieb und hatte keine Ahnung. Jeder einzelne Mitarbeiter wusste mehr über die Abläufe und die Produkte als ich.« Deshalb entschied er sich dafür, einen Teil seiner Macht an seine erfahrenen Mitarbeiter abzugeben. Im Gegenzug forderte er verstärktes Engagement. Zu Beginn sorgte dieser neue Führungsstil für große Unruhe unter den Mitarbeitern. Lohmanns Demokratiebestreben traf auf Unverständnis: »Es ist doch alles gut bei uns! Das Unternehmen läuft! Was will der neue Chef eigentlich?«

In dieser Anfangsphase nahm sich Lohmann einen Berater, einen »Übersetzer«, wie er ihn nennt. Der Unternehmensberater Michael Lehmann begleitete den Prozess, in dessen Folge Mitarbeiter und Chef lernten, auf eine neue Art und Weise miteinander umzugehen. In kleinen Gruppen wurde das Modell vorgestellt, diskutiert, angepasst. Herausgekommen ist dabei folgendes Verfahren: Die Mitarbeiter erfahren in den Produktionshallen auf Informationstafeln, wo das Unternehmen aktuell steht. Sie erhalten Einblick in Auftragszahlen, Einnahmen, Ausgaben und Planungen und sollen mit darüber entscheiden, wie Aufträge abgewickelt werden, was man verbessern kann, wo es an etwas mangelt. Der Berater Lehmann sagt: »Wer sich bei allsafe einbringt, der wird anerkannt. Wer lernt und sich fortbildet, der wird belohnt. Es funktioniert.«

Es funktioniert nicht nur, es trägt entscheidend zum Unternehmenserfolg bei. Inzwischen hat diese Methode Eingang in die Managementliteratur gefunden und erlebt unter dem Begriff »agil« ihre Blüte. Berater Lehmann: »Der Lohmann war schon agil, als andere mit dem Wort noch nichts anfangen konnten.« Dennoch, sagt Lohmann selbst, würden andere Unternehmer oder Manager das alles mit großem Misstrauen sehen, weil es mit einem Verlust ihrer Entscheidungsgewalt verbunden sei. Die meisten Chefs wollten Ansagen machen können und seien der Tradition der hierarchischen Führung verhaftet. Das gilt ebenso für die andere Seite. Es gebe Mitarbeiter, die mit der Demokratie im Betrieb nichts anfangen könnten, weil es ihnen lieber sei, wenn man ihnen klar sagt, was zu tun ist. Diese Mitarbeiter entziehen sich, wenn die Gruppen zusammentreten und diskutieren. »Macht nichts«, sagt Lohmann, »wir zwingen niemanden zu nichts.«

Die meisten Mitarbeiter aber haben das System verinnerlicht. In Gruppen entscheiden sie über Neueinstellungen, über Verbesserungen am Arbeitsplatz, über Investitionen und die Verteilung des Gewinns. Es muss also zum Beispiel in der Gruppe darüber beraten werden, ob eine Frau oder ein Mann eingestellt werden soll. Man sieht und hört sich die Bewerber gemeinsam an, man beobachtet sie gemeinsam in der Probezeit. Und entscheidet gemeinsam über die Festanstellung. Oder, eine andere und eher problematische Situation, man entscheidet sich in der Gruppe, einem Mitarbeiter, der gerne hin und wieder montags oder freitags ohne Begründung zu Hause bleibt, ein Signal zu senden, dass das auf Dauer nicht akzeptiert wird.

Natürlich ist der demokratische Betrieb anstrengender als der autoritär geführte. Aber letztlich dann auch besser. Für alle. Geschäftsführer Lohmann war sich bewusst, dass er herausragende Arbeitskräfte benötigt, um ein herausragendes Produkt anbieten zu können. Um gute qualifizierte Bewerber in die Provinz zu locken, bedurfte es besonderer Angebote. Es ist diese Arbeitsform, die praktizierte Betriebsdemokratie, die engagierte Mitarbeiter zu allsafe führt und vor allem auch langfristig hält. Weil Lohmann aber der Meinung ist, dass diese Form der Arbeit nur in Kleingruppen und damit nur in mittelgroßen Betriebsstätten möglich ist, hat er, wie er sagt, »Zellteilung« betrieben. Der zweite Betrieb von allsafe entstand in Fürstenwalde bei Berlin. Auch dort wird von Anfang an »agil« gearbeitet.

Der Manager Lohmann geht mit seinem Modell gerne auf Reisen, präsentiert sich bei Podiumsdiskussionen und hat sich als Autor hervorgetan. Der nicht ganz ernst gemeinte Titel seines Buchs (»… und mittags geh ich heim«) kokettiert mit seinem Managementmodell. Auch wenn es nur in kleinen Einheiten funktioniert und so nicht auf Großbetriebe übertragen werden kann, ist es ein bemerkenswertes Modell. »Wenn Sie noch Fragen haben, rufen Sie mich an«, sagt Lohmann nach dem Interview. »Aber vormittags! Denn Sie wissen ja: mittags geh ich heim.« Er grinst.

Das erste Interview wurde »vor Corona« geführt. Das zweite dann Monate später. Inzwischen hat das Virus seine vernichtende Schneise durch die deutsche Unternehmenslandschaft geschlagen. Ich rufe vorsichtig bei der Firma allsafe an und frage nach Lohmann. Die Vorsicht ist unbegründet. Der Chef ist überraschend guter Dinge. Ihm persönlich geht es gut, aber auch das Unternehmen steht unerschütterlich. Obwohl das Auftragsvolumen um bis zu dreißig Prozent zurückging. Die Krise der Luftfahrt machte sich bemerkbar, aber die starke Nachfrage nach Lkw-Fracht bescherte allsafe weiter gute Aufträge. In den kritischen Monaten wurden die Teams geteilt, Zwei-Schicht-Betrieb wurde eingeführt. Die Arbeitsgruppen arbeiteten strikt getrennt, damit ein Krankheitsfall nicht die gesamte Produktion stilllegen konnte. »Wir werden letzten Endes besser dastehen als vor der Corona-Krise«, sagt Lohmann. »Denn unsere jahrelang eingeübte Dezentralität und Agilität wird jetzt ihre volle Stärke entfalten.« Was man unter normalen Bedingungen geübt habe, zahle sich jetzt aus. Das gibt es also auch: Ein Unternehmen, das aus der Krise nicht geschwächt, sondern gestärkt hervorgeht.

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