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Kapitel 3 Der Colonello

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Velasquita kannte diesen Blick ihres Ziehvaters schon. Pater Umbrio stand dicht davor, den heiligen Zorn des Herrn auszuschütten und sie war froh, nicht das Ziel seines Unmuts zu sein. Sie standen im Laden der Familie Arigon, an dem langen Tresen, der tagsüber den Verkaufsgeschäften und abends dem Ausschank diente. Eine Handvoll Bürger waren der Mittagshitze entflohen und hatten sich bereits hierhin zurückgezogen, um im Schatten des großen Raums ein Bier oder einen Wein zu sich zu nehmen.

Pater Umbrio hielt einen Holzsplitter zwischen Daumen und Zeigefinger seiner Hand. Einen eher winzigen Holzsplitter, der seinen großen Zorn hervorrief. „Du versündigst dich, Julio. Du und deine Frau. Was du da treibst, das ist Betrug, mein Sohn.“

„Ja!“, rief einer der Gäste. „Wie das gepanschte Zeug, das er uns auftischt.“

Julio breitete entschuldigend die Hände aus. „Was soll ich machen, Freunde, hä? Was soll ich machen? Ich bekomme keinen Wein und kein Bier, obwohl ich beides bestellt habe. Und in einer Woche wird die Wallfahrt der Pilgerinnen einsetzen. Viele durstige Kehlen, die nach Andajoz kommen werden. Soll ich sie verdursten lassen? Der Herr ist mein Zeuge, aber mir bleibt nichts übrig, als Wein und Bier ein wenig, äh, zu strecken.“

„Lass den Herrn aus dem Spiel“, knurrte Pater Umbrio grimmig. „Es ist jedes Jahr dasselbe. Immer hast du bestellt und nie kommt eine Lieferung.“

„Ja“, meldete sich der Gast erneut, „und immer muss er panschen. Ah, wenn unser lieber Julio wenigstens die Preise angemessen senken würde.“

„Du brauchst es ja nicht zu saufen!“, rief Julio zurück und nahm einen schmutzigen Lappen, um hastig über den Tresen zu wischen.

Pater Umbrio legte eine Hand auf die verkratzte Holzplatte und stoppte Julios Bewegungen. „Mein Sohn, wir sind nicht fertig miteinander. Gepanschter Wein und Bier sind eine Sache…“ Er hielt dem Wirt den Holzsplitter vor Augen. „Das hier, das ist etwas ganz anderes. Du verkaufst den gläubigen Pilgerinnen gewöhnliche Holzsplitter und behauptest, sie seien aus der Rinde der Wundereiche. Du betrügst im Namen des Herrn, Julio!“

Julio Arigon zuckte verlegen die Schultern. „Es ist nicht eigentlich Betrug, Pater, wirklich.“ Er sah hilflos zu seiner Frau hinüber, die so tat, als bemerkte sie den Disput nicht. „Ah, Theresa, mein geliebter Schatz, erkläre du dem Pater, dass wir keinen Betrug betreiben. Dass wir dem Herrn in all seiner Güte nur ein wenig, äh, behilflich sind.“

Pater Umbrio sah Theresa finster an. „Versündige du dich nicht auch noch, Theresa Arigon. Du kannst nicht genug Ave-Maria beten, um dann Buße vor dem Herrn zu tun.“

Theresa fühlte sich zwischen der Geldgier ihres Mannes, die sie durchaus teilte, und ihrem Respekt vor Pater und Glauben hin und her gerissen, und räusperte sich nervös.

Julio sah sie irritiert an. „Theresa!“

Sie polierte eifrig ein paar Becher und zuckte hilflos die Schultern.

Julio schnaubte wütend und lächelte den Pater in seiner langen Kutte dann freundlich an. „Wirklich, Pater Umbrio, es ist kein Betrug, ganz wirklich nicht. Der Herr in seiner unergründlichen Gnade hat uns ja das Wunder der fruchtbaren Eiche beschert und… und…“

Pater Umbrio drückte seine Finger zusammen und der kleine Holzsplitter zerbrach. „Versuche keine Predigt, Julio, das ist meine Sache.“ Er zerrieb die Reste des Spans zu winzigen Krümeln. „Dies ist kein Holz der Wundereiche.“

„Ich habe es daran gerieben“, sagte Julio hastig, denn Pater Umbrio sah aus, als werde er ihn gleich über den Tresen zu sich heranziehen und ihm eine Tracht Prügel verabreichen. Oh ja, man wusste, dass der Pater die Worte des Herrn durchaus tatkräftig unterstützen konnte. Erst letzte Woche hatte Umbrio einen der betrunkenen Soldaten von Sargente Ruiz am Fuß zur Tränke geschleift, ihn dort ausgenüchtert und dann mit sich zum Gottesdienst geschleppt. „Ich habe es daran gerieben.“

„Du hast… was?“

Velasquita´s Blicke pendelten zwischen dem verängstigt wirkenden Julio und ihrem Ziehvater hin und her. Sie genoss den kleinen Streit zwischen ihnen und gönnte dem Händler und Schankwirt eine kleine Abreibung. Seine Gier war berüchtigt, auch wenn man ihm einen gewissen Charme nicht absprechen konnte. Zudem hatte er wirklich die einzige Schänke in weitem Umkreis und sie war Anlaufstelle aller Reisenden und somit eine Quelle interessanter Neuigkeiten. Wenn man in Andajoz lebte, dann war, wenn man es recht bedachte, eigentlich jede Neuigkeit interessant.

„Ich reibe die Splitter am Stamm der Wundereiche“, sagte Julio ein wenig kläglich. Er sah die Verwirrung im Gesicht des Paters und nickte eifrig. „Doch, doch, das tue ich.“ Er wies zu Theresa hinüber. „Und meine liebe Frau Theresa hilft mir dabei. Es ist doch wie bei den Heiligenbildern, nicht wahr“, sagte er eifrig. „Die Leute berühren sie und finden die Gnade Gottes, nicht wahr, Pater Umbrio?“

Pater Umbrio kniff die Augen zusammen. Was er da hörte, gefiel ihm nicht, denn er spürte, dass er sich in einer Falle verfing.

