Читать книгу Die Pferdelords 03 - Die Barbaren des Dünenlandes - Michael Schenk - Страница 7

Kapitel 5

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Der Reiter war von stattlicher Gestalt, und Gleiches galt für das Pferd, auf

dem er saß. Der Mann war nicht besonders groß oder muskulös, aber er

wirkte durchtrainiert und strahlte Kraft aus. Die Hände auf das Sattelhorn

gelegt, blickte er nach Süden, dorthin, wo sich die alte Handelsstraße von der

Hochmark zu den anderen Marken der Pferdelords erstreckte. Sein Gesicht

wirkte gleichermaßen würdevoll und freundlich und wies die Bräune und die

Falten eines Mannes auf, der einen guten Teil seines Lebens auf dem Rücken

eines Pferdes verbracht hatte. Nur vereinzelt waren noch blonde Strähnen in

seinem Haar zu sehen, das von den Erfahrungen des Lebens und von der

Verantwortung, die er trug, schon früh ergraut war. Der Reiter hieß Garodem,

der Pferdefürst der Hochmark.


Garodem war Ende fünfzig, und sein Alter bereitete ihm Sorgen, denn mit

den Jahren begann ihn der Sattel zu plagen. Doch die Vorstellung, eines

Tages nicht mehr reiten zu können, schmerzte ihn noch mehr, weshalb er jede

Gelegenheit nutzte, um seinen eisengrauen Hengst zu besteigen.


Er trug die typischen, fast kniehohen Stiefel des Reitervolkes aus gutem

rotbraunem Leder und dazu die einfachen hellbraunen Beinkleider der

Pferdelords. Der schwere Wollstoff war im Schritt und am Gesäß durch Leder

verstärkt und strapazierbar, wie alles, was ein Pferdelord benötigte. Das

Leben war immer hart für das Reitervolk gewesen und hatte abgehärtet. Zu

den Reithosen trug der Pferdefürst ein einfaches Wams und eine mit

Wolle gefüllte, abgesteppte Lederjacke, die ihm bis über die Hüften

reichte. Es war Sommer, aber hier oben in der Hochmark, die von

Gebirgszügen umschlossen war, wehte oft ein schwacher Wind, welcher der

Sommersonne die sengende Hitze nahm und unerwartete Kühle brachte. Der

Pferdefürst trug keine Rüstung und keinen Helm, doch hing von seinem

Schwertgurt das lange Schwert herab, dessen Handgriff einen kunstvoll

eingearbeiteten Pferdekopf mit Schmiedehammer zeigte, die alten Symbole

der Mark Garodems.


Man sah ihm den Pferdelord an, obwohl er im Augenblick nicht wie ein

solcher gekleidet war, denn um seine Schultern hing ein dunkelblauer

Umhang mit den eingestickten Symbolen der Mark. Die blaue Farbe war das

einzige sichtbare Zeichen seiner Amtswürde, wenn man von den vier Reitern

absah, die abwartend eine Pferdelänge hinter ihm verharrten.


Diesen Männern sah man schon von Weitem an, dass sie Pferdelords

waren. Sie führten die grünen runden Schilde mit dem blauen Rand der

Hochmark und dem weißen Pferdekopf der Pferdelords. Um ihre Schultern

hingen die langen grünen Umhänge der Kämpfer des Reitervolkes. Sie

führten Bogen und Schwert, und in ihren rechten Händen hielten sie die

langen Lanzen aufrecht. An einer der Lanzen flatterte ein langer dreieckiger

Wimpel, der wie die Schilde blau eingefasst war, jedoch auf dem grünen

Tuch ein springendes weißes Pferd zeigte, das sich dem Feind mit solcher

Macht entgegenwarf, wie ihm auch die Lanzen der Pferdelords begegnen

würden.


Von den rotbraunen und mit goldenen Leisten verzierten Helmen wehten

blau gefärbte Rosshaarschweife aus. Jede der Marken der Pferdelords hatte

ihre eigene Farbe, und die der Hochmark war ein kräftiges Blau.


Garodem beschattete seine Augen und blickte wieder auf die

Handelsstraße hinunter. Unten im Süden, dort wo die Straße in die Westmark

der Pferdelords führte, war Bewegung zu erkennen. Missmutig stellte

Garodem fest, dass sein Augenlicht ebenso nachließ wie die

Widerstandsfähigkeit seines Körpers. »Kormund«, brummte er dann, »Eure

Augen haben mehr Kraft als die meinen.«


Einer der Reiter, ein stämmiger Mann, der den Wimpel des Beritts führte,

lenkte sein Pferd neben Garodem. Kormund war Schwertmann und

Scharführer Garodems, was bedeutete, dass er zu der ständig bewaffneten

Wache des Pferdefürsten gehörte und berechtigt war, eine Truppe der

Pferdelords zu führen. Schon oft hatte er diese Fähigkeit bewiesen. Er senkte

den Kopf ein wenig, sodass der Helm seine Augen beschattete.


»Eine Handelskarawane, mein Hoher Lord.« Kormund verwendete die

offizielle Anrede, denn auch wenn Garodem und sein Scharführer gemeinsam

manchen Schwertstreich und Lanzenstoß Schulter an Schulter und Pferd an

Pferd ausgeteilt hatten, wahrten die Schwertmänner die Tradition. Nur bei

seltenen Gelegenheiten fielen die Schranken zwischen ihnen, und sie

erlaubten sich die direkte Anrede. »Ich erkenne Packpferde und beladene

Wagen. Holz aus den unteren Marken, Hoher Lord. Dreißig bis vierzig

Männer, darunter eine Handvoll bewaffneter Begleiter.«


Garodem nickte.


Über ihm und seiner kleinen Eskorte war leises Poltern zu hören.

Automatisch blickte der Pferdefürst über sich und sah einen Mann im grünen

Umhang am Rand des kleinen Plateaus auftauchen, auf dem sich das äußere

Signalfeuer des Südpasses befand. Dieses war lediglich auf einem kleinen

Fundament errichtet worden, da man vom Plateau aus einen guten Überblick

über die angrenzende Westmark hatte und die fernen Züge des Westgebirges

erkennen konnte. Von hier war auch ein Stück der alten Handelsstraße

einzusehen, die kurz vor dem Pass, der an dieser Stelle begann und in die

Hochmark führte, einen Bogen nach Nordwesten machte, um ins Dünenland

zu führen, das einst den Pferdelords gehört hatte und nun von Barbaren

beherrscht wurde.


»Handelskarawane aus dem Süden«, rief der Posten zu Garodem und

seinen Begleitern hinunter. »Wird in einem halben Tag den Pass erreichen.«


»Wir haben sie schon längst gesehen«, rief Kormund hinauf. »Obwohl

unsere Füße dichter am Boden sind als die deinen, Mortwin. Ihr solltet

weniger an die Weiber in Eternas denken und stattdessen mehr darauf achten,

was sich auf der Straße tut.«


Der Pferdelord oben auf der Plattform stieß einen leisen Fluch aus,

während Garodem unmerklich lächelte. Die kleinen Reibereien zwischen dem

Scharführer Kormund und dem ewig nörgelnden Mortwin waren in der

ganzen Mark bekannt, aber im Kampf gab es kaum ein besseres Paar, als

diese beiden erfahrenen Pferdelords.


