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Kapitel 6 Unter Besatzung
Оглавление„Das kommt nicht in Frage!“
Don Domingo de Vega, Alcalde von Andajoz, schlug erneut mit der Faust auf seinen Schreibtisch und dieses Mal rutschte die Schreibfeder endgültig von der Platte und fiel unbeachtet zu Boden. „Keinesfalls werde ich diese Bindung akzeptieren.“
Pater Umbrio gab Alejandro und Velasquita einen verstohlenen Wink. „Verehrter Don Domingo, alles muss seine Richtigkeit haben. Vor Gott und dem Gesetz.“
„Ich werde nicht zustimmen, keinesfalls“, bekräftigte der Alcalde erbost. „Es ist keine standesgemäße Bindung.“
Donna Carmen de Vega sah ihren Mann vorwurfsvoll an und schien protestieren zu wollen, doch der Alcalde gebot ihr mit einer Handbewegung zu schweigen. „Halte dich da raus, Frau“, knurrte er. „Du weißt, dass ich schon immer gegen diese… diese Beziehung war. Alejandro mag sich ruhig an Velasquita´s Schenkeln reiben, aber deshalb muss er sie nicht gleich heiraten.“
„Don Domingo!“ Zum ersten Mal an diesem Vormittag wurde Pater Umbrios Stimme laut. Der Pater beugte sich vor und legte die Hände auf den Schreibtisch des Alcalden. „Ihr versündigt Euch gegen Gott. Ich verbürge mich für Velasquita und ich vertraue darauf, dass Gott diese beiden Liebenden zusammengeführt hat. Wollt Ihr den beiden nun Gottes Segen verweigern? Was habt Ihr gegen ihre Bindung einzuwenden? Was?“
Der Alcalde biss sich wütend auf die Unterlippe. „Ihr versteht das nicht, Pater Umbrio. Ihr könnt das vielleicht auch nicht verstehen.“
„Dann erklärt es mir“, knurrte Pater Umbrio, „oder, ich schwöre dies vor Gott, ich werde bei der nächsten Messe offenbaren, dass ihr diesen beiden Menschen den Segen des Herrn verweigert!“
Don Domingo de Vega sackte ächzend in den mit feinem Leder bezogenen Stuhl seines Schreibtisches zurück. Er sah seine Frau Carmen finster an. Carmen de Vega hielt seinem Blick stand, trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du weißt, dass du es ihnen nicht verweigern kannst.“
Der Alcalde stieß ein wütendes Schnauben aus. Erneut biss er sich auf die Unterlippe, knurrte grimmig und sah die anderen an. „Ich habe Pläne für Alejandro“, knurrte er. „Er soll nicht in Andajoz sein Leben verschwenden. Seine Zukunft liegt nicht hier, an diesem Ort. Hier würde seine Zukunft allenfalls enden, Padre. Nehmt es mir nicht übel, Padre Umbrio, aber Alejandro ist zu anderem berufen. Er wird auf die Akademie des Königs in Madrid gehen und Offizier werden.“
„Ich will kein Soldat sein“, entfuhr es Alejandro.
Pater Umbrio gebot ihm zu schweigen. „Wie kommt Ihr darauf, dass man ihn annehmen würde? Nur die Angehörigen adeliger Familien…“ Er verstummte und sah Don Domingo an. „Verstehe. Don Domingo. Gott verdammt… Herr, verzeih mir in Deiner Güte, es kam über mich… Ihr habt es nie verschwiegen. Ich dachte nur, es sei lediglich eine reine Höflichkeit…“
„Don Domingo de Vega de Lopez y Cristobal“, murmelte der Alcalde. „Lassen wir es bei Don Domingo de Vega. Ich habe mich daran gewöhnt.“
Alejandro wirkte ebenso überrascht wie Velasquita, die verkrampft seine Hand hielt. Der Alcalde sah seinen Sohn missmutig an. „Ich habe wirklich andere Pläne mit dir, mein Sohn. Du kannst unserer Familie wieder den Weg an den Königshof von Madrid ebnen.“
„Zum Preis seines Glücks“, sagte seine Frau Carmen leise.