„Es gibt gesegnete Heiligenbilder, die Wunder bewirken können, nicht wahr?“, fuhr Julio fort. „Zum Beispiel die heilige Madonna in Sevilla, nicht wahr?“

Pater Umbrio nickte widerwillig. „Die Heilige Mutter Kirche bestätigt das, ja.“

„Nun, verehrter Pater, Ihr sagt doch selbst, das unsere Eiche Wunder bewirkt.“

Pater Umbrio räusperte sich. Dem konnte er nicht widersprechen und so nickte er grimmig. „Das tut sie.“

„Und wer sie berührt, ist Gottes Gnade näher, nicht wahr?“

Theresa, die bemerkte, dass der Pater unsicher wurde und sein Zorn verrauchte, legte ihr Tuch zur Seite und kam rasch näher. „Wir nehmen Späne und reiben sie an der Rinde der Wundereiche, so dass das Wunder übergehen kann, verstehen Sie, Pater? Oh, wir sind ganz vorsichtig, wir wissen ja, dass man die Wundereiche nicht beschädigen darf. Aber wenn sie doch selber sagen, dass eine Berührung das Wunder überträgt, so muss doch die Berührung der Späne dasselbe bewirken.“

Julio nickte eifrig. „Ja, nicht wahr?“

Pater Umbrio brauchte das, was ein Soldat als ehrenvollen Rückzug bezeichnet hätte. Er war lange genug Priester, um einen vernünftigen Weg zu finden. „Du und deine Frau, Julio, ihr bereichert euch am Wunder des Herrn. Unbestreitbar veräußert ihr die Späne an die Gläubigen und nehmt Geld für etwas, dass der Herr den seinen aus Gnade gewährt.“

„Oh, nicht nur Geld“, sagte Julio eifrig. „Wir nehmen auch andere Dinge.“ Er errötete unter dem Blick Theresas und verstummte.

Pater Umbrio sah es pragmatisch. „Wenn du und deine Frau Theresa, von dem Wunder des Herrn profitieren wollen, dann solltet ihr bedenken, dass dieses Wunder allen Menschen gilt.“

Er hatte diesen Unterton in der Stimme, den er auch manchmal in seinen Predigten nutzte und der Julio nachdenklich die Augenbrauen hochziehen ließ. Pater Umbrio ließ ihn auch nicht lange im Zweifel, wie er sich eine Einigung vorstellte.

„Du und deine Frau Theresa, ihr mögt die Späne an der Rinde der Wundereiche reiben und sie verkaufen. Aber der Gewinn daraus, mein lieber Julio, sollten wirklich allen zugute kommen.“

„Allen?“ Julio riss entsetzt die Augen auf.

„Andajoz“, sagte Pater Umbrio freundlich. „Andajoz und seinen Menschen. Es gibt immer Bedürftige und auch das Dach der Kapelle sollte neu gedeckt werden, du verstehst, mein Sohn?“

„Aber wir haben die Arbeit damit“, protestierte Julio.

Theresa trat an den Tresen und nickte. „Schließlich reiben wir die Späne am Baum.“

„Geben ist seliger denn nehmen“, wandte Pater Umbrio ein, „und Gottes Augen werden wohlgefällig auf euch ruhen, wenn ihr wohltätiges Werk tut.“ Er räusperte sich und zwinkerte Julio zu. „Wohl will ich meinen, dass ihr ein wenig mehr Arbeit damit habt.“

„Zehn Prozent des Gewinns für Andajoz“, sagte Julio eifrig und sah den Blick des Paters. „Und zehn Prozent zusätzlich für das Haus des Herrn.“

Pater Umbrio grinste wölfisch. „Feilsche nicht um das Haus Gottes. Zwanzig Prozent, das Dach der Kapelle ist groß.“

Sie waren sich einig und Pater Umbrio wandte sich ruckartig um, fixierte die Gäste, die an den Tischen saßen und dem Gespräch aufmerksam gelauscht hatten. „Untersteht euch“, knurrte der Pater. „Wenn ich noch jemanden erwische, der sein Holz an der Eiche wetzt, den lasse ich exkommunizieren, ist das klar?“

Ein paar Augen weiteten sich erschrocken und Velasquita wusste, dass die Vermutung des Paters ins Schwarze getroffen hatte. Doch nun würde es keiner wagen, sich über sein ausdrückliches Verbot hinwegzusetzen und Julio und dessen Frau nachzueifern. Diese würden eifersüchtig darauf wachen, dass niemand heimlich zur Eiche schlich, der dort nichts zu suchen hatte.

Velasquita seufzte. All dieser Streit um ein wenig Holz, welches an anderem Holz gerieben wurde. Dabei gab es weit erfreulichere Dinge, die sich reiben ließen. Sie sah ihren Ziehvater lächelnd an. „Ich wollte sehen, ob ich Gonzo im Hotel helfen kann.“

„Eine gute Idee, mein Kind“, sagte Pater Umbrio und betrachtete nachdenklich die von ihm zerriebenen Holzkrümel auf dem Tresen. Dadurch hatte er die Einnahmen der Kirche unabsichtlich geschmälert, aber dieses Opfer war verzeihlich, denn dadurch wurde ihm die Möglichkeit eröffnet, die Bedürftigen von Andajoz stärker zu unterstützen. „Es gibt viel zu tun, nun, da die Wallfahrt bald beginnt.“ Er sah Velasquita an und sein Blick wurde eindringlich. „Du wirst aber nicht zum Haus des Alcalden gehen.“

„Aber nein“, sagte sie ernsthaft. „Nur zum Hotel.“

„Und nicht in den Stall, mein Kind.“ Pater Umbrio lächelte verständnisvoll. Liebe ließ sich nicht verhindern, aber der Pater fand, dass eine Liebe, die über einen dornigen Pfad zueinander fand, ernsthafter und gottgefälliger war, als der leichte Weg der Sünde.

