Читать книгу Die Pferdelords 07 - Das vergangene Reich von Jalanne - Michael Schenk - Страница 8

Kapitel 6

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Die elfische Heilerin Leoryn und ihre menschliche Freundin und Schülerin

Meowyn trugen kaum mehr als ihre Nachtgewänder. Die Elfin hatte sich

hastig einen Gürtel umgelegt, an dem sich zahlreiche Täschchen und

Beutelchen befanden, gefüllt mit den Utensilien ihrer Heilkunst. Meowyn, die

Heilerin von Eternas, hatte einen der Schwertmänner in ihre

Behandlungsstube gesandt, damit er von dort holte, wonach die Elfin verlangt

hatte.


Leoryn duldete sonst nur noch Nedeam und Llaranya im Raum. Alle

anderen hatte sie mit energischen Worten hinausgeschickt. Bislang wusste

man nur, dass Larwyn schwer erkrankt war, doch niemand kannte die

Ursache. Die Burg erwachte, und langsam kamen auch jene auf die Beine, die

nach dem Gelage noch nicht wieder sicher stehen konnten. Der besorgte

Tasmund scheuchte alle Schwertmänner auf die Posten und stieß immer

wieder Flüche gegen das Blor des Zwergenvolkes aus. Der alte Kämpfer

spürte Unbehagen angesichts einer Gefahr, die man nicht sehen konnte.

Obwohl er mit einer Heilerin vermählt war, blieben ihm Krankheiten

unheimlich, und es wäre ihm lieber gewesen, ein Feind hätte Eternas berannt,

denn ihm hätte man sich stellen können.


»Sie hat das Gleiche gegessen und getrunken wie wir alle«, sinnierte

Meowyn, besorgt um ihre Herrin und Freundin. »Und in geringerem Maße.«


Leoryn sah sich im Amtsraum um und deutete auf einen Krug, der auf dem

Schreibtisch stand. »Was ist damit?«


»Es ist normales Wasser«, murmelte Nedeam. Er erblasste ein wenig. »Ich

… ich habe vorhin einen Schluck davon getrunken.«


»Schön, dann muss es wohl in Ordnung sein«, sagte die Elfin beruhigt.

»Du hast schließlich keine Krämpfe und auch keinen Schaum vorm Mund.«


»Es gibt langsam wirkende Gifte«, warf Llaranya ein.


Nedeams Augen verengten sich. »Ihr meint, die Herrin wurde vergiftet?

Sie ist gar nicht erkrankt?«


»Auch Verdorbenes kann zu einem Gift werden«, versicherte Leoryn.

»Doch das scheint es nicht zu sein. Die Anzeichen deuten auf den

Giftspeichel der Eriat-Schlange.« Sie sah Meowyn an. »Wir müssen sie

entkleiden. Ich muss sehen, ob es Spuren eines Bisses gibt.«


»Hier herauf kommen keine Schlangen«, meinte Nedeam.


»Man muss nicht von einer Schlange gebissen werden, um an ihrem Gift

zu sterben«, sagte die elfische Heilerin nachdenklich, während sie und

Meowyn die Hohe Dame entkleideten.


Auf der Treppe waren Schritte zu hören, dann stürzte Elodarion in Jalans

Begleitung herein. »Ich hörte von dem Übel, das der Herrin der Hochmark

widerfahren ist.« Er erblickte Larwyn und seufzte leise. »Sie sieht ernstlich

krank aus.«


»Tritt näher, Vater, und sieh es dir genauer an.«


Elodarion runzelte die Stirn. »Ich kenne diese Zeichen. Die

Gliederkrämpfe, das Zusammenpressen der Zähne und die zurückgezogenen

Lippen. Die Augen sind geweitet. Die Pupillen, Leoryn, sind sie weit oder

eng?«


»Sie haben kaum die Größe eines Nadelöhrs.«


»Bei den Finsteren Abgründen.« Elodarion schob Meowyn unsanft zur

Seite, kniete sich neben seine Tochter und beugte sich über die hilflose

Larwyn. »Einen Dolch! Ich brauche eine Klinge.«


»Du willst ihr den Mund öffnen?«


»Ich muss sehen, ob die Zungenspitze geschwollen und verfärbt ist.«


Nedeam suchte nach dem Dolch, der normalerweise auf dem Schreibtisch

lag. Larwyn hatte ihn wohl heruntergerissen, als sie zu Boden stürzte. Er

bückte sich nach der zierlichen Waffe, als Leoryn ihn zurückhielt. »Ihr

Männer und eure barbarischen Methoden. Es ist nicht nötig, der armen

Larwyn den Kiefer gewaltsam zu öffnen. Wartet, ich kümmere mich darum.

Meowyn, stecke ihr einen dicken Lederknebel in den Mund, sobald ich dir ein

Zeichen gebe.«


Leoryn kniete sich hinter Larwyns Kopf und legte ihre Hände in einem

merkwürdigen Griff an deren Unterkiefer. Wie von selbst öffnete sich der

Mund. Die Elfin nickte Meowyn zu, die sofort den Knebel zwischen die

Reihen der Backenzähne schob.


Elodarion beugte sich über Larwyns Gesicht. »Licht! Ich brauche Licht.«


Nedeam hielt die Brennsteinlampe näher und sah nun selbst, das Larwyns

Zunge tatsächlich geschwollen und verfärbt war, besonders an der

Zungenspitze.


»Verfluchte Brut«, zischte der Elf. »Kein Zweifel, das habe ich schon viel

zu oft gesehen. Es ist das Gift des Sandstechers.«


»Sandstecher?« Nedeam überlegte. »Bei allen Finsteren Abgründen. Das

Gift, das die Turiks des Sandvolks benutzen?«


Mit einem leichten Schaudern dachte Nedeam an die Abenteuer zurück,

die sie in ihrer alten Heimat erlebt hatten, welche nun von den

Wüstenkriegern des Sandvolkes beansprucht wurde. Deren Hauptwaffen

waren Keulen, mit denen sie die Schädel ihrer Feinde einschlugen, und

Blasrohre, mit denen sie Pfeilstacheln verschossen. Im Land dieses Volkes

gab es den Sandstecher, ein handgroßes Insekt, das über seinen Stachel ein

tödliches Gift absonderte. Die Turiks der Sandclans sammelten dieses Gift,

um damit gefährliches Raubwild zu erlegen. Im Kampf jedoch verwendeten

sie es nicht, das hätten sie als unehrenhaft empfunden.