»Reiten wir zurück, guter Herr Kormund«, befahl Garodem und zog sein

Pferd herum. »Überlassen wir die Begrüßung der Karawane dem guten Herrn

Mortwin. Ich will noch vor Ende des nächsten Tages zurück in Eternas sein

und mir den Holzeinschlag ansehen.«


Die kleine Gruppe des Pferdefürsten ritt in den Pass zurück. Der Zugang

wurde hier, an seinem äußeren Ende, durch keine Befestigung geschützt. Es

gab nur eine kleine Wachmannschaft für das Signalfeuer, doch diese

Vorsichtsmaßnahme reichte aus, denn der Pass konnte leicht geschützt

werden. Er war lang und an einigen Stellen sehr schmal, und die Felswände

ragten hoch empor und waren nicht zu ersteigen. Man konnte ihn nicht

umgehen. Nur oben im Norden gab es einen weiteren Zugang zur Hochmark,

von dem aus man direkt in das Tal von Eternas mit seiner Festung gelangte.


Während Garodem mit der kleinen Schar durch den Pass ritt, hallten die

Tritte ihrer Pferde hohl von den aufsteigenden Felswänden wider. Hier,

zwischen den Felsen, staute sich die Hitze des Tages, und Garodem öffnete

die Schlaufen, die sein Wams verschlossen. Vor ihnen richtete sich ein

langohriger Wildläufer auf, sah die herantrabenden Reiter einen Moment lang

erschrocken an und hoppelte dann hastig ein Stück vor ihnen auf dem Weg

entlang, bis er begriff, dass es wohl sinnvoller war, zur Seite auszuweichen,

und rasch zwischen einigen Gesteinsbrocken am Wegrand verschwand.


Erleichtert sah Garodem schließlich den Turm des inneren Signalfeuers

über der linken Felswand aufragen. Sie hatten das Ende des Passes fast

erreicht. Nördlich schlossen sich die Seitentäler und dahinter die Ebene von

Eternas an, wo der kühle Gebirgswind Linderung von der Hitze versprach. An

dieser Stelle verengte sich der Pass und war kaum noch eine Hundertlänge

breit. Auch hier waren die Seitenwände unpassierbar, und nur das wissende

Auge vermochte den schmalen und schwer zu erobernden Pfad zu erkennen,

der zwischen den aufragenden Felsen hindurch zum Turm hinaufführte.


Garodem hob grüßend die Hand, als seine Schar unter dem Turm vorbeiritt

und den Pass verließ. In einem Zehntag würden die Besatzungen der beiden

Signalfeuer abgelöst werden und ihren eintönigen Dienst unterbrechen, um

für ein paar Tage in Eternas zu entspannen. Aber der Wachdienst war

erforderlich, um die Hochmark vor unwillkommenen Besuchern zu schützen.


Zu gut hatten die Männer und Frauen der Pferdelords die Kämpfe gegen

die Orks in Erinnerung, die fast zum Untergang der Hochmark geführt hätten,

und sie alle spürten, dass die Gefahr noch nicht vergangen war und die Orks

früher oder später zurückkehren würden. Zudem gab es Geächtete, Menschen,

die von ihresgleichen verstoßen worden waren und ihr Auskommen nun in

räuberischen Überfällen suchten. Schließlich wurden im Norden und Westen

immer wieder Barbaren gesichtet, die gelegentlich Streifzüge in das Land der

Pferdelords unternahmen.


Obwohl die Hochmark im Gebirge lag, war das Gebiet recht groß. Zu Fuß

brauchte man knapp fünf Tage, um vom Südpass nach Eternas zu gelangen.

Aber wer im Land der Pferdelords ging schon zu Fuß? Die Pferde würden

Garodem und seine Schar in einem guten Tag zur Stadt und Burg tragen.


Sie ritten nun durch ein lang gestrecktes, weites Tal mit dichtem

Baumbewuchs am Ostrand. Es waren die üblichen, seltsam verkrüppelt

wirkenden Bäume der südlichen Hochmark, die sich nicht mit den riesigen

Stämmen vergleichen ließen, die in der Ebene von Eternas zu finden waren.

Trotz des dichten Bestandes und der Blätter bot der Wald keinen wirklichen

Sichtschutz, wollte sich denn eine Horde übler Gestalten darin verstecken.

Ein Stück voraus waren im Wald die Spuren eines älteren Holzeinschlages zu

erkennen, wo man das Holz für die Signalfeuer gefällt hatte.


Die Begleiter Garodems spürten, dass der Pferdefürst seinen Gedanken

nachhing, und schwiegen respektvoll. Nur gelegentlich tauschten sie eine

geflüsterte Bemerkung aus, während ihre Blicke stetig nach Gefahr suchten.

Die Hochmark mochte zwar für zweibeinige Wesen nur über die beiden Pässe

erreichbar sein, aber dies galt nicht für wilde Tiere, die immer wieder ihren

Weg in die Täler und die Ebene fanden. Da war der große, stämmige

Pelzbeißer mit seinem dichten Fell sowie den vier scharfen Krallen an seinen

Pranken und dem mächtigen Kopf und Fängen, welcher einem Mann mühelos

den Arm abreißen konnten. Oder die Raubkralle, ein schlankes und schönes

Tier, so groß wie ein Wolltier, doch mit tödlichen Krallen und einem

mörderischen Gebiss mit langen Reißzähnen versehen. Meist lebten und

jagten die gefährlichen Räuber im Rudel von drei oder vier Tieren, und schon

manches Wolltier oder Hornvieh der Hochmark war ihnen zum Opfer gefallen.Nicht umsonst waren die Herdenwächter der Pferdelords bewaffnet. Schon

mancher Räuber hatte unter ihren Pfeilen und Lanzen das Leben verloren, aber

es gab auch Fälle, in denen Raubkralle oder Pelzbeißer den Kampf für sich

entschieden hatten. So waren auch die Frauen auf den einsam gelegenen

Gehöften durchaus wehrhaft und verstanden sich auf den Umgang mit Pfeil

und Bogen. Sie mussten Heimstatt und Kinder und auch die kleinen Herden

schützen, wenn ihre Männer vom Pferdefürsten durch die Losung gerufen

wurden. Diese verpflichtete jeden Pferdelord, sich auszurüsten und sich zu

versammeln, um dem Fürsten seiner Mark in den Kampf zu folgen.


