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Kapitel 2

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Flottenbasis Arcturus, im Orbit um die Sonne Arcturus,

Hauptstützpunkt der Raumstreitkräfte und Rettungstruppen des Direktorats,

36,7 Lichtjahre Distanz zu Sol, 124 Lichtjahre Distanz zu Neijmark.

Zu Ehren des Geburtstages seiner Tochter hatte John Redfeather sein zeremonielles Festgewand angelegt. Mokassins, Beinlinge und Jagdhemd waren aus feinstem Büffelleder und reich mit Perlen bestickt. Auf dem Haupt trug er die weit ausladende, traditionelle Adlerfederhaube und in der Hand den dazu passenden, federgeschmückten Krummstab. John Redfeather war Chief der Lakota und konnte seinen Stammbaum bis in jene Tage zurückverfolgen, an denen die Sioux und ihre Vettern, die Cheyenne, die Kavalleristen unter Gelbhaar Custer am Little Big Horn geschlagen hatten.

Keiner der Anwesenden spottete über das Erscheinungsbild von John Redfeather. Dies hatte gleich mehrere Gründe. Er war als Mensch hoch geachtet und als Hoch-Admiral zudem der Oberbefehlshaber der Raumstreitkräfte und Rettungstruppen des Direktorats. Die meisten Menschen hatten in den vergangenen Jahrhunderten endlich gelernt, Eigenheiten und Traditionen zu respektieren, und sie als Gewinn für die Gemeinschaft zu sehen. Nicht zuletzt war Redfeather natürlich auch der Vater des Geburtstagskindes und hatte diese großartige Feier erst möglich gemacht.

Der Hoch-Admiral hatte, entgegen seiner sonstigen Angewohnheit, seine Beziehungen ausgespielt und bewirkt, dass man ihm den oberen Wald der Raumbasis zur Verfügung stellte, wo er ein echt indianisches Barbecue organisierte. Nun, eigentlich wusste selbst „Chief“ Redfeather nicht so genau, ob dies tatsächlich einem urindianischen Brauchtum entsprang, aber wer wollte das infrage stellen, an einem Tag, an dem man Steaks von echtem Marsrind auf den Teller bekam? Es war für jeden Geschmack gesorgt. Einige der überzeugten Vegetarier aßen sich enthusiastisch durch die zahlreichen Variationen zubereiteter Maiskolben und Brote. Die Stimmung war ausgelassen und die Versorgungslage ließ keine Wünsche offen.

„Heben wir das Glas auf die alte Lady!“, rief Dan Riordan fröhlich und prostete Joana zu. Riordan war Sergeant der C-Kompanie im fünften Regiment der Sky-Trooper. Sein vorlautes Mundwerk brachte ihn gelegentlich in Schwierigkeiten, dennoch war er sehr beliebt, denn wenn es darauf ankam, konnte man sich absolut auf ihn verlassen.

June Galley, die direkt neben ihm saß, stimmte in das Lachen ein. Sie war ebenfalls Sergeant und bediente in Kampfsituationen eine der beiden tragbaren Gatling-Rotationskanonen der C-Kompanie. Sie war eng mit Riordan befreundet, dennoch konnte sie es wieder einmal nicht lassen, auf seine Bemerkung mit Spott zu reagieren. „Warte ab, Rio, bis du in ihr Alter kommst. Ich bin gespannt, ob du dein Glas dann noch stemmen kannst.“

Joana Redfeather hatte die C-Kompanie als Captain geführt und befehligte nun, als Major, ein volles Bataillon, welches aus den Kompanien A, B und C bestand. Wie ihr Vater, so war auch sie stolz auf ihre indianischen Wurzeln. Sie war eine schlanke Schönheit mit einer aufregenden Figur, großen Augen und schwarzblauen Haaren. Allerdings musste sie auf die traditionellen langen Zöpfe verzichten, denn die Verwendung diverser Ausrüstungsteile ließ keine Haartracht zu, die länger als eine Fingerbreite war. Die meisten Trooper, selbst die Frauen, trugen daher auf ihrer Kopfhaut selten mehr als eine Hautcreme.

Joanas Geburtsdatum stand außer Frage, aber das galt nicht für ihr Alter. Für jemanden, der sein Leben auf einem Planeten verbrachte, mochte das seltsam erscheinen, nicht jedoch für jene Menschen, die zwischen den Sternen zu reisen. Den oft jahrelangen Überlichtflug verbrachte man im Kryo-Schlaf, während dem der Körper biologisch nur kaum messbar alterte. Joana war hierfür ein typisches Beispiel. Nach ihrem Geburtsdatum war sie an diesem Tag achtundfünfzig Jahre alt geworden. Allerdings hatte sie siebenundzwanzig davon im Kryo-Schlaf verbracht. Biologisch war sie daher gerade einunddreißig. Für Raumfahrer war es vollkommen normal, zwischen dem relativen und dem biologischen Alter zu unterscheiden. Immer wieder gab es Scherze, die sich auf die Bezahlung der „Arbeitszeit“ während des Kryo-Schlafes bezogen, allerdings niemals ernsthafte Beschwerden. Wer im Dienst des Direktorats stand, der erhielt für die Schlafphasen immerhin fünfundzwanzig Prozent seiner regulären Besoldung. Besatzungen der privaten Händler bekamen oft sogar noch mehr. Die uralte Phrase, im Schlaf sein Geld zu verdienen, besaß in der interstellaren Raumfahrt durchaus ihre Bedeutung.

„Alles ändert sich“, murmelte Mario Basari. Der durchtrainierte Mann mit den grauen Haaren war stolz auf seine italienischen Wurzeln. In seinen jungen Jahren hatte er als Sergeant mit John Redfeather gedient, war Master-Sergeant in Joanas C-Kompanie gewesen und nun als Sergeant-Major der ranghöchste Unteroffizier des fünften Kavallerieregiments. Die Bezeichnung „rau, aber herzlich“ schien speziell für ihn geschaffen worden zu sein. Er war äußerst erfahren, gelegentlich hart, aber immer fair und fürsorglich. „Dieser verdammt Nullzeit-Antrieb degradiert uns alle zu Sternenhüpfern.“

Dan Riordans Blick war schon ein wenig glasig und sein Vokabular eingeschränkt. „Hä?“

June Galley seufzte. „Mann, Rio, das ist doch klar. Was hast du da gerade auf dem Teller?“

„Steak“, erwiderte Riordan mit breitem Grinsen. „Und ein Riesending. Na ja, war es mal.“

„Als die Handelsschiffe noch mit Überlicht durch den Weltraum gondelten, waren sie oft jahrelang unterwegs. Ihre Fracht musste von den Kunden genauso bezahlt werden, wie die Gehälter der Besatzungen“, dozierte Galley. „Damals war dein Steak also verdammt lange unterwegs und auch verdammt teuer. Hättest du dir ein solches Steak leisten können?“

„He, Redfeather hat uns eingeladen, okay?“

„Blödmann, davon rede ich doch gar nicht.“ June Galley nahm einen langen Schluck des marsianischen Biers, welches als Kaltgerste bezeichnet wurde. „Jedenfalls haben wir jetzt den Nullzeit-Antrieb. Dein Steak ist nur noch ein paar Stunden unterwegs und das gilt auch für die Crew des Frachtschiffes. Heute kann sich jeder so ein Stück Fleisch leisten. Sofern es genügend davon gibt.“

„Mein Stichwort“, meinte Mario Basari, schaute kurz auf seinen geleerten Teller und dann zum Grill hinüber, wo Joana Redfeather mit einer Gruppe der Gäste stand. „Höchste Zeit, den Nachschub sicherzustellen.“

Riordan hörte das sanfte Klingen von Glöckchen, die an John Redfeather´s Festgewand angenäht waren und wandte sich um. „He, Chief, was meinen Sie? Wie alt ist unser Major nun eigentlich tatsächlich geworden?“

John Redfeather trat näher und setzte sich auf Basaris freien Platz. „Nun, das hängt von der Betrachtungsweise ab. Was die Dienstzeit bei den Raumstreitkräften des Direktorats betrifft, bezieht man sich immer auf das Marsjahr. Lassen Sie mich überlegen, Riordan ... Das Marsjahr hat sechshundertsiebenundachtzig Tage und jeder davon ist vierundzwanzig Stunden und vierzig Minuten lang. Wobei man den Marstag als Sol bezeichnet. Nach den offiziellen Daten des Direktorats ist Joana also Einunddreißig.“

„Äh, ja“, murmelte Riordan. „So weit waren wir schon, Sir.