»Eben dieses«, bestätigte Jalan. »Da gibt es keinen Zweifel. Die Turiks

sind hin und wieder bis zu den Häusern des Waldes vorgedrungen. Um Holz

zu rauben und ein paar Schädel zu nehmen. Beides gelang den Barbaren nur

selten. Deshalb scheuten sie sich nicht, das Gift gegen uns einzusetzen,

obwohl sie das sonst nicht tun.«


Nedeam schüttelte den Kopf. »Es kann nicht sein. Hier gibt es keine

Turiks.«


»Dennoch ist es ihr Gift.« Der Älteste des Hauses Elodarion erhob sich.

»Eure Herrin Larwyn müsste längst tot sein. Selbst in geringsten Mengen

wirkt es schnell.«


Sein Freund Jalan wiegte den Kopf. »Könnte es verdorben sein? Die

Turiks bewahren es doch in ihren Köchern auf. Über viele Jahreswenden

hinweg. Vielleicht war es zu alt.«


»Das wäre möglich.« Elodarion seufzte leise. »Es wird dann langsamer

wirken, aber ebenso tödlich sein.«


»Dann ist Larwyn verloren?« Nedeam sah die Elfen schockiert an. »Erst

Garodem, und nun Larwyn? Es darf nicht sein. Ihr müsst ihr helfen. Sie muss

überleben.«


Leoryn warf dem Pferdelord einen bedauernden Blick zu. »Gegen das Gift

des Sandstechers gibt es kein Mittel.«


Jalan räusperte sich. »Keines, das uns zugänglich ist. Doch es könnte sein

…« Llaranyas Vater strich sich über das Kinn. »Vielleicht …« Er zögerte,

aber dann gab er sich einen Ruck. »Ich muss etwas holen. Vielleicht besteht

doch noch Hoffnung.«


Die anderen sahen verwirrt zu, wie Jalan aus dem Raum hastete. Sie

wussten nicht, was er meinte, und auf Nedeams Frage zuckte Leoryn

bedauernd die Schultern. »Was auch immer er vorhat, es gibt kein Mittel

gegen das Sandstechergift.«


Als Jalan zurückkam, war er ein wenig außer Atem. In seiner Hand hielt er

ein kleines Kästchen, aus kostbaren Hölzern gefertigt und mit elfischen

Symbolen verziert. »Ich wollte dies Llaranya und Nedeam zum Abschied

schenken, und da es ihnen zugedacht ist, müssen sie entscheiden, was damit

geschieht.«


»Was ist es?«, fragte das junge Paar einstimmig.


Jalan öffnete den Verschluss und hob den Deckel an. In dem Kästchen lag

auf einem Polster ein zierliches Glasgefäß. Behutsam hob Jalan es heraus und

hielt es hoch. Eine milchige Flüssigkeit, von der ein sanftes Leuchten

ausging, schimmerte hinter dem Glas. »Das Wasser des Lebens. Nicht viel

davon, denn es ist sehr kostbar und selten. Es heißt, es könne Krankheiten

heilen und Wunden schließen.« Er sah Tochter und Schwiegersohn an. »Man

… man sagt ihm eine gewisse lebensverlängernde Wirkung nach, daher …«


Jalan verstummte betreten. Nedeam war zutiefst gerührt. Was auch immer

dieses Lebenswasser tatsächlich bewirken mochte, Jalan hatte offenbar die

Hoffnung, dadurch Nedeams Leben und so das Glück der beiden verlängern

zu können. Es musste ein kostbares und wohlbehütetes Geheimnis gewesen

sein, da selbst Llaranya ahnungslos gewesen war. Nedeam begriff nun auch

den Konflikt, in dem sich der Elf befand. Das Lebenswasser reichte nur für

eine Person. Fraglos hätte sich Jalan für Nedeam entschieden, doch er spürte

die tiefe Verbundenheit der Anwesenden mit der dem Tod geweihten Larwyn.


»Sie soll es erhalten«, entschied Nedeam ohne langes Zögern. »Sie muss es

erhalten.«


Jalan nickte und übergab das Gefäß an Leoryn. Diese flößte der Herrin der

Hochmark die sirupartige Flüssigkeit ein. Nun warteten alle gespannt, ob sich

Larwyns Zustand bessern würde. Nach einigen Augenblicken entspannte sich

ihr verkrampfter Körper. Sie schöpften schon Hoffnung, doch dann schüttelte

Leoryn bedauernd den Kopf.


»Das Lebenswasser wirkt«, flüsterte sie. »Es hält die Vergiftung auf oder

verzögert sie zumindest. Aber es ist nicht genug, um das Gift wirksam zu

bekämpfen und Larwyn genesen zu lassen.«


Nedeam stieß einen Seufzer der Enttäuschung aus. »Dann ist sie endgültig

verloren?«


»Nicht unbedingt.« Die elfische Heilerin richtete sich ächzend auf. »Das

Lebenswasser zögert den Tod hinaus. Wenn wir mehr davon hätten …«


Jalan erkannte die unausgesprochene Frage und schüttelte den Kopf. »Das

war alles, was ich besaß. Es tut mir leid.«


»Das Wasser muss doch von irgendwoher kommen«, wandte Llaranya ein.

»Beschaffen wir einfach mehr davon.«


»Einfach?« Jalan sah seine Tochter betrübt an. »Ich weiß nicht einmal,

woher es stammt.«


»Woher habt Ihr das Gefäß?«


»Von den Grauen Zauberern, die das Haus Deshay mit ihrem Bann

belegten«, erwiderte Jalan. »Aber nicht einmal das vermag ich genau zu

sagen. Wir fanden das Gefäß, nachdem das Haus befreit war. Ich erkannte die

Flüssigkeit anhand der alten Schriften unseres Hauses.«


»Von den Grauen? Und die elfischen Schriften enthalten Hinweise dazu?«

Nedeam schöpfte neue Hoffnung. Im Kampf um das Haus Deshay hatte er mit

Llaranyas Hilfe einen der Grauen Magier bezwungen. Und er würde sich

erneut einem dieser schrecklichen Wesen stellen, wenn er dadurch Larwyns

Leben retten konnte.


