Читать книгу Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität - Michael Schart - Страница 9
2.2.2 Aktionsforschung
ОглавлениеDie Aktionsforschung1 basiert auf dem bereits von (Dewey 2012 [1916]:142) formulierten Grundgedanken, dass Forschung kein Privileg von Personen darstellen dürfe, die sich hauptberuflich mit akademischer Wissensproduktion beschäftigen. Und er verwies in seinen Arbeiten immer wieder auf die Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern, ihre alltäglichen Erfahrungen mit Unterricht und Schule eingehend zu reflektieren und anhand der gewonnenen Erkenntnisse das eigene Handeln zu verbessern. Seit Deweys Tagen erlebte die Idee von forschenden Lehrenden jedoch eine sehr wechselvolle Geschichte: Zeiten der besonderen Aufmerksamkeit folgten Jahrzehnte, in denen sie kaum Beachtung fand. Sie wurde immer wieder neu entdeckt und mit unterschiedlichen Akzentsetzungen beschrieben, so dass sie uns heute in einer zuweilen verwirrenden Vielfalt von Begriffen begegnet: als Aktionsforschung oder Handlungsforschung, LehrerInnenforschung oder Praxisforschung (siehe auch Altrichter et al. 2014:285f). Noch weitaus facettenreicher stellt sich die Situation im englischsprachigen Raum dar, wo sich unter dem Oberbegriff action research zahlreiche Konzepte subsummieren lassen.2
Ungeachtet der Unterschiede im Detail und der – nicht immer überzeugenden – gegenseitigen Abgrenzungsbemühungen steht bei all diesen Konzepten das bereits von Dewey vorgezeichnete Prinzip im Zentrum: Lehrenden arbeiten kontinuierlich und selbstverantwortlich an der Weiterentwicklung ihres Arbeitsumfeldes, indem sie die eigene Praxis systematisch untersuchen. Mit der so gewonnenen empirischen Evidenz ergänzen sie ihre Intuition und ihre Erfahrungen. Sie schaffen sich gleichsam einen weiteren Trittstein, der ihnen Standsicherheit verleiht, wenn sie in den komplexen, ungewissen und mitunter auch paradoxen Situationen ihres Berufsalltags Entscheidungen treffen müssen (vgl. Schart/Legutke 2012:157ff).
Seit den 1990er Jahren lässt sich beobachten, wie dieses Verständnis von Professionalität eine stetig wachsende Bedeutung erfährt und sich in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrenden etabliert.3 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Diskussionen um die Aktionsforschung von Beginn an immer auch geprägt waren von den Zweifeln an ihrer Realisierbarkeit und ihrem Potenzial. Kritisiert wurden und werden in erster Linie all jene Aspekte, die diese Form einer vermeintlichen Laienforschung vor dem Hintergrund akademischer Qualitätskriterien als mangelbehaftet erscheinen lassen. Die Argumente der Skeptiker haben über die zurückliegenden Jahrzehnte hinweg mehrfach ausführliche Erwiderungen erfahren – von Blum (1955) über Altrichter (1990:157ff), Zeichner/Noffke (2002) bis hin zu Greenwood (2015). Sie brauchen daher an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert zu werden. Ich möchte mich hier auf die beiden zentralen Kritikpunkte an einer von Lehrenden in Eigenregie betriebene Forschung konzentrieren: Sie betreffen zum einen das methodische Vorgehen beim Forschungsprozess und zum anderen die Art des generierten Wissens.
Im Hinblick auf die wissenschaftlichen Gütekriterien ist die Kritik an der Aktionsforschung leicht nachvollziehbar. Daten zu sammeln und sie zu strukturieren, ergibt noch keine Wissenschaft, wie Greenwood (2002:136) treffend bemerkt. Wer einen bestimmten Wissenschaftsbereich mit neuen Erkenntnissen bereichern will, kommt nicht umhin, die Vorleistungen anderer Forscherinnen und Forscher zu rezipieren und sich mit den methodologischen und methodischen Gepflogenheiten des betreffenden Gebietes auseinanderzusetzen. Gütekriterien wie die Objektivität, verstanden als Distanz zum untersuchten Gegenstand, und die Validität, verstanden als Gültigkeit und Generalisierbarkeit der Ergebnisse, können dabei – je nach Fragestellung und Gegenstand – unerlässliche Qualitätskriterien darstellen.