John Redfeather zog ein nachdenkliches Gesicht. „Andererseits gilt es natürlich zu bedenken, dass Joana eine echte Lakota ist. Unser Stamm war ja ursprünglich in den Black Hills auf der Erde heimisch, und wir Indianer beziehen uns daher, schon aus traditionellen Gründen, auf das Erdjahr. Das hat dreihundertfünfundsechzig Tage und vierundzwanzig Stunden. Danach wäre Joana also ...“

Riordan legte symbolisch die Ohren an. Er hatte der Kaltgerste schon reichlich zugesprochen und die Ausführungen des Hoch-Admirals wurden ihm nun zu kompliziert. „Verstehe, sie ist also noch recht jung, nicht wahr?“

„Nach der Rechnung eher recht alt“, assistierte June Galley.

„Das ist jetzt wenig hilfreich“, brummte Riordan und langte nach seinem Glas. „Also, ist sie jetzt jung oder ist sie jetzt alt?“

John Redfeather lachte gutmütig und erhob sich wieder. „Versauen Sie sich den Tag nicht mit so schwierigen Rechenaufgaben, Sergeant. Genießen Sie ihn einfach. Morgen geht der Dienst wieder los.“

Dan Riordan winkte dem Oberkommandierenden nach und zuckte dann hilflos mit den Schultern. „Jetzt bin ich auch nicht schlauer.“

June Galley nickte mitfühlend. „Ja, manchmal ist es mir echt ein Rätsel, wie du doch noch zu den drei Winkeln eines Sergeants gekommen bist.“

Der Grillplatz, auf dem die Feier stattfand, lag am äußersten Rand des oberen Waldes. Man hörte das Zwitschern von Vögeln, gelegentlich waren ein paar große oder kleine Wildtiere zu sehen, die neugierig dem Treiben zusahen. Zwei Eichhörnchen huschten umher und stibitzten immer wieder von den Tischen, was ihnen als besondere Leckerei erschien. Sie waren flink und zeigten keinerlei Scheu, denn in diesem Wald wurden keine Tiere gejagt. Jedenfalls nicht von Menschen. Es war nicht nur die Illusion eines Waldes, sondern ein echter Wald, auch wenn er sich, genau betrachtet, inmitten des Weltraums befand. Eine Seite des Grillplatzes wurde von einer großen Panoramascheibe aus Klarstahl eingenommen. Man konnte das Sternenfeld des Weltraums sehen und sogar einen Raumfrachter, der sich anschickte, an der Basis anzulegen.

Die Direktorats-Flottenbasis Arcturus war zu einem Zeitpunkt erbaut worden, als die Expansion in den Weltraum noch in ihren Anfängen steckte. Die Erde war durch Raubbau und Umweltkatastrophen unbewohnbar geworden. Die Menschheit hatte den Mars und andere Planeten besiedelt. Asteroiden und Kolonialwelten versorgten die Menschheit mit Rohstoffen. Erze, Mineralien und Wasser wurden durch den Weltraum transportiert, während sich die Erde, durch die Abwesenheit der Menschen, langsam wieder von diesen erholte. Man hatte den überlichtschnellen Sternenantrieb entwickelt, und Arcturus befand sich damals im relativen Zentrum jenes kleinen Bereiches, den die Menschheit für sich in Anspruch nahm. Die Basis wurde Hauptumschlagplatz für Güter und Siedler, und der Ankerplatz der, damals noch sehr kleinen, Direktoratsflotte. Die Basis bestand aus einer diskusförmigen Scheibe von fast zehn Kilometer Durchmesser, mit zwei hohen Türmen, die aus ihren Naben herausragten. Riesige hydroponische Gärten dienten der Versorgung mit Lebensmitteln. Zwei der Decks waren vollständig bewaldet und wurden zur Sauerstoffversorgung und, streng reglementiert, als Erholungsgebiet genutzt. Eine kleine Gruppe Ranger sorgte für das Wohl der Pflanzen, Tiere und Insekten.

Vom großen Hangar, über Einkaufspassagen, bis hin zur kleinsten Abstellkammer, gab es über hundertzwanzigtausend verschiedene Räume. Obwohl Arcturus als die Hauptbasis der Direktoratsflotte galt, gehörten nur zweitausend Männer und Frauen zur militärischen Stammbesatzung. Bei der Hälfte handelte es sich um Techniker und Wartungspersonal. Fast die gleiche Anzahl arbeitete für Firmen und Konzerne, deren Schiffe Arcturus als Umschlagplatz und Zwischenlager nutzten.

Inzwischen ging die Bedeutung der Basis, zumindest als Warenumschlagplatz, durch die Einführung des Nullzeit-Sturzantriebs zurück. Jedes beliebige Sternensystem konnte in weniger als zwanzig Stunden angeflogen werden und die Händler brachten die gewünschte Fracht nun meist direkt ans Ziel.

Auch das Profil des Militärs hatte sich gewandelt.

Nach dem kolonialen Krieg war das gemeinsame Direktorat der Menschheit entstanden, dessen Hoher Rat seinen Sitz auf dem Mars innehatte. Die letzte große militärische Operation war die Invasion der alten Hanari-Welt gewesen. Hunderttausende von Sky-Troopern der Raumkavallerie und Dutzende von riesigen Raumschiffen waren aufgeboten worden, um das Alien-Volk zu retten, dessen Heimatsonne zur Nova wurde. Es war eine Rettungsmission gewesen, bei der man die Hanari zu ihrer neuen Heimat brachte. Inzwischen war man auch auf eine zweite Alienrasse, die Shanyar, gestoßen. Doch beide Kontakte waren friedlich und es gab keinen Bedarf mehr für riesige Armeen oder gewaltige Kriegsflotten. Der Großteil der Kampfschiffe war längst außer Dienst gestellt oder kommerziellen Zwecken zugeführt worden.

Die neue Besiedlungswelle veränderte zunehmend die Aufgaben des Militärs. Bis zur Entwicklung des Nullzeit-Sturzantriebs waren Kolonien oft jahrelang auf sich alleine gestellt. Kam es zu Notsituationen, konnten sie mit keiner schnellen Hilfe rechnen. Nun war es möglich, sie in weniger als einem Tag zu leisten. Die Raumstreitkräfte waren zwar noch immer eine militärische und bewaffnete Streitmacht, aber zusätzlich wurde aus ihr eine interstellare Rettungstruppe gebildet.

Es gab noch zehn Regimenter der Sky-Cavalry, deren jeweilige Stärke von zweitausend Troopern auf sechshundert geschrumpft war. Jeder der Sky-Trooper war militärisch ausgebildet, verfügte jedoch auch über ein breites Basiswissen in den Bereichen Brandschutz, Rettung und medizinischer Erstversorgung. Jeder der drei Züge einer Kompanie wurden zudem für eines der Fachgebiete spezialisiert geschult.

Von den fünf noch im Dienst befindlichen Trägerschlachtschiffen waren drei als Rettungseinheiten umgerüstet worden. In ihren Hangars und Laderäumen stapelten sich Container und Module, mit Ausrüstung zur Bekämpfung jeglicher Art von Katastrophen, die eine besiedelte Welt treffen mochte.

Die Arcturus-Basis war nun nicht mehr nur der Hauptmilitärstützpunkt des Direktorats, sondern zugleich der Kern des interstellaren Rettungswesens. Sechs der aktiven Kavallerieregimenter waren hier stationiert und wurden immer wieder für den Einsatz gedrillt oder zusätzlich ausgebildet.

Für manchen Militärangehörigen war es eine schwierige Umstellung, doch die Alternative wäre die Entlassung aus dem aktiven Dienst gewesen. Keine verlockende Aussicht, wenn man bedachte, dass viele Soldaten aus den aufgelösten Regimentern kaum Arbeit fanden. Manche verdingten sich bei den Händlern, denn sie fühlten sich dem Weltraum verbunden, andere schlossen sich der Besiedlungswelle an.

Joana Redfeather war vor vier Jahren zum Major aufgestiegen und damit einer der jüngsten Kampfoffiziere, die ein Bataillon aus drei Kompanien befehligte. Sie galt als ausgesprochen erfahren. Sie hatte nicht nur an der Hanari-Mission teilgenommen, sondern auch den langen Krieg, zwischen den Shanyar und den menschlichen Überlebenden einer illegalen Minen-Kolonie, beendet. Mancher betrachtete das mit Neid, denn in den geschrumpften Raumstreitkräften waren Beförderungen und Kommandopositionen dünn gesät. Vor allem, wenn sie die Aussicht boten, aktiven Dienst im Weltraum zu leisten und dabei fremde Welten kennenzulernen.

