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1 Einleitung

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Michael Schart

Wie lassen sich im Klassenraum Bedingungen schaffen, unter denen es Lernende als sinnvoll und zugleich als persönlich bereichernd empfinden, sich in einer fremden Sprache auszutauschen, obwohl alle Anwesenden die Muttersprache teilen? Wie ermutigt man sie, ihre Gedanken, Gefühle oder Intentionen in noch wenig vertraute Worte zu fassen, dabei mit der Fremdsprache zu experimentieren und immer wieder an die Grenzen ihres Könnens zu gehen? Wie finden das Erlernen der Fremdsprache und die Beschäftigung mit relevanten Inhalten zu einer Symbiose? Und wie können Lehrende den Unterricht so arrangieren, dass er die Teilnehmenden dazu einlädt, sich als eine Lerngruppe zu verstehen, in der gemeinsam neues Wissen erschlossen und Fähigkeiten entfaltet werden?

Diese Fragen bilden eine treibende Kraft der vorliegenden Studie. Denn in der Auseinandersetzung mit ihnen entwickelte sich das Konzept von Fremdsprachenunterricht, auf das wir in den folgenden Kapiteln aus vier unterschiedlichen Perspektiven Schlaglichter werfen möchten. Es handelt sich aber zugleich auch um jene Fragen, mit denen man unweigerlich konfrontiert wird, sobald man sich auf die nunmehr fast fünf Jahrzehnte währende Geschichte des kommunikativen Paradigmas der Fremdsprachendidaktik einlässt. Auf den ersten Blick zeigt sich diese vor allem als eine Erfolgsstory: Welche Forscherin, welcher Lehrer und erst recht welcher Lehrbuchverlag würde heute noch offensiv und ohne Selbstzweifel den Anspruch von sich weisen, Teil dieser kommunikativen Bewegung zu sein?

Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass das Bemühen um einen kommunikativ ausgerichteten Fremdsprachenunterricht auf vielfältige Widerstände und Beharrungstendenzen trifft, die sich über die Jahrzehnte hinweg als sehr beständig erwiesen haben. Gemeint sind damit nicht die offensichtlichen Probleme, die ihre Ursache in den institutionellen Rahmenbedingungen finden, in großen Klassen beispielsweise oder in Backwash-Effekten bestimmter Prüfungsformate. Ich denke eher an jene Hemmnisse, die sich auch in einem institutionell günstigen Umfeld unmittelbar aus den Entscheidungen über einzelne Elemente des Unterrichtsgeschehens ergeben, etwa aus der Strukturierung von Inhalten und Lernaktivitäten, aus dem kommunikativen Verhalten von Lehrenden und Lernenden bzw. ihren subjektiven Vorstellungen darüber, wie Interaktion lernförderlich organisiert werden sollte.

Als Folge kommt es zu jenen vielfach kritisierten Begleiterscheinungen des kommunikativ orientierten Fremdsprachenunterrichts, der Künstlichkeit und Realitätsferne des Austauschs im Klassenraum beispielsweise oder dem Phänomen, dass fremdsprachliches und intellektuelles Niveau nicht deutlich voneinander unterschieden werden, was gerade bei erwachsenen Lernenden leicht zur Unterforderung, wenn nicht Infantilisierung führt. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Dominanz der Lehrperson. Mit ihr geht die Tendenz einher, das interaktive Potenzial der Lerngruppe auf eine Abfolge von Zwiegesprächen oder sogar nur ein monotones Abfrageritual zu verengen. Und da ist schließlich auch die Herausforderung, Lern- und Interaktionsprozesse so zu verschmelzen, dass die Fremdsprache nicht nur als ein zu erlernender Gegenstand erlebt wird, sondern tatsächlich auch als ein Mittel, mit dem sich Handlungsabsichten erreichen lassen.