„Auch nicht in den Stall“, sagte Velasquita und sah ihn in gespielter Empörung an.

Plötzlich mussten sie beide lächeln und Pater Umbrio legte ihr die Hand auf die Schulter. „Wenn er dich wirklich liebt, meine Tochter, wird ihn nichts davon abhalten, dich zu finden.“

Velasquita schnappte sich ein Stück Brot aus dem kleinen Korb, der auf einem der Tische fand und lächelte den Gast freundlich an, dann hastete sie aus der Cantina und wandte sich nach rechts in Richtung auf das Hotel.

„Theresa“, sagte Julio gutgelaunt, „lass uns ein wenig aufspielen.“

Die Gäste, die ein wenig mit Julio schmollten, da er ihnen eine interessante Einnahmequelle mit dem Segen des Paters vor den Augen weggeschnappt hatte, klatschten erfreut in die Hände.

„Ja, Theresa, einen Flamenco. Lass die Beine fliegen.“

Julios Gitarre begann zu klingen, während Theresa vor dem Tresen zu tanzen begann und die Kastagnetten wirbelte. Julio hatte eine gute Stimme und stimmte die vierzeiligen Strophen eines alten spanischen Volksliedes an, und die Gäste stimmten in den Refrain ein.

„Höher, höher“, riefen die Männer und klatschten rhythmisch und Theresa tat ihnen lächelnd den Gefallen. Selbst Pater Umbrio sah wohlgefällig auf ihre Beine, die sie nun ein klein wenig mehr entblößte. Er war gefeit gegen solch fleischliche Genüsse, aber Gott der Herr, in all seiner Güte, hatte nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Priester sich der Ästhetik hingab.

Velasquita hörte das „Aye, Aye, Aye“ der gut gelaunten Gäste der Schänke und schritt lächelnd an der Plaza vorbei zum Hotel. Natürlich wusste Alejandro, dass sie dorthin kam und natürlich wusste Pater Umbrio, dass Alejandro es wusste. Es war ein Spiel mit Regeln und Verlockungen, und Velasquita wusste, dass ihr Ziehvater Verständnis für sie hatte, sich jedoch einfach um sie sorgte.

Sie hatte das Hotel fast erreicht, als sie Hufschlag hörte, der sich über die Hauptstraße der Plaza näherte.

Automatisch wandte sie sich um und sie sah rote Uniformen und Pferde zwischen den Häusern auftauchen. Rote Uniformen und rot bezogene Helme mit langen schwarzen Rosshaarschweifen. Messing, Gold und Silber blitzten und funkelten. Velasquita wusste sofort, dass dies die Soldaten jenes Colonello waren, der Andajoz erst vor kurzem besucht und die schlechten Nachrichten vom Krieg gebracht hatte.

Velasquita trat mit den anderen wieder auf die Plaza hinaus und sah zu, wie immer mehr Soldaten auf den Platz ritten und sie sah Maultiere, die von anderen Männern geführt wurden. Maultiere, die eine schwere Fracht trugen. Als sie noch näher kamen erkannte Velasquita den Oberst und dass er und seine Männer abgekämpft und schmutzig wirkten. Es schien ihr fast, als sei es eine Angewohnheit des Colonello, immer mit schlechten Neuigkeiten nach Andajoz zu kommen.

„Was ist da los?“, murmelte Alejandro, der neben seine geliebte Velasquita trat. Sie berührten sich flüchtig, wagten es nicht, vor den anderen Menschen ihre Liebe zu offen zu bekunden, obwohl sie kaum ein Geheimnis sein konnte. „Ist das nicht dieser Colonello aus Madrid?“

„Ja, aber dieses mal ist er nicht alleine“, erklang Gonzos Stimme hinter ihnen. „Ah, das gefällt mir nicht. Diese Männer haben gekämpft. Hoffentlich bringen sie uns keinen Ärger nach Andajoz. Ausgerechnet jetzt, so kurz vor der Wallfahrt.“

Velasquita schlug entsetzt die Hand vor den Mund, als sie nun verwundete Soldaten erkannte, denen Kameraden von den Pferden halfen. Sie sah den nackten und flüchtig abgebundenen Beinstumpf eines Mannes, einen anderen, dessen Kopf mit einem blutigen Verband versehen war und der offensichtlich nichts sehen konnte. Wunden und Verstümmelungen waren ihr nicht fremd, denn sie hatte Pater Umbrio schon einige Male geholfen, wenn er verunglückte Menschen versorgte. Es gab Raubtiere in den Bergen, die vor allem im Winter bis Andajoz vordrangen, Menschen, die sich an Werkzeugen und Klingen verletzten oder einfach stürzten. Aber nie zuvor hatte sie solche Wunden gesehen, die zudem von Menschen verursacht worden waren. Plötzlich erhielt der Begriff Krieg einen anderen Klang für sie.

„Verdammt, holt endlich Doktor Mendez!“, rief Gonzo wütend über den Platz und eilte mit den anderen zu den Soldaten hinüber. „Wo steckt der verdammte Kerl schon wieder?“

„Schon da“, brummte eine tiefe Stimme und die stämmige Gestalt des Arztes drängte sich durch die anderen. „Macht endlich Platz, zum Teufel.“

Velasquita sah Colonello Mellendez mit einem anderen Offizier ins Haus des Alcalden treten und Donna Carmen, die ihren Sohn zu sich rief und Alejandro dann ausschickte, um Sargente Ruiz aus dem Castillo zu benachrichtigen.