»Die Hinweise sind nur undeutlich«, erklärte Jalan. »Ihr versteht bestimmt,

dass dieses Lebenswasser für uns Elfen nicht sonderlich von Belang war. Wir

sind unsterblich und benötigen derartige Mittel nicht.«


»Ja, das verstehe ich. Doch was sagen denn nun Eure Schriften?«


»Nur, dass es das Lebenswasser gibt und sich seine Quelle irgendwo im

Süden befinden soll.«


»Das ist nicht gerade viel«, brummte Nedeam enttäuscht.


»Die Grauen kannten die Quelle, doch wir können sie schwerlich danach

fragen.«


Nein, das konnten sie nicht. Die Grauen Zauberer, die so lange

wohlwollend die Geschicke der Menschen begleitet hatten, waren

verschwunden oder dem Schwarzen Lord verfallen. Selbst die Weißen

Zauberer schienen Vergangenheit zu sein. Sollte sich die Hoffnung, Larwyn

mit dem Lebenswasser retten zu können, nun doch wieder zerschlagen?

Enttäuscht ging er zu dem Stuhl hinüber, den Larwyn wohl in dieser Nacht

benutzt hatte, und setzte sich. Er wollte sich gerade anlehnen, als Elodarion

aufschrie. Der Elf sprang vor, packte Nedeam am Arm und zerrte ihn von

dem Sitzmöbel herunter. Nedeam stieß unwillkürlich einen leisen Fluch aus,

bis er Elodarions entsetzte Miene sah.


»In der Lehne«, ächzte der leichenblasse Elf. »In dem Polster steckt

etwas.«


Nedeam wandte sich erschrocken um. Und als Elodarion auf die Stelle

wies, sah er es auch. »Bei den Finsteren Abgründen. Welch eine

Niedertracht!«


Im Rückenpolster des Stuhls steckte ein spitzer Gegenstand, den man nur

bei genauem Hinsehen erkennen konnte. Larwyn hatte ihn sicher nicht

bemerkt, als sie Platz genommen und sich angelehnt hatte, wobei sie sich die

Spitze dann selbst ins Fleisch gestoßen haben muss.


»Nicht berühren«, warnte Elodarion. »Es ist einer der Stachelpfeile der

Sandmenschen.«


»Ja, ohne Zweifel.«


Nedeam blickte auf, als im vorderen Hof der Burg ein Hornsignal ertönte.

Das Klappern von Hufen und Kommandos waren zu hören. Es war nur eine

kleine Schar, und er ahnte, wer dort zu früher Morgenstunde in die Burg

einritt. Sein Gespür sollte ihn nicht täuschen.


Einen Augenblick später pochte es an der Tür, und Kormund blickte

herein. »Der Hohe Lord Garwin ist soeben eingetroffen.«


Das Gesicht des alten Kämpen war von Sorge um die Herrin gezeichnet.

Wahrscheinlich würde er sich noch zusätzlich Vorwürfe machen, wenn er von

dem feigen Mordanschlag erfuhr, obwohl er ihn kaum hätte verhindern

können.


Als der Pferdefürst die Treppe emporkam, fuhr Kormund herum. Er

machte eine knappe Ehrenbezeugung und verließ den Raum. Garwin

bevorzugte wie sein Vater Garodem schlichte Gewänder. Er trug ein

einfaches blaues Wams und helle lederbesetzte Reithosen. Dazu die typischen

rotbraunen Stiefel und ein ebensolches Wehrgehänge, in dem Dolch und

Schwert steckten. Statt des üblichen Grüns hatte er für seinen Umhang einen

blauen Farbton gewählt, der dem der elfischen Überwürfe glich.


»Die Torwache berichtete mir, meine Mutter sei ernsthaft erkrankt«, sagte

er anstelle einer Begrüßung. Rasch trat er zu Larwyn, die noch immer am

Boden lag und von den Elfen umsorgt wurde. »Wie ernst steht es um sie?«


Leoryn bedeckte rasch den halb entblößten Körper der Hilflosen. »Wenn

kein Wunder geschieht, wird die Hohe Dame …«


Garwin schnitt ihr das Wort ab. »Ich verstehe. Nun, ich bin mir sicher, sie

ist bei Euch Elfen in den besten und kundigsten Händen.« Wenn die beiden

Ältesten der elfischen Häuser über diese unhöfliche Behandlung verstimmt

waren, so zeigten sie es nicht. Zudem war Garwins Verhalten nur

verständlich, da er in Sorge um seine Mutter sein musste. Er wandte sich zu

Nedeam und Llaranya. »Meine Glückwünsche zu Eurer Vermählung, Hoher

Herr und Hohe Frau.« Sein Blick heftete sich auf den Ersten Schwertmann.

»Wie ich vernahm, hält sich diese Bestie in der Burg auf. Das geschieht ohne

meine Einwilligung. Ihr seid mir dafür verantwortlich, dass man sie rasch

entfernt.«


Der Erste Schwertmann spürte erneut seinen Widerwillen gegen den

jungen Pferdefürsten. Als dieser sich dem Stuhl am Schreibtisch näherte, war

Nedeam für einen kurzen Augenblick versucht, die drohende Gefahr zu

verschweigen. »Ihr solltet nicht dort Platz nehmen, Hoher Lord.« Die

Ehrenbezeichnung kam ihm noch immer schwer über die Lippen. Stets

verband er die Worte mit dem gütigen Gesicht Garodems. »Dieser Stuhl dort

ist präpariert, er wurde Eurer Mutter zum Verhängnis.«


Garwin erstarrte, und Elodarion erklärte mit wenigen Worten, was es damit

auf sich hatte. Das Gesicht des Pferdefürsten wurde für einen Augenblick

blass. Er betrachtete den in der Lehne verborgenen Stachelpfeil.

»Unzweifelhaft ein heimtückischer Mordversuch. Ein Wunder, dass sie

überhaupt noch lebt. Und Ihr seid Euch sicher, Hoher Lord Elodarion, dass es

sich um das Gift eines Sandmenschen handelt?«


»Es stammt vom Sandstecher, aber es wird von dem Wüstenvolk genutzt,

ja«, bestätigte Elodarion.