Don Domingo sah die Schreibfeder am Boden liegen und bückte sich, um sie aufzuheben. Weniger aus Ordnungssinn, als aus dem Wunsch heraus, etwas Zeit zu gewinnen. Er richtete sich wieder auf und sah in die angespannten Gesichter der anderen und es war offensichtlich, dass er mit einem Entschluss rang. Gerade, als er ihn getroffen zu haben schien, wurde die Haustür aufgestoßen und schlug krachend an die Wand.
Automatisch blickten alle zu dem Mann, der so unaufgefordert in den Raum trat. Es war Julio, der Ladenbesitzer und Wirt, der alle mit kreidebleichem Gesicht anstarrte und sichtlich um Fassung rang.
Don Domingo erhob sich halb hinter seinem Schreibtisch. „Erklär mir diesen Auftritt, Julio Arigon. Wie kannst du dir erlauben, auf solche Weise unaufgefordert einzutreten?“
Julio rang immer noch um Worte. Durch das offen stehende Fenster drangen Stimmen und ein merkwürdiges Stampfen. Pater Umbrio trat an Julio heran. „Nun beruhige dich erst einmal, mein Sohn. Was ist los?“
Velasquita blickte aus dem Fenster. „Oh, mein Gott.“
„Versündige dich nicht, meine Tochter“, sagte Pater Umbrio automatisch und wandte sich ebenfalls dem Fenster zu. Reflexartig machte er das Kreuzzeichen. „Der Herr steh uns bei.“
Das waren keine spanischen Truppen, die dort auf die Plaza marschierten.
Weiße Hosen mit schwarzen Gamaschen oder Stiefeln, dunkelblaue Jacken mit leuchtend rotem Besatz und weißen ledernen Kreuzgurten. Dazu schwarze Tschakos, die sich nach oben verbreiterten. Die Embleme an den Tschakos zeigten eine Zahl und ein bekränztes „N“ und das Sonnenlicht reflektierte auf Schnallen und Knöpfen, auf Degen und Musketen.
Die Franzosen waren da.
Frankreich marschierte in Andajoz ein und der Kaiser der Franzosen zeigte seine Macht.
Französische Kommandos schallten über den Platz und die Soldaten marschierten in sauberer Ordnung, formierten sich auf der Plaza in exakt ausgerichteten Reihen. So selbstsicher, dass es offensichtlich war, dass sie keinerlei Widerstand erwarteten. Doch wer hätte sich ihnen auch entgegen stellen sollen? Sargente Ruiz mit seiner Handvoll Männer? Die Franzosen kamen offensichtlich aus der Richtung von Salamanca. Sie waren also bereits über die Brücke und am Castillo vorbeimarschiert und kein Schuss war zu hören gewesen. Die Franzosen schienen das Castillo einfach ignoriert zu haben und marschierten direkt in Andajoz ein.
Velasquita und die anderen traten auf den Vorbau des Hauses, blickte zu den Blau uniformierten Soldaten hinüber, deren Marschtritt noch immer dröhnte, obwohl die Plaza bereits voll von ihnen zu sein schien. Über einer der Gruppe wehte die Trikolore Frankreichs, reich mit Gold bestickt, mit dem von einem goldenen Lorbeerkranz umgebenen „N“, und an der Spitze der hellblauen Standartenstange blitzte ein goldener Adler. Der Adler des Kaisers, von seiner eigenen Hand berührt und all seine Macht verkörpernd.
„Mein Gott, wie viele sind das?“, murmelte Alejandro andächtig. „Das nimmt kein Ende.“
Die Plaza füllte sich mit den Soldaten Frankreichs und die Ränder der Plaza mit den Bürgern von Andajoz. Zum ersten Mal sahen die Dorfbewohner die Feinde Spaniens. Das überwältigende Bild erdrückte selbst die Angst, die mancher Mann und manche Frau empfinden mochte. Auch Velasquita empfand eher Neugierde, als sie auf die wenigen berittenen Männer starrte, die sich über die Menge der Soldaten erhoben. Dies waren die höheren Offiziere, und eine Gruppe von ihnen orientierte sich am Haus des Alcalden, welches am beeindruckendsten war und somit dem wichtigsten Mann des Ortes gehören musste.
