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NO RISK – NO FUN! WIE SPEDITIONEN IHRE FAHRER ABSCHAFFEN
ОглавлениеWer braucht noch Lkw-Fahrer im Zeitalter selbstfahrender Lkws? Wer noch Taxifahrer? Die Zukunft von Logistik und Verkehr liegt in den Händen der Roboter. Zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Die schöne neue Welt minimiert angeblich die Risiken, minimiert den Platzverbrauch, senkt die Kosten. Aber: Was wird aus den Fahrern, Seemännern, Piloten? Und wer trägt am Ende die Verantwortung, wenn etwas schiefgeht?
Zuletzt wurden sie unter die Helden des Alltags eingereiht: die Lastwagenfahrer. Die trotz der Corona-Krise mit ihren Trucks durch das Land fuhren und uns mit Lebensmitteln versorgten. Normalerweise werden sie verflucht, weil sie die Straßen verstopfen. Aber in der Krise wurden sie verehrt. Sogar die Aufhebung des Sonntagsfahrverbots für die Vierzigtonner nahmen wir zustimmend zur Kenntnis. Ich sage: Lange wird dieser Ruhm nicht anhalten!
Noch gibt es sie, jene Lkw-Fahrer, die ihre Trucks lieben. Die ihre großen und schweren Fahrzeuge sorgfältig in Schuss halten, sie selbst durch die Waschhallen fahren, das Führerhaus putzen. Und dann gibt es sogar jene, die das Fahrzeug per Airbrush verzieren, aufpeppen, ein lautes mit Druckluft betriebenes Signalhorn auf dem Dach, persönliche Dinge im Führerhaus. Das sind meist jene Fahrer, denen der Truck gehört. Die ihr Fahrzeug wie eine Persönlichkeit behandeln. Die sich auf das Fahren freuen.
Aber dieser Beruf hat sich verändert, der Stress hat zugenommen. Weil die Staus den Terminplan gefährden. Weil die Angst, ein Stauende zu übersehen und in einen schlimmen Unfall verwickelt zu werden, immer mitfährt. Weil die überfüllten Übernachtungsplätze am Abend den letzten Nerv kosten. Auch weil die Billigkonkurrenz aus Osteuropa den Markt kaputt macht. Noch wächst die Flotte der Lkws. Noch werden Fahrer gesucht. Aber es ist ein Boom kurz vor der Endzeit. Tief greifende Veränderungen zeichnen sich ab.
Die gute Nachricht zuerst: Die schlimmen Auffahrunfälle wird es bald nicht mehr geben. Die schlechte (aus Sicht der Fahrer): Sie werden bald nicht mehr gebraucht. Ihre Rivalen stehen bereits in den Startlöchern: Die ersten autonomen Fahrzeuge bahnen sich ihren Weg.
Viele private Autofahrer kennen die sogenannten Assistenzsysteme im Auto. Sie helfen beim Einparken. Sie sorgen dafür, dass man auf Landstraßen und Autobahnen die Fahrspur einhält. Die Assistenzsysteme bremsen das Fahrzeug bei Stau. Bei langsamer Fahrt in der Stadt verhindern sie Unfälle mit Fußgängern. Vieles gibt es schon in der Praxis und im Alltag. Im Erprobungsbetrieb fahren erste komplett selbst gesteuerte und beschleunigende Autos, in Deutschland unter den kontrollierenden Blicken der Testfahrer. Im Ausland ist man da etwas lockerer und riskiert auch mehr.
Irgendwann werden die Nostalgiker sich erinnern. Wie schön es war, mit einem offenen Zweisitzer, so einem richtig altmodischen Roadster, in den Frühling zu fahren. Die »Dame« oder der »Herr« legte eine behandschuhte Hand leicht auf das hölzerne Lenkrad, während mit der anderen geschaltet wurde. Der Motor röhrte, der Auspuff knallte, eine schwarze Abgasfahne zeigte den Augen und den Nasen der Zurückbleibenden unbekümmert die Leistung. Das waren Zeiten!
Solche Autos stehen heute schon im Technikmuseum. Die Fahrerhandschuhe warten bei eBay auf nostalgische Bieter, die Damen- und Herren-Fahrer leben nicht mehr oder wenn, dann fahren sie jetzt Rollatoren.