Im Gegensatz zur Sky-Navy, deren Besatzungen durch die Patrouillenflüge doch einige Abwechslung genossen, verlief der Dienst bei der Sky-Cavalry eher eintönig. Drill und Ausbildung wechselten sich ab, doch es gab kaum einen Außeneinsatz. Innerhalb von vier Jahren hatte es zwei Übungseinsätze gegeben und zwei echte Hilfeleistungen für in Not geratene Raumschiffe. Den Sky-Troopern war daher jede Abwechslung recht und die Geburtstagsfeier für Joana Redfeather bot einen willkommenen Anlass. Wahrscheinlich war sie auch aus diesem Grund so groß geraten, denn immerhin nahmen fast dreihundert Gäste daran teil. Nicht alle kamen wegen Joana. Einige wollten sicherlich die Gelegenheit nutzen, um mit dem Hoch-Admiral ins Gespräch zu kommen und auf diese Weise ihre Verbindungen auszubauen und sich für eine Beförderung zu empfehlen.

Die meisten der Soldaten trugen ihre Uniformen. Die wenigsten verfügten über zivile Kleidung. Die Dienstbekleidung schien zeitlos und war seit fast hundert Jahren unverändert, was jedoch nicht für die zivile Mode galt. Was modisch war, bestimmte die Haute Couture auf dem Mars, und bis zur Einführung des Nullzeit-Antriebes waren Jahre vergangen, bevor der neueste Trend per Überlichtschiff zum Arcturus gelangte. Ein Soldat, der sich dann mit dem Aktuellsten einkleidete, war wiederum mehrere Jahre zum Mars unterwegs. Wenn er ankam, trug er Kleidung, die wahrscheinlich schon seit fünfzehn Jahren aus der Mode war. Da sich keiner als modischer „Hinterwäldler“ blamieren wollte, begnügten sich die Militärangehörigen mit ihren Uniformen. Auch hier bewirkte der Hiromata-Antrieb inzwischen sichtbare Veränderungen. Neuheiten vom Mars waren binnen kürzester Zeit in den Auslagen der Einkaufspassagen der Basis zu sehen.

Joana gehörte zu jenen, die über Zivilkleidung verfügten. Diese war ebenso zeitlos wie das Festgewand ihres Vaters, da sie ebenfalls die Stammestracht trug.

Es waren nicht nur Militärangehörige gekommen. Auch ziviles Personal und einige Vertreter der Handelsgesellschaften ließen sich blicken.

Einer von Letzteren fiel Joana Redfeather sofort ins Auge. Sie ließ sich nicht lange auffordern, als er sie zum Tanz bat. Der Mann hieß Hendrik und war ein durchtrainierter Hüne, intelligent und, vor allem, ausgesprochen amüsant. Beim Tanz kamen sie sich näher. Nahe genug, dass Joana bemerkte, dass er ein durchaus körperliches Interesse an ihr zeigte. Warum auch nicht?

Das Licht im Wald war längst in die Nachtphase gewechselt. Die meisten Gäste waren gegangen. Ein paar Hartgesottene versuchten die Reste des Buffets zu beseitigen. Einige der weniger Standfesten schliefen ihren Rausch auf dem weichen Boden aus. John Redfeather war nirgends zu entdecken und Mario Basari wohl einer der wenigen, die bemerkten, auf welche Weise Joana und Hendrik miteinander tanzten. Er lächelte verständnisvoll, als die beiden, schon bald darauf, zwischen den Bäumen verschwanden.

Es wurde der Abschluss eines wundervollen Geburtstages und Joana Redfeather genoss ihn in vollen Zügen. Ihre indianische Haut schien aus Bronze und Kupfer zu bestehen und mit der hellen Haut von Hendrik zu verschmelzen, als sich ihre Leiber vereinigten. Er war ein fantasievoller Liebhaber, mit jener Mischung aus Sanftheit und Fordern, welche Joana schätzte. Während seine Zunge ihre Lippen, den Mund und andere Stellen ihres Körper erkundete, dachte sie flüchtig daran, dass der Kuss wohl eine der wenigen Errungenschaften der Weißen war, für die sie als Indianerin tatsächlich dankbar war. Doch dieser Gedanke verflog rasch unter der gemeinsamen Leidenschaft, der sie sich hingaben. Es war die schönste Form der Erschöpfung, mit der sie beide schließlich zur Ruhe kamen und auf dem Waldboden einschliefen.

Das Erwachen war unangenehm und von einem pochenden Schmerz in der linken Schläfe begleitet. Joana Redfeather löste sich von Hendrik, der noch fest schlief. Sie beide lagen noch immer nackt auf dem Waldboden. Die junge Indianerin spürte Nadeln und kleine Zweige, die sich gegen ihre Haut pressten. Es war nicht schmerzhaft und für einen Moment genoss sie die Verbundenheit mit der Natur. Bis sich abermals das Pochen in ihrer Schläfe meldete.

Joana stieß einen leisen Fluch aus und richtete sich halb auf, während sie sich umsah. Es war dunkel, doch das Licht der Sterne ermöglichte es ihr, die Umgebung zu erkennen. Am Grillplatz waren zwei andere Schläfer zu sehen. Einer lag halb auf dem Tisch und schnarchte vernehmlich. Der andere hatte es sich auf einer der Bänke gemütlich gemacht. Nun bewegte er sich schwach, verlor den Halt und stürzte, unsanft geweckt, auf den Boden.

Der Schmerz in der Schläfe war unangenehm und langsam drang es an Joanas Bewusstsein, dass es sich nicht um die Nachwirkung von Alkoholgenuss handelte. Sie stöhnte leise und legte einen Finger an ihre Schläfe, spürte die winzige Erhebung des dort eingepflanzten Implants und rieb mit sanftem Druck darüber. Alle Angehörigen der Raumstreitkräfte und selbst die meisten Zivilisten trugen ein solches Gerät. Die miniaturisierte Hochleistungs-Tetronik funktionierte wie ein historisches Mobiltelefon und konnte zudem als Navigationshilfe genutzt werden. Die Reichweite war sehr gering und von den, in praktisch jedem Raum befindlichen, Übertragungsgeräten abhängig. Es gab Menschen, die befürchteten, durch das Implant jederzeit überwacht zu werden, und die daher darauf verzichteten, es sich einsetzen zu lassen oder es sich wieder entfernen ließen. Für die Angehörigen der Direktorats-Streitkräfte war es ein nahezu unverzichtbares Teil der persönlichen Ausrüstung.

Das rhythmische Pochen in Joanas linker Schläfe war nichts anderes als ein Signal, welches sie aufforderte, ihr Gerät einzuschalten. Es war auf die allgemeine Militärfrequenz eingestellt und Joana versteifte sich instinktiv, als sie die Bedeutung dessen begriff, was ihr über das Implant mitgeteilt wurde.

„An alle Besatzungsmitglieder der D.C.S. Trafalgar: Katastropheneinsatz! Einschiffung und Bereitschaft nach Prioritätsstufe A! Dies ist keine Übung!“

Die Durchsage wurde wiederholt und Joana tippte in einem bestimmten Takt gegen ihr Implant, um den Bestätigungsimpuls zu senden. Er ging, gemeinsam mit ihrer Identifikationsnummer, an die Kommunikationszentrale der Raumbasis, wurde dort registriert und archiviert. Die zuständige Tetronik nahm Joana aus der Alarmierungsschleife und schaltete ihr Implant für andere Informationen frei. Das Implant des jeweiligen Besitzers würde erst dann Ruhe geben, wenn dieser den Empfang der Alarmierung bestätigte.

Joana Redfeather nahm sich die Zeit, sich kurz zu Hendrik zu drehen und ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu hauchen, während sie mit der anderen Hand nach ihren Kleidungsstücken suchte. Schon richtete sie sich auf und begann in Richtung des nächsten Ausgangs zu laufen, wobei es ihr irgendwie gelang, Wäsche und Kleid anzulegen. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie noch, wie der von der Bank gestürzte Schläfer jetzt den anderen weckte. Sie konnte die Männer nicht erkennen, vermutete jedoch, dass sie ebenfalls zur Besatzung der Trafalgar gehörten.

