Читать книгу Die Pferdelords 07 - Das vergangene Reich von Jalanne - Michael Schenk - Страница 6
Kapitel 4
ОглавлениеWenn ein Mann und eine Frau des Pferdevolkes sich miteinander verbanden,
so teilten sie Zügel und Wasserflasche. Es war eine jahrtausendealte
Tradition, an deren Ursprung sich niemand mehr erinnerte. Besiegelt wurde
die Verbindung mit einer feierlichen Zeremonie, die stets Anlass war für Tanz
und fröhliches Gelage in den Gehöften und Weilern der Brautleute. In der
großen Stadt Eternas hingegen war man dazu übergegangen, die Verbindung
offiziell vor dem Stadtältesten zu besiegeln und sich dann in eine der
Schänken, vornehmlich den berühmt-berüchtigten »Donnerhuf«,
zurückzuziehen. Denn in der Stadt wurden Verbindungen zu häufig
geschlossen, um sie noch, wie sonst üblich, auf dem Hauptplatz vornehmen
zu können. Nedeam hätte seine Llarana am liebsten auf dem Gehöft seines
verstorbenen Vaters Balwin geehelicht, doch die Hohe Dame Larwyn hatte
ihn freundlich, aber bestimmt darauf hingewiesen, dass er als Erster
Schwertmann die Mark repräsentiere und zudem hohe Gäste erwartet würden.
Kein Ort sei für diese Feier angemessener als die große Halle der Burg von
Eternas.
Nedeam hatte eingelenkt, und im Grunde war er froh darüber.
Larwyn konnte ausgesprochen energisch sein, und als Ausdruck dessen
schickte sie ihren Ersten Schwertmann in seine Räume, damit er sich
gebührend auf die Feier vorbereitete. Er würde seine geliebte Llarana an
diesem Tag nach langer Zeit zum ersten Mal wiedersehen, da sie die letzten
Monde bei ihrem Vater verbracht hatte, um sich von ihm und den Elfen des
Hauses Deshay zu verabschieden. An diesem Abend würden er und seine
Gemahlin neue Räume im Haupthaus beziehen. Larwyn hatte diese bereits
herrichten lassen. Nedeams Vorgänger Tasmund und seine Mutter Meowyn
bewohnten die angrenzenden Räume. Larwyn legte Wert darauf, vertraute
Personen um sich zu haben. Vielleicht, weil sie in ihrer Gegenwart für einen
Moment vergaß, wie sehr sie ihren Garodem vermisste.
Schon früh an diesem Morgen setzte in der Burg von Eternas eine
Betriebsamkeit ein, die weit über das normale Maß hinausging.
Ununterbrochen kamen und gingen Bedienstete und Schwertmänner, aus den
Schloten der Küche stieg Dampf empor, und die Räder von Karren und
Wagen rollten in einem fort über die beiden gepflasterten Innenhöfe. Aus der
Halle drangen Rufe und Scharren, während man sie für die Zeremonie
umräumte und schmückte. Nedeam war versucht, hinüberzugehen und
mitzuhelfen, aber er wusste, dass Larwyn dies nicht geduldet hätte. Selbst
seine Mutter Meowyn sah er nur kurz. Schon nach wenigen Worten ließ sie
ihn stehen und eilte weiter. In all der Hektik fühlte sich Nedeam seltsam
isoliert. So setzte er sich leicht verstimmt in seine Kammer und begann zum
wiederholten Male Rüstung und Waffen zu polieren und den Sitz seiner
Kleidung zu überprüfen.
»Es ist der Tag der Frauen. Sieh es ihnen nach, wenn sie da das
Kommando an sich reißen. Für sie ist es ein besonderer Moment, und da
wollen sie alles perfekt haben.« Tasmund, der Berater Larwyns und Gemahl
von Nedeams Mutter, trat durch die offene Tür herein. Nedeam schätzte den
älteren Mann und betrachtete ihn als Freund, doch als seinen Stiefvater hatte
er ihn nie ansehen können. Wenn es einen Mann gab, den der junge
Pferdelord wie einen Vater verehrte, so war dies sein alter Freund Dorkemunt.
Tasmund lächelte ihn an. »Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Tritt ein, du bist mir willkommen.«
Tasmund nickte und setzte sich auf Nedeams Bettstatt. »An einem solchen
Tag hat ein Mann rasch das Gefühl, überall nur zu stören und allen im Weg
zu stehen«, brummte er. »Als ich mich mit deiner Mutter verband, war es
nicht anders. Wahrhaftig, die Aussicht auf eine Schlacht beunruhigt mich weit
weniger als die Vorbereitungen zu einer solchen Zeremonie.«
Das konnte Nedeam durchaus nachvollziehen. Er spürte jedoch, dass
Tasmund mehr auf dem Herzen hatte, und sah ihn auffordernd an.
Sein Gegenüber kratzte sich verlegen im Nacken und verzog das Gesicht,
als dabei die Narben der alten Wunden schmerzten. »Nun, Nedeam, mein
Freund, es gibt da ein paar Dinge, die ich gerne mit dir besprechen würde.