Garodem war dieser Tradition immer verpflichtet gewesen, auch damals,

als er die Isolation gesucht hatte. Sein Vater, der König, war gestorben und

die Königswürde war auf seinen Bruder übergegangen, dem Garodem den

Treueid der Pferdelords geleistet hatte. Dann hatten die Horden der Orks die

Reiche der Menschenwesen überfallen. Garodem hatte den Treueid erfüllt,

doch war er seinem Bruder nicht mehr begegnet, da dieser in der großen

Schlacht vor der weißen Stadt des Reiches der weißen Bäume gefallen war.

Garodem litt noch immer darunter, sich nicht mehr mit dem Bruder versöhnt

zu haben. Bereitwillig verzichtete er auf den Thronanspruch, der damit auf

den Sohn seines Bruders überging, und so war nun Reyodem der König der

Pferdelords. Garodem vermisste die unteren fruchtbaren Marken des

Pferdevolkes nicht, denn hier in der Hochmark hatte er Larwyn kennen und

lieben gelernt.


Larwyn war eine Frau von außergewöhnlicher Anmut und Schönheit, die

jünger an Jahren war und allein durch den Blick ihrer Augen Frieden und

Liebe in sein Herz senkte. Ja, sie war sanft und anmutig, seine Larwyn, doch

zugleich auch stark und beharrlich.


Sie war eine echte Frau des Pferdevolkes und scheute vor keiner

Auseinandersetzung und keinem Kampf zurück. Manchmal glaubte Garodem,

sich nicht wirklich bewusst zu machen, welches Glück er mit ihr gefunden

hatte. Sein Herz wurde weich, als er an seinen eigenen Sohn Garwin dachte,

den Erben der Hochmark, den Larwyn ihm geschenkt hatte. Garwin würde ein

rechter Pferdelord werden, dafür wollte Garodem sorgen. Er war nun fast fünf

Jahre alt und erkundete die Welt bereits auf eigenen Füßen. Nicht immer zur

Freude seiner Umwelt und oft zur Sorge der Eltern, denn Garwin ließ keine

Gelegenheit aus, seine vorwitzige Neugier unter Beweis zu stellen.


Auf halbem Weg nach Eternas erreichten Garodem und seine Schar den

Quellweiler. Es war schon fast dunkel, und so beschloss der Pferdefürst, hier

zu übernachten. Seine Knochen schmerzten ein wenig, doch er redete sich

ein, es würde ihm nichts ausmachen, wie früher unter freiem Himmel zu

übernachten. Er sagte sich, dass er den Weiler nur deshalb ansteuerte, um den

Bewohnern die Möglichkeit zu geben, von ihren Sorgen und Nöten und von

ihren Freuden zu berichten. Er legte sein Ohr gerne an die Lippen der

Menschen, um ihre Bedürfnisse zu erfahren, denn er war für sie

verantwortlich und fühlte sich ihnen verbunden.


An diesem Abend hatte Garodem die unerwartete Gelegenheit, einer

Hochzeit beizuwohnen. Während das Brautpaar traditionell Wasserflasche

und Zügel teilte, dachte er an seine eigene Zeremonie zurück, und eine

unbändige Sehnsucht nach Larwyn erfüllte ihn.


Vielleicht trieb ihn dies in aller Frühe von der strohgefüllten Bettstatt.

Kormund sah seinen Fürsten überrascht an, als dieser zu unerwartetem

Zehnteltag in den Wohnraum des Hauses trat, das der Älteste ihnen für die

Nacht überlassen hatte. Die meisten Bewohner des Weilers schliefen noch

unter der Einwirkung des am Abend zuvor reichlich genossenen Alkohols,

und so bat Garodem den Ältesten, die Menschen nochmals von ihm zu

grüßen, bevor er dann mit seiner kleinen Schar weiter nach Eternas zog.


Er ritt scharf und konnte es kaum erwarten, wieder zu Larwyn und seinem

Sohn Garwin zu kommen. In seinem Rücken knatterte der Berittwimpel an

Kormunds Lanze im Reitwind. Erst als sich die Ebene von Eternas vor ihnen

öffnete, zügelte Garodem sein Pferd und ließ den Anblick auf sich einwirken.


Die Ebene von Eternas zog sich zwischen den zu beiden Seiten

aufragenden Bergrücken entlang. In der Mitte wurde sie durch den

Gebirgsfluss Eten geteilt, der in sanftem Bogen von Süden nach Norden floss.

Zunächst an der Stadt Eternas vorbei, dann an der gleichnamigen Burg, bevor

er am nördlichen Pass die Hochmark verließ. In der Ebene gab es fetten,

kostbaren Mutterboden, der zusammen mit dem Wasser des Flusses für

fruchtbare Weiden sorgte. Beinahe um die gesamte Ebene zog sich ein dichter

Ring der seltenen Gebirgswälder, die unter dem strengen Schutz Garodems

standen. Vielleicht wäre dies nun, da die Hochmark Holz aus den anderen

Marken erhielt, nicht mehr erforderlich gewesen, aber Garodem wollte

unabhängig bleiben. Denn niemand wusste, ob nicht irgendwann ein erneuter

Krieg gegen die Orks den Handel zum Erliegen bringen würde und die

Hochmark dann wieder auf die eigenen Ressourcen angewiesen war.


Scharführer Kormund trieb sein Pferd neben das des Pferdefürsten, der den

stämmigen Pferdelord lächelnd ansah. »Es kommt mir immer wieder wie ein

kleines Wunder vor, mein guter Herr Kormund, so tief im Gebirge auf solche

Schönheit zu treffen.«


»Guter Grund und gutes Wasser, mein Hoher Lord«, bemerkte Kormund

sachlich. »Und gut zu verteidigen.«


Kormund war nun einmal Soldat und sah es pragmatischer als Garodem,

der Freude am Wachstum seiner Hochmark empfand. Der Pferdefürst nickte.

»Und gute Menschen, mein Freund. Vergesst nicht, dass all dies nicht ohne

die Männer und Frauen erreicht worden wäre, die mir hierhin folgten.«


»Das ist wohl wahr, mein Hoher Lord.« Kormund wies mit der

Wimpellanze über die Ebene. »Die Mark ist gewachsen, weitaus stärker

vielleicht, als wir erwartet haben.« Er sah den Pferdefürsten nachdenklich an.

»Vielleicht sogar stärker, als für die Hochmark zuträglich ist.«


Garodem trieb sein Pferd an. »Wie meint Ihr das, guter Herr Kormund?«


Kormund gab den anderen drei Reitern einen Wink und ritt an die Seite

seines Pferdefürsten. »Immer mehr Menschen leben in Eternas, mein Hoher

Lord. Sie alle wollen versorgt sein.«


Sie trabten nun durch einige der Felder, die Eternas wie ein goldgelber

Ring umgaben. »Die Felder tragen reich und die Vorratskammern sind voll,

guter Herr Kormund.«


»Das kann sich rasch ändern.« Kormund räusperte sich und blickte zu den

Häusern am Stadtrand, denen sie sich nun näherten. »Denkt an den Kampf

gegen die Legion der Orks, den wir vor Jahren ausgefochten haben. Wir

hätten nicht mehr lange bestehen können.«


»Ich weiß, mein Freund«, brummte Garodem.