Ein anderer Mann, so stämmig wie der Doktor, doch in der Uniform der Cazadores und mit zwei gelben Winkeln an den Oberarmen, trat zu Doktor Mendez, den er wohl an dessen Ledertasche erkannte. „Wir haben getan, was wir für sie tun konnten, aber sie brauchen Ruhe und Pflege, die wir ihnen nicht bieten können.“

Es waren vier verwundete Männer mit unterschiedlich schweren Verletzungen. Doktor Mendez betrachtete sie nacheinander, beugte sich kurz zu ihnen und untersuchte sie flüchtig, bevor er sich aufrichtete und die Umstehenden ansah. „Ich brauche einen großen Raum für die Operation, viel heißes Wasser, saubere Tücher und heißes Eisen.“ Er sah Velasquita an. „Kannst du mir helfen?“

„Natürlich.“ Velasquita hatte kein Verlangen danach, die entsetzlichen Wunden näher zu sehen, aber sie konnte auch nicht tatenlos zusehen, wie diese Männer litten. Mendez würde jede Hilfe brauchen können. Eigentlich war er kein wirklicher Arzt. Dafür war Andajoz einfach zu klein. Irgendwann war der stämmige Mann in den Ort gekommen und war geblieben. Er schien recht gebildet und er verstand sich darauf, Zähne zu ziehen und verletzte Tiere zu versorgen. Wie er gelegentlich betonte, sei zwischen Mensch und Schwein kein wesentlicher Unterschied, weder körperlich noch moralisch. Er war ein seltsamer und meist wortkarger Mann und Velasquita vermutete, dass er einen heimlichen Kummer in sich trug. Aber er hatte gute und fürsorgliche Hände, und er verstand sich auf Wunden, und so nannten alle ihn Doktor Mendez, obwohl selbst der Alcalde nicht wusste, ob dies berechtigt war.

„Bringt sie zu mir“, sagte Gonzo bereitwillig. „Wir haben gerade erst sauber gemacht und genug Platz. Später, wenn es ihnen besser geht, können wir sie woanders hinbringen.“

Natürlich, Gonzo wollte sich das Geschäft mit den Pilgerinnen nicht verderben, aber immerhin verlor er keine Zeit und eilte voraus, um die große Doppeltür des Hotels aufzustoßen.

„Jorge“, rief er nach seinem Sohn, „stell die Tische zusammen, wir müssen operieren! Juana, heißes Wasser und saubere Tücher und jede Menge davon!“

Hinter dem Empfangstresen des Hotels blickte Gonzo´s Schwester Juana auf und stieß einen erschrockenen Schrei aus, als die Verwundeten hereingetragen wurden. Gonzo klatschte in die Hände. „Eil dich, Juana, diese Männer leiden. Jorge, verdammt, wo steckst du?“

Sie schoben Tische zusammen, so dass man die Verwundeten darauf legen konnte und Doktor Mendez scheuchte die Umstehenden zur Seite und begann die Uniformen der Soldaten mit einem scharfen Messer aufzuschneiden. „Macht Platz und besorgt mir mehr Licht!“, rief er, ohne sich umzudrehen und seine Finger zogen Stoff auseinander und beäugten misstrauisch die Verletzungen. „Und besorgt mir endlich Wasser, Tücher und glühende Eisen. Und ein verdammtes Stück Leder.“

Der Cazador auf dem Tisch hatte eine tiefe Brustwunde, hervorgerufen durch einen Säbelhieb, der ihn quer über den Rippen getroffen hatte. Man sah blanke Knochen zwischen blutigem Fleisch. Hinter Velasquita erklangen ein leises Ächzen und ein dumpfer Aufprall.

„Schafft ihn raus“, brummte Mendez. „Alle raus, die hier nichts verloren haben.“

Einige gingen freiwillig, da ihnen übel wurde, doch andere blieben und drängten sich um den Doktor, auf morbide Weise von seinem Handwerk fasziniert. Mendez sah sich um und erkannte den Hauptfeldwebel der Cazadores. „Sie, Sargente, wie heißen Sie?“

„Carrado, Doktor“, erwiderte der Mann mit grimmigem Gesicht.

„Gut, Sargente Carrado“, knurrte Mendez. „Schaffen Sie mir die Leute vom Hals.“

Sargente Carrado blickte immer noch grimmig, doch nun sah er die Umstehenden an und knurrte dazu, und der Vorraum des Hotels leerte sich überraschend schnell. Nur eine Handvoll Frauen, Velasquita, und der Sargente mit dreien seiner Männer, blieben im Raum. Velasquita half den anderen Frauen, Kessel mit heißem Wasser zu bereiten und riss saubere Leinentücher in Streifen. Sicher würden einige der Pilgerinnen auf ihr Bettlaken verzichten müssen. Jorge war endlich aufgetaucht und hatte ein Becken mit glühenden Kohlen im Vorraum aufgestellt. Der Doktor öffnete seine Tasche und breitete seine Instrumente aus, während ein eiserner Haken in den Kohlen zu glühen begann.

„Ihr Soldaten seid verdammte Narren, euch gegenseitig so zuzurichten“, murmelte Mendez und zupfte kleine Stofffetzen der Uniform aus der Brust des Cazadores. Der Soldat krallte die Hände in die Tischkante und Schweiß perlte auf seiner Stirn, aber er gab keinen Laut von sich. Velasquita mochte nicht glauben, dass ein Mensch solche Schmerzen aushalten konnte. Sie nahm ein Leinentuch, tupfte behutsam etwas Blut von der Brust des Soldaten und Schweiß von der Stirn des Doktors und beides vermischte sich, so dass sich bald ein rötlicher Schmierfilm auf der Stirn von Mendez abzeichnete.

„Sargente?“

„Ja?“ Carrado trat näher und berührte sanft die Hand des Soldaten, nickte ihm aufmunternd zu.