Aber die Lkw-Fahrer, diese sogenannten Trucker, die gibt es noch. Sie stehen mitten im Berufsleben, es sind allein in unserem Land Hunderttausende, weltweit Millionen Männer (fast ausschließlich Männer). Was die nicht wissen: Auch sie werden Museumsreife erlangen. Oder härter gesagt: Sie werden arbeitslos.
Der Lkw ist dem Pkw bereits voraus. Die Digitalisierung steht vor dem Siegeszug. Jedenfalls weiß man bei den modernen Firmen, die sich schon lange nicht mehr Fuhrbetrieb oder Spedition nennen, sondern lieber Logistikunternehmen, was demnächst kommt.
Vor Jahrzehnten gehörte zum Beruf des Berufskraftfahrers der Duft des Abenteuers. Die Fahrer kämpften sich allein am Lenkrad ihrer Lastzüge durch die widrige Welt, durch Sturm und Regen, Schnee und Eis. Bis sie dann mit ihrer wichtigen Ladung am Ziel fröhlich empfangen wurden. Wenn heute der Trucker eines modernen Logistikunternehmens auf der A 9 von Bayern kommend in Richtung Leipzig fährt, weiß zeitgleich der Disponent des Unternehmens in seinem Münchner Büro alles über diese Fahrt und über die Fuhre. Er kennt dank GPS-Tracker die Position des Fahrzeugs. Er weiß, ob demnächst ein Stau den Lkw behindern wird. Er kennt die Ladung und ihr Gewicht, er weiß, ob im Laderaum noch Platz ist für eine Zuladung. Er kennt das Ziel. Und noch mehr: Er weiß, welcher Typ Lkw da unterwegs ist, wann er zur Wartung muss, wann ein Ölwechsel ansteht. Das ist die Gegenwart. Der Fahrer ist schon längst nicht mehr der Einzelkämpfer mit Entscheidungsbefugnis. Er ist nur noch ein Teilchen in einem Getriebe. Noch …
Und jetzt der Schritt in die Zukunft. Zeit für den Auftritt von Platooning. Platooning beschreibt die Zukunft eines Transportsystems für die zivile Welt. Beim Platooning (englisch für: Kolonne fahren) fährt ein Lkw voraus und eine Gruppe anderer hängt sich in geringem Abstand hinten dran. Die Fahrzeuge werden elektronisch gekoppelt, sodass das Ganze von Weitem wie ein Güterzug aussieht.
Vorteile für die Transportunternehmen: weniger Treibstoff, weniger Fahrer (nur vorn im ersten Fahrzeug soll noch einer sitzen). Vorteil für die anderen Verkehrsteilnehmer: weniger Platzverbrauch. »Das Platooning ist technisch schon heute machbar«, sagt der Chef des Lkw-Herstellers MAN, Joachim Drees. »Aber ganz ohne Mensch sicher nicht vor 2030.«
In Deutschland fehlt für die Umsetzung ein durchgehend starkes Mobilfunknetz. Aber lange wird sich der technische Fortschritt dadurch nicht mehr aufhalten lassen. Erst kommt Platooning, danach die vollkommene Autonomie der Fahrzeuge. Da sind dann endgültig viele Menschen betroffen, die bisher mit dem Fahren ihren Lebensunterhalt bestritten haben.
In den USA hat die Lkw-Sparte von Daimler sich die Mehrheit an einem Software-Unternehmen gesichert, das beim Erforschen des autonomen Fahrens schon weit vorangekommen ist. Übergeordnetes Ziel ist das Erreichen von Level vier. Gemeint ist die vollkommene Autonomie, das Fahrzeug trägt die volle Verantwortung im Verkehr, auch in schwierigen Situationen, zum Beispiel im städtischen Gewühl mit Stop-and-go-Verkehr, mit Fahrradfahrern und Fußgängern. Bei den schwerfälligen und massigen Lkws ist das noch etwas komplizierter als bei den Pkws.
Zurzeit arbeitet Daimler daran, Level zwei, also die Teilautonomie, in den Praxisbetrieb einzuführen. Dabei muss der Fahrer am Steuer sitzen, wird aber von Abstands- und Spurhalteassistenten unterstützt. In etwa zehn Jahren, also ab dem Jahr 2030, ist der Fahrer dann weg. Dann soll es die volle Autonomie geben.
Auch große Lkws werden dann automatisch und autonom fahren, zügig, sicher und kontrolliert. Ohne Mensch am Steuer. Der Lkw der Zukunft wird auf seine Ziele programmiert. Dann fährt er los, ohne einen Fahrer zu benötigen.