Sie erreichten die Häuserreihen, und die Hufe ihrer Pferde klapperten über

gepflasterte Straßen. Ein Luxus, der in Eternas zur Notwendigkeit geworden

war, denn die Regenstürme des Herbstes und der Winterzeit durchweichten

den Boden und machten ihn fast unpassierbar für schwere Wagen, die

erforderlich waren, um die Stadt zu versorgen. Inzwischen ließ Garodem auch

die Straße, die Eternas mit der Handelsstraße vor dem Südpass verband, mit

Steinen auslegen und verstärken, denn die Räder der schweren Fuhrwerke

hatten bereits tiefe Furchen in den Boden gegraben. Wenn es regnete,

sammelte sich darin das Wasser, wodurch die Wege unbenutzbar wurden. Die

Bedeckung mit den sorgfältig behauenen Steinplatten sollte dem Abhilfe

schaffen.


Das Pflaster der Straßen verbarg zudem eine Neuerung, die Larwyn auf

den Rat der Heilerin Meowyn hatte umsetzen lassen.


Am Anfang, als man die Stadt mit wenigen hundert Menschen errichtete,

hatten Mann und Frau sich einfach außerhalb der Häuser erleichtert. Die

Gemahlin des Pferdefürsten hatte dafür gesorgt, dass sich das änderte. Sie ließ

Rinnen zwischen den Häusern anlegen, die ein geringes Gefälle aufwiesen

und seitlich mit Mauern eingefasst waren. doch als mit dem Aufblühen des

Handels immer mehr schwere Fuhrwerke durch die Straßen rollten, hatte

Larwyn metallene Rohre gießen lassen, die im Boden versenkt wurden und

den Unrat zum Fluss ableiteten. Dadurch war es möglich geworden, die

wichtigsten Straßen vollständig zu pflastern. Die Ableitung des Unrats hatte

für einige Bewohner Eternas einen neuen Broterwerb gebracht. Seit knapp

einem Jahr gab es die Dungschlepper, welche die wertvollen Exkremente aus

dem Abwasser schöpften und zu den Feldern brachten, wo er als Dünger

verwendet wurde.


»Orks«, brummte Kormund einsilbig.


Garodem sah ihn verwirrt an, und der Scharführer wies auf ein Haus mit

geschwärzten Stellen unter dem Giebel. »Orks, mein Hoher Lord. Damals, als

die Legion der Bestien Eternas überfallen und die Stadt genommen hat. Das

Haus hat damals gebrannt.« Kormund wies auf ein weiter vorne liegendes

Haus. »Dort habe ich damals zwei Rundohren erschlagen, als wir den

Gegenangriff vortrugen. Ah, das war ein guter Kampf, Garodem, mein Hoher

Lord.«


»Das ist wohl wahr«, bestätigte Garodem. »Aber wir waren zu wenige und

hätten ihn beinahe verloren. Aber nun ist das Pferdevolk wieder vereint, und

wir haben ein neues Bündnis mit dem Reich der weißen Bäume und den

Elfen.«


»Und mit den Zwergen«, ergänzte Kormund und lachte leise auf. Das

Lachen verwandelte sein finster wirkendes Gesicht auf erstaunliche Weise.

»Dem tapferen Herrn Balruk und seinen Axtschlägern aus der grünen

Kristallstadt Nal’t’rund.«


Die beiden sahen einander vergnügt grinsend an. Auch der Kampf um die

Kristallstadt, bei dem die Pferdelords den Zwergenwesen beigestanden und in

ihnen neue Freunde gefunden hatten, war ein guter Kampf gewesen.

Nebeneinander trabten der Fürst und sein Scharführer die Hauptstraße

entlang, wobei Kormund einmal hastig die Lanze mit dem Wimpel einziehen

musste, als sie dicht unter einem Hausvorsprung hindurchritten. Er stieß ein

leises Knurren aus und wurde wieder ernst. »Zu viele Menschen.«


»Was wollt Ihr damit sagen, guter Herr Kormund?« Garodem sah seinen

Scharführer auffordernd an.


»Sie werden wiederkommen. Bald, mein Hoher Lord. Ich spüre es in den

Knochen.«


»Nichts gegen Eure Knochen, mein alter Freund«, seufzte Garodem. »Aber

auch ich spüre meine Knochen, und das liegt bestimmt nicht am Nahen der

Orks.«


»Es ist schon zu lange ruhig, Garodem, mein Herr. Fast drei Jahre lang

sind wir ohne guten Kampf gewesen.«


Garodem lachte leise auf. »Nichts für einen richtigen Pferdelord, nicht

wahr? Euch juckt die Lanze in den Händen.«


Kormund nickte und wies mit einer unbestimmten Geste um sich. »Seht

Euch um, mein Hoher Lord Garodem. Viel zu viele Menschen, und sie

werden satt und träge. Als wir um unser tägliches Brot kämpfen mussten,

waren die Menschen hartgesottener. Oh, die Männer und Frauen in den

Gehöften und Weilern sind noch immer hart, Garodem, mein Herr. Aber die

Menschen hier in Eternas üben sich kaum noch im Gebrauch der Waffen. Sie

schätzen nicht mehr die Kraft der Lanze, sondern nur noch die Weichheit der

Gewänder und den Genuss des Blutweins aus Malvins Schänke.«


Garodem sah den Scharführer nachdenklich an. »Ich verstehe, was Ihr

meint, alter Freund. Ihr mögt nicht ganz unrecht damit haben.«


Der Pferdefürst blickte freundlich um sich, nickte den Menschen zu und

begriff, dass Kormund sie mit anderen Augen sah. Und als Garodem die

Bewohner der Stadt nun selbst näher betrachtete, fielen ihm mit einem Mal

Veränderungen auf, die er bislang nicht beachtet hatte. Einiges an Kormunds

Worten war nur allzu wahr. Die Menschen von Eternas begannen sorglos zu

werden. Garodem musterte die Gebäude. Manche der Türen waren längst

nicht mehr so massiv und widerstandsfähig gebaut, wie dies noch vor

wenigen Jahren der Fall gewesen war. Sie waren leichter, zierlicher und

bequemer zu betätigen. Auch manche der Fensterläden wiesen diesen Makel

auf, und Garodem erkannte überrascht, dass in vielen der Fensterklappen

nicht einmal mehr Schießscharten vorhanden waren, durch die Pfeile auf

einen Angreifer abgeschossen werden konnten.


Der Pferdefürst räusperte sich nachdenklich und sah seinen Scharführer

ernst an. »Ich fürchte, an Euren Worten ist mehr wahr, als mir lieb sein kann.

Ich werde mit Larwyn darüber sprechen.«


Kormund verlor kein Wort darüber, dass sein Pferdefürst ein ernstes

Problem mit seiner Gemahlin besprechen wollte. Ein guter Pferdelord

besprach alle Probleme mit seinem Weibe, denn schließlich teilten sie nicht

nur die Bettstatt miteinander, sondern hatten auch eine gemeinsame

Verantwortung für ihr Leben und das ihrer Kinder. Kormund spuckte aus.