Dinge, die wichtig sind für das Zusammenleben von Mann und Frau, du
verstehst?«
Nedeam musste sich ein Lachen verkneifen. »Ich bin nicht ganz unerfahren
in diesen Dingen, verehrter Tasmund.«
»Ja, das mag sein«, räumte dieser ein. »Allerdings ist Llarana etwas
Besonderes.«
»Das ist sie.«
»Nicht nur, weil sie Elfin ist. Nein, Nedeam, Llarana ist auch eine
Kriegerin. Doch zuallererst ist sie eine Frau, und ich denke, ich sollte dir …«
Der Erste Schwertmann verkniff sich ein Lächeln, denn Tasmund meinte
es nur gut. Also nickte er von Zeit zu Zeit höflich und ließ die Ratschläge an
seinen Ohren vorübergleiten. Wie die meisten Männer in seiner Lage glaubte
er, schon alles zu wissen. Doch er würde früh genug erfahren, wie sehr er
darin irrte. Tasmund spürte, dass Nedeam nicht wirklich bei der Sache war,
nahm dies aber hin. Es war das Vorrecht eines Mannes, seine eigenen
Erfahrungen zu sammeln. Ihm selbst wäre es nicht anders ergangen.
Am Eingang ertönte ein leiser Fluch, der die beiden herumfahren ließ. Sie
sahen eine kleine, stämmige Gestalt in der Tür stehen. Der mächtige rote
Vollbart erbebte, als ein tiefes Lachen ertönte und der Zwergenmann amüsiert
seine beiden Bartzöpfe mit den Fingern zwirbelte. »Ah, bei allen feurigen
Abgründen, Ihr guten Pferdelords solltet ein wenig mehr Rücksicht auf meine
kurzen Beine nehmen. Die Stufen hier sind beklagenswert hoch für einen
tapferen Axtschläger.«
Nedeam sprang auf und eilte freudig zu dem kleinen Mann hinüber.
»Olruk! Wie schön, Euch zu sehen!« Er zupfte den Zwerg zur Begrüßung an
den Bartzöpfen, wie es die Sitte dieses Volkes war.
Der kleine Mann musste sich behelfen und legte seine Hände an die Arme
des Freundes. »Ihr solltet Euch endlich einen ordentlichen Bart wachsen
lassen, Nedeam. Eine Schande ist das. Ein so ehrbarer und tapferer Krieger,
und kein anständiges Haar im Gesicht.«
Sie hatten so manches gemeinsam erlebt und freuten sich nun über das
Wiedersehen. Olruk schnäuzte sich gerührt. »Ich komme im Gefolge Balruks,
unseres guten Königs. Er wird Euch die besten Wünsche der grünen
Kristallstadt Nal’t’rund überbringen.« Der Axtschläger senkte die Stimme
und zwinkerte vergnügt mit den Augen. »Und ich überbringe ein paar Fässer
mit dem allerbesten Blor. Schließlich gibt es Grund zum Feiern.«
»Fässer?« Tasmunds Stimme klang besorgt. Er kannte die mörderische
Wirkung des aus Pilzen gegorenen Alkohols und sah die gesamte Besatzung
der Burg bereits im Vollrausch auf dem Boden liegen, hilflos jedem Feind
ausgeliefert.
»Wir Zwerge haben uns Mühe gegeben«, bekräftigte Olruk, »und die
Fässer so groß gebaut, wie es bei euch Menschen üblich ist.«
Tasmund stöhnte leise. »Ich werde wohl dafür sorgen müssen, dass einige
der Schwertmänner das Blor nicht anrühren.«
Olruk nahm es pragmatisch. »Umso mehr bleibt für die anderen. Doch
keine Sorge, der Vorrat ist reichlich bemessen.«
Daran zweifelte keiner der anwesenden Pferdelords. Sie kannten die
Großzügigkeit des kleinwüchsigen Volkes. Nedeam lächelte. »Ihr werdet
heute einem weiteren Freund begegnen, Olruk.«
Der Zwerg zupfte abermals an seinen Zöpfen. »Nun, ich denke, wenn sich
der Pferdereiter Nedeam bindet, dann ist sein Freund Dorkemunt nicht weit.
Es wird mir ein großes Vergnügen sein, ihn wiederzusehen. Wir sind uns sehr
ähnlich. Nun, er ist ein wenig größer als ich, aber er schlägt die Axt wie ein
wahrer Zwerg.«
Tasmund rieb sich die Hände. »Ich denke, ich werde einmal nachsehen,
wie es um die Vorbereitungen steht und welche Gäste schon eingetroffen
sind.«
»Ja, eine gute Idee«, fand Nedeam.
»Die Elfen sind bereits da«, sagte der Zwerg. »Wir trafen sie direkt am
Zugang zur Burg.«
»Llarana ist schon da?«, rief Nedeam erfreut und machte Anstalten, sich
Tasmund anzuschließen.
»Nichts da!« In überraschender Eintracht versperrten der alte Schwertmann
und Olruk ihrem Freund den Weg. »Die Hohe Dame Larwyn hat jedem
Einzelnen in dieser Burg eingeschärft, dass Ihr erst zur Zeremonie in die
Halle dürft.« Olruk nickte bedächtig. »Ich an Eurer Stelle würde mich nicht
mit der Hohen Dame anlegen, mein Freund. Sie ist mächtig am Meißeln,
wenn Ihr versteht?«
Zumindest begriff Nedeam, das Larwyn äußerst rührig war und wohl sehr
eindeutige Anweisungen gegeben hatte. Wenn er nicht gewusst hätte, dass sie
damit nur den Traditionen des Pferdevolkes nachkam, wäre er sich
bevormundet vorgekommen.