Dieser Transporter der Zukunft versorgt sich unterwegs, falls notwendig, an automatisierten Stationen mit Treibstoff, Strom oder Wasserstoff. Er fährt schnurstracks und natürlich ohne Schlaf- oder Frühstückspause an sein Ziel. Dort manövriert er sich automatisch in die richtige Position zum Entladen. Entweder indem er sich in kürzester Zeit der mobilen Transportcontainer entledigt, oder indem er von automatisierten Gabelstaplern entleert und gleich wieder beladen wird.
All das benötigt kaum noch menschliche Arbeitskraft. Irgendwo in einem Terminal sitzt ein Mensch und blickt auf Monitore. Früher wurden Kraftfahrer und Gabelstaplerfahrer, Disponenten und Tankwarte sowie Kfz-Mechatroniker gebraucht. Aber das ist dann vorbei. Was aber wird aus den Fahrern? Das ist die Frage.
Es gibt allein in unserem Land etwa eine halbe Million Menschen, die mit dem Fahren von Lastwagen ihren Lohn verdienen. Momentan melden die Speditionen sogar erhöhte Nachfrage nach Berufskraftfahrern. Aber das wird schnell zu Ende gehen. Dann werden diese Fahrer eine andere Arbeit brauchen. Aber welche? Wie viele andere Arbeitnehmer in vergleichbaren Berufen machen sie ihre Arbeit nicht zufällig, sondern selbstbewusst. Sie arbeiten hart. Es wäre vermessen, auf sie herabzuschauen. Fahrer, ob in Lkws oder Bussen, üben eine verantwortungsvolle, anspruchsvolle Arbeit aus, konzentriert und fachmännisch. Wie wichtig sie tatsächlich sind, wurde in der Corona-Krise deutlich, als die Versorgungskette zu reißen drohte, weil Fahrer nicht über Grenzen kamen oder ihre Transporte gestoppt wurden. Es gehört schon eine gehörige Portion Unkenntnis dazu, diesen Menschen eine angeblich »bessere« Arbeit zu wünschen. Viele Fahrer wünschen sich vielleicht weniger Zeitdruck, eine bessere Bezahlung und einen anderen Umgang im Straßenverkehr. Aber wer jemals einem professionellen Fahrer über die Schulter geschaut hat, wird feststellen, dass dieser Mensch gerne fährt.
Für die Zukunft der Arbeit wird im Allgemeinen zweierlei vorhergesagt: Erstens, dass Berufstätige, die eine von Robotern zu ersetzende Arbeit ausüben, dann einfach eine andere Arbeit finden werden. Zweitens, dass sie darüber froh sein werden, weil man sie von einer langweiligen und nervenden Tätigkeit befreit hat. Stimmt das überhaupt? Welche Arbeit könnte das sein?
Seit Karl Marx 1844 seine sogenannten Pariser Manuskripte verfasst hat, ist der Begriff von der entfremdeten Arbeit bekannt. Er unterstellt, dass Menschen tagaus, tagein eine Arbeit verrichten, zu der sie keine persönliche Beziehung haben, die sie ausschließlich des Geldes wegen ausführen. Mit Handgriffen, die sie automatisch verrichten. Dass die Langeweile sie beherrscht und sie froh sind, wenn der Feierabend naht. Inzwischen weiß man, dass das so nicht stimmt.
Die belgische Wissenschaftlerin Isabelle Ferreras hat Frauen beobachtet, die in Supermärkten an der Kasse arbeiten. Eine Tätigkeit, die uns monoton erscheint. Wir unterstellen, dass die Frauen diesen Job nur in Ermangelung von Alternativen machen. Stimmt aber so nicht: Die Untersuchung ergab, dass die Frauen überwiegend an ihrer Tätigkeit hängen, weil sie ihnen mehr gibt als langweilige Routine. Sie fühlen sich autonom. Sie lieben den Kontakt mit Menschen. Ihre Arbeit ist ihnen wichtig. In der Corona-Krise waren dann die Kunden endlich bereit, diese Arbeit anzuerkennen. Verkäuferinnen und Kassiererinnen wurden plötzlich gelobt, respektiert, in der lokalen Presse in die Kategorie der »Heldinnen des Alltags« einsortiert. Am Gehaltsgefüge änderte sich nichts.