Es war ein Spurt über zwei Kilometer, bis sie den Ausgang erreichte und auf einen der Hauptgänge der Basis hinaustrat. Sie rief sich den Liegeplatz des Trägerschlachtschiffes in Erinnerung und überlegte, welches der schnellste Weg dorthin war. Auch wenn sie sich inzwischen recht gut auskannte, wollte sie nicht das Risiko eingehen, versehentlich falsch abzubiegen und wertvolle Zeit zu verlieren. Erneut tippte sie an ihr Implant, nannte ihre Identifikationsnummer und fügte dann mit halblauter Stimme hinzu: „Standort Ausgang 23-D, oberer Wald. Schnellster Weg zum Liegeplatz D.C.S. Trafalgar benötigt.“

„Verstanden, Major“, meldete sich ein weiblicher Controller. „Navigationsimpuls Blau ist für Sie aufgeschaltet.“

„Bestätige Navigationsimpuls Blau.“

Zwar gab es farbige Leitlinien an den Wänden und auf dem Boden, aber Joana nutzte lieber die direkte Hilfe des stationsinternen Navigationssystems. Eine der fotosensitiven Zellen an der Decke begann intensiv Blau zu pulsieren, synchronisierte sich mit Joanas Implant, um sich ihrer Geschwindigkeit anzupassen. Joana begann zu laufen. Der blinkende Lichtpunkte bewegte sich vor ihr und zeigte die Richtung.

Es ging einige Hundert Meter den Korridor entlang, dann folgte sie einem anderen, an dem eine der Bahnstationen lag. Sie sprang auf ein Laufband neben dem Bahnsteig, gewann so an Tempo und setzte mit einem Sprung in einen der offenen Wagen über. Auch wenn sich die Bahn auf Schienen bewegte, so bestand sie eigentlich aus einer endlosen Folge von flachen Plattformen, die mit Haltegriffen und spartanisch wirkenden Sitzbänken ausgestattet waren, und die sich durch die gesamte Basis und wieder zurück bewegten. Einem identischen Prinzip folgten die paternosterartigen Lifte, mit denen man die verschiedenen Decks erreichte.

Zuerst sah Joana Redfeather nur vereinzelt Personen, die es ähnlich eilig zu haben schienen und die sich in der gleichen Richtung bewegten, aber je näher sie dem Liegeplatz ihres Zieles kam, desto mehr wurden es. Da die gesamte Besatzung des Trägerschlachtschiffes betroffen war, galt die Alarmierung nicht nur für die dreitausendsiebenhundert Männer und Frauen der Kernbesatzung, welche die Flugbesatzung und Wartungsmannschaften bildeten. Es war ohnehin nur den ausgefeilten Automatiken und leistungsstarken Tetroniken der Trafalgar zu verdanken, dass dieses gewaltige Schiff mit einer so geringen Mannschaft auskam. Hinzu kamen als Einsatztruppe drei Kavallerieregimenter mit jeweils sechshundert Sky-Troopern. Viele von ihnen waren auf der Basis und beeilten sich nun, an Bord des Schiffes zu gelangen. Dort war die Flugbereitschaft sicher schon vollauf damit beschäftigt, die letzten Startvorbereitungen zu treffen und das rasche Einschiffen der Alarmierten zu gewährleisten.

Joana dachte an die gestrige Feier und dass viele der Gäste dem Alkohol und den sonstigen Rauschmitteln durchaus intensiv zugesprochen hatten. Die Implants würden die meisten wach bekommen, die anderen mussten durch Helfer dienstfähig gemacht werden. Um die Einsatzfähigkeit sorgte sie sich nicht. Man würde eine Anti-Kater-Pille mehr einnehmen, der Rest von Müdigkeit würde von den Sergeants vertrieben werden.

Sie merkte kaum, dass einige der Männer und Frauen, denen sie auf ihrem Weg begegnete, ihr überraschte Blicke hinterher warfen. Vielleicht fragte man sich, welches Modehaus auf dem Mars wohl diese verrückte Lederkreation erschaffen hatte. Ihr Blick war auf mögliche Hindernisse und den blinkenden blauen Punkt konzentriert, bis sie sich in jenen Bereichen bewegte, die sie sehr gut kannte. Sie stellte die Verbindung zur Kommunikationszentrale her, dankte und ließ die Navigationshilfe abschalten.

Vor sich sah sie das breite Doppeltor, welches zum Dockpylon Sieben der Raumbasis gehörte. Hier herrschte reger Betrieb. Wie es einem militärischen Sicherheitsbereich entsprach, waren die Zugangskontrollen streng, doch die Soldaten brauchten keine Zeit zu verlieren, um ihre Dienstausweise vorzuzeigen. Sie liefen durch die Rahmen der Scannerschleusen. Ihre Implants übermittelten die Ankunft des Betreffenden an die Kommunikationszentrale der Basis und die jeweils zuständige Leitstelle innerhalb des Schiffes. Flugbesatzung und Wartungsmannschaften gehörten zum „Flight-Command“, Mannschaften der Landungsboote und die Trooper hingegen zum „Sky-Command“. Beide Kommandoebenen arbeiteten unabhängig voneinander, waren jedoch vernetzt und koordiniert. Der Captain der D.C.S. Trafalgar würde mit Flight-Command die oberste Instanz während aller Flugoperationen des Schiffes sein und hatte, im Interesse der Schiffsicherheit, auch ein Vetorecht bei Sky-Command. Letzteres koordinierte und befehligte alle Einsätze der Landungsboote und Einsatztruppen.

Joana Redfeather hörte das leise Piepsen ihres Implants, als es die Registrierung bestätigte, und war schon auf dem Weg in den Tunnel des Pylons Sieben. Die flexible und leicht gewellte Außenhülle ähnelte den Gangways großer Luftfahrzeuge. Der Gang war breit, damit auch große Frachtstücke bequem transportiert werden konnten. An den Wänden liefen Kabelstränge und Rohre entlang. Die kleineren Schiffe ließen sich nach dem Andocken über die Anlagen der Basis versorgen. Das letzte Teilstück des Pylons war mit Hydrauliken und Stoßdämpfern versehen. So exakt Steuerung und Triebwerke auch reagierten, beim Anlegen eines Raumschiffes ließ sich ein mehr oder weniger starker Stoß durch den Kontakt von Schiff und Pylon nie ganz vermeiden.

Sky-Command Trafalgar an alle Trooper: Alle Stabsoffiziere und Kommandooffiziere der Kompanie- und Bataillonsebene begeben sich sofort zum Briefing-Raum 4, Deck 74, Backbordseite“, kam es über Joanas Implant. „Alle Kommandooffiziere der Jagdbomber und Landungsboote begeben sich zu Briefing-Raum 7, Deck 72, Backbordseite.“

Das Ende des Tunnels schien an einer massiven grauen Wand zu enden, in der sich ein lang gestrecktes helles Rechteck abzeichnete. Es handelte sich um jene Personenschleuse, mit der das Trägerschlachtschiff angelegt hatte. Ihre Einfassung war im typischen schwarzen und gelben Warnmuster lackiert. Wenn man die Dicke des Tri-Stahls sah, aus dem die Außenhülle bestand, erhielt man eine erste Vorstellung von den Abmessungen der Trafalgar.

Das Schiff ähnelte einem flachen Achteck aus grauem Tri-Stahl. Fünf Kilometer lang, einen hoch und anderthalb breit. Die hellgraue Oberfläche setzte sich aus zahllosen Segmenten zusammen. Türme, Kuppeln und andere Aufbauten enthielten Waffensysteme und Ortungsanlagen, die trotz ihrer Größe unscheinbar wirkten. An den Flanken war der breite hellblaue Farbbalken zu sehen, der es als Schiff der Sky-Navy des Direktorats auswies. Er begann im hinteren Drittel des Rumpfes und verlief dann schräg bis zur Mitte. Parallel verlief ein schmaler gelber Balken, der zeigte, dass sich Trooper der Raumkavallerie an Bord befanden. Riesige blaue Buchstaben zeigten Name und Kennung. Positionslampen blitzten rhythmisch und zahlreiche Lichter verrieten das Vorhandensein von Klarstahlscheiben. Entlang der Mittellinie waren die breiten Schotts großer Hangars zu sehen. Als Träger konnte die Trafalgar zweihundert Landungsboote der 50-Meter-Klasse, die sogenannten Fast Landing Vehicles (FLV) und vierhundert Jagdbomber vom Typ Superbolt transportieren.