»Was für eine ruchlose Tat«, murmelte Garwin. »Dann besteht keine

Hoffnung mehr?«


»Wir werden für die Hohe Dame tun, was in unserer Macht steht«,

versicherte Leoryn. »Doch wir sollten sie nun in ihre Kammer bringen, wo sie

Ruhe hat und gepflegt werden kann.«


»Ja, tut das«, murmelte Garwin. Er sah nachdenklich auf die Landkarte an

der Wand des Amtsraumes. Es war eine elfische Karte, welche die Marken

des Pferdevolkes und die angrenzenden Länder zeigte. Weitaus genauer und

detaillierter als bei menschlichen Karten üblich. »Nun werde ich mich wohl

ganz allein um das Wohl der Hochmark kümmern müssen.« Er seufzte.

»Hoher Herr Nedeam, ich werde Euch im Lauf des Tages meine

diesbezüglichen Weisungen geben. Doch nun muss ich Euch alle bitten, mich

allein zu lassen. Ich bin vom Ritt erschöpft, und die Sorge um meine verehrte

Mutter macht mir die Gedanken schwer.«


Garwin wirkte weder erschöpft noch sonderlich besorgt. Aber Nedeam war

da sicherlich voreingenommen, wie er sich eingestand. Die beiden

Heilerinnen trugen Larwyn mit der Hilfe zweier Schwertmänner behutsam

aus dem Raum. Man würde sie in ihre Gemächer bringen, und Nedeam war

sich sicher, dass der besorgte Tasmund eine zuverlässige Wache vor ihren

Räumen postieren würde. Bedienstete stellten die Möbel wieder an ihren

Platz, mit Ausnahme des todbringenden Stuhls. Auf Meowyns Weisung

wurde er vorsichtig in ihre Heilerstube gebracht, wo sie den gefährlichen

Stachelpfeil entfernen und untersuchen wollte.


Elodarion hielt Nedeam zurück, als dieser ebenfalls der Aufforderung

Garwins folgen wollte. Der Erste Schwertmann war noch zu betroffen, um

klar zu denken, wie ihm Elodarions nun folgender Einwand bewies. »Mit

Verlaub, Hoher Lord Garwin, doch es gibt Dringlicheres zu regeln als die

Geschäfte der Mark.« Der Elf deutete auf die Stelle, an welcher der Stuhl

noch vor Kurzem gestanden hatte. »Dies war ein heimtückischer

Mordanschlag, und der Täter ist noch nicht gefasst.«


Nedeam zuckte zusammen. Es wäre seine Pflicht gewesen, daran zu

erinnern.


Garwin erwiderte den Blick des Ältesten mit ausdruckslosem Gesicht.

Schließlich nickte er zögernd. »Ihr habt recht, Hoher Lord Elodarion. Das gilt

es zu bedenken. Doch der Meuchelmörder wird längst entflohen sein.« Er sah

zu Nedeam. »Wahrscheinlich hat er sich unter die Gäste Eurer Feier gemischt

und sich nach der Tat unerkannt aus dem Staub gemacht.«


»Das ist nicht gesagt, Pferdefürst Garwin«, erwiderte Elodarion. In seiner

Stimme schwang eine Spur von Verachtung mit. Ob diese dem Täter oder

dem Pferdefürsten galt, war nicht auszumachen. Aber die Elfen fühlten sich

Garwin nicht verbunden. Er hatte sich geweigert, ihnen beizustehen, als sie

seine Hilfe benötigten. Nedeam, Dorkemunt und der tote Garodem hingegen

hatten mit ihrer Unterstützung keinen Augenblick gezögert. »Wer auch immer

den Stachelpfeil im Stuhlpolster verbarg, er muss es während der

Vorbereitungen für die Feier getan haben. Davor war die Hohe Dame Larwyn

noch in diesem Raum.«


»Auch während der Feier kann es nicht geschehen sein«, überlegte

Nedeam. »Die Ehrenwache stand vor der Tür. Jeder Unbefugte wäre von ihr

aufgehalten worden.«


Garwin sah seinen Ersten Schwertmann abschätzend an. »Was wollt Ihr

damit andeuten, Hoher Herr Nedeam? Dass es ein Bediensteter der Burg

war?«


Diese Aussicht gefiel Nedeam ebenso wenig wie dem Pferdefürsten. Doch

sein Verdacht war noch ungeheuerlicher. »Kein einfacher Bediensteter, Hoher

Lord.«


Garwins Augen wurden schmal. »Was Ihr da sagt, gefällt mir nicht, Erster

Schwertmann!«


Elodarions Gesicht war unbewegt, als er an Nedeams Stelle antwortete.

»Ob es Euch behagt oder nicht, Hoher Lord Garwin, Ihr müsst Euch den

Tatsachen stellen. Es war jemand, der Zugang zu Stachelpfeilen und dem Gift

der Sandmenschen hat. Jemand, der mit den Gepflogenheiten der Hohen

Dame Larwyn vertraut ist und bei den Bewohnern der Burg kein Misstrauen

erweckt.«


Nedeam seufzte betrübt, denn die Konsequenzen waren fatal. »Einige der

Pferdelords, die vor Jahreswenden unter Garodems Befehl nach dem alten

Banner des Ersten Königs forschten, brachten zur Erinnerung Waffen der

Clans mit in die Hochmark. Eine der Schädelkeulen hängt sogar in Malvins

›Donnerhuf‹. Unter diesen Erinnerungsstücken befinden sich auch

Stachelpfeile und vielleicht sogar das Gift des Sandstechers.«


Garwin runzelte die Stirn. »Ihr meint, es war ein Pferdelord? Einer der

unseren? Unmöglich!«


Nedeam nickte bedrückt. »Ich würde mein Leben für jeden verpfänden, der

damals in die Wüste ritt, und doch kann es nicht anders sein.« Er zuckte die

Schultern. »Es gibt Handel mit den Turiks, aber ihre Stachelpfeile und das

Gift hüten sie gut. Vor allem das Gift. Es ist sehr wertvoll für sie, denn es ist

schwer zu bekommen. Also muss es damals jemand mit in die Mark gebracht

haben.«


»Ihr verwahrt nicht zufällig selbst ein solches Andenken?«


»Nein«, knurrte Nedeam empört. »Glaubt Ihr etwa, ich würde …?«


»Natürlich nicht.« Garwin machte eine beschwichtigende Handbewegung.