Für die Arbeitnehmer – ob sie an Supermarktkassen arbeiten, ein Fahrzeug lenken oder am Fließband stehen und einem fremdgesteuerten Takt unterworfen sind – kann ihre Tätigkeit, die wir als langweilig empfinden, befriedigend, ja sogar erfüllend sein. Hinter dem bedauernden Blick der akademischen Welt auf den »ausgebeuteten entfremdeten Arbeiter« lauert der Hochmut. Viele von uns können sich nicht vorstellen, dass einfache Tätigkeiten einen Menschen ausfüllen können.
Zurück zu der Situation der Lkw-Fahrer: Nicht alle, aber viele von ihnen, fahren gerne. Sie lieben ihre schweren Fahrzeuge mit den starken Motoren. Sie empfinden Stolz, wenn sie es schaffen, ihre Vierzigtonner durch lebhaften Straßenverkehr zu navigieren und ihre Güter pünktlich abzuliefern. So wie manche Arbeiterinnen und Arbeiter am Fließband stolz sind, wenn sie trotz Nachschubprobleme im Takt bleiben. Diese Frauen und Männer gehen nach getaner Arbeit müde nach Hause – müde, aber zufrieden. Entzieht man ihnen ihre Arbeiten, entzieht man ihnen einen Teil ihrer Lebensfreude. Natürlich könnte man ihnen raten: Macht doch einfach etwas anderes! Ob die Ausübung einer anderen Tätigkeit sie aber genauso glücklich macht, bleibt dahingestellt.
Was machen wir also mit den Fahrern? Einfach umsatteln lassen? Im Einzelfall mag das gelingen, etwa vom Fahrersitz auf den Platz eines Disponenten in einer Spedition. Aber das ist keine Lösung für eine ganze Berufsgruppe. Zumal das Problem nicht nur Lkw-Fahrer betrifft. Es gibt erste Taxis, die ohne Fahrer auskommen. Also ist die Vorstellung, dass sich alle diese Beschäftigten besser nach einem anderen Job umsehen sollten, keine bloße Utopie.
Autonomes Fahren wird schon bald auch bei ganz normalen, privat betriebenen Autos üblich sein. Der Fahrer, der lenkt und schaltet, wird zum Auslaufmodell. Vielleicht wird er eingreifen, weil er es ausdrücklich will und es ihm Spaß macht, selbst zu fahren. Vielleicht wird er sich auf seinen Oldtimer freuen, an dem er selbst herumschrauben kann, der noch ohne aufwendige Elektronik zum Laufen gebracht werden kann, der unter Einsatz physischer Kräfte gelenkt und geschaltet wird. Autofahren ohne technische Helfer wird damit zum Privatvergnügen einiger Nostalgiker werden.
Die Mehrheit der Frauen und Männer, die ihr Auto besteigen, werden künftig ihrer Navigation sagen, wo es hingehen soll. Das Auto wird sie umstandslos hinbringen. Vermutlich schneller, sparsamer und sicherer als heute. So zwiespältig ist der technische Fortschritt: Er revolutioniert den Straßenverkehr, nützt den einen und stürzt die anderen, die mit dem händischen Fahren ihren Lebensunterhalt bestritten haben, in die Krise.
In Paris oder Budapest gibt es heute bereits erste U-Bahn- Linien, die komplett ferngesteuert fahren. Funktioniert erfolgreich. In absehbarer Zukunft wird der städtische Personennahverkehr kein Fahrpersonal mehr brauchen. Diese vielen Beschäftigten werden nicht alle als Kontrolleure gebraucht (zumal moderne Systeme auch die menschliche Fahrkartenkontrolle überflüssig machen). Also noch mal die Frage: Was soll aus all diesen Fahrern werden?
Vor einigen Monaten hatte mich ein Mitarbeiter der Deutschen Bahn eingeladen. Ob ich Lust hätte, im Führerstand eines Intercity-Express-Triebkopfs mitzufahren. Natürlich hatte ich Lust. Also stand ich da hinter dem Triebzugführer, ganz vorn an der Spitze des Zuges. Wir fuhren auf der Strecke von Hannover Richtung Kassel, Geschwindigkeit mehr als 300 Kilometer in der Stunde.