»Ihr habt euch alle gegen mich verschworen«, sagte er mit halbherzigem
Lächeln. »Und wann darf ich meinen Kerker verlassen?«
»Die Herrin Larwyn und deine Mutter Meowyn besprechen sich gerade
mit den Elfen, um den Ablauf der Zeremonie festzulegen.« Tasmund leckte
sich über die Lippen. »Bedenke, dass dies auch für die Elfen ein besonderer
Tag ist. Sie verlassen nun endgültig das Land, und ihre letzte Begegnung mit
uns Menschen wird die Vermählung einer Elfin mit einem Pferdelord sein. Da
geht es auch um Symbolik, Nedeam.«
Olruk nickte ernsthaft. »Du hättest dir wirklich einen ordentlichen Bart
zulegen sollen. Wenigstens für diesen Anlass.«
»Unsinn, Olruk, alter Freund, was erzählt Ihr da? Einem zarten elfischen
Antlitz kann man nicht zumuten, sich in ein Gestrüpp wie das Eure zu
schmiegen.«
Es war unzweifelhaft Dorkemunts Stimme, und in Nedeams Kammer
wurde es etwas eng, als nun auch der kleinwüchsige Pferdelord zu ihnen
hereintrat. Noch während Nedeam und Olruk ihren Freund herzlich
begrüßten, zwängte sich eine weitere Gestalt herein. Sie war riesig, und ein
langer brauner Umhang verhüllte ihren Körper, während eine weit
geschnittene Kapuze das Gesicht verbarg.
Olruk schnappte instinktiv nach Luft, und automatisch fuhren seine Hände
hoch zu seinen Schultern. Normalerweise befanden sich dort die Griffe seiner
Kampfäxte, die er, wie jeder Zwergenkrieger, in Futteralen auf dem Rücken
trug. Doch an diesem Tag hatte er sein Festgewand angetan und keine Äxte
dabei. Als ihm dies bewusst wurde, verkrampften sich seine Hände für einen
Augenblick.
Dorkemunt trat hastig zwischen den Zwerg und die zuletzt eingetretene
Person.
»Ich kenne diesen Gestank«, ächzte Olruk. »Sagt mir, dass es nicht wahr
ist, Dorkemunt, mein Freund.«
»Es ist wahr«, erwiderte dieser schlicht. »Es herrscht eine Art, äh, Frieden
zwischen uns.«
»Also stimmen die Gerüchte«, murmelte der Zwerg benommen. »Eine
Bestie lebt unter dem Schutz des Pferdevolkes.«
Die Gestalt in dem Kapuzenmantel versteifte sich, aber sie schwieg, wenn
man einmal von einem leisen Knurren absah. Dorkemunt blickte den kleinen
Freund beschwörend an. »Es gibt eine Übereinkunft zwischen ihm und mir,
Olruk. Er heißt Fangschlag und ist ein orkisches Rundohr. Einst führte er
mehrere ihrer Legionen. Er ist ein ehrenhafter Kämpfer.«
»Kein Ork hat Ehre«, zischte der Zwerg.
Das Rundohr machte eine Bewegung, als wolle es den kleinen Mann
packen. Nun trat auch Nedeam hastig dazwischen. »Haltet Frieden«, mahnte
er. »Dieses Rundohr hat Ehre. Darauf gebe ich Euch mein Wort, Olruk.
Fangschlag ist nun schon seit drei Jahreswenden bei uns. Er lebt mit
Dorkemunt draußen auf unserem alten Gehöft.«
Dorkemunt nickte bestätigend. »Auch die brave Witwe Henelyn und ihre
Söhne Anderim und Lenim leben dort. Sie haben sich an ihn gewöhnt.«
Dorkemunt verschwieg die Schwierigkeiten, die es am Anfang gegeben
hatte. Die Orks des Schwarzen Lords waren die Feinde aller Menschen. Wo
man aufeinandertraf, floss das rote Blut der einen oder das dunkle der anderen
Seite. Henelyn hatte ihren Mann Kelmos im Kampf gegen die Bestien
verloren, und der kleine Pferdelord wusste noch immer nicht genau, wie er es
vollbracht hatte, dass der Boden des eigenen Gehöfts nicht ebenfalls von Blut
getränkt wurde, als er mit dem Rundohr dort auftauchte. Es hatte vieler
Gespräche bedurft, und manche Tränen waren geflossen, bis Henelyn
zustimmte, Fangschlag eine kleine Hütte auf dem Gehöft beziehen zu lassen.
Sie betrachtete den Ork mit Misstrauen, und seit seiner Ankunft trugen ihre
Söhne immer eine Waffe bei sich. Dorkemunt wusste, dass das riesige
Rundohr die drei mühelos hätte töten können. Doch der Krieger hielt sich an
das Versprechen, das er Dorkemunt und den Pferdelords gegeben hatte. Er
würde keinem Angehörigen des Pferdevolkes etwas zu Leide tun, bis er
seinen Schwur erfüllt und den Ork Einohr getötet hatte. Der inbrünstige Hass
auf dieses hinterlistige Spitzohr hielt Fangschlag auch jetzt davon ab, gegen
Olruk vorzugehen.