„Sehen Sie an seiner Jacke nach, ob ein Knopf oder ein anderes Stück fehlt.“ Mendez beäugte die Wunde, leckte sich über die Lippen. „Es darf nichts in der Wunde bleiben, was sich entzünden könnte.“ Er sah den Verwundeten an. „Immerhin war die Klinge des Franzosen frisch geschärft. Schöner sauberer Schnitt, keine Scharten im Säbel, die das Gewebe zerfetzt hätten.“ Er sah den Soldaten ernst an. „Du wirst jetzt auf das Leder beißen, mein Freund. Ja, ich weiß dass du tapfer bist, aber das hier wird jetzt wirklich wehtun. Doch es muss geschehen. Also zeig keinen falschen Stolz, denn ich will nicht, dass du dir die Zunge abbeißt. Hast du das verstanden?“

Der Verwundete sagte nicht, aber Sargente Carrado nickte und schob dem Mann einen Lederknebel zwischen die Zähne. „Er hat verstanden, Doktor. Er wird seine Pflicht tun, so wie Sie die Ihre.“

Doktor Mendez warf dem Hauptfeldwebel einen Blick zu, der verriet, dass er nicht besonders viel von soldatischen Pflichten hielt, aber dann nahm er das glühende Eisen, nickte den anderen Soldaten zu und diese drückten den Verletzten auf den Tisch, hielten ihn fest, während der Doktor das Eisen in die Wunde senkte. Velasquita wurde es schlecht. Es zischte, stank nach verschmortem Fleisch und die Beine des Verwundeten zuckten hilflos, bis ein anderer Soldat sie festhielt. Dann erschlaffte der Körper auf dem Tisch.

„Mein Gott“, stammelte Velasquita. „Ist er… ist er…?“

„Nein“, sagte Doktor Mendez grimmig. Er begann die Wundränder mit den Fingern zusammenzudrücken und zu vernähen. „Nur bewusstlos. Rasch, verbindet ihn und dann legt ihn behutsam in ein Bett. Die Wunde darf nicht aufbrechen. Die Hitze des Eisens hat die Gefäße verschweißt, aber eine falsche Bewegung und meine Arbeit war umsonst.“

„Wird er gesund?“

Mendez sah Velasquita achselzuckend an. „Das liegt letztlich in den Händen des Herrn. Aber falls er es übersteht, wird er nie wieder eine Klinge führen können. Die Narbe wird ihn daran hindern. Vielleicht kann er nicht einmal mehr gerade stehen. Immerhin hat er Glück, dass weder die Lunge noch andere Organe verletzt wurden. Was ist?“ Er sah die Soldaten an. „Bringt mir den nächsten.“

Der Mann jammerte, doch nicht wegen der Schmerzen. Sein Bein hing nur noch an einem blutigen Muskelstrang, wie Velasquita schaudernd erkannte, als der provisorische Verband entfernt wurde. „Ich muss wieder reiten“, keuchte der Mann. „Ich kann den Colonello nicht im Stich lassen.“

„Das Bein muss ab“, sagte Doktor Mendez schonungslos. „Haltet ihn fest. Je schneller wir es hinter uns bringen, desto besser für ihn.“

Sie pressten ihm den Knebel zwischen die Zähne, hielten ihn fest und der Doktor schnitt den Muskelstrang mit einem scharfen Messer durch. „Man muss genug Haut überstehen lassen“, murmelte er beiläufig, „damit man den Stumpf damit bedecken kann.“

Er legte das Messer zur Seite und ergriff eine Säge.

Das war der Moment, indem Velasquita die Sinne schwanden.

Sie kam auf dem Vorbau des Hotels zu sich und einer der Soldaten kniete mit Alejandro neben ihr und sie fächelten ihr Luft zu. Velasquita brauchte eine Weile, bis sie wirklich zu sich fand. Ihr war schlecht und so beugte sie sich zur Seite und übergab sich. Alejandro streichelte besorgt ihre Hand, während der Soldat sie mitfühlend ansah.

„Tapfere junge Dame, deine Freundin“, sagte der Cazador leise. Er nickte Alejandro zu und ging dann ins Hotel zurück.

Velasquita nahm dankbar eine Kalebasse mit Wasser, trank ein paar Schlucke und versuchte ihren Magen zu beruhigen. Sie ließ sich seufzend an Alejandro´s Brust sinken und spürte, wie dieser ihr das Gesicht mit einem feuchten Lappen reinigte.

„Einer der anderen ist gestorben“, sagte Alejandro leise. „Die übrigen kommen wohl durch, wie Doktor Mendez sagt.“

Velasquita sah wieder die schrecklichen Wunden vor sich und ihre Übelkeit drohte zurückzukehren. „Lass uns jetzt nicht darüber sprechen“, murmelte sie. „Lass uns jetzt einfach schweigen und ein bisschen so sitzen bleiben.“

Alejandro küsste sie schweigend in den Nacken und Velasquita genoss den sanften Herzschlag, den sie in seiner Brust spürte. Sie blickte träge über die Plaza von Andajoz. An der Wundereiche vorbei konnte sie das Haus des Alcalden erkennen. Noch immer waren Soldaten auf dem Platz, aber Pferde und Maultiere standen nun in geordneten Reihen und die Männer bewegten sich zwischen den Tieren und versorgten sie.

„Dieser Colonello aus Madrid, dieser Mellendez, ist immer noch bei Vater“, murmelte Alejandro. „Ich glaube, er hat es eilig und will weiter. Sie haben nicht abgesattelt und die Maultiere sind immer noch beladen.“

Velasquita interessierte das im Augenblick eigentlich nicht besonders. Sie hörte Männer unter den Vorbau treten und Doktor Mendez beugte sich zu ihr. „Wieder besser?“

Velasquita nickte und der Doktor lächelte sie an, bevor er mit den Soldaten auf die Plaza trat. Hinter Velasquita und Alejandro waren die Stimmen von Gonzo und seiner Schwester zu hören und die meisten Flüche des Hotelbesitzers galten wie üblich seinem Sohn Jorge.

„Ich glaube, Jorge will weg von hier“, sagte Alejandro leise.

„Wundert dich das? So wie Gonzo ihn behandelt?“ Velasquita lächelte, schloss seufzend die Augen.