Ein schlanker Offizier, mit zwei goldglänzenden Epauletten auf den Schultern, lenkte sein Pferd an den Vorbau, musterte die dort stehenden kurz und sein Blick blieb auf Don Domingo haften.
„Je suis Colonel Francois de Chaumer, Commandant de l´empereur Napoleon du septieme regiment d´infanterie de ligne…“ Der Offizier verharrte und blickte sich um, als er die Verständnislosigkeit im Blick der anderen sah. „Jean!“
Ein Offizier mit einer einzelnen Epaulette löste sich von einer Formation Fußsoldaten und eilte herbei, präsentierte seinen Degen. „Sire?“
Der französische Kommandeur wechselte einige hastige Worte mit dem jüngeren Offizier, der erneut salutierte und sich dann dem Alcalden zuwandte. Er sprach Spanisch, wenn auch mit einem holperigen Akzent. „Ich darf Ihnen Colonel Francois de Chaumer, Befehlshaber des siebenten Linieninfanterieregiments des Kaisers vorstellen. Colonel de Chaumer bedauert, aber er sieht sich gezwungen mit seinen Truppen Andajoz zu besetzen. Es sei in Ihrem eigenen Interesse, Messieurs et Mesdames, zu, äh…“ Der Offizier suchte nach dem richtigen Wort. „Ah… zu kooperieren. Der Colonel versichert Ihnen, dass wir Ihnen so wenig Unannehmlichkeiten wie möglich bereiten werden.“
Don Domingos Gesicht wirkte beherrscht, ja beinahe unbewegt. „Ich bin Don Domingo de Vega, der Alcalde von Andajoz. Was wollen Sie hier?“
Der Offizier blickte zu seinem Colonel und sie sprachen kurz, bevor erneut übersetzt wurde. „Das übliche. Quartier für die Truppen und Verpflegung.“
„Andajoz ist klein und kann Ihre Truppe nicht versorgen“, sagte Don Domingo bestimmt. „Nicht eine solche Truppe. Fünfhundert Mann?“
„Sechshundert, mein Herr. Das erste Bataillon unseres Regiments.“ Der Offizier lächelte. „Verzeihen Sie, ich versäumte es, mich vorzustellen. Leutenant Jean Mareville von der dritten Kompanie, erstes Bataillon des siebten Infanterieregiments.“
Der französische Befehlshaber registrierte den Unmut im Gesicht der Anwesenden und beugte sich im Sattel ein wenig vor. Er sprach ein paar eindringliche Sätze in seiner Muttersprache, die Leutnant Mareville rasch übersetzte. „Das Bataillon wird sich nur kurz hier aufhalten, wir werden allerdings eine Kompanie als Garnison stationieren. Die Quartiermeister werden festlegen, in welchen Gebäuden einige unserer Offiziere untergebracht werden. Colonel de Chaumer bittet um die Freundlichkeit, ihm bei Ihnen Quartier zu gewähren. Er versichert, dass es keine unnötigen Unannehmlichkeiten geben wird.“
Don Domingo blickte über das französische Bataillon und dann wieder auf Oberst de Chaumer. „Ich kann Sie nicht daran hindern, auch wenn Sie und Ihre Männer hier nicht willkommen sind. Ich akzeptiere Ihre Besetzung von Andajoz unter Protest, Colonel de Chaumer.“ Der Alcalde erwiderte den Blick des französischen Befehlshabers. „Wenn Ihre Männer hier lagern, werden sie Feuerstellen anlegen wollen. Ich bitte Sie darum, das Holz aus dem Wäldchen im Westen zu nehmen und unsere Olivenhaine im Osten zu verschonen. Einige unserer Olivenbäume sind sicher fast tausend Jahre alt und die Haine sind eine der Lebensgrundlagen unserer Bevölkerung. Wir haben hier einen guten, kalkhaltigen Boden für Olivenbäume, aber wenn Sie die Bäume abholzen, braucht es Jahre, bis sie wieder Früchte tragen.“
Der französische Oberst lauschte der Übersetzung und nickte dann.