Seit Anbruch des kommunikativen Zeitalters in den 1980er Jahren verwendet die Fremdsprachendidaktik einen beträchtlichen Teil ihrer Energie darauf, solche Schwierigkeiten aufzuzeigen und ihnen mit innovativen Konzepten zu begegnen. Dabei lassen sich drei unterschiedliche Lösungsansätze beobachten. Als einen ersten, inzwischen weit verbreiteten Ansatz möchte ich die zahlreichen Versuche anführen, der Künstlichkeit des Sprechens zu entkommen, indem man die Selbstbezogenheit des Klassenraums durchbricht und direkte Kontakte zu Menschen aus der Kultur der Zielsprache aufbaut. Die vor allem durch die digitale Revolution erweiterten Möglichkeiten haben es seit den 1990er Jahren erheblich erleichtert, diese Idee in die Unterrichtspraxis umzusetzen. Es wurden eine Vielzahl von sogenannten living language links (Legutke/Müller-Hartmann 2000) für alle Niveaustufen und in unterschiedlichen Formen der Kommunikation entwickelt (Biebighäuser et al. 2012). Solche Begegnungen mit Sprecherinnen und Sprechern der Fremdsprache sind natürlich nicht auf virtuelle Räume beschränkt. Lernende können mit ihnen auch in einen unmittelbaren Austausch treten. Das beginnt mit der Einladung von Gästen in den Klassenraum, reicht über Recherchen im näheren Umfeld der Schule, etwa einem Flughafen (Legutke 2006) oder einer Jugendherberge bis hin zu Studienreisen in die betreffenden Regionen1.

Ein zweiter Lösungsansatz besteht darin, die Künstlichkeit des Geschehens selbst sinnvoll zu nutzen. Der grundlegende Gedanke dabei ist es, dass sich der Gebrauch der Fremdsprache auch dann mit realitätsnahen Handlungsintentionen verbindet, wenn der Klassenraum zu einer fiktiven oder virtuellen Welt wird, mit der sich die Lernenden tatsächlich identifizieren, weil sie für deren Entstehen und deren Entwicklung Verantwortung übernehmen. Die bereits zum traditionellen Inventar der Fremdsprachendidaktik zählenden Rollenspiele werden dadurch auf eine qualitativ neue Ebene geführt und in ihrem Lernpotenzial erheblich erweitert. Denn Lernende erhalten die Chance, selbständig Situationen in der Fremdsprache zu konstruieren, diese auszugestalten und in ihnen zu agieren. Auch zu dieser Ausformung kommunikativen Unterrichts lassen sich wiederum eine ganze Reihe didaktischer Konzepte zuordnen, etwa die Improvisationen, wie sie Kurtz (2001) beschreibt, Storyline-Projekte (Bell 2013; Kocher 1999), globale Simulationen (Arbeitsgruppe Simulationen 2005, Arendt 2003) oder Theaterprojekte (Birnbaum 2013; Kirsch 2013).

Der dritte Lösungsansatz schließlich soll im Zentrum des vorliegenden Bandes stehen. Er setzt auf die Prämisse, dass sich die Bedingungen für einen realitätsnahen Gebrauch der Fremdsprache vor allem dann verbessern, wenn die Motivation zum sprachlichen Handeln von den Inhalten ausgeht. Sobald diese Inhalte die Notwendigkeit des Fremdsprachenlernens in sich tragen, so die Hoffnung, wird gleichsam en passant authentisch kommuniziert, denn die fremde Sprache dient nur noch als ein Medium, das Informationen von Interesse und Relevanz transportiert: „the ultimate dream of Communicative Language Teaching“, wie Dalton-Puffer (2007:3) es formuliert.

Auf der Basis dieser Überlegungen entstanden in Kanada und in der Sowjetunion bereits in den frühen 1960er Jahren – und damit die kommunikative Wende vorwegnehmend – Immersionsprogramme (Snow 1993; Stryker/Leaver 1997). Diese Anstöße wurden dann ab Mitte der 1980er Jahre von der Fremdsprachendidaktik aufgegriffen und fanden in Konzepten wie dem Content-based Language Learning (CBI, auch: Modern Languages across the Curriculum; vgl. Brinton/Snow 2017; Grenfell 2002), dem bilingualen Sachfachunterricht (Diehr et al. 2016; Rüschoff et al. 2015) bzw. Content and Language Integrated Learning (CLIL, Ball et al. 2015; Coyle et al. 2010) oder dem Integrated Content and Language in Higher Education (ICLHE, Schmidt-Unterberger 2018; Smit 2015) eine sehr konsequente praktische Umsetzung.

Parallel zu diesem, dezidiert inhaltsorientierten Zugang vollzog sich innerhalb der Fremdsprachendidaktik jedoch noch eine weitere Entwicklung, die sich weniger auf die Inhalte als auf die Lehr- und Lernaktivitäten konzentrierte. Ihr lag die Idee zugrunde, dass eine realitätsnahe Interaktion im Klassenraum vor allem durch eine aufgabenbasierte Gestaltung erreicht werden könne. Rückblickend stellt sich die Frage, weshalb dabei die Inhalte zunächst vernachlässigt wurden. Natürlich finden sich eine Reihe von Publikationen, in denen diese Tendenz frühzeitig erkannt und kritisiert wurde (siehe Kap. 2.5), doch ein breiter gestreutes Bewusstsein für das große Potenzial, das sich aus den Synergieeffekten einer Verbindung von Inhalten und Aufgaben ergibt, lässt sich erst in jüngster Zeit erkennen (Ahmadian/García Mayo 2017; Rüschoff 2015).

