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2.2.7 Lernprozesse als Untersuchungsgegenstand

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Im Verlauf der bisherigen Darstellung habe ich bereits darauf hingewiesen, dass der Fremdsprachenunterricht – wie jede andere Form institutionalisierten Lehrens und Lernens – als ein von den Beteiligten gestalteter sozialer Prozess gedeutet werden kann und auch sollte. Die Relevanz einer solchen ökologischen Perspektive auf das Geschehen in Klassenräumen wird bereits seit den 1980er Jahren diskutiert und von Autoren wie (Block 2003), Breen (1985), Firth/Wagner (1997, 2007) Holliday/Cooke (1983), van Lier (1997), oder Tudor (2003) überzeugend dargestellt. Gleichwohl bilden empirische Studien, die sich konsequent diesem Ansatz verschreiben, nach wie vor eine Minderheit (Benson 2019:62). Das liegt vor allem an der starken Konkurrenz der psycholinguistisch orientierten Tradition, die mit ihren Themensetzungen und Vorgehensweisen die empirische Fremdsprachenforschung in den letzten Jahrzehnten dominierte. Sie lenkt das Forschungsinteresse eher auf die kognitiven Aspekte des Lernens, was wiederum mit der weit verbreiteten Vorstellung korrespondiert, dass sich Lernprozesse ausschließlich in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler abspielten.

Dieser Fokus auf das Lernen als kognitiven Vorgang hat die Fremdsprachenforschung fraglos ein großes Stück vorangebracht. So wurde das Bewusstsein für die Bedeutung empirischer Untersuchungsdesigns geschärft und die Erkenntnisse konnten auch zur Weiterentwicklung didaktischer Konzepte beitragen, beispielsweise im Bereich der Aufgabengestaltung (vgl. Ellis 2018:256f; siehe dazu auch Kap. 2.5). Zugleich beflügelt die psycholinguistisch geprägten Perspektive mit ihrem grundlegenden Konzept des generalisierbaren Lerners (vgl. die Kritik bei Benson 2019:66) aber auch unrealistische Vorstellungen von den Möglichkeiten akademischer Forschung. Sie hält die in der Fremdsprachenforschung verbreitete die Annahme am Leben, Unterricht ließe sich kontextunabhängig und mit wissenschaftlich begründeten Methoden als ein potentiell vorhersehbarer und damit detailliert planbarer Prozess konzipieren.

Weshalb die Erwartungen an eine solche „Erzeugungsdidaktik“ (Arnold/Gómez Tutor 2007:178) unerfüllt bleiben müssen, wird deutlich, wenn man sich aus ökologischer Perspektive dem Fremdsprachenunterricht nähert. Die Lernenden können dann nicht mehr nur als typische Exemplare einer umfassenderen Population oder als Probanden gesehen werden. Sie sind zugleich Individuen, die in einem jeweils besonderen kulturellen, historischen oder politisch-ökonomischen Umfeld agieren. Das lernende Subjekt wird demnach in deutlicher Abgrenzung zur kognitiv orientierten Fremdsprachenforschung gedeutet. In beiden Fällen richtet sich zwar der Blick auf einzelne Lernende, aber aus ökologischer Perspektive werden diese nicht auf ihre mentalen Vorgänge reduziert. Benson schlägt deshalb vor, diesen Unterschied begrifflich deutlich zu fassen und er grenzt lernerzentrierte Ansätze von personenzentrierten Ansätzen ab.

Ob die Fremdsprachenforschung, wie Benson (2019) weiterhin argumentiert, tatsächlich gerade einen Epochenwechsel durchlebt, bei dem erstere durch letztere verdrängt werden, sehe ich als eine Prognose, die eher von der Hoffnung getragen wird als von nüchterner Analyse. Auffällig ist jedoch, dass der von Block (2003) nachgezeichnete social turn in den zurückliegenden Jahren viel Bewegung ins Forschungsfeld gebracht hat. Unter der Bezeichnung „soziokulturelle Ansätze“ ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die zu einem besseren Verständnis des komplexen Gegenstands Fremdsprachenunterricht beiträgt.

