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VORWORT VON OTTMAR HITZFELD

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Ich bin in meinem Trainerleben vielen großen Fußballbegabungen begegnet – aber kaum eine war so herausragend wie die von Sebastian Deisler. Die Eleganz und überlegene Technik, mit der Sebastian Fußball spielte, darf man in eine Reihe stellen mit Namen wie Franz Beckenbauer, Andi Möller oder dem Ballkünstler aus den 60 er-Jahren, Helmut Haller. Sebastian hat die Menschen mit seiner Klasse und seinem Können verzückt. Er war ein absolutes Ausnahmetalent – sicher eines der größten, das der deutsche Fußball je hervorgebracht hat.

Von Anfang an habe ich ein besonderes Verhältnis zu Sebastian gehabt. Wir stammen beide aus Lörrach, ich bin mit seinem Vater zur Schule gegangen. So habe ich Sebastians Weg sehr intensiv verfolgt. Seine mutige Entscheidung, mit 15 nach Mönchengladbach zu gehen, der Eintritt in die Bundesliga

mit 18, der Wechsel zu Hertha BSC nach Berlin. Sebastian hat ein atemraubendes Tempo hingelegt. Und niemand, mich eingeschlossen, ahnte damals, dass ihm selbst dabei die Luft womöglich wegbleiben könnte.

Als ich Sebastian im Jahr 2002 zum FC Bayern holte, hatte ihn die Presse schon zum Heilsbringer des deutschen Fußballs erkoren. Der Druck war immens. Die Erwartungen der Fans, die rekordverdächtige Transfersumme, die für ihn geflossen war, die Schlagzeilen in den Boulevard-Zeitungen. Dazu der scharfe interne Konkurrenzkampf beim FC Bayern. Das alles – verbunden mit einer Serie unglücklicher Verletzungen – muss Sebastian mehr zugesetzt haben, als er sich zunächst wohl selbst eingestehen konnte.

Wir haben es nicht früh genug bemerkt. Das grämt mich heute. Als Trainer versucht man immer zu orten, wo ein Spieler gerade steht. Aber vieles bleibt einem eben doch verborgen. Zumal, wenn einer so verschlossen ist wie Sebastian es damals war. Er hat nicht viel von seinem Innenleben preis gegeben – erst als es schon fast zu spät war. Manchmal denke ich, dass wir, wenn wir Sebastians Situation früher erkannt hätten, ihm so hätten helfen können, dass er dem Fußball nicht verloren gegangen wäre. Und ihm die wohl größte Leidenschaft seines Lebens erhalten geblieben wäre.

Sebastian war ein sensibler Künstler. Einer, der nicht nur Fußball spielte, sondern dies auch lebte und empfand. Er war regelrecht durchdrungen von dieser Passion. Aber das war es vielleicht auch, was ihn angreifbar machte. Im Profifußball sind – wie in allen anderen Hochleistungsbereichen auch – Nehmerqualitäten gefragt. Man muss einstecken und Kritik oder Rückschläge an sich abperlen lassen können wie an einer Ölhaut. Sebastian hatte diese Ölhaut nicht. Er war zu jung, um routiniert zu sein, zu unerfahren, um sich mit einem gewissen Maß an Abgeklärtheit zu wappnen. Für Zweifelnde und Grübelnde, wie der junge Sebastian Deisler einer war, kann diese Profimühle manchmal zermürbend sein.

Und doch hat er großen Mut und Tapferkeit bewiesen. Nur wenige vermögen sich vorzustellen, wie viel Courage es kostet, als hochdotierter Top-Sportler vor die Presse zu treten und sich zu der – vermeintlichen – Schwäche einer Depression zu bekennen. Vermeintlich deshalb, weil es in Sebastians Fall wie bei den meisten klinischen Depressionen um eine genetisch bedingte Krankheit handelt. Aber im leistungs- und renditefixierten Spitzensport stößt solch ein Eingeständnis nicht unbedingt auf sofortiges Verständnis.

Die Ehrlichkeit Sebastians hat den harten Profifußball um eine Facette der Menschlichkeit bereichert, weil er uns vor Augen geführt hat, dass auch die talentiertesten und optimal geförderten Spieler nicht automatisch Siegermaschinen sein können. Er hat uns gezeigt, dass es nicht immer zum Besten eines Spielers ist, wenn man ihn schon als Jugendlichen entdeckt, ihn mit einem halben Dutzend Beratern umzingelt und zu einer teuren Marke aufbaut, die möglichst schnell möglichst hohen Gewinn einspielen soll. Die Belastungen im Profibetrieb sind heute höher als noch vor dreißig Jahren, die Landschaft hat sich sehr verändert. Früher hatten Spieler mehr Zeit, sich zu entwickeln und auch Fehler zu machen. Diese Zeit räumt man ihnen heute, im allseits beschleunigten Profibusiness, kaum mehr ein. Auch die Anforderungen seitens der Medien sind größer geworden. Ein Star-Fußballer befindet sich in ständigem Belagerungszustand der Presse, schon ein falscher Satz kann da mitunter ein Erdbeben auslösen. Gerade für junge, weniger medienerprobte Sportler ist das ein Spielfeld, auf dem sie leicht mal ins Stolpern geraten können.

Zu den schönsten Seiten des Trainerberufs zählt es sicher, wenn man seinen Beitrag dazu leisten konnte, dass ein Talent wirklich aufblüht. Umso schmerzlicher ist es umgekehrt, miterleben zu müssen, wenn eine Ausnahmebegabung wie die des Sebastian Deisler am Ende doch nicht ausgeschöpft werden kann. Dass Sebastian Deisler dem deutschen Fußball verloren gegangen ist, sollte uns alle nachdenklich machen. Wenn es nur noch um Geld und Star-Kult geht, wenn mancher Verein inzwischen irrwitzige, per Kredit finanzierte Transfersummen auf den Tisch legt, dann schadet das dem Fußball.

Ich würde mir und auch Sebastian von Herzen wünschen, dass er, der ewig Suchende, doch eines Tages den Weg zurück zum Fußball findet. Wenn nicht als Spieler, dann als Trainer. Von ihm könnten junge Fußballer viel lernen. Er ist ein begnadeter Techniker, er bringt die Spielklasse ebenso wie das nötige Einfühlungsvermögen mit. Jugendtrainer beim FC Bayern zum Beispiel – das wäre eine Aufgabe wie geschaffen für Sebastian Deisler.

Ganz im Ernst, Sebastian, denk doch mal drüber nach!

Ottmar Hitzfeld ist einer der erfolgreichsten Trainer der Welt. Von 2002 bis 2004 trainierte er Sebastian Deisler beim FC Bayern München. Seit 2008 ist er Trainer der Schweizer Nationalmannschaft.

Sebastian Deisler

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