Die wesentlichen Räume des Riesenschiffes konnte die Besatzung ohne Hilfe finden, ansonsten halfen Implants und das schiffsinterne Navigationssystem. Joana Redfeather konnte auf die Nutzung verzichten. Während ihrer militärischen Laufbahn war sie schier unzählige Male in Briefing-Raum 4 gewesen. Da die Anweisung lautete, sich sofort dort einzufinden, verzichtete sie auf den Umweg über ihr Quartier, um sich dort erst umzuziehen und erreichte ihr Ziel in ihrem indianischen Stammesgewand. Als Joana den Raum betrat, waren die meisten der Offiziere schon anwesend. Einige trugen die Dienstuniform, andere den einteiligen Bordoverall. Außer ihr trug nur noch einer der Anwesenden zivile Kleidung.

Jedes der drei an Bord befindlichen Kavallerieregimenter verfügte über einen Colonel, einen Lieutenant-Colonel, drei Majors, zehn Captains und zehn Lieutenants. Der bescheidene Regimentsstab bestand aus drei zusätzlichen Lieutenants und einer Handvoll Unteroffiziere. Die Sky-Cavalry war stolz darauf, dass jeder von ihnen in den Einsatz ging und keiner zurückblieb. Die Zeiten, in denen von vier oder mehr Soldaten nur ein Einziger kämpfte, waren schon lange vorüber. Viele der typischen Stabsfunktionen wurden inzwischen von Controllern des Sky-Command übernommen.

Dass sich nun alle Offiziere der drei Einsatzregimenter und einige der Schiffsführung hier versammelten, deutete auf einen sehr bedeutungsvollen Einsatz hin, denn man überging die klassische Hierarchie, in der die Regimentskommandeure ihre Majore einwiesen, die dann wiederum die Kompanieoffiziere instruierten. Von deren Ebene ging es dann weiter zu den Unteroffizieren und schließlich Troopern. Hier wurden jedoch alle gleichzeitig instruiert.

Joana saß in der zweiten der nach hinten ansteigenden Sitzreihen und beobachtete die beiden Colonels, die vorne auf dem Podium saßen, wo sich die Raumsteuerung und der Holo-Projektor befanden. Die hinter ihnen befindliche Wand wurde von einem großen Bildschirm dominiert. Während der vergangenen Jahre hatte Joana alle der anwesenden Offiziere kennengelernt und mit einigen auch näher zusammengearbeitet. Man wusste einander einzuschätzen, und das war ein wesentlicher Vorteil, wenn man sich im Einsatz aufeinander verlassen musste.

Einer der Offiziere fehlte noch. Colonel Fred Carruthers, der Kommandeur von Joanas fünftem Regiment. Da er sich zum Zeitpunkt des Alarms bereits an Bord befunden hatte, und trotzdem noch nicht anwesend war, vermutete Joana, dass Carruthers wohl das Briefing leiten würde und gerade noch die letzten aktuellen Informationen erhielt.

***

Währenddessen nahm die Flugmannschaft der Trafalgar ihre Manöverstationen ein. Die Troopers eilten in ihre Bordunterkünfte, um die Overalls anzulegen und auf Anweisungen zu warten. Von aller Geschäftigkeit oder Erwartung der Menschen an Bord ungerührt, bereitete das „Flight-Command“ den Start vor.

Für ein Schiff dieser Größe war die Brückenbesatzung überraschend klein. Bei normalen Flugmanövern bestand sie aus sieben, bei Gefechtsmanövern aus zwölf Personen. Die Brücke ähnelte der Pilotenkanzel eines FLV und befand sich, nach rechts versetzt, am Bug des Schiffes. Sie war, vom Boden abgesehen, rundum mit Klarstahl versehen, der einen ungehinderten Ausblick zuließ. Im Gefechtsfall war diese Lage sehr exponiert und so gab es neben der „Flugbrücke“ auch eine „Gefechtsbrücke“, tief und gut geschützt im Inneren des Kolosses.

„Flight-Command D.C.S. Trafalgar an Base-Command Arcturus: Die Besatzung ist vollzählig an Bord. Schleuse geschlossen. D.C.S. Trafalgar ist bereit zum Lösen der Versorgungsverbindungen. Eigenversorgung ist ein.“

„Base-Command Arcturus an Flight-Command D.C.S. Trafalgar: Bestätige Schließen der Schleuse. Absaugen der Luft aus Pylon Sieben beginnt. Absaugvorgang beendet. Versorgungsverbindungen werden gelöst.“

„Flight-Command D.C.S. Trafalgar bestätigt. Verbindungen sind gelöst. Vorbereiten zum Öffnen der Andockklammern.“

„Bereit zum Öffnen der Andockklammern.“ Die flexible Außenhaut des Tunnels von Pylon Sieben zog sich ein wenig zurück und man konnte nun wuchtige Klammern aus Tri-Stahl erkennen, die sich, vom Pylon aus, in Halterungen am Rumpf des Trägerschlachtschiffes krallten. Ein leichter Ruck ging durch die Gangway, als sie sich nun öffneten. „Base-Command Arcturus an Flight-Command D.C.S. Trafalgar: Andockklammern sind gelöst. Sie sind klar für Manöver. Flugkorridor für Beschleunigung ist frei. Base-Command Arcturus wünscht guten Flug.“

„Flight-Command D.C.S. Trafalgar bestätigt. Klar für Manöver. Flugkorridor für Beschleunigung ist frei. Danke für Ihre Wünsche, Trafalgar meldet sich ab.“

Captain Wang, Kommandant des Trägerschlachtschiffes, saß in seinem gepolsterten Sessel in der Flugbrücke am Bug. Er überließ das Manöver seinem Ersten Offizier, Flight-Commander Stuart, und dem diensthabenden Piloten, Flight-Lieutenant Menz. Wang befehligte das Schiff erst seit drei Jahren und war zuvor Captain des Schwesterschiffes D.C.S. Ticonderoga gewesen, welches nun stillgelegt im Marsorbit lag. „Eins-O, übernehmen Sie und bringen Sie uns auf Kurs.“

„Aye, Captain.“ Stuart hob seine Stimme ein wenig, damit ihn keiner der Anwesenden überhören konnte. „Erster Offizier übernimmt Kommando. Mister Menz, klar bei Manövertriebwerken.“

Wang liebte dieses Zeremoniell, das seinem inneren Streben nach Ordnung entsprach. Er lauschte mit sanftem Lächeln den Befehlen und Ausführungsbestätigungen. Vor seinem inneren Auge sah er das kurze Aufflammen der seitlichen Manöverdüsen, mit denen das Schiff, sein Schiff, sich nun behutsam von der Basis löste und Meter um Meter an Abstand gewann. Wenn er durch den Klarstahl hinausblickte, dann konnte er beobachten, wie sich die Sterne langsam zu bewegen begannen, als die Trafalgar behutsam herumschwang und den Bug in ihre geplante Flugrichtung brachte.

„Eins-O an Navigation: Ist die Flugbahnberechnung abgeschlossen?“

„Aye, Sir. Datenübertragung an Ruder erfolgt in diesem Augenblick. Datenübertragung ist abgeschlossen und synchronisiert.“

„Ruder bestätigt Datenempfang. Synchronisation läuft“, bestätigte Menz. Wie es der Tradition der Navy entsprach, bezeichnete man den Piloten hier als Rudergänger und dessen Steuerung als Ruder. Der Begriff Pilot war den Flugbesatzungen der Landungsboote und Jagdbomber vorbehalten.

„Mister Menz, klar zum Zünden der Haupttriebwerke bei maximaler Beschleunigung.“

Der Pilot bewegte den Kopf, der unter dem wuchtigen Virtual-Reality-Helm verschwand. Wang bedauerte, dass dem Mann der Anblick der Sterne verwehrt blieb. Sicher, er sah sie durch die Augen des Helmes, doch was war das im Vergleich dazu, sie mit eigenen Augen zu erblicken? Der chinesischstämmige Captain war sich sicher, dass es die Erfindung der Raketen durch sein Volk gewesen war, welche die Sehnsucht der Menschen nach den Sternen geweckt hatte.

„Aye. Haupttriebwerke gezündet. Bestätige maximale Beschleunigung.“

Im Heck des Trägerschlachtschiffes strahlten die Impulsdüsen in blauem Feuer. Vom Andruck der Beschleunigung war nichts zu spüren. Die Shriever-Aggregate sorgten für ein gleichmäßiges Schwereempfinden und das Beibehalten von oben und unten.