Dorkemunt sah seinen Freund Nedeam bittend an. »Ich wollte ihn nicht
allein auf dem Gehöft lassen, Nedeam. Nicht wegen Henelyn und ihren
Söhnen. Aber du weißt, dass viele Bewohner der Mark nicht damit
einverstanden sind, dass sich ein Rundohr unter uns befindet. Es ist besser,
wenn ich in seiner Nähe bin und jeden Übergriff verhindern kann. Ich habe
ihn in die Burg geschmuggelt, was bei dem Trubel nicht besonders schwer
war. Natürlich kann er nicht an der Zeremonie teilnehmen«, schränkte
Dorkemunt hastig ein. »Doch du könntest ihm deine Kammer zur Verfügung
stellen. Hier kann er sich verbergen, bis die Gäste wieder abgereist sind.«
Nedeam nickte zögernd. Auch wenn er die Ehrenhaftigkeit Fangschlags
anerkannte, so war es doch ein unangenehmes Gefühl, eine ungezähmte
Bestie, die nur durch ihr Wort gebunden war, in der Nähe zu wissen. »Schön,
er kann meine Kammer benutzen, bis alles vorüber ist.«
Sie beschworen Olruk, über die Anwesenheit des Orks zu schweigen. Ihre
ganze Überredungskunst mussten sie aufwenden, bis der Zwerg endlich
einwilligte. Schließlich seufzte Dorkemunt erleichtert. »Schön, dann sollten
wir nun gehen. Du wirst hier bleiben und nichts anstellen, nicht wahr,
Fangschlag?«
»Fangschlag wird nichts anstellen«, brummte der Ork. »Fangschlag hat
Ehre.«
Dorkemunt nickte und zog einen Beutel mit getrockneten Fleischstreifen
vom Gürtel, wie ihn die Pferdelords bei längeren Ritten als Proviant
mitführten. »Ich werde dir noch etwas Würzfleisch hierlassen. Nicht dass du
die Leute verschreckst, weil du draußen nach Essbarem suchst.«
»Ich bin nicht dumm«, knurrte der Ork mit seiner tiefen Stimme. »Ich bin
ein Krieger, und ich bin nicht dumm.«
»Ich weiß, Fangschlag.« Dorkemunt zuckte die Schultern. »Ich wollte dich
nicht beleidigen. Ich bin nur sehr nervös, verstehst du?«
»Fangschlag versteht.« Die Gestalt wandte sich Nedeam zu. »Es ist, weil
dein Junges heute ein Weibchen bekommt.«
Tasmund runzelte verblüfft die Stirn, und Dorkemunt lächelte
entschuldigend. »Nun ja, in den vergangenen Jahreswenden habe ich ihm so
einiges beigebracht, ihr versteht? Wolltiere hüten und sie nicht gleich
schlachten, Zäune flicken und Dächer reparieren. Nützliches Zeug halt. Er
kann sich inzwischen sogar dem einen oder anderen Pferd nähern, ohne dass
sie sich gegenseitig zu beißen versuchen. Nun, bekanntlich haben ja die Orks
keine zwei Geschlechter. Sie wissen natürlich, dass es sich damit bei uns
anders verhält. Also, ich meine, dass es bei uns Männer und Frauen gibt. Ich
habe ihm nur die gröbsten Zusammenhänge erklärt … so gut es halt ging. Er
versteht nichts von Frauen. Aber, nun, wer tut das schon?« Dorkemunt kratzte
sich im Nacken. »Bei der Gelegenheit … Wir sollten jetzt wirklich gehen.
Und mit dir, Nedeam, mein Sohn, hätte ich noch ein paar Worte zu wechseln.
Draußen vor der Tür, wenn es recht ist.«
Tasmund nahm Olruk in Beschlag, der noch immer leicht benommen
wirkte. Und Dorkemunt zog seinen Freund und Ziehsohn Nedeam in den
Schatten des Aufgangs, der zu den Kammern führte.
»Nedeam, mein Sohn, es ist vielleicht nicht der rechte Ort und die rechte
Zeit, aber es gibt da ein paar Dinge, die du unbedingt wissen solltest. Ich hätte
wohl früher mit dir darüber sprechen sollen, doch irgendwie hat sich nie die
Gelegenheit ergeben. Es gibt da ein paar Dinge im Zusammenleben von
Mann und Frau …«
Nedeam dachte an Tasmunds Worte und lachte leise auf.
Dorkemunt errötete ein wenig. »Ich meine nicht jene Dinge, die ein Mann
und sein Weib so tun. Es geht um Llarana, mein Junge. Zum einen ist sie eine
Elfin. Aber sie ist vor allem eine Frau. Und eine Kriegerin, Nedeam, vergiss
das nicht. Sie ist kein gewöhnliches Weib, du verstehst? Ich sollte dir …«
Nedeam nahm die Ratschläge hin und begann sich zu fragen, ob ihm bei
all den gut gemeinten Worten überhaupt noch Zeit für die Zeremonie bleiben
würde. Er ahnte, dass seine Mutter Meowyn wohl auch noch ihren Beitrag
leisten würde, und unterdrückte ein Seufzen. Er wollte es endlich hinter sich
bringen und seine geliebte Llarana in die Arme schließen. Viel zu lange hatte
er ihre Liebe schon vermisst. In dieser Nacht würden sie auch erstmals die
Bettstatt miteinander teilen. Das bereitete ihm eigentlich die größten Sorgen.
Die Elfen waren in allen Künsten bewandert, aber Nedeam war diesbezüglich
noch ohne Erfahrung. Als er und Llarana sich einander versprochen hatten, da
hatte er ihr durchaus näher kommen wollen, doch die Elfin hatte ihn sanft
zurückgewiesen und es mit den Traditionen ihres Volkes begründet. Bei den
Finsteren Abgründen, drei Jahre mochten für eine unsterbliche Elfin nur ein
Atemzug sein, aber ahnte sie denn, wie viele Atemzüge er in dieser Zeit getan
hatte? Doch zuerst kamen die Zeremonie und die Feier. Nedeam nahm sich
sicherheitshalber vor, das Blor seiner Zwergenfreunde an diesem Tag zu
meiden.
Dann, endlich, hatten sich Larwyn, Meowyn und die Elfen über den
Ablauf der Zeremonie verständigt, und das Ergebnis wurde den beteiligten
Pferdelords verkündet.
»Unbedeckt?!« Tasmunds Gesicht verriet Fassungslosigkeit. Auch
Nedeam und Dorkemunt staunten ungläubig. »Ihr meint, vollkommen nackt?