Alejandro lachte. „Wo will er denn hin?“ Velasquita spürte, wie Alejandro die Schulter zuckte. Ihr Geliebter seufzte leise. „Hier hat Jorge doch wenigstens eine Zukunft. Er wird das Hotel erben und ein gutes Auskommen haben. Er wird eine Frau glücklich machen und einen ganzen Stall voller Kinder bekommen.“

Velasquita spürte, wie Alejandro´s Hand sanft durch ihre langen schwarzen Haare glitt und wusste, woran er in diesem Augenblick dachte. „Lass uns woanders hingehen, Alejandro.“

„Zu Vater?“

„Nein.“ Velasquita richtete sich auf und schüttelte den Kopf. „Im Augenblick mag ich keine Soldaten mehr sehen. Lass uns einfach ein wenig spazieren.“

Er sah sie fragend an. „Fluss, Bach, Oliven oder Castillo?“

„Am Fluss entlang in Richtung auf das Castillo“, entschied sie.

Er lachte auf und nahm ihre Hand. Sie schlenderten an der Plaza entlang, vorbei an Arigon´s Cantina und Laden. Die Klänge des Flamencos waren verstummt. Die Arigons standen mit ihren Gästen unter dem Vorbau und starrten auf die Soldaten auf der Plaza. Pater Umbrio warf Velasquita einen skeptischen Blick zu, während er zum Hotel eilte, um dem Toten den letzten Segen zu erteilen und den anderen Männern beizustehen.

„Sie trinken nicht“, murmelte Alejandro.

Velasquita war mit ihren Gedanken ganz woanders. „Was?“

„Keine Soldaten in der Cantina. Soldaten trinken immer, wenn sie die Gelegenheit haben. Das hat mir Sargente Ruiz einmal erklärt. Die hier tun es nicht. Ich sage dir, Velasquita, die werden bald weiter reiten.“

„Und wenn schon. Sollen sie ruhig.“

Sie verließen die Plaza, am Haus des Alcalden vorbei, wo neben einigen Cazadores inzwischen auch zwei Männer von Sargente Ruiz aus dem Castillo standen. Zwischen den einfacheren eingeschossigen Hütten, aus denen Andajoz hauptsächlich bestand, hindurch, schlenderten sie über den staubigen Boden, bis sie jenseits der Hütten den Grasbewachsenen Boden erreichten, der sich hier bis zum Flussufer des Alón erstreckte. Velasquita genoss es, den weicheren Boden und das Gras unter ihren Füßen zu spüren. Sie lächelte einem Jungen zu, der mit seiner kleineren Schwester ein paar erschrockene Hühner jagte, bis seine Mutter aus der Hütte trat. Zwei Frauen wuschen am Flussufer Wäsche und schlugen sie auf die von der Strömung rund geschliffenen Felsen, um den Stoff geschmeidig zu machen. Eine der Frauen zwinkerte Velasquita freundlich zu, die mit Alejandro an der kleinen Koppel vorbei ging, wo die wenigen Maultiere und Ziegen von Andajoz eingesperrt wurden, wenn im Winter die Wölfe aus den Bergen herunter kamen.

Eher gleichgültig musterte Velasquita das alte Castillo und die noch ältere Brücke, die sich einige Hundert Meter flussabwärts befanden.

Das alte Castillo als Festung zu bezeichnen wäre äußerst optimistisch gewesen. Es hatte nie eine wirkliche Grenze verteidigen müssen und immer nur als Zollstation gedient, denn die alte römische Brücke über den Alón war auf weite Entfernung der einzige passierbare Übergang für Kutschen und Frachtwagen. Man hatte nie eine große Garnison benötigt um den Zoll einzutreiben. Zu seinen Glanzzeiten war das Castillo mit zwanzig Soldaten besetzt gewesen und sogar von einem Offizier kommandiert worden. Doch diese Zeiten waren vorbei und nur Sargente Ruiz und seine sechs Männer erweckten noch den Anschein einer Garnison und militärischen Präsenz.

Das Castillo war aus Natursteinen aufgemauert worden. Eigentlich nicht mehr als ein mäßig großes Mauergeviert, kaum sechs Meter hoch und an der Mauerkrone mit Zinnen bewehrt. Ein breiter Wehrgang zog sich um die Mauer herum, nur über dem massigen Haupttor von einer überdachten Wehrkonstruktion überragt. Von hier hatte man einst heißes Pech oder brennendes Öl auf den Feind gießen können, heute ergossen sich von hier allenfalls die Flüche der Soldaten. Innerhalb der Mauern erhob sich das einzige Gebäude, ein massiger, zwölf Meter hoher Turm mit flacher Plattform und zahlreichen schmalen Schießscharten. Hier war früher die Besatzung zusammengepfercht worden, die wenigen Soldaten des Sargente genoss sichtlich mehr Platz. Im Keller des Turms gab es sogar einen Brunnen, der früher die Männer bei einer Belagerung vom Wasser des Flusses unabhängig gemacht hatte. Heute war der Brunnen ungepflegt und teilweise zusammengebrochen, denn den Soldaten war es zu anstrengend gewesen, ihn zu pflegen, wo doch der bequeme Fluss so unmittelbar an der Haustür lag. Niemand bedrohte einen der Männer auf den kaum zwanzig Metern zum Ufer des Alón.

Auf der Brustwehr gab es in Richtung zur Brücke eine verbreiterte Plattform, auf dem der ganze Stolz der Besatzung stand. Ein kleines Geschütz, dessen Mündung trotzig über den Fluss und die Brücke drohte, und welches noch nie einen Schuss abgefeuert hatte.

Die alte Brücke war römischen Ursprungs, somit tatsächlich alt und, vor allem, ausgesprochen gut gebaut und stabil. Es gab böse Zungen die behaupteten, alle Brücken Spaniens, die zwischenzeitlich noch nicht eingestürzt waren, seien römischen Ursprungs. Diese bestand vollständig aus sorgfältig behauenem Stein und ihre beiden Bögen ruhten auf mächtigen Stützpfeilen, die durch nichts zu erschüttern schienen. Im Allgemeinen hatten die Römer Brücken mit mehr Bögen geschätzt und niemand hätte zu sagen gewusst, warum die Brücke von Andajoz nur diese zwei Bogen hatte. Es schien, als hätten selbst die Legionen Roms diesem Ort keine besondere Bedeutung beigemessen.