Die Nachteile einer weitgehenden Separation dieser beiden Aspekte treten inzwischen deutlich zu Tage. Da steht beispielsweise auf Seiten des inhaltsbasierten Unterrichtens die Einsicht, dass die Interaktionsprozesse im Klassenraum allein durch die Integration fachlicher Inhalte den traditionellen, lehrerdominierten Mustern nicht entkommen (Bonnet 2013; Dalton-Puffer 2007; Hall 2010). Und da ist auf Seiten des aufgabenbasierten Unterrichts die ernüchternde Erkenntnis, dass man auch nach mehr als 30 Jahren intensiver empirischer Erforschung einzelner Aufgaben zu keinem Unterrichtskonzept gelangt ist, mit dem sich ein mehrwöchiger Kurs sinnvoll füllen ließe (Ellis 2018; Skehan 2016).

Und wenn van den Branden (2016) als einer der aktivsten Akteure auf diesem Themenfeld durchaus selbstkritisch bezweifelt, ob es weltweit überhaupt Lehrende gäbe, die das Konzept des aufgabenbasierten Lehrens und Lernens (Task based language teaching/ TBLT) tatsächlich konsequent umsetzten, so ist das ein weiterer deutlicher Ausdruck dafür, dass der Ansatz eher ein akademisches Projekt darstellt als ein praxisnahes didaktisches Modell (siehe auch Kap. 2.5). Ein Problem, dass sich nicht zuletzt auf eine einseitige Betonung der Aktivitäten zurückführen lässt.

Eine Erwiderung auf van den Brandens Bedenken liefern die Autorinnen und Autoren dieses Buches. In vier Teilstudien dokumentieren sie Antworten auf die eingangs genannten Fragen anhand eines konkreten Lehr- und Lernumfeldes – dem Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio. Und sie widerlegen dabei van den Brandens Skepsis, denn in diesem Programm werden – das kommunikative Paradigma konsequent weiterführend – der inhaltsbasierte und der aufgabenbasierte Ansatz auf sehr entschlossene Art und Weise miteinander verknüpft. Die Studie kann somit veranschaulichen, wie das Zusammenspiel von relevanten Inhalten (Kap. 2.4), anspruchsvollen Aufgaben (Kap. 2.5) und dialogischen Lernprozessen (Kap. 2.6) in der Praxis des DaF-Unterrichts vor dem Hintergrund der Bedingungen an japanischen Universitäten gestaltet werden kann. Es wird zugleich deutlich, welche Möglichkeiten dieses Konzept von Fremdsprachenunterricht eröffnet und vor welche Herausforderungen es Lehrende wie Lernende stellt.

Auch hinsichtlich des Untersuchungsdesigns zeichnet sich die Studie durch eine besondere Herangehensweise aus, denn sie vereint mehrere Forschungsperspektiven, die auf der Basis unterschiedlicher methodologischer und methodischer Überlegungen dieselben Daten fokussieren. Das ermöglicht nicht nur eine detaillierte Untersuchung des Geschehens vor Ort, sondern macht zugleich am Beispiel eines unterrichtlichen Kontextes deutlich, welchen Beitrag verschiedene Ansätze in der Fremdsprachenforschung zu einem besseren Verständnis der Lehr- und Lernprozesse leisten können – aber auch, wo ihre jeweiligen Grenzen liegen.

Die vier vertretenen Perspektiven nehmen jeweils ein eigenes Kapitel dieses Buches ein. Nachdem in einem Überblickskapitel das Forschungsdesign des Gesamtprojekts und das untersuchte Unterrichtskonzept dargestellt wurden (Kap. 2), leiten Davide Orlando und Hidemi Hamano mit einer Evaluationsstudie zum empirischen Teil des Buches über (Kap. 3). Sie greifen auf die Daten aus studentischen Unterrichtsevaluationen der Studienjahre 2009/10 bis 2015/216 zurück, wobei sie sich vor allem auf die Grundstufe (A1/ A2) konzentrieren, diese jedoch auch in den größeren Kontext des gesamten Programms einordnen. Sie stützen sich dabei sowohl auf eine statistische Auswertung als auch auf qualitative Verfahren der Datenanalyse.