Ohne jegliche Bekleidung?«
Jalan-olud-Deshay, Erster des Hauses Deshay und Llaranas Vater, nickte
gleichmütig. »So ist es elfischer Brauch.«
»Das ist … das ist aber … ungebührlich«, brummte Tasmund. »Nur Mann
und Weib zeigen sich einander nackt.«
»Wenn Ihr Pferdemenschen nach einem langen Ritt auf einen Weiher
stoßt, so badet Ihr auch unbedeckt und zeigt Euch einander, nicht wahr?«
Elodarion-olud-Elodarion, dessen Kinder Lotaras und Leoryn gute Freunde
der Pferdelords und vor allem Nedeams waren, machte eine versöhnliche
Geste.
»Das ist etwas anderes.« Dorkemunt strich sich über das Kinn. »Da
schauen schließlich keine Weiber zu.«
»Wenn wir das Licht des Lebens erblicken«, sagte Elodarion leise, »so tun
wir dies ebenfalls unbekleidet. Es hat rein symbolischen Charakter, Ihr
Pferdelords. Man tritt schutzlos zwischen die seinen und vertraut sich ihnen
an. Eben dies soll die Nacktheit während der Zeremonie zum Ausdruck
bringen.«
Nedeam räusperte sich. »Immerhin, sie findet in der großen Halle statt und
nicht auf dem öffentlichen Platz der Stadt. Die Zahl der Zuschauer ist
begrenzt.«
»Es geht nicht um Zahlen«, knurrte Tasmund. »Es entspricht nicht unserer
Tradition.«
»Die Bräuche der elfischen Häuser sind älter«, entgegnete Jalan lakonisch.
Elodarion nickte. »Bedenkt den Anlass, meine menschlichen Freunde. Es
ist sehr lange her, dass sich ein elfisches Wesen und ein Mensch miteinander
verbanden.«
»Die Zeremonie wird nicht lange dauern«, sagte Nedeam entschlossen,
»und danach können wir uns rasch wieder ankleiden.«
Tasmund machte ein unbestimmbares Geräusch und zuckte dann die
Schultern. »Es ist dein Ehrentag, Nedeam, und der Llaranas. Wenn die Hohe
Dame Larwyn keine Einwände hat, will ich mich dem elfischen Brauch
fügen.«
Es dauerte noch zwei Zehnteltage, bis es endlich so weit war. Nedeam war
aufgeregt wie ein junges Fohlen. Larwyn schien sich mit allen anderen gegen
ihn verschworen zu haben, und so hielt man ihn vom Betreten des
Haupthauses und der Halle ab. Er war dazu verurteilt, von den Treppen vor
der Unterkunft aus zuzusehen, wie die Gäste eintrafen. Der Pferdelord hatte
das Gefühl, dass alle bestens informiert waren, während man ihn im
Ungewissen ließ. Einmal, ein einziges Mal, konnte er seine Llarana aus
einiger Entfernung sehen, und ihr Lächeln war ihm der einzige Lichtblick.
Unter dem Tor der Burg von Eternas erklang das Poltern von Hufen. Der
alte Scharführer Kormund, ein treuer Kampfgefährte und Freund von Nedeam
und Dorkemunt, trabte mit einem Ehrenberitt der Schwertmänner herein.
Lederzeug, Rüstungen und Waffen blitzten im Sonnenlicht, und die Männer
bemühten sich, keine Miene zu verziehen. Dennoch konnten einige von ihnen
ein Grinsen nicht unterdrücken, als sie den nervösen Bräutigam bemerkten, zu
dessen Ehren sie einrückten.
Dann, Nedeam mochte es kaum mehr glauben, begann die Zeremonie.
Dorkemunt trat an seine Seite. Der kleinwüchsige Pferdelord hatte Nedeam
kennengelernt, als dieser zwölf Jahre alt war und gerade seinen Vater Balwin
verloren hatte. Als Nedeam kurz darauf den Eid des Pferdelords ablegte, war
es Dorkemunt gewesen, der für ihn sprach, und so würde es auch an diesem
Tage sein.
Die Schwertmänner auf den Stufen zum Hauptgebäude nahmen
Ehrenhaltung an, und die beiden Pferdelords traten in den Eingang der großen
Halle, die von Stimmengewirr erfüllt war. Ein wenig verlegen entkleideten sie
sich. Schwertmänner nahmen die zusammengefalteten Bündel auf und legten
sie zu einem Stapel mit den Kleidungsstücken der anderen Gäste. Dorkemunt
schaffte es, eine unbeteiligte Miene zu machen, während Nedeam Nervosität
und Vorfreude im Gesicht standen. Nur noch das Klatschen ihrer nackten
Füße auf dem steinernen Hallenboden war zu hören, als der Lärm der
anwesenden Personen verstummte und andächtiger Stille wich.
Jenseits der beiden schwarzen Säulenreihen, welche die Halle an den
Längsseiten säumten, hatte man Tische und Bänke für die anschließende Feier
gestapelt. Wimpel der Beritte, das Banner der Hochmark und bunte Bänder
schmückten den Raum. Sonst hingen hier auch einige erbeutete Orkbanner,
doch für diesen Tag hatte man sie entfernt. Gemessenen Schrittes gingen
Nedeam und Dorkemunt zwischen den Anwesenden hindurch, die für sie eine
Gasse bildeten. Menschen, Elfen und eine kleine Gruppe Zwerge folgten den
beiden auf ihrem Weg zur Stirnseite der Halle mit den Blicken.
Dort, wo normalerweise die Stühle des Pferdefürsten der Hochmark und
ihrer Herrin standen, erhob sich nun eine hüfthohe Säule mit einem
Wasserbecken darauf. Das große Banner der Mark war durch Blüten und
grüne Zweige ersetzt. Unter diesem Schmuck standen Jalan-olud-Deshay und
Llarana.