„Eins-O an Systemüberwachung: Status?“

„Alle Systeme Grün.“

Wang räusperte sich. „Erster, lassen Sie die Spulen schnellstmöglich aufladen. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“

„Aye, Captain, Sir.“ Flight-Commander Stuart unterdrückte seinen Ärger, denn die Ermahnung des Kommandanten empfand er als vollkommen überflüssig. „Eins-O an Systemüberwachung: Beginnen Sie mit der Aufladung der Spulen. Ladungsintensität mit Navigationsrechner synchronisieren. Melden, wenn bereit.“

„Aye, Sir. Aufladung der Spulen beginnt. Synchronisation mit Navigationsrechner ist aufgeschaltet. Melde, wenn zum Sturz bereit.“

Während man über viele Jahrzehnte auf den „nur“ überlichtschnellen Antrieb angewiesen war, hatte man bereits mithilfe des seltenen Hiromata-Kristalls den Nullzeit-Funk entwickelt, der es erlaubte, Nachrichten ohne zeitliche Verzögerung zwischen den Sternen zu übermitteln. Allerdings war es nie möglich geworden, sehr komplexe Inhalte zu übertragen. Statt Ton und Bild zu transportieren, musste man sich beim Nullzeit-Funk mit kurzen und langen Sendeimpulsen begnügen, so dass man auf das alte Morsealphabet zurückgegriffen hatte. Der Hiromata-Funk wurde daher auch oft, in Anlehnung an vergangene Zeiten der Seefahrt, als „Krachfunk“ bezeichnet.

Vor wenigen Jahren war dann es endlich gelungen, die Eigenschaften des Kristalls auch als Antrieb nutzbar zu machen. Jeder Raumfahrer kannte die Maßnahmen, die erforderlich waren, damit er funktionierte, doch selbst die Entwickler des Nullzeit-Sturzantriebs konnten nicht erklären, warum das so war. Man wusste nur, dass ein Schiff, dank der richtigen Ladung des Kristalls, bei Erreichen der Lichtgeschwindigkeit entmaterialisierte und im gleichen Augenblick an einer anderen Stelle wieder erschien. Damit dies am gewünschten Ort geschah, musste der Hiromata-Kristall mit der exakten Ladung versehen werden. Ein Hiromata-Antrieb sah höchst unspektakulär aus. Bei kleineren Schiffen war es ein Würfel mit einer Kantenlänge zwischen fünfzig und hundert Zentimetern. Von diesem gingen sechs gleich lange Steuerstäbe aus, die man auch als Speicherspulen bezeichnete, und deren Ausrichtungen mit den Achsen des Schiffes identisch waren. Die Stangen begannen im Würfel und endeten in einer Kugel, die ein Stück Hiromata-Kristall beinhaltete. Die zum Bug weisende Stange war in der Länge variabel und musste exakt justiert werden. Ihre Länge und Ladung bestimmte, wie weit ein Schiff durch die Nullzeit stürzte. Aufgrund der enormen Größe des Trägerschlachtschiffes waren dessen Speicherspulen bis zu hundert Meter lang.

Hiromata-Kristalle waren selten und ihr Abbau wurde unter der strengen Aufsicht des Direktorats geregelt. Jedes Gramm wurde registriert und dies galt ebenso für die Verwendung. Auf der Welt der Shanyar, über deren Existenz die Allgemeinheit nichts ahnte, gab es reiche Vorkommen, aber die Raumstreitkräfte achteten im Auftrag des Direktorats strikt darauf, dass die Isolation Shanyars aufrecht erhalten blieb. Wie das Volk der Hanari, so sollten sich auch die Shanyar eigenständig entwickeln. Die Beobachtermissionen der Sky-Navy und der Sky-Cav sorgten lediglich dafür, dass es zu keinen katastrophalen Entwicklungen kam. Auf diese Weise hoffte das Direktorat, die außerirdischen Intelligenzen von der Friedfertigkeit der Menschen überzeugen zu können und sie, eines Tages, als gleichberechtigte Partner im Weltraum willkommen zu heißen.

„Eins-O, ich verlasse die Brücke und bin im Briefing-Raum 4. Informieren Sie mich über Implant, wenn wir die Sturzgeschwindigkeit erreicht haben.“

Stuart nickte. „Aye, Sir. Achtung, Captain verlässt die Brücke.“

Wang erhob sich aus seinem Sessel, zog seine Uniformjacke glatt und machte sich dann auf den Weg, um an der Einweisung der Einsatztruppen teilzunehmen. Seine Anwesenheit war eigentlich nicht erforderlich, doch dies war sein Schiff und er hielt es für angemessen, Präsenz zu zeigen.

***

„Achtung, Offizier an Deck!“

Selbst die beiden Colonels erhoben sich respektvoll, als Fred Carruthers und Wang, Seite an Seite, Briefing-Raum 4 betraten. Beide trugen die reguläre Dienstuniform der Streitkräfte des Direktorats. Graublaue Hose und dunkelgrüne Jacke. Wang mit dem hellblauen Besatz und Barett der Sky-Navy, Carruthers mit dem Gelb der Sky-Cavalry. Hinter diesen betrat auch General Hastings den Raum. Da er sich, zur Überraschung einiger Anwesender, zu den Colonels hinter dem Podium setzte, wies dies darauf hin, dass er bei dieser Mission nicht den Oberbefehl innehatte. Hastings befehligte die Jagdbomber, die diesmal aber nicht zum Einsatz kommen würden und beschränkte sich daher auf eine unterstützende Funktion.

„Nehmen Sie Platz, Damen und Herren“, dankte Carruthers und trat in Begleitung des Schiffskommandanten an das Steuerpult auf dem Podest. „Zunächst meinen Dank an Captain Wang Li, dass er an dieser Einsatzbesprechung teilnimmt. Die meisten von Ihnen werden mich bereits kennen, aber ich will mich dennoch vorstellen: Ich bin Colonel Fred Carruthers und befehlige das fünfte Kavallerieregiment und, in diesem besonderen Fall, die vor uns liegende Mission. Hoch-General ibn Fahed, der normalerweise das Kommando haben würde, befindet sich derzeit auf dem Mars und hat, in Übereinkunft mit Hoch-Admiral Redfeather, die Befehlsbefugnis auf mich übertragen. Es handelt sich um eine Bodenmission, bei der General Hastings die Flugoperationen der Landungsboote koordinieren wird.“

Omar ibn Fahed war ein guter Freund ihres Vaters und Joana war klar gewesen, dass er nicht in der Basis weilte, da er sonst sicherlich zu ihrer Feier gekommen wäre. Offensichtlich war der Hoch-General und Oberbefehlshaber der Sky-Cavalry über den Einsatz informiert worden und hatte sich mit ihrem Vater koordiniert.

Joana war klug genug, um zwischen den Zeilen lesen zu können. Dass Carruthers die Befehlsübertragung an ihn, durch Hoch-General und Hoch-Admiral, erwähnte, sollte klar darauf hinweisen, dass er in seinem Kommando sowohl von der Navy als auch der Cav unterstützt wurde. Gegenüber den beiden anderen Colonels war das sicher nicht erforderlich. Die drei Regimentsbefehlshaber schätzten einander, und Hastings unbestrittene Fähigkeiten lagen in der Führung von Flugoperationen. Nein, für Joana war es ein Fingerzeig, dass man Captain Wang deutlich machen wollte, wer bei der Mission das Sagen hatte. Carruthers würde über die Kommandoübertragung nicht glücklich sein, denn das bedeutete für ihn, dass er die Mission von Bord der Trafalgar aus leiten musste und nicht selbst zupacken konnte. Aber ein Soldat musste nun einmal essen, was man ihm auf den Teller packte.

„Ich will es sehr direkt sagen: Wir haben einen Katastropheneinsatz der Priorität A, was schlichtweg bedeutet, dass der Dung so richtig am dampfen ist.“ Colonel Carruthers war Kavallerist durch und durch und hatte sich im Lauf der Jahre hochgedient. Er war sehr beliebt bei der Truppe, denn er forderte nichts, was er nicht selbst zu geben bereit war. Seine offene und manchmal auch grobe Art wurde von Hoch-General ibn Fahed hingenommen, auch wenn der gebürtige Araber zurückhaltendere Umgangsformen bevorzugte. Doch ibn Fahed wusste zu schätzen, dass Carruthers seine Meinung rundheraus vertrat und somit ein wertvoller Mitarbeiter bei der Einsatzplanung war.