»Ich kenne Eure Treue zu meiner Mutter. Auf Euch fällt nicht der Schatten

eines Verdachts.« Der Pferdefürst legte die Fingerspitzen aneinander. »Ich

kann und will nicht glauben, dass ein Pferdelord oder gar ein Schwertmann zu

solcher Niedertracht fähig wäre. Meine Mutter wird vom einfachen Volk

verehrt und besitzt den Respekt jedes einzelnen Pferdelords. Niemand hat

Grund, ihr ein Leid zuzufügen. Aber sagt einmal, Nedeam, ritt damals nicht

auch der Nagerjäger Barus mit Euch hinaus?«


»Ja, und er hat sich bewährt«, bestätigte Nedeam. »Auch er wäre zu einer

solchen Tat nicht fähig.«


Wer Barus kannte, wusste, dass der Nagerjäger mit seiner Keule gegen die

Sandmenschen gezogen war. Die Vorstellung, er würde eine andere Waffe

auch nur anrühren, war vollkommen abwegig.


»Schön, schön, aber irgendjemand war offensichtlich dazu fähig.« Garwin

warf einen nachdenklichen Blick aus dem Fenster und trat dann hinter den

Schreibtisch zurück. Geistesabwesend musterte er abermals die elfische

Karte. Seine Finger folgten dem Verlauf der Schraffuren, so, wie es die seines

Vaters oft getan hatten. Sein Zeigefinger verharrte auf dem Dünenland. Dann

wandte er sich abrupt um. »Ah, wartet. Wartet … Sagt einmal, Nedeam,

waren in jene Kämpfe nicht auch Orks verwickelt? Ja, jetzt fällt es mir wieder

ein. Mein Vater berichtete mir davon. Ihr und Euer Freund Dorkemunt, Ihr

wurdet in einem Lager der Sandmenschen von den Bestien angegriffen, nicht

wahr?«


»Ja. Die Bestien wurden besiegt. Wem von ihnen die Flucht aus der Wüste

gelang, der wurde von den Zwergenkriegern König Balruks niedergemacht.

Nur eine Handvoll entkam …« Nedeam verstummte nachdenklich.


Garwin lächelte, als er das Zögern seines Ersten Schwertmanns bemerkte.

»Ja, nur eine Handvoll. War nicht auch das Rundohr Fangschlag darunter?«


Nedeam verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Unbewusst wippte er

auf den Füßen.


»Er könnte Gift und Stachelpfeile eines Sandmenschen erbeutet haben«,

sagte Elodarion leise.


»Und es mit sich führen? Über so viele Jahreswenden?« Nedeam schüttelte

den Kopf. »Nein, das entspräche nicht seiner Art. Auf seine Weise ist er ein

ehrenhafter Krieger.«


»Er ist eine Bestie!«, schrie Garwin auf und schlug mit der flachen Hand

auf den Schreibtisch. »Vergesst das nicht, Erster Schwertmann! Eine wilde

Bestie, dazu bestimmt, Menschen abzuschlachten!«


»Er hat sich uns ergeben und geschworen, uns kein Leid zuzufügen, bis

…«


Garwin sah Nedeam spöttisch an. »Ja, sprecht nur weiter. Aber glaubt

nicht, ich würde die Wahrheit nicht kennen. Jeder in der Hochmark hat von

dem Schwur der Bestie gehört.«


Elodarion sah Nedeam fragend an. »Ich verstehe nicht. Ich hörte Gerüchte,

doch erklärt mir bitte, was es damit auf sich hat.«


Garwin blickte auffordernd zu Nedeam. »Erklärt es dem Hohen Lord der

Elfen, Erster Schwertmann. Erzählt ihm, was sich in der nördlichen Öde

zutrug.«


Und so berichtete der Pferdelord von dem Zweikampf zwischen

Dorkemunt und Fangschlag in der Öde des toten Reiches Rushaan. »Die

beiden trafen vorher schon einmal aufeinander, bei der Schlacht um

Merdonan«, fuhr er fort. »Dorkemunt verlor damals seine Waffe, doch das

Rundohr wartete, bis er sie wieder aufgehoben hatte. Mein alter Freund ist der

beste und tapferste Pferdelord, den ich kenne, Hoher Lord Elodarion, doch er

kommt allmählich in die Jahre«, sagte Nedeam entschuldigend. Der Elfe

nickte verständnisvoll. Kaum jemand kannte das langsame Vergehen der

Menschen besser als das elfische Volk. Nicht zuletzt aus diesem Grund

pflegte es auch kaum Beziehungen zu den Sterblichen, denn man wollte ihr

Verwelken nicht betrauern müssen. »Fangschlag hätte ihn im ehrlichen

Zweikampf bezwungen. Bei allen Abgründen, er hätte ihn wahrhaftig besiegt.

Aber dann schlossen beide einen Waffenstillstand. Sie wollen ihren

Zweikampf fortsetzen, wenn das verräterische Spitzohr Einohr tot zu ihren

Füßen liegt. Fangschlag hasst Einohr aus tiefstem Herzen und hat dem Dienst

des Schwarzen Lords entsagt, um ihn zur Strecke zu bringen. Seitdem ist er in

Dorkemunts Obhut.«


»Er ist und bleibt eine Bestie. Seinen Worten kann man nicht trauen«,

ereiferte sich Garwin. »Niemand zähmt ein Rundohr der Orks. Ihre Art und

die unsere sind gegensätzlich, wir hassen einander. Wir töten einander, und

das hat diese Bestie nicht verlernt.«


»Wir Elfen kennen den guten Herrn Dorkemunt«, sagte Elodarion schlicht.

»Wir trauen seinem Wort und seinem Urteil. Doch kein Menschenwesen ist

vor einem Irrtum sicher.« Er lächelte dünn. »Selbst uns Elfen unterläuft dies

gelegentlich.«


»Er ist eine Bestie, geboren um uns Menschen zu töten«, wiederholte

Garwin erregt. »Und er war im Dünenland. Vielleicht hat er sich damals nur

ergeben, um auf eine günstige Gelegenheit zu warten.«


»Um Larwyn zu ermorden?« Nedeam schüttelte entschieden den Kopf.