Dorkemunt schien, im Gegensatz zu Nedeam, ein paar Anweisungen
erhalten zu haben, denn einige Schritte vor den beiden Elfen hielt er den
Bräutigam sanft zurück. Die nackte Haut von Vater und Tochter schimmerte
im Licht, das durch die hoch gelegenen Fenster der Halle fiel. Ihre Körper
waren makellos und wiesen keine Spuren des Alters auf. Nur wenn man
genau hinsah, konnte man am Leib Jalans die Narben der Wunden erkennen,
die er im Kampf erlitten hatte.
»Zu einer Zeit, da der Fuß des Menschen den Boden noch nicht berührte,
erblickten die Häuser der Elfen das Licht der Welt.« Jalans Stimme war leise
und erfüllte doch die Halle. »Wir Elfen haben die Geburt der
Menschengeschlechter verfolgt und ihren Weg begleitet. Wir sind von
unterschiedlicher Art, wir Elfen und ihr Menschen. Und doch sind wir eins,
denn unser Blut ist von gleichem Ursprung.«
Der Älteste des Hauses Deshay trat an die Schale heran und griff in das
bläulich glitzernde Wasser. Als er die Hand wieder herauszog, blitzte in ihr
die Klinge eines kleinen Dolches auf. »An diesem Tag wird sich das Blut
unserer Völker vermischen. Ein Sohn des Menschenvolkes und eine Tochter
der Elfen werden sich vereinen. Ihr Blut und ihr Leben werden eins sein.«
Llarana trat an die Seite ihres Vaters, und Dorkemunt gab Nedeam einen
unmerklichen Stoß. Jalan sah den Pferdelord eindringlich an. In seinem Blick
schien eine Mahnung zu liegen. Der Elf stand den Menschen eigentlich
kritisch gegenüber und war ursprünglich gegen die Verbindung der beiden
gewesen. Doch Nedeams Kampf für das Haus Deshay, gegen Graue Zauberer
und Orks, hatten dem Pferdelord den Respekt Jalans eingebracht. Und sein
Einsatz zur Befreiung der Ältesten aus den Händen der Schwärme der See
hatte dann zu wirklicher Freundschaft zwischen ihnen geführt. So war Jalans
Blick in diesem Moment nicht Ausdruck einer Skepsis gegenüber der
Verbindung zwischen Mensch und Elf, sondern zeigte die Besorgnis eines
Vaters, der allein das Glück seiner Tochter im Sinn hatte.
Jalan ritzte mit dem Dolch die Daumenkuppen des Paares an und ließ ihn
zurück ins Wasser gleiten, als einige Tropfen Blut in die Schale fielen. Dann
presste er die Wunden sanft aneinander. »So, wie sich nun euer Blut
vermischt, soll auch euer Atem sich vermischen und darin zum Symbol eures
gemeinsamen Lebens werden.«
Llarana erwiderte Nedeams Blick und hauchte ihm ins Gesicht. »Mein
Atem sei deine Wärme und dein Leben«, sagte sie mit weicher Stimme.
Nedeam spürte einen Kloß in seinem Hals und schluckte nervös. Seine
Stimme klang nicht ganz so selbstsicher, wie er es sich gewünscht hätte.
»Mein Atem sei deine Wärme und dein Leben«, erwiderte er.
Jalan löste ihre Hände. »So ist der Name Llarana-olud-Deshay nun
vergangen. Möge das Leben Llaranyas und Nedeams von Glück begleitet
sein.«
Der Älteste trat zurück, und der Bräutigam sah seine Braut ein wenig
verwirrt an, als ringsum Hochrufe erschallten. Die anwesenden
Schwertmänner, die üblicherweise ihre Zustimmung zeigten, indem sie mit
den Klingen rhythmisch auf den Boden stießen, stampften in Ermangelung
der Waffen mit bloßen Füßen auf. Dann strömten die ersten Gratulanten auf
die Vermählten zu.
Tasmund sah den kleinen Herrn Olruk irritiert an. »Das war alles?«
»Braucht es mehr?«, raunte ihm Elodarion zu. »Unser langes Leben hat
uns nicht dazu verführt, Zeit zu verschwenden. Was ist natürlicher als eine
Verbindung zwischen Mann und Frau? Sie lieben einander, und Jalan hat die
Zustimmung gegeben. Nun bricht die Zeit der Freude an.«
Tasmund nickte erleichtert. »Schön, dann kann ich mich ja wieder
anziehen.«
Olruk grinste verschmitzt. »Ihr Pferdelords solltet Euch wirklich die Zierde
eines Zwergenmannes wachsen lassen. Unser Bart ist dicht und lang, ich
brauchte nicht einmal ein Lendentuch, denn jeder Blick verfing sich in der
Pracht meiner Bartzöpfe.«
Während Nedeam und Llaranya die Glückwünsche der Anwesenden
entgegennahmen und diese sich beeilten, sich wieder würdig zu bekleiden,
hasteten Bedienstete durch die Halle und begannen alles für die Feier
herzurichten. In all dem Geschiebe und Gedränge waren die beiden
Vermählten bald die Einzigen, die noch nicht dazu gekommen waren, sich
anzuziehen. Tasmund, den dies verlegen machte, eilte zu ihnen hinüber und
hüllte sie in die Umhänge zweier Schwertmänner.
Jalan-olud-Deshay beobachtete dies und sprach den ergrauten Berater
Larwyns an. »Ein gutes Symbol habt Ihr da gewählt, Hoher Herr Tasmund.