Carruthers tippte an sein Implant. „Raumsteuerung: Licht auf fünfzehn Prozent. Holo-Projektion Eins beginnen. Akustische Steuerung aktivieren.“

Der Raum dunkelte ab. Über dem Podium entstand die holografische Projektion einer Welt, die der alten Erde überraschend ähnelte.

„Der Planet Neijmark im System Ondria-7. Rund hundertvierundzwanzig Lichtjahre von Arcturus entfernt. Neijmark wurde vor ungefähr fünf Jahren besiedelt. Die Informationen, die Sie nun von mir erhalten, sind leider schon zwei Jahre alt und mit Vorsicht zu betrachten. Wir erhalten aktuelle Daten, wenn wir am Ziel aus dem Nullzeit-Sturz kommen, unsere Scans beginnen und direkte Verbindung aufnehmen können.“ Der Colonel zog einen Pointer aus der Brusttasche. „Hologramm auf Zoom Eins.“ Der Planet wurde etwas größer. „Zwei Drittel sind Landmasse, ein Drittel Wasser. Es gibt drei Kontinente, von denen aber, nach den bisherigen Erkenntnissen, nur einer besiedelt wurde. Es gibt Unmengen von Wald. Ich erwähne das an diesem Punkt, da dies zu einem gewissen Problem führen könnte. Aber zunächst zu unserem Ziel und dem Grund, warum wir uns ihm nähern.“

Der Planet wurde noch größer und nun wurde eine Siedlung aus der Satellitensicht erkennbar.

„Neuwstat, die einzige große Siedlung von Neijmark. Einwohnerzahl vor zwei Jahren rund fünfzehntausend. Ich befürchte, dass in der Zwischenzeit noch etliche hinzugekommen sind. Befürchten, Herrschaften, weil diese Stadt möglicherweise nicht mehr existiert.“ Carruthers spürte, wie die Anspannung stieg, und machte eine kurze Pause, bevor er die sprichwörtliche Katze aus dem Sack ließ. „Ein interstellares Linienschiff ist über der Stadt oder in ihrer unmittelbaren Nähe abgestürzt.“

Joana Redfeather spürte den Schock, der sie so unvorbereitet traf. Hier und da war Raunen zu vernehmen und Carruthers ließ den Anwesenden Zeit, die Information in sich aufzunehmen.

„Ich betone es ausdrücklich: Aus dem eingegangenen Nullzeit-Notruf ging nur hervor, dass ein interstellares Linienschiff auf Neuwstat abgestürzt ist. Wir haben keine Informationen über den Typ des Schiffes oder das Ausmaß der Katastrophe, daher gehen wir vom schlimmsten Fall aus.“ Der Colonel sah die Hand eines Majors und nickte diesem zu.

„Eine kurze Zwischenfrage, Sir. Schließt das auch die Gefahr durch Verstrahlung ein?“

„Wir schließen absolut nicht aus“, antwortete der Colonel grimmig. „Da man von einem Absturz spricht, müssen wir davon ausgehen, dass es sich um kein Raumschiff in Modulbauweise handelte, sondern um ein Schiff in Kompaktbauweise. Das Sky-Command auf Arcturus fragt derzeit bei den Reedereien und Konzernen nach, ob irgendwo ein Schiff vermisst wird, aber das dauert seine Zeit, sofern die überhaupt etwas wissen. Bei kleinen privaten Händlern wird es noch schwieriger sein. Aber wir haben einen Anhalt. Die Luftdichte der Atmosphäre von Neijmark beträgt 1,3 nach Standard. Damit nennenswerte Trümmerteile eines Raumschiffes den Boden erreichen, muss es zumindest der Größenkategorie Drei angehören. Fast alle Schiffe haben saubere Energieerzeugung, aber es gibt eine Handvoll alter Seelenverkäufer, die noch mit Nukleartechnik fliegen. Wenn so ein Schiff auf die Stadt gestürzt ist, dann müssen wir mit einer atomaren Reaktion und der entsprechenden Strahlung rechnen. Ja, Susan?“

Susan Kling, Colonel der sechsten Raumkavallerie, erhob sich. „Unabhängig von einer möglichen Verstrahlung müssen wir aber in jedem Fall mit den Begleiterscheinungen einer nuklearen Detonation rechnen“, meinte die zierliche Frau. „Wenn ein massives Objekt mit Überschallgeschwindigkeit auf den Boden prallt, dann haben wir eine Druck- und Sogwelle sowie höchstwahrscheinlich brennende Teile, die durch die Gegend wirbeln und ihrerseits Feuer entzünden.“

Kling setzte sich wieder. Carruthers wechselte das Hologramm und zeigte die Ansiedlung aus geringerer Höhe. „Tja, Herrschaften, damit kommen wir zu dem Punkt, warum ich den reichen Waldbestand des Planeten als Problem sehe. Die Siedler auf Neijmark sind recht naturverbundene Leute. Normalerweise ist das positiv, doch in diesem Fall kann es sich als verhängnisvoll erweisen. In den meisten Kolonien werden die Gebäude aus dem leicht herzustellenden Bauschaum errichtet, der sehr stabil, feuerfest und strahlungsabschirmend ist. Daher wird das Zeug ja auch teilweise für die Außenhüllen von Raumschiffen verwendet. Nun, auf Neijmark baut man die Häuser jedenfalls aus Holz. Eine Handvoll Steinbauten oder Ziegelbauten, wie Sie auf dem Holo sehen können, aber die meisten Gebäude sind aus Holz, mit bis zu drei Stockwerken.“

Seitdem man die Erde aufgrund der Umweltzerstörung verlassen musste, waren Bäume als Nutzpflanze wertvoll und Holz wurde kaum verbaut. Es war ein kostspieliges Baumaterial und wurde bestenfalls für Auskleidungen und Dekorationselemente verwendet. Für Siedlungswelten wie Neijmark war Holz daher ein wichtiger Exportartikel.

„Ich will einmal grob zusammenfassen, mit was wir rechnen müssen.“ Fred Carruthers begann, an seinen Fingern aufzuzählen. „Aufprall eines größeren Objekt mit Überschallgeschwindigkeit. Daraus resultiert eine ebenfalls überschallschnelle Druckwelle. Sie wird sich allmählich abschwächen, aber auf ihrem Weg eine verdammte Menge Unheil anrichten. Bäume entwurzeln, Häuser zerstören, Menschen töten und jede Menge Trümmerteile wie Geschosse mit sich führen. Gleichzeitig hat diese Überdruckwelle eine luftverdrängende Wirkung. Sobald sich die Druckwelle abschwächt, strömt die verdrängte Luft wieder in ihren alten Raum zurück. Damit haben wir dann eine Sogwelle. Das ist nicht gut für Gebäude, das ist aber vor allem nicht gut für Menschen. Lunge und Organe werden unter der Druckwelle komprimiert und unter der Sogwelle dekomprimiert. Die Auswirkung solcher raschen Abfolgen von Überdruck und Unterdruck auf menschliche Organe nennt man Crush-Syndrom. Die Schäden für den Organismus sind fatal. Etwas langsamer kommt die Feuerwalze. Sie kann entstehen, weil der Überdruck die Luft extrem komprimiert und sie sich selbst entzündet, oder weil das abgestürzte Objekt seine brennenden Trümmer verteilt, die Folgebrände entzünden. Wir müssen also mit ausgedehnten Feuern rechnen, da diese Stadt überwiegend aus Holz besteht. Es wird eine Menge Rauchvergiftungen geben und schwerste Verbrennungsfälle. Aber dafür sind wir ausgebildet und, dank der mobilen Hospitäler, hoffentlich auch ausreichend vorbereitet. Wir müssen mit einer Menge Schwerverletzter rechnen. Viele können wir möglicherweise nicht auf die Trafalgar bringen, weil sie den Andruck beim Start eines Landungsbootes nicht überstehen würden.“

„Wenn Sie gestatten, verehrter Colonel“, meldete sich Captain Wang zu Wort, „dann möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass das Hospitalschiff D.S. Henry Dunant schnellstens zu uns stoßen wird. Sky-Command Arcturus übermittelte mir eine entsprechende Information.“