Das war erstens ein erhebendes Gefühl: die Kraft und die Schnelligkeit zu spüren. Beim Blick aus dem Fenster im Großraumwagen erlebt man das weniger intensiv als beim Blick nach vorn auf die sich am Horizont vereinigenden Gleise. Zweitens aber war für mich bemerkenswert, dass der Lokührer während der Fahrt gar nicht so viel zu tun hatte. Der Zug fuhr im Bahnhof eigenständig an, regulierte unterwegs seine Geschwindigkeit nach den Vorgaben aus einem entfernten Stellwerk, er bremste von selbst im Zielbahnhof und kam präzise zum Stehen. Den Lokführer früherer Zeiten, den man als eifrigen Bediener von Hebeln und Handrädern zu kennen glaubt, den gibt es in den modernen und schnellen Zügen so nicht mehr. Er ist kein Arbeiter mit händischer Tätigkeit, sondern ein Kontrolleur. Er überwacht Monitore und Displays. Er blickt auf die Strecke, bereit für eine Schnellbremsung. Aber nur in Ausnahmefällen greift er ein.
Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt bis zum autonom fahrenden Zug. Es wird ihn geben. Die Firma Siemens forscht mit Volldampf (die Formulierung sei erlaubt) an der Autonomisierung der Schiene. Das Unternehmen verspricht den Bahnbetrieben höhere Pünktlichkeit, Kapazitätssteigerungen und Energieeinsparungen. »Automatic Train Operations« nennt es sein Projekt.
Die Fachleute sehen auch, was sich außerhalb Europas tut. Da hat im vergangenen Jahr in der chinesischen Provinz Sichuan eine neuartige Straßenbahn ihren Betrieb aufgenommen. Ein öffentliches Verkehrsmittel mit mehreren Innovationen: Die Bahn benötigt keine Gleise, sondern sie fährt auf gummibereiften Rädern. Ihre festgelegte Strecke sucht sie sich mithilfe von GPS sowie optischer und anderer Sensoren. Sie benötigt keinen Fahrdraht, sondern bezieht ihre Energie aus Ladepunkten an den Endstationen. Ein Straßenbahnfahrer wird nicht mehr benötigt.
Weder die Entwickler noch die Bahnunternehmen machen darum viel Wind, aber sie alle wissen: Der Lokführer, der Triebzugführer, der U-Bahn-Fahrer oder wie immer man jene Personen nennen will, die vorn im Führerstand eines Gleisfahrzeugs stehen, sie alle haben keine Zukunft. Einen Streik der Lokführer, wie er vor Jahren die Deutsche Bahn an den Rand des Zusammenbruchs brachte, wird es auch nicht mehr geben. Der exklusiven Lokführergewerkschaft fehlt dann die Existenzberechtigung. Man munkelt, der damalige Gewerkschaftsvorsitzende habe dies gewusst und auch deshalb seinerzeit den Arbeitskampf auf die Spitze getrieben. Gewissermaßen sein letzter Kampf! Was aber wird aus Tausenden Lokführern? Macht man aus denen Zugbegleiter? Braucht man die? Und wollen die das überhaupt?
Auch der Luftverkehr bleibt von den personaleinsparenden Neuerungen nicht verschont. Wer schon einmal im Cockpit eines Flugzeugs mitfliegen durfte, der war sicher beeindruckt von der Vogelperspektive, aber auch von dem Stand der Technik. Mir ging es jedenfalls so, als ich bei einer Reportage über Luftfracht vorn in einer Lufthansa-Cargo-Maschine hinter den beiden Piloten sitzen durfte. So konnte ich miterleben, wie weit fortgeschritten das automatische Fliegen bereits ist. Nicht nur oben auf Reiseflughöhe hat der Autopilot das Sagen. Es kann auch bereits automatisch gestartet und gelandet werden, natürlich unter den kontrollierenden Blicken der Piloten. Natürlich nur beim störungsfreien und ruhigen Ablauf. Aber immerhin: Schon jetzt ginge es auch ohne den Menschen. Noch ist das aber nicht zulässig und angeblich wird es aus primär psychologischen Gründen auch nicht angestrebt. Die bloße Vorstellung, ohne Pilot in einem Flugzeug zu sitzen, verunsichert. Ohne diese Autoritätsperson, die Sicherheit und Ruhe ausstrahlt. Die sich vor dem Start meldet: »Guten Morgen, hier spricht Ihr Kapitän …!« Das könnte man natürlich auch vom Band abspielen. Die psychologische Wirkung wäre aber nicht die gleiche.