Obwohl ihnen die elfischen Umhänge ebenso gut stünden.« Er trat zu den
Brautleuten. »Ich weiß um eure aufrechten Gefühle und darum, dass ihr
füreinander da sein werdet. Das macht es mir leichter, zu den Neuen Ufern
aufzubrechen und euch zurückzulassen. Doch wir werden immer miteinander
verbunden sein. Solange unser Blut fließt und unser Atem wärmt.«
Schließlich gelang es Nedeam und Llaranya, sich aus der Menge zu
befreien und ihre Festgewänder anzulegen. Abseits des Trubels fanden sie
endlich die Gelegenheit zu jenem Kuss, nach dem sie sich so lange gesehnt
hatten. Es war der verheißungsvolle Auftakt zu dem, was im Verlauf der
Nacht folgen würde. Doch bevor die beiden sich ihrer Zweisamkeit hingeben
konnten, galt es, den Abend mit den Gästen zu verbringen.
Gesang und Tanz und das Gewirr zahlreicher Stimmen füllten die Halle bis
in die Nacht hinein. Das üppige Mahl wurde mit Wasser, Gerstensaft und
Wein hinuntergespült, und auch das Blor der Zwerge kreiste, wie Tasmund es
befürchtet hatte, reichlich. Immerhin hatte der Vorgänger Nedeams ein paar
hartgesottene Schwertmänner gefunden, die unverzagt ihren Dienst versahen.
Im Gegensatz zu den Menschen blieben die Zwerge halbwegs nüchtern, da sie
das Blor gewohnt waren. Zumindest konnten sie sich noch auf den Beinen
halten, auch wenn die steinernen Bodenplatten ein Eigenleben zu entwickeln
schienen. Nur den Elfen konnte offenbar kein alkoholisches Getränk etwas
anhaben. Ihre Gruppe hatte sich ein wenig zurückgezogen und betrachtete das
bunte Treiben aus der Distanz.
Als Nedeam und Llaranya zur Treppe hinübergingen, die ins Obergeschoss
führte, grinste Dorkemunt ihnen trunken zu. Er hatte einen Arm um seinen
Freund Olruk gelegt und nagte genüsslich an einer Bratenkeule. Nedeam sah
das verständige Lächeln seiner Mutter Meowyn, die neben ihrem Gemahl
Tasmund saß, und spürte dann den sanften Zug von Llaranyas Hand. So
folgte er ihr die Stufen hinauf. Die Stufen jener Treppe, auf der Garodem vor
rund drei Jahren zu Tode gestürzt war. Doch in Gegenwart seiner Gemahlin
verdrängte er die wehmütigen Gedanken, die er hier sonst oft empfand.
Oben, auf dem Podest vor der massiven Tür, die ins Amtszimmer des
Pferdefürsten führte, stand ein Ehrenposten auf Wache. Nedeam blinzelte
überrascht, als er den Mann erkannte. »Kormund?«
Der alte Scharführer nahm Haltung an, obwohl ihn dabei sicherlich die
Narbe der alten Brustwunde schmerzte. »Scharführer Kormund auf
Ehrenwache«, meldete er förmlich. Dann zwinkerte er Nedeam und Llaranya
zu. »Dies ist ein besonderer Tag, Erster Schwertmann, und es ist eine
besondere Nacht.« Sein Lächeln galt der Elfin, die es sanft erwiderte. »Nichts
wird Euch heute stören. Nur die Besten sind auf Wache. Die Allerbesten.
Tasmund, Dorkemunt und ich haben sie handverlesen.« Er grinste. »Und der
Bursche auf dem Signalturm trägt Polster unter den Stiefeln. So werdet Ihr
ihn nicht hören, wenn er auf der Plattform herumpoltert. Möge Euch beiden
für Euer Leben alles Glück beschieden sein.«
Kormund pochte kurz an die Tür, bevor er sie öffnete.
Das junge Paar trat an ihm vorbei in den Amtsraum, wo die Hohe Dame
Larwyn an einem der Fenster stand und versonnen in die Nacht hinausblickte.
Sie wandte sich den beiden zu und legte ihnen die Hände auf die Schultern,
wobei sie die Elfin ansah. »Ihr seid nun eine Frau des Pferdevolkes, Llaranya,
auch wenn Ihr immer Eurem elfischen Hause verbunden bleibt. Seid gewiss,
dass Ihr mir und allen Menschen der Mark willkommen seid.«
Die Herrin der Hochmark zog die junge Elfin kurz an sich und trat dann
zurück. »Alles ist bereitet. Niemand wird Eure Ruhe stören. Genießt diese
unvergänglichen Momente.«
Larwyn wandte sich ab, und Nedeam spürte, dass die Gedanken seiner
Herrin nun bei Garodem weilten. Doch das Lächeln in ihrem Gesicht zeigte
ihm, dass dies zum ersten Mal seit Langem ohne Schmerz geschah. Das
offensichtliche Glück des Paares schien selbst der Hohen Dame Trost zu
spenden.
Hinter dem Amtsraum lag der Gang, von dem die Räume abzweigten, die
von Larwyn sowie von Tasmund mit seiner Gemahlin Meowyn genutzt
wurden. Am Ende des Ganges, knapp vor der Treppe, die auf den hohen
Signalturm der Burg hinaufführte, lagen die Gemächer, in denen von nun an
Nedeam und seine Llaranya wohnen würden.
Larwyn hatte recht. Alles war bereit und wie es sein sollte. Wie es ein
junges Brautpaar des Pferdevolkes sich nur wünschen konnte. Die Räume
waren von sanftem Lampenschein erhellt, auf dem Tisch standen ein Schale
Obst, kalter Braten und zwei Karaffen mit kühlem Wasser und mit Wein. Die
Tür zum Schlafgemach war offen und das Bett mit frischen Blüten bestreut,
deren Duft den Raum erfüllte.