„Das ist eine gute Nachricht, Captain Wang, und meinen Dank dafür.“ Carruthers deutete eine leichte Verbeugung zu dem Schiffskommandanten an. „Nun, Herrschaften, was Neuwstat angeht, so wissen wir nichts über spezifische Gefahrenquellen. Wir haben keine Informationen über gelagerte Treibstoffe oder Gefahrgüter. Rechnen Sie also mit ein paar unangenehmen Überraschungen, falls uns keine aktuellen Informationen zukommen. Captain, Sie wollten noch etwas sagen?“

Wang erhob sich und trat neben den Colonel. „Sobald die Trafalgar aus dem Nullzeit-Sturz kommt, beginnt das Abbremsmanöver. Wie Sie alle wissen, benötigen wir knapp acht Stunden, um in den Orbit über Neijmark zu gehen. Während dieser Zeit werden wir alle Scanner und die astronomischen Fernrohre des Schiffes einsetzen, um uns ein aktuelles Bild von der Lage auf dem Planeten zu verschaffen. Bisherige Kontaktversuche über Krachfunk sind leider gescheitert, so dass ich nicht damit rechne, einen Lagebericht von den Siedlern zu erhalten. Alle Daten, die wir sammeln, werden in aktuelle Lagen umgewandelt und über das Sky-Command der Trafalgar auf Ihren taktischen Displays synchronisiert. Selbstverständlich werden ich und mein Flight-Command Sie und Ihre Trooper nach Kräften unterstützen. Nun, ich denke, Colonel Carruthers wird jetzt noch ein paar Worte zur Vorbereitung an Sie richten.“ Wang deutete ebenfalls eine leichte Verbeugung an und setzte sich wieder.

Fred Carruthers räusperte sich. „Sie haben die Satellitenaufnahmen der Stadt gesehen. So, wie sie vor zwei Jahren ausgesehen hat. Nehmen Sie die Aufnahmen als Anhalt, aber keinesfalls als Gegebenheit. Die Stadt ist in der Zwischenzeit gewachsen und hat sich wahrscheinlich deutlich verändert. Ich bin überzeugt, dass Captain Wangs Unterstützung für uns sehr hilfreich, wenn nicht gar entscheidend, sein wird.“ Der Colonel schaltete das Hologramm aus und ließ die Raumbeleuchtung auf normale Werte setzen. „Wir haben noch knapp sieben Stunden, bis die Trafalgar in den Nullzeit-Sturz gehen kann. Die kommenden fünf Stunden wird die gesamte erforderliche Ausrüstung überprüft. Das fünfte Regiment ist für den Bereich Brandschutz zuständig, das sechste für medizinische Versorgung und das siebente für Bergung und Betreuung. Natürlich werden die Regimenter nicht geschlossen eingesetzt. Je nach Situation werden wir Kompanien und Züge der verschiedenen Einsatzgebiete miteinander kombinieren. Wenn es die Lage erfordert, werden sie schnell reagieren und eventuell ihr Einsatzspektrum ändern müssen. Aber deswegen haben unsere Trooper ja auch eine gute Ausbildung in allen Gebieten erhalten. Da die Fünfte speziell für die Brandbekämpfung eingesetzt wird, noch ein paar Hinweise: Wir wissen nichts über die Wasserversorgung der Stadt. Es gibt also keine Daten über Wasserleitungen oder Hydrantennetz oder die Kanalisation. Es gibt einen Fluss und mehrere kleine Seen oder Teiche innerhalb des Stadtgebietes, wir werden aber für den Notfall auch das Brunnenbohrgerät mitnehmen. Richten Sie sich für die großen Löschpumpen auf lange Förderstrecken ein, ansonsten werden wir hoffentlich mit den tragbaren Impulslöschkanonen klarkommen. Colonel Kling, ein paar Worte zur medizinischen Erstversorgung durch Ihre sechste Cav?“

„Gern.“ Die zierliche Frau trat erneut an das Podium. „Erinnern Sie sich an die Worte von Colonel Carruthers. Wir werden es mit Crush-Syndrom, schwersten Verbrennungen, Amputations- und Splitterverletzungen zu tun bekommen. In Wunden eingedrungene Glasscherben, Steinchen und Holzsplitter sind auf Ihren Helm-Scannern nur schwer erkennbar. Begnügen Sie sich nie mit oberflächlichen Untersuchungen, sondern setzen Sie die medizinischen Scanner und die empfindlichste Gerätereinstellung ein. Wir werden eine Menge Medikamente und Massen an Null-Blut brauchen. Eine kurze Ergänzung zu Carruthers Ausführungen. Auch die Standorte der notfallmedizinischen Einrichtungen von Neuwstat und die der Apotheken sind uns unbekannt. Denken Sie daran, dass uns Apotheken in zweierlei Hinsicht interessieren: Sie können unsere Vorräte ergänzen, sind im Brandfall aber extrem gefährlich. Wenn sie brennen, weiß man nie, was für eine Chemikalien-Mixtur durch den Abbrand der gelagerten Medikamente entsteht.“

„Colonel Benkov?“

Der russischstämmige Marsianer mit dem dichten Vollbart trat neben die anderen. „Hm, ja. Für die Siebente sind Bergung und Betreuung vorgesehen. Ich brauche jetzt nicht an die Vorgehensweise zur Bergung verschütteter Personen einzugehen. Da wir es mit nur wenigen massiven Bauten und stattdessen mit Holzgebäuden zu tun bekommen, werden wir nur wenig schweres Bohr- und Aufbrechgerät benötigen. Was ich hier betonen will, das ist das Problem, dass man auf Neijmark keine Implants kennt. Das heißt, man kennt sie natürlich schon, aber die Leute hier haben sie sich entfernen oder gar nicht erst implantieren lassen. Eine Ortung über die Geräte ist also nicht möglich. Ebenso wenig eine Identifikation. Wir müssen schnellstens eine Verbindung zur Datenbank der Siedlung herstellen, um eine Liste der Bewohner zu erhalten. Jede geborgene Person, ob lebend oder tot, muss sofort identifiziert und registriert werden. Familienangehörige, Verwandte oder Freunde sollen schnellsten erfahren, wie es um die Betroffenen steht. Ermahnen Sie Ihre Trooper, dabei behutsam vorzugehen. Vermutlich stehen alle Siedler auf dieser Welt unter Schock. Hm, ja, äh, das wäre es fürs Erste.“

Fred Carruthers dankte und übernahm wieder das Wort. „Alle Regimentsoffiziere und Unteroffiziere erhalten die Listen mit den erforderlichen Ausrüstungen und wo diese zu finden sind auf ihre Mini-Comps. Es gibt fast vierhundert Frachträume und Lager auf diesem Schiff. Wo was zu finden ist, erfahren Sie mit Hilfe der Listen auf Ihren Mini-Comps. Überprüfen Sie die Inhalte der Container und Lastmodule. Was nicht unzweifelhaft einsatzbereit ist, fliegt raus. Wir können auf Neijmark keine Zeit mit Fehlersuchen verschwenden. Die Wartungsteams werden in dieser Zeit die Fast Landing Vehicles startbereit machen und auf die Beladung vorbereiten. Danach haben alle vier Stunden Ruhezeit. Das bedeutet, Herrschaften, dass Sie alle, und jeder einzelne Trooper, für diese Zeit in einen leichten Hypnoseschlaf gehen. Ich will jeden Einzelnen ausgeruht und topfit, wenn es zur Sache geht. Von den verbleibenden sieben Stunden, bis wir in den Orbit einschwenken, werden fünf Stunden veranschlagt, um die Ausrüstung in die FLVs zu laden und die persönliche Ausrüstung anzulegen. Es gibt hier genug Gabelstapler und Lastenkarren, so dass sich das in der Zeit schaffen lässt. Ihre Kompanieoffiziere haben darauf zu achten, dass genug Energiepacks als Reserve für die Kampfanzüge mitgenommen werden. Spätestens eine Stunde vor Erreichen der Parkposition will ich Sitzbereitschaft von jeder Kompanie erhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt werden unsere Daten aktuell und synchronisiert sein. Ihre taktischen Befehle erhalten Sie über die Mini-Comps. Es wird kein weiteres Briefing geben.“

Colonel Carruthers ließ die Worte kurz einwirken. „Gibt es Fragen?“

Es gab keine. Mehr Informationen zum Einsatzgebiet waren noch nicht verfügbar und jeder wusste, worauf es bei den Vorbereitungen ankam.

Carruthers nickte unmerklich. „Schön, Herrschaften. Packen wir es an und erledigen wir unseren Job. Retten wir so viele Leben, wie es nur irgend möglich ist.“

Sky-Troopers 3 - Piraten!

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