Noch ein Blick auf eine andere Berufsgruppe, die zwar nicht groß genug ist, um durch ihre Abschaffung die Arbeitswelt in eine Krise zu stürzen, aber dennoch Relevanz besitzt: die Schiffsbesatzungen. Schon heute arbeiten auf Supertankern oder riesigen Containerschiffen nur noch eine Handvoll Leute. Und auch sie werden im Zuge des technischen Fortschritts arbeitslos werden. Dank der Präzision von GPS können Schiffe irgendwann ohne Besatzungen auf Reisen geschickt werden. Den Kapitän muss man sich dann vorstellen wie den Piloten einer Drohne. Er sitzt irgendwo an Land in dem Büro seiner Reederei. Von dort aus kontrolliert er mehrere große Schiffe, die weltweit unterwegs sind. Auch den Ingenieur, der die Maschinen am Laufen hält, wird es so nicht mehr geben, denn die Schiffsmaschinen senden von unterwegs ihren aktuellen Wartungsstand und können bei Bedarf im nächsten Hafen auch gleich gewartet oder repariert werden.
Und auch die Landwirtschaft arbeitet schon heute hoch technisiert. Der Traktor oder Mähdrescher zieht GPS-unterstützt seine Bahnen. Da ist bei künftigem autonomem Einsatz nicht mehr viel einzusparen. Personal braucht es bis heute in den Gartenbetrieben, wo Spargel, Tomaten und weitere Gemüse- und Obstsorten oft noch von Menschen geerntet werden. Es sind schlecht bezahlte Hilfsarbeiten für sogenannte Saisonkräfte, aber immerhin: Für sie ist diese Arbeit unverzichtbar. Nur sollten diese Menschen sich in sehr naher Zukunft Alternativen überlegen, denn die Erntemaschinen sehen künftig anders aus. Sie werden mit sensiblen und individuellen Greifern ausgerüstet sein, die Früchte und Gemüse in großer Sorgfalt ernten können, automatisch gesteuert, während der Landwirt von seinem Büro aus nur hin und wieder einen Blick auf seinen Bildschirm wirft. Auch da wird also menschliche Arbeitskraft überflüssig, ohne dass wir heute wissen, was wir den Betroffenen als Ersatz bieten können.
Die zunehmende Digitalisierung wird sich auf fast alle Berufe im Transportwesen auswirken. Alle, die zur Zeit Lenkräder, Hebel und Pedale bedienen, die Gas geben und auf die Bremse treten, sind betroffen. Die wegrationalisierten Fahrer werden im günstigsten Fall in den Vorruhestand gehen oder sie müssen nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten suchen. Aber was gibt es Vergleichbares? Fachleute und Politiker sagen, da werde sich schon etwas auftun. Aber sie alle bleiben vage in ihren Aussagen und zeigen keine konkreten beruflichen Perspektiven für die Verlierer der technischen Revolution auf.
Der amerikanische Professor Lee Branstetter befasst sich mit genau diesen negativen Folgen der Einführung der autonomen Fahrprogramme. »In zehn Jahren haben wir ein gewaltiges soziales Problem, wenn wir jetzt keine Vorkehrungen treffen«, sagt er. Er blickt auf sein Land, die USA, wo heute etwa 1,7 Millionen Trucker hinter den Lenkrädern der schweren Lkws sitzen. Noch einmal ebenso viele leben vom Fahren kleinerer Transporter, vom Taxifahren, von Dienstleistungsfahrten für städtische Betriebe und als Uber-Fahrer. Branstetter erwartet, dass die Technik sich ab dem Jahr 2030 zügig durchsetzen wird. Und er macht die Rechnung auf: »Einen Lkw autonom nachrüsten wird etwa 30 000 Dollar kosten. Ein Trucker verdient meist um die 40 000 Dollar im Jahr. Eine Investition hätte sich also schon nach wenigen Monaten amortisiert.«
Diese Wirtschaftlichkeitsrechnung wird auch in Deutschland die Logistikunternehmen überzeugen. Da gibt es keine Menschenfreunde, die Arbeitsplätze aus Nächstenliebe unterhalten. Auch der Heizer hatte keine Zukunft, nachdem sich die E-Lok durchgesetzt hatte. Ein Spediteur, der so handeln würde, wäre bald weg vom Fenster. Also sind auch bei uns Arbeitsplätze in Gefahr. Wir sprechen für Deutschland über eine Zahl von etwa 500 000 Lkw-Fahrern, die anderen vom Fahren lebenden Berufsgruppen kommen noch hinzu.