Die weiteren drei Forschungsperspektiven nutzen einen anderen Datenkorpus. In den Studienjahren 2012/13 und 2015/16 wurde in zwei vergleichbaren Lerngruppen die unterrichtliche Interaktion zu jeweils einer gesamten thematischen Einheit („Wohlstandsindikatoren“ und „Rechtliche Regelungen zum Pfänden“) aufgezeichnet. Daraus ergaben sich 600 Minuten dokumentiertes Unterrichtsgespräch im Plenum und in Gruppenarbeiten, die komplett transkribiert wurden und den Ausgangspunkt für die drei unterschiedlichen Analyseansätze bilden.

Einem soziokulturellen Ansatz folgend untersucht Michael Schart in seiner Teilstudie das Lernen als einen kollektiven Prozess und betrachtet die Interaktionsmuster im Klassenraum (Kap. 4). Er verbindet dabei die soziokulturelle Diskursanalyse (Littleton/Mercer 2013) mit Verfahren, wie sie zur Untersuchung von Lern-Engagement entwickelt wurden (Lambert et al. 2017; Philp/Duchesne 2016). Sein Augenmerk liegt auf der Frage, welche Aushandlungsprozesse unter den Bedingungen des oben beschriebenen Unterrichtsdesigns stattfinden, ob bzw. wie die Lernenden zu gemeinsamer Wissensproduktion kommen und welche Rolle dabei die Materialien und die Lehrkraft spielen. Im Unterschied zu vergleichbaren Interaktionsstudien beschränkt er sich nicht auf die sprachbezogenen Episoden in der Interaktion bzw. jene Phasen, in denen der Austausch auf sprachliche Hürden stößt. Dem Schwerpunkt des Unterrichtskonzepts entsprechend, bezieht er auch die thematische Ebene in seine Analyse ein und beschreibt unterschiedliche Niveaus der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Texten bzw. Aufgabenstellungen.

Grit Liebscher und Sara Marsh befragen in Kapitel 5 die Interaktionsdaten aus konversationsanalytischer Perspektive. Am Beispiel von Situationen, in denen die Interaktion durch Lachen der Teilnehmenden unterbrochen oder begleitet wird, verdeutlichen sie, wie sich einzelne Phänomene in der unterrichtlichen Interaktion mit der Qualität der Lehr- und Lernprozesse in Verbindung bringen lassen. Ihr Beitrag veranschaulicht das Potenzial, das eine mikroanalytische Sicht auf eng begrenzte Phasen von Interaktion im Unterricht birgt.

Ein weiterer Zugang zu den Daten findet sich in Kapitel 6: Olga Czyzak wählt einen kognitiven Ansatz, denn sie interessiert sich für die individuellen Lernprozesse, die durch das Unterrichtsdesign angeregt werden. Dafür muss sie zunächst die Interaktionsdaten in ein Format bringen, in welchem sie einer Lernersprachenanalyse zugänglich werden. Ein Verfahren, das sie eingehend thematisiert, bevor sie die Sprachverwendung der einzelnen Lernenden im Hinblick auf Komplexität, Korrektheit und Wortschatz untersucht. Die Autorin kann dabei aufzeigen, wie sich der Erwerb formaler Strukturen in einem Unterricht ohne grammatischen Syllabus bis zum Zeitpunkt der Aufnahmen nach ca. 6-7 Monaten Unterricht vollzogen hat. Sie liefert damit wichtige empirische Evidenz zur fachdidaktischen Auseinandersetzung um die „richtige“ Balance zwischen Inhalt und Sprache im fach- und sprachintegrierten Unterricht und vergleichbaren Kontexten.

In den einzelnen Kapiteln zu den vier genannten Forschungsansätzen geht der Darstellung und Diskussion der Ergebnisse jeweils eine eingehende Beschäftigung mit methodologischen und methodischen Aspekten voraus. Der Band möchte auf diese Weise am Beispiel eines konkreten Untersuchungskontextes auch dazu beitragen, die Interaktionsforschung als bedeutsamen Bereich der Fremdsprachendidaktik weiterzuentwickeln. Und er versteht sich ausdrücklich als eine Einladung, die Daten aus weiteren Blickwinkeln zu betrachten. Alle Daten zum Projekt sind daher frei auf einer Internetseite zugänglich2.

Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität

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