»Was sollte ihr Tod ihm oder dem Schwarzen Lord bringen? Nein, wer immer

diese Tat beging, wollte seinen Nutzen daraus ziehen.«


»Die Orks sind vom Instinkt geleitet.« Garwin beugte sich zornig über den

Schreibtisch. »Da braucht es keinen vernünftigen Grund. Nur eine gute

Gelegenheit.«


Elodarion räusperte sich. »Wurde das Rundohr bewacht?«, fragte er

Nedeam. »War es ihm überhaupt möglich, die Tat zu begehen?«


Hatte es eine Wache vor der Tür zu Nedeams Kammer gegeben? Nein.

Nedeam leckte sich unruhig über die Lippen. Das Rundohr trug einen

Kapuzenumhang, um seine Gestalt und seinen Schädel zu verbergen. Viele

Menschen reagierten instinktiv mit Hass, wenn sie ihn sahen. Vielleicht ging

es dem Ork umgekehrt nicht anders. Den Trubel während der Vorbereitungen

zur Feier mochte er genutzt haben, um den Anschlag auszuführen …


Nedeam biss sich auf die Lippe. »Es wäre nicht seine Art. Er ist ein

ehrenhafter Krieger.«


»Ehrenhafter als ein Pferdelord?«, fragte Garwin spöttisch. »Nun, Hoher

Herr Nedeam, es erscheint mir seltsam, dass Ihr einem Pferdelord eine solche

Tat zutraut, einer Bestie aber nicht.«


Elodarion nickte bedächtig. »In diesen Worten liegt Wahrheit, Nedeam,

mein Freund.«


Konnte er sich so täuschen? Konnte Dorkemunt sich so täuschen?

Immerhin war Fangschlag ein Rundohr. Ein Ork. Eine Bestie. Kein

Pferdelord würde jemals seine Hand gegen die Herrin Larwyn erheben und

erst recht keiner der Gäste, die an der Vermählung teilgenommen hatten.

Garwin hatte recht. Es blieb nur das Rundohr.


Dennoch nagten Zweifel an Nedeam. »Als er sich uns in der Öde

anschloss, führte er keine Stachelpfeile oder Gift mit sich. Wie sollte er …«


»Ihr sagtet selbst, einige der Pferdelords hätten Andenken aus dem

Dünenland mit in die Mark gebracht. Die Bestie wird das Werkzeug für seine

Mordtat gestohlen haben.«


»Es wäre immerhin vorstellbar«, gab Elodarion zu bedenken. »Bewahrt

kühlen Kopf und prüft alle Möglichkeiten, Nedeam. Die Tat darf nicht

ungesühnt bleiben.«


»Wir sollten mit Dorkemunt sprechen.« Nedeam seufzte schwer. »Er kennt

das Rundohr am besten.«


»Gut.« Garwin trat hinter dem Schreibtisch hervor. »Verlieren wir keine

Zeit. Vielleicht hat sich die Bestie schon davongeschlichen. Erster

Schwertmann, ruft ein paar bewährte Männer zusammen. Wir dürfen ihr

keine Gelegenheit geben, erneut zu morden.«


Vor der Tür stand mittlerweile eine andere Wache. Scharführer Kormund

fanden sie unten in der Halle im Gespräch mit Tasmund. Beide waren dabei,

Ordnung in das Chaos zu bringen, das hier unten noch herrschte. Es war früh

am Morgen, und einige der Gäste hatten Speis und Trank so reichlich

zugesprochen, dass sie auf oder unter den Bänken nächtigten. Bedienstete und

Schwertmänner eilten nun umher und nahmen wenig Rücksicht auf die

Schlafenden, die trotz der Unruhe nur langsam erwachten. Von den elfischen

Begleitern Elodarions und Jalans war nichts zu sehen. Sie hatten sich

zurückgezogen, bevor die Feier in ein wildes Gelage ausartete. Drei Zwerge

aus Balruks Ehrengeleit saßen in einer Ecke, mit leicht glasigen Augen und

doch wachsam, denn sie hatten bemerkt, dass etwas Unerfreuliches geschehen

war.


Nedeam war noch immer niedergeschlagen. Die wundervollen

Erinnerungen an den Tag seiner Vermählung waren von den schrecklichen

Ereignissen dieser Nacht verdüstert worden. Eine furchtbare und sinnlose Tat.

Die Sorge um das Überleben Larwyns war überall spürbar.


»Dort hinten, am Tisch.« Garwin wies in die Tiefe der Halle. »Euer Freund

Dorkemunt.«


Sie gingen gemeinsam hinüber, und auf dem Weg informierte Garwin

Tasmund und Kormund über den Verdacht. Die beiden Pferdelords sahen

ihren Freund Nedeam bedauernd an. »Ein solches Wesen kann nicht aus

seiner Haut«, sagte Kormund leise. »Er ist und bleibt ein Ork.«


»Noch ist Fangschlags Schuld nicht bewiesen«, beschied Nedeam, der die

Bemerkung gehört hatte. »Er hatte keinen Grund für diese feige Tat.«


»Braucht ein Ork einen Grund, um einen Menschen zu erschlagen?«

Kormund schüttelte den Kopf. »Nein, Nedeam, ich habe viele Jahreswenden

gegen die Bestien des Schwarzen Lords gefochten. Ich hatte immer meine

Zweifel an der Gutartigkeit dieses Rundohrs, obwohl es sicherlich ein

ungewöhnlicher Bursche ist. Nun, wir werden sehen.«


Dorkemunt ruhte schlafend auf dem Tisch. Der Becher war ihm aus der

Hand gefallen und lag unter ihm am Boden. Einige Strähnen seines langen

Haares waren in einen Teller mit kalter Suppe getaucht, andere hingen ihm

über dem Mund. Rhythmisches Schnarchen war zu hören, und jeder Atemstoß

ließ die Strähnen leicht vibrieren.