Und dann ist da noch ein weiteres Problem (auch wenn es nichts mit dem Faktor Arbeit zu tun hat): Wer übernimmt die Verantwortung, falls es zu Unfällen kommt? Wer wird verantwortlich sein, wenn ein autonom gesteuerter Lkw einen Schaden verursacht? Es gibt da jenes Szenario, wonach ein autonom fahrendes Fahrzeug mitten im städtischen Straßenverkehr vor die Wahl gestellt wird: entweder ein hilfloses Kind, das auf der Fahrbahn liegt, zu überfahren, oder auf die andere Seite auszuweichen, wo sich zwei erwachsene Menschen bewegen. Wie ist das Fahrzeug programmiert, wie wird es entscheiden? Wer hat die Software entwickelt, die dieser Entscheidung zugrunde liegt? Was sagen die Hinterbliebenen, wenn sie von dieser Programmierung erfahren? Wird bei einem Rechtsstreit der Fahrzeughersteller zur Verantwortung gezogen? Der Programmierer? Das Transportunternehmen? Eine schwierige Frage.
Noch eine weitere neue Problematik: Bereits heute fürchten alle Autohersteller den Verlust ihrer Herrschaft über die Assistenzsysteme. Bisher ging es nur um so etwas Banales wie Schließsysteme. Das kennen wir seit Jahrzehnten: Ein Fingerdruck auf den elektronischen Schlüssel und das Auto ist entriegelt. Wir haben auch gelernt, dass sich hin und wieder Kriminelle der Elektronik bemächtigten und dann das Auto öffnen, schließen oder starten konnten. Inzwischen geht es um mehr: um Parkassistenten, Notbremssysteme, Stau- und Spurassistenten.
Was, wenn diese Helfer gekapert werden? Angenommen, ein Autofahrer erhielte folgende Nachricht: Entweder du zahlst mir ganz schnell und unauffällig 10 000 Euro, oder du erlebst das nächste Mal auf der Autobahn eine Vollbremsung bei Tempo 200. Wie würde er wohl reagieren? Manch einer mag sich an dieser Stelle fragen, ob eine solche Manipulation der Bremssysteme überhaupt möglich ist. Die Antwort ist beunruhigend: Ja, so etwas ist möglich! Vielleicht kämen die Täter sogar aus einem der Forschungszentren der Autoindustrie, wo sie als Folge der aktuellen Krise und nach der sehr langsamen Erholung wegrationalisiert wurden. Und damit wären wir wieder bei unserem Kernthema, nämlich der Zukunft der Arbeit, die aus der Sicht vieler Arbeitnehmer eine eher düstere Zukunft ist.
Die Manipulation aktueller Assistenzsysteme ist noch vergleichsweise harmlos, wenn man sie mit den Manipulationsmöglichkeiten vergleicht, die ein vollautonom fahrendes Auto bietet. Über alle Eigenschaften des Fahrens wachen dann autointerne Rechner, die das Fahrzeug steuern, die die Straßen überwachen, die Menschen auf den Straßen im Blick haben, die dann auch mit anderen Fahrzeugen vorne, hinten, links und rechts und mit der Verkehrslenkung kommunizieren werden. Da wird beschleunigt und gebremst, geblinkt und beleuchtet, gehupt und klimatisiert, ohne dass ein Fahrer eingreifen muss. Für Techniker und die Entwickler der künstlichen Intelligenz ist es das Paradies. Marketing- und Werbeleute sehen schon die nächste große traumhafte Werbekampagne, denn die Kunden müssen angefixt werden, damit sie dafür Geld ausgeben. Lauter schöne Aussichten. Außer für die Sicherheitsleute. Für die ist es die Hölle.