Die soziokulturellen Ansätze finden ihre theoretische Verankerung in den entwicklungspsychologischen Arbeiten von Wygotsky und Leontjev oder in den philosophischen Schriften Bachtins zum sozialen Charakter von Sprache. Die Bedeutung dieser argumentativen Verbindungslinien wurde bereits vielfach und ausführlich beschrieben (Lantolf et al. 2015; Zuengler/Miller 2006) und soll daher an dieser Stelle nicht vertieft werden. Für die vorliegende Studie sind die soziokulturellen Ansätze vor allem deshalb so inspirierend, weil sie die Rolle der Lerngruppe als eine miteinander und voneinander lernende Gemeinschaft betonen und damit die sozialen Aspekte des Lernens und der Wissensgenerierung ins Zentrum der Betrachtung rücken. Individuelle Entwicklungen werden als das Ergebnis einer Interaktion von Individuen mit ihrer kulturell geformten Umwelt gedeutet (siehe dazu auch Sloman/Fernbach 2017:107ff). Sprache ist folglich weitaus mehr als ein Input, der Lern- oder Denkprozesse auslöst. Vielmehr muss sie als eine Ressource gesehen werden, die es den Individuen ermöglicht, aktiv an einer Gruppe teilzuhaben. Mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht ergibt sich daraus die Konsequenz, dass sich das Erlernen der Fremdsprache und ihre Verwendung nicht trennscharf voneinander scheiden lassen: „Learning is about mediated participation”, wie Lantolf/Pavlenko (2001:148) es beschreiben. Und auch bei Freeman (2016:36) findet sich dieser Gedanke:

“The conventional view that content is language with a social dimension needs to be recast. In the language classroom, the content is social processes, which have a language dimension. The social processes are fundamental to the classroom as a classroom; the new language fits into that ecology.”

Wichtig bei diesem Forschungsansatz ist, dass die Lernenden weder als „informationsverarbeitende Maschinen“1 noch als „defizitäre Versionen eines idealisierten, monolingualen Experten in Linguistik“2 gesehen werden. Sie sind aktiv und gemeinsam mit anderen an der Konstruktion von Wissen beteiligt. Das Ziel der Forschung besteht deshalb auch nicht darin, universelle Regeln des Fremdsprachenerwerbs zu formulieren, sondern die Bedingungen zu verstehen, die in einem konkreten Kontext das Lernen beeinflussen.

Vor dem Hintergrund der weiter oben erwähnten kognitiv geprägten Traditionen in der Forschung und auch in der schulischen Praxis muss die Vorstellung natürlich zunächst befremdlich wirken, das Lernen könne sich gleichsam zwischen den an einem Unterricht beteiligten Personen vollziehen, in ihrer Interaktion, dem gemeinsamen Ringen um Verstehen und dem Suchen nach Erklärungen und Lösungen. Und so ist die soziokulturelle Sicht bis heute weit davon entfernt als ein gleichwertiges Pendant zur kognitiven Perspektive anerkannt zu werden. Das mag auch an den Konsequenzen liegen, die sich aus ihr zwangsläufig ergeben. Unterricht müsste folgerichtig als eine „Ermöglichungsdidaktik“ (Arnold/Gómez Tutor 2007:178) gedacht werden, eine Abkehr von kleinschrittiger, eng führender Planung hin zum Schaffen von vielfältigen Lerngelegenheiten und Herausforderungen.3 Und Forschung müsste sich mehr auf den Facettenreichtum lokaler Kontexte einlassen, der Versuchung widerstehen, Komplexität vorschnell zu reduzieren und vor allem die Scheu vor idiosynkratischen Erkenntnissen überwinden.

Wer sich als Forscherin oder Forscher intensiv den Lernprozessen in einer einzelnen Lerngruppe widmet und dabei beispielsweise die Herausbildung eines Beziehungsgeflechts detailliert nachvollzieht, kommt sicher nicht zu Erkenntnissen, die sich ohne weiteres auf das gesamte Bildungssystem übertragen lassen, nicht einmal Aussagen über das Geschehen in der Parallelklasse sind wahrscheinlich. Und dennoch bringen sie die Forschung voran, denn sie machen greifbar, was es konkret bedeutet, wenn wir von der Vielfalt der Einflussfaktoren auf Lehr- und Lernprozesse in Institutionen sprechen.

Annahmen allgemeinerer Art lassen sich überhaupt erst dann treffen, wenn wir tiefere Einsichten in dieses komplexe Gebilde aus individuellen Entscheidungen, Kontextbedingungen, persönlichen Charakteristika und Unterrichtsaktivitäten sowie deren Zusammenspiel mit Einflussgrößen wie persönlicher Erfahrung, Motivation, Inspiration oder Konventionen erlangen. Die Güte einer solchen Studie lässt sich also nicht an der externen Validität der Ergebnisse festmachen. Sie zeigt sich vielmehr darin, ob es gelingt, deren Zustandekommen nachvollziehbar darzustellen und sie verständlich zu beschreiben. Das schafft die Voraussetzung für die Transferabilität (Lincoln/Guba 2009:40)4 von Erkenntnissen. Larsen-Freeman (2018) fordert daher in ihrem Ausblick auf künftige Fremdsprachenforschung zurecht mehr Arbeiten, die der Tendenz zur Reduktion von Komplexität widerstehen und sich stattdessen darauf einlassen, die Lehr- und Lernprozesse in einem konkreten Kontext ganzheitlich zu erfassen.

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