Nedeam beugte sich zu seinem Freund und schüttelte ihn. Nur langsam

und widerwillig erwachte der alte Kämpfer. »Ah, lasst mir meine Ruhe, Ihr

guten Herren«, ächzte er. »Es ist noch früh, und mein Kopf brummt

furchtbar.«


Der Erste Schwertmann konnte keine Rücksicht auf den Freund nehmen,

und gemeinsam mit Kormund schaffte er es, Dorkemunt aus der Halle und

hinüber zu dem großen Brunnen im vorderen Burghof zu führen. Zu jenem

Brunnen, den Larwyn einst hatte anlegen lassen. Aus dem Maul des

springenden Pferdes ergoss sich eiskaltes Wasser in das Becken, und ein

Schwall davon ließ Dorkemunt prustend zu sich kommen.


Wasser lief ihm über Haare und Gesicht, als er sich stöhnend auf die

gemauerte Einfassung setzte und langsam die Vorgänge um sich herum zu

erfassen begann. »Ah, bei allen Finsteren Abgründen, was geht da vor sich?«,

murmelte er. »Was machen all die braven Pferdelords auf dem Hof? Noch

dazu unter Waffen. Oh, mein armer Kopf …«


»Haltet ihn noch einmal ins Wasser«, befahl Garwin, der den drei Männern

zusammen mit Tasmund und Elodarion nach draußen gefolgt war. »Vielleicht

hilft das seinem Kopf.«


»Ah, der Pferdefürst«, ächzte Dorkemunt. »So viel der Ehre?« Er blinzelte

benommen. »Ich, äh, ich habe mich doch nicht unbotmäßig benommen, oder?

Wahrhaftig, ich gab mir Mühe, den Becher mit Elfen und Zwergen

gleichermaßen zu erheben. Ein gerüttelt Maß an Völkerver…ständigung.«

Dorkemunt stieß auf und wandte sich hastig zum Brunnen um. »Verzeiht, mir

ist ein wenig flau im Magen, und in meinem Kopf hämmert es ganz

schrecklich. Ich muss irgendwo angestoßen sein.«


»Verdammtes Blor«, brummte Tasmund. »Auf ein kurzes Hochgefühl

folgt eine Tageswende Elend. Ich fürchte, der gute Herr Dorkemunt wird uns

heute kaum von Nutzen sein.«


»Soll er seinen Rausch kurieren«, sagte Garwin ungeduldig. »Wir

brauchen ihn nicht.«


Es hatte einfach keinen Zweck. Der alte Pferdelord war noch immer vom

Alkohol betäubt und seufzte erleichtert, als die Gruppe von ihm abließ. Dem

Brunnen gegenüber lag die alte Unterkunft der Schwertmänner. Mit dem Bau

der neuen Quartiere draußen am Übungsplatz waren die Wachen ausgezogen.

Tasmund und Meowyn hatten hier eine Weile gewohnt, und zuletzt Nedeam

als Erster Schwertmann. Der massige Bau aus sorgfältig behauenen Steinen

war nun leer und wirkte plötzlich düster und bedrohlich.


Tasmund wies auf den Eingang. Man musste ein paar Stufen hinaufsteigen,

um die Unterkunft zu betreten. Die Fenster waren hoch gelegen und sehr

klein. »Wir haben kein Verlies in der Burg, Hoher Lord Garwin. Es gab nie

Bedarf dafür. Aber die alte Unterkunft bietet sich an. Wenn wir die Tür von

außen zusperren und Wachen davorstellen, könnte sie als Gefängnis dienen.«


»Wozu brauchen wir ein Gefängnis?«, fragte Garwin kalt. »Das Rundohr

ist schuldig. Wir töten es auf der Stelle und können wieder in Sicherheit

leben.«


»Nein!« Nedeams Stimme war scharf, und Garwin sah ihn an, empört über

den energischen Widerspruch. »Seine Schuld ist noch nicht bewiesen, und er

hat das Recht auf einen Schiedsspruch.«


»Ein Schiedsspruch? Das Urteil der Ältesten? Gar gesprochen auf dem

öffentlichen Platz der Stadt Eternas?« Garwin lachte auf. »Ihr macht Euch

lächerlich, Erster Schwertmann.«


Tasmund räusperte sich. »Nun, Hoher Lord Garwin, wie auch immer man

Fangschlag bezeichnen mag, er lebte die letzten Jahreswenden in der

Hochmark. Die Tradition des Pferdevolkes verlangt …«


»Ah, Ihr und Eure Traditionen.« Garwin schüttelte den Kopf. »Sie gelten

nicht für einen verfluchten Ork.«


»Aber sie gelten für das Pferdevolk, dem Ihr angehört, Hoher Lord

Garwin«, schaltete sich Elodarion lächelnd ein. »Die Bestie stand unter Eurer

Obhut, denn Ihr seid der Pferdefürst der Hochmark und tragt Verantwortung

für das, was in Eurem Land geschieht.«


Garwin musste sich zur Ruhe zwingen. »Wollt Ihr behaupten, ich trüge die

Schuld?«


»Natürlich nicht«, beschwichtigte Elodarion. »Aber Ihr seid verantwortlich

dafür, dass jeder Bewohner der Hochmark gerecht behandelt wird.«


»Na schön«, zischte Garwin. »Machen wir ihm den Prozess, obwohl es

Zeitverschwendung ist.«


»Ihr müsst seine Schuld erst beweisen.« Elodarion zupfte an seinem

Gewand. Er empfand keinerlei Sympathie für eine Bestie. Aber er hatte

dieselben Zweifel, die auch Nedeam plagten.


Garwin stieß ein verächtliches Schnauben aus und gab den sie

begleitenden Schwertmännern einen Wink. Das leise Schaben von Klingen,

die aus ihren Scheiden glitten, war zu hören. Die Männer empfanden keine

Furcht vor einem einzelnen Rundohr. Es war das Verhalten von Kämpfern,

die wussten, dass sie einem Feind begegneten.


Nedeam ließ seine Klinge stecken. Er ging seinen Männern voran, stieg die

Stufen empor und stieß die Tür auf. Noch während sie aufschwang, drängten

sich die Pferdelords in die Kammer, bereit, ihre Schwerter zu benutzen.