Heute arbeiten bei den Fahrzeugherstellern eigene und externe Entwickler an der Einrichtung und der Erprobung des autonomen Fahrens. Die hauseigenen Sicherheitsleute überprüfen all diese Mitarbeiter, ob sie den hohen Sicherheitsstandards entsprechen. Denn die große Sorge ist, dass sich irgendwann ein oder mehrere oder im schlimmsten Fall alle Fahrzeuge eines Herstellers selbstständig machen, keinen Befehlen mehr gehorchen und sich unkontrolliert auf der Straße bewegen. Es gehört zu dieser Welt, dass bei allen Szenarien des unternehmerischen und staatlichen Handelns Sabotageakte und Attentate vorausgedacht werden müssen, um sie verhindern zu können. Leider ist es unmöglich, die Gesellschaft vor solchen Gewalttaten komplett zu bewahren. Schließlich sind die Täter kreative Köpfe. Manchmal geht es um viel Geld, manchmal um politische Ziele. Manchmal sind es auch einfach nur Wirrköpfe, die sich ein Denkmal setzen wollen. Deswegen müssen politische Institutionen, Kraftwerke, Krankenhäuser und Finanzinstitute geschützt werden. Das wissen die Zuständigen. Sie arbeiten daran – mit mehr oder weniger Erfolg (wie wir manchmal erfahren).
Mit dem Zugriff auf PS-starke Fahrzeugflotten hätten Kriminelle und Terroristen eine wirkungsvolle Waffe. Sie könnten Fahrzeuge (Pkw, Lastwagen, Busse), aber auch Schiffe oder Flugzeuge und deren Insassen als Geiseln nehmen, bedrohen, in Angst versetzen und im schlimmsten Fall umbringen. Ein Schreckensszenario, das die Sicherheitsleute bei den Herstellern und die Polizei weltweit beschäftigt. Natürlich wissen die Hersteller, was alles möglich ist. Sie sprechen nicht darüber, aber sie sind sich der Gefahr bewusst.
In den USA, genauer im Silicon Valley, arbeiten sie zurzeit mit Hochdruck an der Entwicklung der Roboterautos. Mehr als sechzig Firmen haben eine Lizenz zum Testen, darunter die Großen, also Google, Uber oder Apple. Aber auch die Deutschen sind dort mit eigenen Laboren vertreten, also Daimler, BMW, Volkswagen und Bosch. Es ist ein Wettlauf. Denn künftig wird bei den Fahrzeugen mit der Autonomie mehr Geld verdient werden als durch das Zusammenbauen von Karosserien.
In der Welt am Sonntag berichtet Sven Zimmermann, der für Bosch in den USA zum Thema autonomes Fahren arbeitet, über die typischen und zugleich unvorhersehbaren Probleme. So war eines der deutschen Roboterautos plötzlich mit einem Stoppschild konfrontiert, das sich bewegte. Die Situation überforderte die Technik: Wo sollte das Fahrzeug halten, wenn das Haltesignal sich bewegt? Und dies war die Wirklichkeit: Ein amerikanischer Schülerlotse hatte sich ein Stoppschild außen auf seinen Rucksack geschnallt und fuhr mit seinem Rad auf der Fahrbahn vor dem Fahrzeug. Ein Mensch hätte das erkannt, das autonome Auto war handlungsunfähig. Es gibt ähnliche Situationen, die für Menschen unproblematisch sind, die Kameras der Roboter aber überfordern. Dazu gehört dann auch etwas so Alltägliches wie die Einfahrt in eine Autowaschstraße: für Roboter aktuell noch eine echte Herausforderung.
Zusammengefasst: Diese neue Technologie ist noch längst nicht serienreif, aber viele Unternehmen arbeiten mit Hochdruck an ihrer Entwicklung. Das Roboterauto wird uns – wenn es denn für sicher erklärt worden ist – als Verkehrsteilnehmern vieles erleichtern, aber es wird auch neue Probleme schaffen. Die von autonom gesteuerten Fahrzeugen verursachten Unfälle werden noch viele Juristengenerationen beschäftigen. Die neue Technologie wird Hunderttausenden Menschen, die mit Fahren ihr Brot verdienen, die Existenzgrundlage entziehen. Die Nachfrage nach Berufskraftfahrern wird in den nächsten Jahren sinken. Die Unternehmensberatung PwC sieht von den derzeit noch zwei Millionen Menschen in der Logistik künftig noch Jobs für 1,5 Millionen. Das werden dann Spezialisten sein: Logistiker, IT-Verantwortliche, Techniker, Disponenten. Der einfache Fahrer hat keine Zukunft. Das gilt genauso auch für Zehntausende Lokführer, für U-Bahn-Fahrer, für Busfahrer im Fern- und Nahverkehr, eines Tages vielleicht sogar für Kapitäne und Piloten.