Der Ton war höflich, aber es war vollkommen klar, dass der französische Befehlshaber keinen Widerspruch dulden würde. Don Domingo nickte knapp und der Oberst wollte sich an seine Truppe wenden, als auch Pater Umbrio vortrat.
„Hören Sie, ich bin Pater Umbrio, der Priester dieser Gemeinde. Ich möchte darauf hinweisen, dass in diesen Tagen eine Wallfahrt in unseren Ort stattfindet. Ich bitte Sie im Namen Christi, diese nicht zu beeinträchtigen.“
Mareville übersetzte und der Colonel zog die Augenbrauen hoch. „Was für eine Wallfahrt?“
Pater Umbrio erklärte es den Franzosen und als Mareville übersetzte, lachte der französische Oberst auf. Er sprach mit seinem Leutnant, der ebenfalls lächelte und dann wieder übersetzte. „Mein Oberst erklärt, dass wir in Frankreich nicht die Dienste einer solchen Eiche benötigen, um Kinder zu bekommen. Er versichert Ihnen, dass Ihre, äh, Wallfahrt nicht beeinträchtigt werden wird. Es wird keine Belästigung der… Damen… geben. Sie haben sein Ehrenwort. Er bittet darum, dass Sie ihre Bevölkerung diesbezüglich informieren.“
Pater Umbrio blickte zweifelnd, aber Don Domingo nickte dem Priester zu. „Du kannst seinem Wort vertrauen. Er mag Franzose sein, aber er ist Offizier.“
Der Oberst sah die Gruppe unter dem Vorbau noch einmal lächelnd an, dann ritt er die paar Schritte zur Plaza, wo das französische Bataillon jeden Zentimeter zu füllen schien. Der Offizier schien eine kurze Ansprache an seine Männer zu halten, dann erklangen Befehle. Die Truppe begann sich erneut zu bewegen, marschierte von der Plaza und folgte der Hauptstraße, zurück in Richtung auf das Castillo. Nur eine Abteilung von rund Hundert Soldaten stand noch auf dem Platz. Einige Offiziere und Unteroffiziere schienen die Männer in Gruppen einzuteilen.
„Er hat ihnen befohlen, außerhalb von Andajoz das Lager aufzuschlagen“, murmelte Pater Umbrio, „und ihnen harte Strafen angedroht, falls sie jemanden unnötig belästigen. Was immer das heißen mag.“ Der Pater lächelte schmal. „Sie werden weder die Frauen noch die Bäume belästigen.“
„Du sprichst Französisch?“ Velasquita sah ihren Ziehvater überrascht an.
„Ein wenig“, räumte der Pater ein. „Das ergab sich bei meinem Studium der Theologie. Aber das sollte unter uns bleiben. Es könnte von Vorteil sein.“
Don Domingo sah auf die verwirrten und ein wenig verängstigten Bürger von Andajoz und rief die Menge heran. Die Franzosen behelligten die Menschen nicht, aber vier Soldaten kamen zum Vorbau und bezogen Posten. De Chaumer wollte damit wohl verdeutlichen, dass der Alcalde in Andajoz nicht mehr das letzte Wort hatte.