Vielleicht galt dies für die Bewohner Eternas ja gar nicht mehr. Aber Larwyn

war keine Bewohnerin der Stadt, sie war eine rechtschaffene Frau des

Pferdevolkes, und es war gut, wenn Garodem sich mit ihr besprach.


Der Scharführer war froh, die bedrückende Enge zwischen den Häusern

der Stadt hinter sich lassen zu können, und vielleicht ging es Garodem

ebenso, denn der Fürst trieb sein Pferd zu einem raschen Galopp, der die

kleine Gruppe über den breiten und mit geebneten Steinen ausgelegten Weg

hin zur Burg führte.


Doch zuvor lenkte Garodem sein Pferd noch über die steinerne Brücke an

das gegenüberliegende Ufer des Flusses Eten. Kormund bemerkte die

überraschten Blicke der Torwache, als sie kurz vor dem Ziel noch einmal

abbogen und die kleine Schar Garodem über die Brücke folgte.


Am anderen Ufer erstreckten sich die Baumbestände der Hochmark. Jene

Bestände, die aufgrund ihres hohen und geraden Wuchses so wertvoll waren.

Gerades und starkes Holz für gute Pfeile und gute Lanzen. Vor den dichten

Baumreihen erstreckte sich ein flacher langer Hügel. Ein viel zu langer Hügel,

denn seine Erde bedeckte die Opfer der Schlacht um Eternas: Männer, Frauen

und Kinder, die im Kampf gegen die Orks gefallen waren.


Garodem stoppte sein Pferd, ließ die Zügel fallen und saß ab. Sein Pferd

würde dort selbst im dichtesten Schlachtgetümmel stehen bleiben, bis er es

wieder herbeirief, denn es war zum Kampf ausgebildet.


Der Pferdefürst schritt zu dem Hügel hinüber, und seine Gedanken waren

bei jenen, die nach dem Glauben des Pferdevolkes nun zwischen den

Goldenen Wolken einhereilten.


»In des Lebens Wonne und des Todes Not, soll Eile sein stets das Gebot,

in Treue fest dem Pferdevolk, der Hufschlag meines Rosses grollt, soll Lanze

bersten, Schild zersplittern, so wird mein Mut doch nie erzittern, ich stehe fest

in jeder Not, mit schnellem Ritt und scharfem Tod.«


Es war der Treueid des Pferdevolkes, den jeder Pferdelord leistete, wenn er

den grünen Umhang erhielt, und Kormund und die anderen Begleiter

Garodems lauschten ergriffen den leisen und festen Worten ihres Fürsten.

Keiner von ihnen würde diesen Eid jemals brechen oder vergessen, dass die

hier ruhenden Toten gestorben waren, um dem Pferdevolk eine Zukunft zu

ermöglichen. Kormund wusste, das der Pferdefürst und viele seiner

Schwertmänner oft an diese Stätte der Erinnerung kamen, um den Toten Ehre

zu erweisen, aber er konnte sich nicht erinnern, in den letzten beiden Jahren

einen der Stadtbewohner hier gesehen zu haben, und das erfüllte ihn mit

wachsendem Grimm.


Garodem blickte an dem langen Hügel entlang, dann atmete er tief durch

und schwang sich wieder auf sein Pferd.


»Zur Burg, alter Freund Garodem?«, fragte Kormund mit gesenkter

Stimme, noch immer unter dem Eindruck von Garodems Worten.


Der Pferdefürst atmete erneut tief durch und schüttelte den Kopf. »Nein,

ich will erst nach dem Holzeinschlag sehen, Kormund, alter Freund.« Er legte

die Hand in einer kurzen und freundschaftlichen Geste auf Kormunds Arm.

»Wir dürfen das hier niemals vergessen.«


Kormund wollte Garodem in diesem Moment nicht darauf hinweisen, dass

es sehr wohl Menschen gab, die diesen Ort bereits aus ihrem Gedächtnis

verbannt hatten. »Das werden wir nicht. Kein wahrer Pferdelord wird das

Geschehen jemals vergessen.«


Garodem nickte. »Ihr könnt mit den anderen zur Burg reiten. Ich folge

euch dann später nach.«


Kormund nickte zögernd. Aber zwischen den Bäumen hindurch ertönten

das Schlagen von Äxten und die Stimmen von Männern und Frauen, sodass

Garodem wohl keine Gefahr durch ein Raubtier mit vier oder zwei Beinen

drohen dürfte. Er nickte erneut, winkte dann den anderen Männern, und die

kleine Schar trabte über die Brücke zur Burg hinüber, während Garodem sein

Pferd zum Holzeinschlag lenkte.


Diesseits der Brücke gab es keine gepflasterten Wege mehr, und so hatten

sich hier die Räder der Holztransporter tief in den Boden gegraben. Es war

leicht, dem Lärm zu folgen und den Ort zu finden, wo Männer und Frauen aus

Eternas die ausgewiesenen Bäume fällten. Garodem sah zu den Wagenspuren

und stieß ein missmutiges Knurren aus. Die Abdrücke unterschieden sich und

zeigten dem Pferdefürsten, dass hier Fuhrwerke aus der Hochmark neben

denen einer anderen Mark gerollt waren. Die Räder der Hochmark

hinterließen schmale Furchen, die anderer Fahrzeuge sehr viel breitere. Der

Grund lag in der unterschiedlichen Beschaffenheit der Räder. Der einstige

Holzmangel der Hochmark hatte zur Entwicklung von stabilen

Speichenrädern geführt. Das sparte kostbaren Rohstoff und machte die Räder

sehr viel leichter. Die waldreichen anderen Marken des Pferdevolkes

benutzten noch immer die traditionellen Scheibenräder aus massivem Holz,

die jedoch weniger stabil waren und daher fast doppelt so breit gebaut werden

mussten, wodurch sie sehr viel schwerer wurden. Auf diesem Pfad war ein

ebensolches Fuhrwerk gerollt, was den Unmut des Pferdefürsten hervorrief,

denn es hatte hier nichts zu suchen.


Garodem ließ seinen Hengst im Schritt gehen, und langsam wurde der

Lärm der Arbeiter deutlicher. Er vernahm das Schnalzen von Peitschen, Rufe

und das Schlagen der Äxte, dazwischen das Knarren und Brechen fallender

Stämme, gemischt mit dem Rauschen der Äste, sobald sie mit den Blättern

auf den Boden schlugen.