Fangschlag stand neben der Bettstatt. Er hatte die Kapuze seines Umhangs

zurückgeschlagen und sah den Menschen entgegen. Der Blick aus seinen

roten Augen mit den gelben Schlitzpupillen war nicht zu deuten. Er schwieg,

während Nedeam den Pferdelords ein beschwichtigendes Zeichen gab und

vortrat. »Fangschlag, man beschuldigt dich des feigen Mordanschlags auf die

Hohe Dame Larwyn.«


»Fangschlag hat die Unruhe auf dem Hof bemerkt. Ich habe gehört, dass

ihr mit Waffen zu mir kommt.« Fangschlag lächelte grimmig. Seine Lefzen

glitten von den Fangzähnen zurück, und in diesem Augenblick ähnelte er der

Bestie, welche die meisten Menschen in ihm sahen. »Fangschlag ist ein

Krieger«, verkündete er stolz, »und wenn ich mit dem Pferdemenschen

Dorkemunt nicht Waffenruhe geschlossen hätte, würde ich nun gegen euch

kämpfen.« Er sah Nedeam an. »Du kennst mich, Pferdemensch Nedeam. Ich

töte wie ein Krieger. Ich habe mein Schwert nie in den Rücken eines

Menschen geschlagen.«


»Er hat es gestanden«, rief Garwin. »Ihr habt es gehört. Er kann nur

wissen, dass der Stachelpfeil Larwyn in den Rücken traf, weil er ihn selbst in

den Stuhl gesteckt hat.«


»Das gerade bezog sich auf seine Ehre als Krieger, nicht auf Larwyn«,

wandte Nedeam ein.


»Ihr habt mein Wort.« Der riesige Ork rührte sich noch immer nicht. »Ich

habe diese Kammer nicht verlassen.«


»Das Wort einer Bestie gilt nichts im Königreich des Pferdevolkes«,

knurrte einer der Schwertmänner.


»Ich bin Fangschlag«, versetzte das Rundohr. »Ich bin ein Krieger der

Orks und war ein Führer ihrer Legionen. Mein Wort ist wahr.«


»Hoher Herr, dort!« Einer der Schwertmänner deutete auf den Boden

neben der Bettstatt.


Nedeam sah hin und erkannte einen Beutel, der halb unter dem Bettgestell

versteckt war. Er selbst hatte so etwas nicht in seiner alten Kammer

aufbewahrt, und Dorkemunt gehörte es sicher auch nicht. »Was ist in dem

Beutel dort, Fangschlag?«


Das Rundohr wandte sich halb zur Seite und folgte Nedeams Fingerzeig.

»Was weiß ich? Er gehört mir nicht.«


Der Schwertmann, der den Fund gemacht hatte, schob sich seitlich an

Fangschlag vorbei und hob den Beutel auf. Den Blick misstrauisch auf den

Ork gerichtet, nestelte er an dem Lederriemen und öffnete ihn. Seine Augen

weiteten sich für einen Moment, dann sah er Nedeam mit mühsam

unterdrücktem Zorn an. »Seht selbst, Hoher Herr.«


Er warf den Beutel zu Nedeam hinüber, der ihn geschickt auffing. Garwin

und Elodarion sahen ihm über die Schulter.


»Stachelpfeile!«, stellte der Pferdefürst fest und konnte die Genugtuung in

seiner Stimme nicht unterdrücken. »Ich wusste es, einmal Bestie, immer

Bestie.«


»Sie gehören mir nicht«, knurrte Fangschlag. Seine Hände öffneten und

schlossen sich unbewusst, und man konnte die gefährlichen Krallen an seinen

Fingern erkennen. »Ich kämpfe nicht mit diesem fliegenden Tod. Meine

Waffe ist das Schlagschwert. Der Pferdemensch Dorkemunt kann das

bezeugen.«


»Ich habe gestern keinen solchen Beutel bei ihm gesehen.« Nedeam kratzte

sich nachdenklich im Nacken. »Allerdings trug er auch den Kapuzenumhang.

Vielleicht hielt er ihn darunter verborgen.«


»Du zweifelst an meinem Wort, Pferdemensch Nedeam?« Die Mimik des

Orks war nicht immer leicht zu deuten, doch diesmal drückte sie eindeutig

Überraschung aus. Die Gestalt des Rundohrs straffte sich. »Du irrst dich.«


»Es tut mir leid«, bekannte Nedeam. »Doch die Fakten sprechen gegen

dich.«


»Dann sagen diese Fakten nicht die Wahrheit.«


»Wir sollten ihn einfach töten.« Diese schlichten Worte kamen von

Kormund und verrieten seine Enttäuschung. »Er hat uns alle zum Narren

gehalten. Vor allem den guten Herrn Dorkemunt. Erschlagen wir die Bestie

ohne viel Aufhebens. Wozu noch einen Schiedsspruch?«


»Ihr Menschen«, zischte Fangschlag, und etwas Geifer tropfte zwischen

seinen Fangzähnen hervor. »Ihr seid alle gleich. Wäre ich einer von euch,

dann würdet ihr mir glauben. Aber meine Haut ist dunkel und fleckig. Das

reicht euch, um mich als Bestie anzusehen.«


Garwin schien zufrieden, da die Schuld des Orks nun erwiesen war. Diese

Gewissheit ließ ihn Großmut walten. »Wir sperren die Bestie in die Kammer

und bewachen sie. Morgen früh tritt das Gericht zusammen. Zum Mittag ist

diese Kreatur dann Geschichte.«


Das gewaltige Rundohr rührte sich noch immer nicht. Es sah Nedeam

unverwandt an. Lag da Hass oder Enttäuschung in seinem Blick? Nedeam

konnte es nicht sagen. Er nickte zu Garwins Worten und gab den

Schwertmännern einen Wink. Während diese zusammen mit den anderen die

Kammer verließen, schien der Beutel mit den Beweisen plötzlich doppelt

schwer in seiner Hand zu liegen.


»Es tut mir leid«, wiederholte er.


Fangschlag schwieg, als die Tür geschlossen wurde und sich mehrere

bewaffnete Schwertmänner davor aufbauten.


»Wir haben den alten Schmied Guntram rufen lassen, Erster

Schwertmann«, meldete einer von ihnen. »Er wird von außen einen Riegel an

der Tür anbringen. Keine Sorge, die Bestie wird uns nicht entkommen.«


Nedeam nickte wortlos und blickte zum Brunnen hinüber. Er musste

Dorkemunt von der feigen Tat des Rundohrs berichten. Der Erste

Schwertmann der Mark hätte nicht gedacht, dass ihm das so schwerfallen

würde.


Die Pferdelords 07 - Das vergangene Reich von Jalanne

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