„Sind das Franzosen?“, erklangen besorgte Fragen aus der Menge. „Was wollen die hier? Werden sie uns etwas antun?“
Don Domingo hob beschwichtigend die Hand. „Ja, es sind Franzosen und ihr Befehlshaber heißt Colonel de Chaumer. Er ist ein französischer Edelmann und er hat mir versichert, dass uns kein Leid zugefügt werden wird. Hört mir jetzt bitte aufmerksam zu und tut genau das, was ich euch sage.“ Don Domingo leckte sich nervös die Lippen und straffte sich dann. „Es werden einige Franzosen in den Häusern untergebracht werden, aber sie werden euch nicht belästigen. Sie haben uns versichert, dass sie auch die Wallfahrt nicht beeinträchtigen werden.“
„Bleiben die hier?“
„In ein paar Tagen ziehen sie wieder ab.“ Don Domingo zuckte die Achseln. „Bis auf eine einzelne Kompanie, die sie hier zurücklassen.“
„Warum? Wollen sie jetzt Zoll an der Brücke erheben?“ Vereinzeltes Gelächter ertönte, denn diese Vorstellung erschien allen absurd.
„Ich weiß es nicht.“ Don Domingo blickte zu den Franzosen, deren verbliebene Kompanie wieder in Formation stand, während einige Zweiergruppen ausschwärmten. „Lasst uns erst einmal Ruhe bewahren und bleibt freundlich. Provoziert die Soldaten nicht. Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann kommt zu mir. Aber jetzt geht zu euren Häusern, die Franzosen scheinen sich umsehen zu wollen.“
„Was ist mit dem Castillo“, rief Julio Arigon. „Was ist mit Sargente Ruiz? Wird es eine Schlacht geben?“
Selbst Velasquita musste lachen. Sargente Ruiz mit seinen sechs Soldaten gegen die hundertfache Übermacht? Niemand konnte sich den Sargente als Helden vorstellen. Don Domingo de Vega lächelte. „Ich denke, der Sargente ist vernünftig genug, uns nicht durch sinnlosen Widerstand in Gefahr zu bringen.“
Ein französischer Soldat mit einem Winkel am Oberarm trat an den Vorbau. Er nickte ihnen freundlich zu und machte mit Kreide ein paar Zeichen an eine der Säulen. Don Domingo musterte sie und seufzte. „Wir werden fünf Offiziere bei uns aufnehmen. Mir scheint, Colonel Chaumer erweist sich wirklich als angenehmer Mensch. Sein Bataillon hat immerhin rund vierzig Offiziere. Carmen“, wandte er sich an seine Frau. „Sei bitte so gut und lass unsere Bediensteten alles für die Einquartierung unserer, äh, Gäste, vorbereiten.“ Er überlegte kurz. „Die beiden Gästeräume im Obergeschoss und zwei andere Räume müssen hergerichtet werden. Ah, und sage der Köchin, dass wir, nun, dass wir Gäste zum Essen haben werden.“
Donna Carmen lächelte sanft und nickte. Sie wusste sicherlich besser, was erforderlich war, als ihr Gemahl, aber der Don war ein wenig nervös und versuchte, sich durch seine Anweisungen ein wenig zu beruhigen. Carmen kannte diese Eigenheit schon lange und verzichtete auf eine Bemerkung. Sie nickte den Anwesenden zu und verschwand im Haus.
Aus Richtung des Castillo war das Krachen von Musketen zu hören. Nur ein paar Schüsse, denen Schweigen folgte. Velasquita sah ihren Alejandro an. Wollte Sargente Ruiz doch noch zum Helden Spaniens werden? Es wäre so schrecklich sinnlos.
Don Domingo nickte freudlos. „Er wahrt seine Ehre.“
„Wie meint Ihr das, Don Domingo“, fragte Velasquita neugierig.
„Der gute Sargente hat ein paar Schüsse abgegeben, um zu betonen, dass er sich nur der Übermacht beugt. Ich denke, in diesem Augenblick marschiert er mit seinen Leuten schon aus dem Tor und gibt seine Waffen ab.“
Genau so war es auch. Sargente Ruiz und seine Männer waren nicht dumm genug, ein Castillo zu verteidigen, dass keinerlei militärische Bedeutung hatte und somit einen sinnlosen Kampf zu liefern, um dabei einen ebenso sinnlosen Tod zu finden.