»Aus dem Weg mit dir, willst du erschlagen werden?«, drang ein wütender

Zuruf an Garodems Ohren, und ein Mann trat, mit seiner Axt gestikulierend,

zwischen den Bäumen hervor. »Der Baum wird gleich fallen.« Der

Holzarbeiter kniff die Augen zusammen und erkannte erst jetzt den

Pferdefürsten. Errötend neigte er den Kopf zum Gruß. »Verzeiht, mein Hoher

Lord, ich habe Euch nicht erkannt.« Er räusperte sich. »Dennoch, geht aus

dem Weg, zu Eurer eigenen Sicherheit.«


Der Mann hatte kaum ausgesprochen, als auch schon ein Knarren und

Rauschen zu hören war. Der Holzarbeiter trat in den Schutz eines dicken

Stammes, und Garodem lenkte sein Pferd zur Seite. Nur ein Stück von ihnen

entfernt schlug der gefällte Baum zu Boden. Eine Wolke von Blättern und

abspringenden Ästen wirbelte auf, und einige Holzsplitter flogen umher, ohne

jedoch jemanden zu verletzen, denn die gewarnten Holzarbeiter hatten sich

rechtzeitig in Sicherheit gebracht.


Garodem nickte dem Mann zu, dann stieg er ab, ließ die Zügel hängen und

ging in Richtung des gefällten Stamms, von wo erneut das Schlagen von

Äxten sowie Stimmen ertönten. Er schritt an einigen Bäumen vorbei, deren

Rinde einen kreuzförmigen Schnitt aufwies. Garodem hatte sie persönlich auf

diese Weise markiert und sie so zum Schlag freigegeben. An einem der

Bäume kletterte gerade ein Mann hinauf, um starke Lederseile am Stamm

unterhalb der Krone zu befestigen. Danach würde man an dessen Basis mit

Äxten die beiden Kerben schlagen, die den Baum schwächten. Das Setzen der

Kerben würde die Fallrichtung bestimmen, und die Männer an den Leinen

sollten dafür sorgen, dass sich der Baum beim Sturz nicht drehte oder sich im

Geäst benachbarter Stämme verfing.


An dem soeben gefällten Baum waren andere Männer dabei, die Äste

abzuschlagen, und Garodem erkannte zufrieden einen seiner Schwertmänner

und den alten Schmied Guntram unter ihnen, welche diese Arbeit

beaufsichtigten. Die grauen Haare und die etwas gebeugte Körperhaltung des

muskulösen Schmiedes waren unverkennbar, ebenso seine spitze Zunge, für

die er bekannt war. Er galt als etwas streitsüchtig, und dass sein Mund fast

zahnlos war, ging auf einen kurzen, aber intensiven Disput mit dem Ersten

Schwertmann von Garodems Wache zurück. Doch trotz seiner zunehmenden

Kurzsichtigkeit war er noch immer einer der besten Waffenschmiede in der

Hochmark.


Gerade scheuchte Guntram einen der Holzarbeiter vom Stamm zurück.

»Bist du den dunklen Abgründen verfallen, du Narr? Siehst du nicht, wie gut

dieser Ast gewachsen ist? Er wird eine hervorragende Lanze abgeben, aber du

willst den schönen Schaft zerschlagen!«


Der Schmied hatte den Oberkörper entblößt, wie viele der anderen Männer

auch, und ließ dabei viele alte Narben sehen, die von vergangenen

Verletzungen herrührten. Späne und Blätter klebten auf der schweißnassen

Haut und verliehen Guntram das Aussehen eines fremdartigen Wesens. Der

neben ihm stehende Schwertmann ertrug die herrschende Hitze mit stoischer

Miene. Die Tradition der Schwertmänner verlangte das Tragen des Helms mit

Rosshaarschweif und des grünen Umhangs, und kein wahrer Pferdelord hätte

mit diesem Brauch gebrochen. Schweiß sickerte unter dem Stirnschutz des

Mannes hervor, sammelte sich in seinem dunklen Bart und tropfte von dort

auf den Boden. Der Schwertmann runzelte die Stirn, als ein anderer Arbeiter

ihm einige kleinere Äste zeigte, sortierte einige von ihnen aus und hielt die

anderen Guntram hin. Der alte Schmied führte die Holzstücke dicht vor seine

Augen, runzelte ebenfalls die Stirn und seufzte leise.


»Krumm und schief. Das taugt allenfalls für die Pfeile eines orkischen

Spitzohrs. Sind ja für ihre schlampige Arbeit bekannt, die Bestien.« Guntram

warf die meisten der Äste achtlos zu Boden und behielt nur drei zurück. »Die

hier mögen brauchbare Pfeile abgeben.« Der Schmied grinste den Kämpfer

zahnlos an. »Und wenn ich sie bearbeite, werden sie sogar ganz

ausgezeichnete Pfeile abgeben.«


Der Schwertmann blickte über Guntrams Schulter hinweg und sah nun

Garodem. Grüßend legte er eine Hand an den Schwertgriff und schlug die

andere zur Faust geballt an seine Brust. Guntram wandte sich um und

blinzelte kurzsichtig. »Ah, nicht die Herrin Larwyn, oder? Nein, nicht die

Herrin.« Guntram blinzelte erneut und grinste dann. »Ah, seid gegrüßt, Hoher

Lord Garodem. Wir werden gute Lanzen und Pfeile bekommen, wirklich gute

Pfeile und Lanzen.«


Der Schmied nickte bekräftigend zu seinen Worten und hielt Garodem die

Äste entgegen. Garodem betrachtete sie fachkundig und nickte. »Ich kenne

die Fertigkeit deiner Hände, guter Herr Guntram. Du machst noch immer die

besten Waffen und Rüstungen.«


»Ah, das tue ich gewiss, Hoher Herr. Das tue ich gewiss.« Guntram wies

auf einige der abgeschlagenen Äste. »Gut gewachsenes Holz, und es sind

einige schöne gerade Stücke dabei. Der Schaft der Lanze muss dem Wuchs

folgen, das macht ihn stabil. Eure Pferdelords werden gute Lanzen von mir

bekommen. Hervorragende Schäfte und Spitzen. Und auch erstklassige

Pfeile.« Guntram sah den Schwertmann neben sich grinsend an. »Der gute

Herr Schwertmann wird dies bestätigen können, auch wenn ich nicht glaube,

dass er ein Ziel mit dem Pfeil zu treffen vermag.«


Der Schwertmann errötete ein wenig. »Macht Ihr nur gerade Pfeile, guter

Herr Guntram, dann sorge ich dafür, dass sie ihr Ziel erreichen.«


Garodem merkte, dass der alte Schmied eine Gelegenheit suchte, ein wenig

zu streiten, und unterdrückte ein Lächeln. Er blickte den Schwertmann an.

»Sagt, guter Herr Haronem, ich sah Spuren eines Wagens aus einer der

anderen Marken.«


Der Schwertmann Haronem nickte und wies nach links. »Der Händler

Helderim kam mit einem solchen Wagen und einem Mann aus der Westmark.