Als die beiden darauf niedersanken, fügte sich alles. So, wie es sich immer
fügt, wenn zwei Menschen füreinander bestimmt sind. Nichts störte ihre
Liebe und nichts die Ruhe der Nacht, als sie schließlich erschöpft und
glücklich in den Schlaf glitten.
Bis Nedeam den Schrei hörte.
Er wusste nicht, wie spät es war. Durch das kleine Fenster fiel Sternenlicht
herein und erleuchtete schwach den Raum. Gerade genug, um sich orientieren
zu können.
Da war es wieder.
Der Pferdelord richtete sich ruckartig auf. War es überhaupt ein Schrei
gewesen?
Neben ihm schlug Llaranya die Augen auf. Sie bemerkte sofort die
angespannte Haltung ihres Gemahls und war augenblicklich hellwach. Die
Sinne eines Elfen waren ohnehin schärfer als die der Menschen, und die
Jahre, in denen ihr Heim unter der Herrschaft der Feinde gestanden hatte,
hatten ein Übriges getan. »Gefahr?«
Nedeam lauschte. »Ich weiß nicht. Ich meinte, einen Schrei gehört zu
haben. Nein, es war eher eine Empfindung als ein wirklicher Laut. Ein …
Gefühl, verstehst du?«
Llaranya schwang sich entschlossen von der Bettstatt. Sie zögerte keinen
Moment. »Lass uns nachsehen.«
In den Gewohnheiten des Pferdevolkes war es tief verwurzelt, während der
Nacht an der Schlafstelle eine Waffe griffbereit zu haben. Jahrtausendealte
Erfahrungen mit Raubtieren und Feinden hatten es die Menschen gelehrt.
Doch in dieser Nacht fand das Paar keine Waffen vor. So traten sie leise und
unbewehrt auf den Gang hinaus, der die Räume des Obergeschosses
miteinander verband.
Llaranya lauschte. »Ich höre leisen Gesang aus der Halle. Wenn man das
Gejaule so bezeichnen mag.«
»Es müssen die Zwerge und die Männer deines Volkes sein«, murmelte
Nedeam geistesabwesend. »Andere werden sich kaum noch auf den Beinen
halten können.«
»Töne aus elfischen Kehlen bezaubern die Sinne«, erwiderte Llaranya
selbstbewusst. »Das dort müssen also Zwerge sein.«
»Wie auch immer. Diese Laute haben mich nicht aufgeschreckt. Es war
etwas anderes.«
»Sonst ist nichts zu hören. Halt, da bewegt sich jemand über uns.«
»Die Wache auf dem Signalturm.« Sie musste wirklich erstaunlich scharfe
Sinne haben, denn er selbst konnte die Schritte des Schwertmanns nicht
hören. Nedeam blickte nach rechts und links. Sein Unbehagen wuchs, als er
zu der Tür blickte, die zum Amtsraum des Pferdefürsten führte. Er gab sich
einen Ruck und schritt darauf zu.
Nedeam wusste nicht, ob die Hohe Dame Larwyn inzwischen den Raum
verlassen und ihre eigenen Gemächer aufgesucht hatte. So klopfte er an die
Tür, wie es sich gebührte, und öffnete sie, als keine Antwort kam.
»Larwyn!«
Er sah sie sofort.
Die Herrin der Hochmark lag zwischen Stuhl und Schreibtisch mit dem
Rücken auf dem Boden. Ihre Augen waren weit aufgerissen, Speichel sickerte
aus den Mundwinkeln, und ihre Glieder zuckten.
»Kormund!«, schrie Nedeam. »Schwertmänner der Wache! Die Herrin ist
erkrankt!«
Llaranya schob ihn einfach zur Seite und kniete sich neben die Hohe
Dame. »Rasch, Nedeam, hole meine Elfenschwester Leoryn. Sie ist Heilerin
und wird helfen können.«
»Und Meowyn, meine Mutter. Auch sie beherrscht die Heilkunst.«
Nedeam wandte sich den Gemächern Tasmunds und seiner Mutter zu.
Hinter ihm war ein Poltern zu hören, als Scharführer Kormund, durch den
Schrei alarmiert, mit gezückter Klinge hereinstürzte. Betroffen blieb der alte
Kämpfer beim Anblick Larwyns stehen. »Ist die Herrin gestürzt?«
»Sie ist erkrankt«, wiederholte Nedeam und hastete in den Gang. Auf
seinen Ruf hin kamen Bewegung und Unruhe in die Burg. Schritte und
Stimmen waren zu vernehmen.
Kormund kniete sich neben Larwyn und Llaranya nieder. »Sie schlägt um
sich. Wir müssen sie festhalten, damit sie sich nicht verletzt.«
»Sie krampft.« Die Elfin schüttelte den Kopf. »Wenn wir sie dabei
festhalten, kann es sein, dass sie sich die Knochen bricht. Es ist besser, wir
schieben Stuhl und Tisch zur Seite, sodass sie sich nicht an ihnen stoßen
kann.« Llaranya wandte den Blick zur Tür. »Wo bleibt die Heilerin?«, rief
sie.
Als sie den Blick zu Kormund wandte, erkannte dieser die tiefe Sorge, von
der Llaranya erfüllt war. »Ist es so ernst?«
Die Elfin nickte. »Wenn die Heilerinnen nicht rasch kommen, wird sie
sterben. Doch ich fürchte, dass selbst Leoryn und Meowyn der Herrin kaum
mehr werden helfen können.«