Die Schwäche dieser Argumentation zeigt sich jedoch, sobald man die Beweggründe forschender Lehrerinnen und Lehrer in Augenschein nimmt. Einen Beitrag zur Wissenschaft zu leisten, gehört sicher nicht zu ihren dringlichsten Anliegen. Ihr Fokus ist vielmehr auf das eigene Arbeitsumfeld gerichtet. Der Versuch, persönliche Distanz zum Untersuchungsfeld zu schaffen, wäre somit geradezu kontraproduktiv. Und auch die Forderung nach generalisierbaren Erkenntnissen erscheint aus dieser Perspektive wenig zielführend. Ausschlaggebend ist letztlich, ob bzw. in welcher Weise der Forschungsprozess dazu beiträgt, die Praxis besser zu verstehen und sie weiterzuentwickeln.
Deshalb können forschende Lehrkräfte auch auf den zweiten der oben genannten Kritikpunkte – die Zweifel am Wert des generierten Wissens – mit Gelassenheit reagieren, liegt es doch im Wesen von Aktionsforschungsprojekten begründet, dass idiosynkratische Erkenntnisse entstehen. Eine enge Bindung des Wissens an einen lokalen Kontext erscheint unabdingbar und es ist für die Qualität solcher Unternehmungen vollkommen unerheblich, ob dabei der Stand des wissenschaftlichen Diskurses letztlich nur ein weiteres Mal bestätigt wird. Diese Sichtweise „demystifiziert“ (Bray et al. 2014) den akademischen Betrieb und stellt das traditionelle Prestigefälle zwischen Wissenschaft und Unterricht in Frage: eine nicht zu unterschätzende Triebkraft für das professionelle Selbstbewusstsein von Lehrenden.
Möglich wird diese Form von Aktionsforschung aber erst dadurch, dass Lehrende für ihre Untersuchungen auf Instrumente zur Datengewinnung und -analyse zurückgreifen können, die sie trotz ihrer vielfältigen Arbeitsaufgaben handhaben können. Prinzipiell steht ihnen zwar der gesamte Werkzeugkasten der empirischen Sozialforschung zur Verfügung, doch die begrenzten Ressourcen erfordern eine sehr genaue Abwägung von Aufwand und Nutzen. Und so sind in den letzten Jahren vielfältige alltagskompatible Ansätze von Aktionsforschung entstanden. Sie sollen Lehrende dabei unterstützen, die kritische Reflexion des eigenen Arbeitsumfeldes mit Evidenz anzureichern, ohne dafür einen wissenschaftlich fundierten und dementsprechend aufwändigen Forschungsprozess initiieren zu müssen. Zu solchen alltagskompatiblen Verfahren gelangt man beispielsweise, indem man übliche Lernaufgaben zugleich auch nutzt, um Daten über Lernprozesse zu gewinnen4, oder indem man Modelle bereitstellt, an denen sich Lehrende bei ihren Untersuchungen orientieren können5.
Sofern Lehrende ihre Aktionsforschung als eine Strategie der beruflichen Weiterentwicklung und der Verbesserung von Schule und Unterricht konzipieren, brauchen sie akademischen Qualitätsstandards nur sehr bedingt gerecht zu werden. Sie müssen weder generalisierbares Wissen anstreben noch sich punktgenau im wissenschaftlichen Diskurs verorten. Was in erster Linie zählt, ist die ökologische Validität des hervorgebrachten lokalen Wissens im Sinne der Bewährung im Unterrichtalltag. Der Frage, mit welcher Intention Lehrerinnen und Lehrer beginnen, ihr berufliches Umfeld systematischer in den Blick zu nehmen, und in welcher Rolle sie sich selbst dabei sehen, kommt somit eine maßgebliche Bedeutung zu. Diesem Punkt möchte ich mich daher genauer zuwenden.