Sie sind dort vorne, direkt am Weg, mein Pferdefürst.«


Garodem nickte dankend und schritt in die Richtung, in die sein

Schwertmann gewiesen hatte. »Ich glaube nicht, dass Ihr mit dem Bogen

trefft«, hörte er Guntrams Stimme hinter sich. »Aber vielleicht seid Ihr ja

schnell genug, um viele Pfeile in Folge zu lösen, dann erhöhen sich Eure

Chancen, zumindest mit einem von ihnen das Ziel zu erreichen.«


»Ich vermag Euch allemal zu zeigen, wie schnell meine Finger ihr Ziel

erreichen«, ertönte die gereizte Antwort Haronems. »Ihr solltet auf Eure drei

letzten Zähne achten, guter Herr Guntram, sonst werdet Ihr mit ihnen kein

Fleisch mehr reißen können.«


Garodem lachte leise auf, während die Stimmen der beiden Streitenden

verklangen, je näher er dem Waldweg kam. Der Pferdefürst erkannte die lang

gestreckte Silhouette eines Frachtwagens zwischen den Bäumen nahe des

Weges, und seine Stimmung verdüsterte sich wieder. Dies war eindeutig ein

Fuhrwerk aus einer anderen Mark, das hier nichts verloren hatte. Er würde

später unter vier Augen mit Haronem sprechen müssen, denn der

Schwertmann hätte den Wagen gar nicht in den Wald hineinlassen dürfen.


Das Gefährt mit den massigen Scheibenrädern wurde von sechs Pferden

gezogen und war bereits hoch mit sorgfältig auf Maß gebrachten Stämmen

beladen. Geschmiedete Ketten würden die Fracht während der Fahrt auf dem

Fahrzeug halten. Der Fahrer saß auf dem schmalen Bock und nickte Garodem

gelangweilt zu. Ein Fremder, der den Pferdefürsten wohl für einen der

Stadtbewohner Eternas’ hielt, und so nickte ihm Garodem nur kurz zu, um

sich dann den beiden Männern zuzuwenden, die hinten am Wagen standen

und das aufgeladene Holz begutachteten.


Den Fremden kannte Garodem nicht, es war offensichtlich der Händler aus

der Westmark, von dem der Schwertmann gesprochen hatte, doch der andere

Mann war unverkennbar Helderim, der wohl bekannteste Händler der

Hochmark. Im Gegensatz zu seinem Weib Gunwyn wirkte Helderim eher

klein und schmächtig, und seine Stimme klang stets ebenso besorgt, wie seine

Gesten nervös wirkten. Helderim hielt eindeutig einen Kaufvertrag in der

Hand, denn Garodem erkannte die zusammenklappbaren hölzernen Tafeln,

die an den Innenseiten mit Wachs beschichtet waren. Die Händler machten

auf ihnen ihre Eintragungen, indem sie Zeichen mit einem kleinen Stift in das

Wachs ritzten und später ihr Siegel darunterpressten. Beide Vertragsparteien

erhielten dann eine Seite des Dokuments, die ein getreues Duplikat der

anderen war. Sie benutzten dafür nicht das teure steife Papier aus den Rinden

der Bäume, denn sie waren sparsame Männer. Manche nannten sie sogar

geizig, denn nach erfülltem Vertrag schmolzen sie das Wachs der Tafeln

wieder ein, um es erneut nutzen zu können. Helderim sah Garodem näher

treten und errötete ein wenig.


»Mein Hoher Lord Garodem, dies ist der gute Herr Lispan aus der

Westmark. Er interessiert sich für unser Holz, mein Hoher Lord.« Er sah den

anderen Händler an. »Gutes und starkes Holz, wie Ihr sehen könnt, guter Herr

Lispan, nicht wahr?«


Der Fahrer blickte vom Bock herunter zu den Händlern. »Der Käfer sitzt

unter der Borke, Ihr Herren. Wird nicht viel davon übrig bleiben, bis wir die

Westmark erreicht haben.«


Helderim schnaufte empört, und Garodem erkannte, dass der Fahrer seinen

Händler gezielt unterstützte. Die beiden waren offensichtlich aufeinander

eingespielt und versuchten auf diese Weise den Preis herunterzuhandeln.

Helderim trat an einen der aufgeladenen Stämme heran und kratzte über die

Rinde. »Da ist kein Käfer«, sagte er entschlossen.


»Also ich habe einen gesehen«, versicherte der Fahrer.


»Die Stämme sollten geschält sein«, stimmte der Händler der Westmark

zu. »Das vertreibt den Käfer.«


»Welche Käfer? Da sind keine Käfer.« Helderim klopfte gegen das Holz.

»Hört Ihr den satten Klang? Massives Holz, keine Kriechgänge von Käfern.

Bestes Holz der Hochmark.«


Garodem hob die Hand und unterbrach die Männer. »Dies ist Holz der

Hochmark auf einem Wagen der Westmark. Dem Handel nach gilt, dass die

Hochmark Holz aus den anderen Marken bezieht, jedoch keines nach dort

verkauft. Wer gab die Erlaubnis, dies zu tun?«


»Die Hohe Dame Larwyn, Hoher Lord«, sagte Helderim hastig, der den

Unmut in Garodems Stimme bemerkt hatte. »Ich, äh, erzählte der Herrin, wie

neidvoll die anderen Marken auf die starken und leichten Räder unserer

Hochmark blicken und dass diese nur taugen, wenn sie aus dem Holz der

Gebirgsstämme gefertigt werden.«


»So, die Hohe Dame Larwyn«, brummte Garodem. Dann würde er mit ihr

wohl über diese Angelegenheit sprechen müssen. Sie wusste, dass er nicht die

Absicht hatte, die wenigen Rohstoffe der Hochmark zu verschwenden, und

die Lieferung von Holz in die holzreichen anderen Marken empfand er als

eine ebensolche sinnlose Verschwendung. Der Handel mit dem Holz der

Hochmark unterlag allein dem Pferdefürsten, und dies war allen Bewohnern

der Mark bekannt. Helderim würde niemals riskieren, gegen sein Gebot zu

verstoßen, also musste Larwyn ihm tatsächlich die Erlaubnis gegeben haben.


»Es ist ein gutes Geschäft, mein Hoher Lord Garodem«, versicherte

Helderim rasch. »Nur sehr wenig gutes Holz aus der Hochmark gegen sehr

viel gutes Holz aus der Westmark.« Helderim schielte zu dem anderen

Händler hinüber. »Nun, eher ganz passables Holz aus der Westmark. In jedem

Fall ist es ein gutes Geschäft für die Westmark.«


Garodem nickte zögernd. »Ja, sicher ein gutes Geschäft für beide Seiten.«


Der Pferdefürst wandte sich ab, doch Helderim folgte ihm mit hastigen

Schritten. »Mein Hoher Lord Garodem, da wäre noch eine Kleinigkeit, die ich

mit Euch besprechen wollte. Es geht um meine Vergrößerungssteine. Ihr

kennt doch meine Vergrößerungssteine, nicht wahr?«


Wer in Eternas kannte Helderims Vergrößerungssteine nicht? Vor rund

drei Jahren hatten die Orks des Schwarzen Lords das Volk der Zwerge

überfallen und es zum Abbau von Schwarzkristall gezwungen. Zugleich hatte

ein Grauer Zauberer, in Gestalt eines Händlers, die Hochmark aufgesucht und

von den Schmieden Eternas’ kleine metallene Rahmen fertigen lassen. Der

angebliche Händler hatte ein Musterstück mit einem eingearbeiteten

Scheibchen Schwarzkristall mit sich geführt und behauptet, es sei ein im

Reich der weißen Bäume begehrtes Schmuckstück. In Wirklichkeit hatte der

Schwarze Lord versucht, damit seine tageslichtempfindlichen Orks vor dem

grellen Licht der Sonne zu schützen und so ihre Schlagkraft zu erhöhen.