Velasquita trat näher an den Fluss, ließ das kühle Wasser ihre Füße umschmeicheln. Jetzt war der Alón zwar einige Meter breit, aber kaum einen Meter tief, doch seine Strömung war stark genug, um gefährlich zu werden. Velasquita lachte als sie Alejandro´s besorgten Blick bemerkte. Demonstrativ ging sie etwas tiefer in den Fluss, fühlte, wie das Wasser am Saum ihres Kleides zerrte. Im Frühjahr, zur Schneeschmelze oder in den Regenfällen der Herbststürme, schwoll der Fluss an und wurde breit und reißend. Es gab Fische in ihm, aber man brauchte schon viel Glück, um einen von ihnen zu fangen. Velasquita und Alejandro hatten es schon einige Male versucht, aber nie Glück gehabt.

„Komm endlich aus dem Wasser!“, rief Alejandro besorgt.

Velasquita lachte fröhlich. „Hast du Angst um mich?“

„Natürlich habe ich Angst um dich.“ Alejandro sah sie ärgerlich an. „Wenn die Strömung dich erfasst, dann reißt sie dich bis Salamanca mit.“

„Es soll eine schöne Stadt sein“, sagte sie spöttisch. „Ich wollte sie mir schon immer einmal ansehen.“ Sie sah ihn lächelnd an, tat, als rutsche sie aus und ließ sich mit einem Schrei ins Wasser fallen. Sie war über die Kraft des Wassers überrascht und war erleichtert, als Alejandro mit angstvollem Gesichtsausdruck ins Wasser sprang und sich ihr näherte.

„Tut mir leid“, sagte sie zerknirscht und lachte dann, als sie sein verärgertes Gesicht sah. „Sieh mich nicht so böse an, Alejandro. Dann kann ich dich einfach nicht ernst nehmen.“

Er schien wirklich verärgert, denn Alejandro hatte sich offensichtlich ernstliche Sorgen um sie gemacht. „Tu das nie wieder, verdammt. So ein Leichtsinn.“

Sie wateten ans Ufer zurück. Velasquita´s Rock und Bluse und Alejandro´s Hose waren durchnässt. Erleichtert ließ sich die junge Frau am Ufer zu Boden sinken. Alejandro legte sich mit ärgerlichem Gesichtsausdruck neben sie und sie schnitt ihm spöttisch Grimassen, bis er einfach in ihr Lachen einstimmen musste.

„Biest“, knurrte er, aber es klang zärtlich.

Ihre Münder fanden sich und Velasquita fühlte, wie seine Zunge sich leicht gegen ihre Lippen legte. Für einen Moment zögerte sie, doch dann wurden ihre Lippen weich und ihre Zungen begannen einander zu umspielen. Sie spürte, wie ihre nasse Kleidung an der Haut klebte und wie Alejandro´s Hand sich unter ihre Brust schob. Eine behutsame Berührung und sie spürte, dass diese Berührung eine unausgesprochene Forderung war. Eine Forderung, der sie nicht widersprach und Alejandro´s Hand glitt ein wenig höher, legte sich auf ihre nasse Bluse und begann, die darunter befindliche Rundung zu erkunden.

Velasquita löste ihre Lippen von ihm und sah ihn gespielt vorwurfsvoll an. „Du denkst immer nur an das Eine.“

Sie richtete sich in sitzende Haltung auf und Alejandro schob sich dicht an sie, umfing sie mit seinem Arm. Sie spürte, wie seine Hand ein wenig weiter um ihren Oberkörper glitt, als es erforderlich gewesen wäre, um sie zu umarmen. Sie registrierte das sanfte Streicheln seiner Fingerspitzen, ließ es einen Moment zu, bevor sie Alejandro mit gespielter Entrüstung von sich schob. Sie drohte ihm mit dem Finger.

„Alejandro de Vega, was soll ich von dir halten? Willst du die hilflose Lage einer fast ertrunkenen unschuldigen Frau ausnutzen, die du gerade aus den tobenden Fluten gerettet hast?“

Er nahm ihren Finger, zog ihn an seine Lippen und biss sanft hinein. „Es war ein furchtbarer Kampf gegen die entsetzliche Flut, junge Dame. Ein wenig Dankbarkeit“, sagte er gestelzt, „empfände ich als durchaus, äh, angemessen.“

„So, so, ein wenig Dankbarkeit.“ Sie versuchte ihrem Gesicht einen hochmütigen Ausdruck zu verleihen und musste dann in sein Lachen einstimmen. „Und wie sollte dieses bisschen Dankbarkeit wohl aussehen?“ Sie küssten sich und dann glitten Alejandro´s Lippen ihren Hals hinab. „Soll ich jetzt meine Unschuld auf dem Altar deiner Begierde opfern?“

Jesus Christus, der Herr mochte ihr vergeben, aber Alejandro´s Lippen und Finger waren so unglaublich sanft und wissbegierig. Sie erkundeten ihren Hals und ihre Ohrläppchen, die sanften Wölbungen unter dem nassen Stoff der Bluse.

„Du bist unausstehlich und gemein“, seufzte sie. „Du bist brutal und ein hemmungsloser Macho.“ Sie ließ sich langsam auf den Rücken sinken. „Und ich bin eine schwache und hilflose Frau.“

Er folgte ihren Bewegungen. „Ja“, flüsterte er und knabberte erneut an ihrem Ohrläppchen, „ich bin brutal und gemein.“ Seine Lippen zupften an der Verschnürung ihrer Bluse, doch dieses Mal waren die Bänder nass und Alejandro´s Lächeln vertiefte sich, als Velasquita ihre Hände vorschob und die Bänder löste. Sie zog den gerafften Stoff ein wenig auseinander und seine Lippen schoben sich über ihre nasse Haut, saugten und liebkosten. „Und ich nutze die hilflose Lage einer jungen Dame aus.“ Er fand eine der Brustwarzen, umkreiste sie mit der Zunge und saugte unmerklich daran, so dass die Brustwarze sich seinen Liebkosungen entgegen zu drängen schien. „Und außerdem“, er richtete sich unvermittelt auf und Velasquita ächzte enttäuscht, während Alejandro sie seltsam ernst ansah, „außerdem liebe ich dich.“

„Du Blödmann“, seufzte sie und zog ihn an sich. „Als wenn ich das nicht wüsste. Aber mir gefällt es, wenn du das sagst. Ich will es immer wieder hören, hörst du? Immer wieder.“

Er wiederholte seine Worte, immer wieder und in jeder Pause zwischen seinen Worten liebkosten seine Lippen ein wenig mehr von Velasquita´s jungem Körper.