Garodems Pferdelords und die tapferen Axtschläger des Zwergenvolkes

hatten den Plan der dunklen Mächte zunichtegemacht, und von dem ganzen

Spuk waren nur die unzähligen kleinen Metallrahmen übrig geblieben, die die

Schmiede Eternas’ gefertigt hatten und für welche die Bestien keine

Verwendung mehr gefunden hatten. Doch dann hatte Helderim durch Zufall

bei einer Näherin gesehen, wie sie einen Bergkristall benutzte, um die feinen

Nähte der Gewänder besser erkennen zu können. Geschäftstüchtig, wie es

seinem Wesen entsprach, hatte der gute Helderim erkannt, dass man solche

Bergkristalle in die metallenen Rahmen einpassen konnte und dass es einen

hohen Bedarf an solchen Instrumenten gab, mit denen man kleine Dinge

etwas größer sehen konnte. So waren Helderims Vergrößerungssteine

entstanden. Selbst Garodem nutzte gelegentlich einen von ihnen, denn die

Zeichen in den Schriften schienen ihm im Laufe der Jahre immer weiter

einzuschrumpfen.


»Was ist mit Euren Vergrößerungssteinen, guter Herr Helderim?«


»Oh, es ist alles in Ordnung mit ihnen, mein Hoher Lord, alles in

Ordnung«, erwiderte Helderim rasch. Er trippelte aufgeregt neben Garodem

her und schien nicht recht zu wissen, in welcher Hand er die Vertragstafeln

nun halten sollte. »Die Menschen wissen sie zu schätzen, ja, das tun sie.

Selbst meine teure Gunwyn, mein gutes Eheweib, weiß sie zu nutzen.

Helderim, mein Guter und Bester, so sagt sie mir immer, Helderim, mein

Guter und Bester, deine Vergrößerungssteine sind ein wahrer Segen für die

Augen, du solltest sie auch anderen Menschen zugänglich machen. Ja, das

sagt sie, meine teure Gunwyn.«


Garodem erkannte sofort, worauf der Händler hinauswollte. »Ihr möchtet

sie auch in den anderen Marken vertreiben, guter Herr Helderim?«


Helderim lächelte unsicher. »Nun, der Handel unterliegt Eurer schützenden

Hand, Garodem, mein Hoher Lord.«


»Das tut er«, bestätigte Garodem und blickte missmutig zu dem beladenen

Frachtwagen der Westmark zurück. »Und nun wollt Ihr, dass ich Euch den

Handel mit den Vergrößerungssteinen gestatte?«


Helderim breitete ehrerbietig die Arme aus. »Es würde den Ruhm der

Hochmark mehren, mein Hoher Lord.«


»Und Euren Beutel beschweren, nicht wahr?« Garodem lächelte

verständnisvoll.


Da erklang hinter ihnen ein lauter Schrei, der den Lärm der Holzarbeiten

übertönte. Garodem wandte sich um, und auch Helderim blickte erschrocken

über seine Schulter und erkannte einen Baum, der sich erst zögernd zu neigen

schien, dann jedoch immer schneller und genau in ihre Richtung dem Boden

entgegenstürzte. Offensichtlich war eine der stabilisierenden Leinen gerissen.

Die andere Leine zog ein paar schreiende Männer hinter sich her, die den

Baum nicht mehr zu halten vermochten und schließlich fluchend losließen,

während der massige Stamm auf den Pferdefürsten niedersauste.


Garodem spürte den harten Stoß, mit dem der schmächtige Händler sich

gegen ihn warf, und instinktiv gab er dem Impuls nach, packte Helderim am

Überwurf seines Gewandes und zog ihn mit sich. Beide stürzten übereinander

in die Deckung eines Stammes, hörten das rasende Rauschen und spürten

dann die Wucht des Schlages, mit dem der Baum auf den Boden prallte.

Zweige peitschten ihre Körper und einer von ihnen riss eine blutige Strieme

über Garodems Wange. Federnd kam der Baum zur Ruhe, und Männer

hasteten herbei, um nach Garodem und dem Händler zu sehen.


Haronem war der Erste, der sich durch die Zweige hindurchkämpfte und

sich besorgt über Garodem beugte. »Ist Euch etwas geschehen, Garodem,

mein Hoher Lord?«


Helderim sah den Schwertmann giftig an. »Es geht uns beiden gut, danke

der Nachfrage.«


Guntram blickte über Haronems Schulter. »Ihr seid klein genug, um unter

jedem Ast hindurchzuschlüpfen, guter Herr Helderim.«


Ein Arbeiter prüfte die Äste, die Garodem und Helderim am Boden hielten.

»Habt noch einen Augenblick Geduld, mein Hoher Lord. Nur ein paar Hiebe,

und Ihr könnt Euch unbekümmert wieder erheben. Doch wartet, bis ich es

Euch sage. Einige der Äste stehen noch unter Spannung, und ein

vorschnellender Ast kann einem ausgewachsenen Mann den Kopf abreißen.«


Helderim, der eifrig versucht hatte, sich unter dem Baum hervorzuarbeiten,

erstarrte erschrocken und ließ sich hastig wieder zu Boden sinken. Garodem

blickte den zierlichen Händler ermutigend an. »Sagt, guter Herr Helderim, in

welche Mark soll Euch der Handel mit den Vergrößerungssteinen denn

führen?«


»Ich dachte an die Ostmark, Garodem, mein Hoher Lord«, gestand der

Händler. Er ahnte Garodems unausgesprochene Frage. »Dort in der Nähe gibt

es ausgedehnte Moore. Der Torf wäre eine gute Handelsware.«


Egal, in welcher Lage sich der gute Helderim auch befinden mochte, sein

Geschäftssinn würde ihn nie verlassen. Garodem hörte das Schlagen der Äxte

und spürte, wie der Druck der Zweige von ihm wich. Er lächelte Helderim

freundlich an. »Kommt morgen vor dem Mittag zu mir. Dann werden wir

alles in Ruhe besprechen.«


Aber zuvor würde Garodem einige Worte mit seiner Larwyn wechseln.

Und, wenn er es recht bedachte, durchaus noch mehr als Worte.


Die Pferdelords 03 - Die Barbaren des Dünenlandes

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