Plötzlich erschien es Velasquita so selbstverständlich, einander hinzugeben.

Sie sah die Liebe und die Lust in seinen Augen. Gefühle, die sie selbst zutiefst empfand und erwiderte, und es war ein kurzer Schmerz, der den Wandel vom Mädchen zur Frau vollzog. Ein kurzer Schmerz, der ihre Leiber verschmelzen ließ und die Feuer der Leidenschaft durch ihre Körper rasen ließ. Ein Feuer, das sie zu verzehren drohte, bis sie endlich erschöpft und glücklich am Ufer des Alón lagen.

Sie lagen schweigend aneinander gedrängt, wollten die Wärme und Nähe des anderen nicht mehr missen. Sie schwiegen, brauchte keine Worte, obwohl es doch so viel zu sagen gab und die Bedeutung allen Seins beschränkte sich auf das Eingeständnis ihrer Liebe.

Erst als sie pochenden Hufschlag und leise Stimmen hörten, wurde es Velasquita bewusst, wie spät es geworden war. Sternenlicht überflutete den Himmel und das Licht von Sternen und dem Mond warf schimmernde Reflexe über das Wasser des Alón.

„Jesus Christus“, fluchte Alejandro leise und richtete sich verwirrt auf, um über die flache Böschung zur Straße hinüber zu sehen, von wo die Geräusche zu hören waren. „Da kommt jemand.“

„Ja, da kommt jemand“, sagte sie leise lachend und zerrte ihn nach unten. „Und er sollte vielleicht nicht sofort sehen, dass wir Zwei uns gerade versündigt haben.“

Er grinste sie glücklich an und küsste sie. „Ah, eine solche Liebe kann gar keine Sünde sein.“

„Pater Umbrio wird anderer Meinung sein“, erwiderte sie, aber eigentlich war ihr das im Augenblick egal.

„Mein Vater auch“, sagte Alejandro. Er lachte ebenfalls. „Und weißt du was? Es ist mir gleichgültig. Gleich gehe ich zu Pater Umbrio und sage ihm, er soll uns trauen.“

Sie schlang ihre nackten Schenkel um ihn und zog ihn fester an sich. „Das gefällt mir. Aber es muss nicht gleich sein. Es ist ohnehin sehr spät.“

Alejandro rieb sich an ihr und Velasquita spürte, dass seine Lust erneut entfacht wurde. Doch dann zuckte ihr Geliebter erneut zusammen und blickte das Ufer entlang zu dem kleinen Castillo. „Die Cazadores.“

„Ja, die Cazadores.“ Jesus Christus, spürte er nicht, wie gleichgültig ihr alle Cazadores der Welt waren?

„Nein, warte“, knurrte er und löste sich von ihr. „Da geht etwas vor sich.“

Schmollend folgte sie seiner Blickrichtung. In der sternklaren Nacht war die kleine Festung an der Brücke gut zu erkennen. Ein paar Fackeln erhellten den Zugang und zwei der Fenster waren von schwachem Lichtschein erhellt. Velasquita sah die Soldaten des Colonello und die vielen Maultiere, die am Eingang der Festung standen. Sie konnte nicht genau erkennen, was da vor sich ging. Die Maultiere verschwanden mit ihren Treibern in der Festung und Velasquita erkannte im Fackelschein den Colonello Mellendez, der mit Sargente Ruiz sprach. Der dickliche Sargente gestikulierte hektisch und Velasquita lachte unwillkürlich auf.

„Still.“ Alejandro legte die Hand vor ihren Mund und drückte sie auf den Boden, indem er sich auf ihren Rücken legte. „Ich sage dir, das hat etwas zu bedeuten, dass die Soldaten nachts marschieren. Sie hätten bis zum Tageslicht warten können.“

„Sie haben es halt eilig“, flüsterte Velasquita.

„Und warum treiben sie dann die Maultiere in das Castillo? Ah, siehst du, jetzt kommen sie wieder heraus.“ Alejandro stieß ein leises Zischen aus. „Siehst du das?“

„Was soll ich sehen?“ Velasquita rieb ihr nacktes Gesäß ein wenig an seinem Körper und sie spürte, dass dies nicht ohne Wirkung war.

„Etwas an den Kisten ist anders“, flüsterte Alejandro und blickte angestrengt zu der kleinen Festung. „Ich kann nur nicht genau erkennen, was das ist.“

Sie rieb ihr Gesäß etwas deutlicher an seinen Lenden. „Ist das so wichtig?“

Alejandro stieß ein leises Ächzen aus. „Nein, nicht so wichtig“, stimmte er zu. Er begann seine Hüften ein wenig zu bewegen und seine Männlichkeit wuchs. „Ich glaube, das ist überhaupt nicht wichtig.“

Velasquita sah, wie die Cazadores und die Maultiere wieder die Straße in Richtung Andajoz entlang marschierten und wandte sich achselzuckend ab, drehte sich auf den Rücken und Alejandro protestierte belustigt, als er herunter rutschte. Sie lachte leise und öffnete sich ihm und Alejandro schob sich zwischen ihre willig geöffneten Schenkel.

Jesus Christus, es gab so viel wichtigeres, als eine Handvoll Cazadores und ihre blöden Maultiere. Es gab ein ganzes Universum, welches sich in strahlenden Augen spiegelte.

Velasquita

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