„Da steckt mehr dahinter“, murmelte Don Domingo. „Ein ganzes Bataillon. Damit marschiert man nicht einfach so in der Gegend herum. Wenn es darum geht ein Gebiet aufzuklären, dann nutzt man Kavallerie. Möglicherweise ist de Chaumer´s Bataillon Teil einer größeren Truppe, die nach Badajoz marschiert.“
Pater Umbrio sah den Alcalden forschend an. „Ob sie von Colonello Mellendez und seinen Cazadores wissen?“
Don Domingo blickte schweigend in Richtung des Castillo, bevor er langsam nickte. „Ich bin mir sicher, dass sie es wissen. Spätestens, wenn sie die Verwundeten im Hotel finden.“ Er wandte sich um. „Ich denke, wir sollten die andere Angelegenheit verschieben, bis wieder Ruhe eingekehrt ist.“ Er seufzte. „Ah, ich hätte die Männer von Colonello Mellendez erwähnen sollen. Ich hoffe, die Franzosen werden sie ehrenhaft behandeln.“
Als Pater Umbrio nickte, begriff Velasquita erst, was der Alcalde damit gemeint hatte. Betroffen sah sie ihren Ziehvater an, doch dieser machte eine beschwichtigende Geste. Die junge Frau musterte Alejandro, der die Achseln zuckte. Velasquita zog einen Schmollmund. Offensichtlich war ihre Liebe zu Alejandro im Augenblick kein Gegenstand von Interesse. Was hatten die Franzosen denn mit ihrem persönlichen Glück zu tun?
Aus Richtung des Castillo trabte der französische Oberst in Begleitung von Leutenant Mareville heran. Don Domingo sah den Pater an. „Lasst uns ins Haus gehen. Ich habe das Gefühl, dieser Colonel de Chaumer wird jetzt mit mir sprechen wollen.“ Er musterte Velasquita und Alejandro. „Und ihr beiden geht den Franzosen aus dem Weg, verstanden?“
„Dein Vater gönnt uns überhaupt keinen Spaß“, murrte Velasquita, als sie mit Alejandro zur Plaza schlenderte. „Wir dürfen nicht zuhören, was er mit diesem Chaumer zu besprechen hat und wir sollen nicht mit den anderen Franzosen reden.“
„Es wird auch etwas schwierig sein“, erklang Doktor Mendez Stimme hinter ihnen und der Arzt trat neben sie. „Ihr sprecht kein Französisch und die wenigsten Soldaten werden unsere Sprache beherrschen. Das ist ein neues Regiment. Ich denke, die sind erst seit kurzem in Spanien.“
„Woran erkennen Sie das, Doktor“, fragte Velasquita.
„Die Uniformen. Die Farben sind noch nicht von Wetter und Sonne ausgeblichen.“
„Vielleicht wurden sie neu eingekleidet.“
Doktor Mendez schüttelte den Kopf. „Mag sein, aber das glaube ich nicht. Die ganze Ausrüstung ist neu, da gibt es kaum einen Kratzer. Selbst die Stiefel sind noch nicht abgetreten.“
„Sie scheinen sich aber gut auszukennen, Doktor Mendez“, sagte Alejandro freundlich. „Ich dachte Sie halten nichts von Soldaten?“
„Man muss sie nicht mögen, um sie zu kennen“, knurrte Mendez. „Ah, je besser man sie kennt, desto weniger mag man sie. Seltsam. Nicht einmal ihre Frauen und Huren sind dabei.“
„Ihre... was?“ Velasquita sah den Arzt schockiert an.
Doktor Mendez lachte. „Aber ja. Frauen und Huren. Diese Soldaten sind vielleicht jahrelang von Zuhause fort. Es gibt Ehefrauen, die sie ins Feld begleiten, Frauen, welche während eines Feldzuges von den Soldaten geheiratet werden und mitkommen. Frauen, die vielleicht verhungern würden, wenn sie der Truppe nicht folgen und daher ihre, äh, Freundlichkeiten anbieten, und so für sich und ihre Kinder ein Auskommen haben.“
„Kinder?“
„Das bleibt nicht aus.“ Doktor Mendez zuckte die Achseln. „Frauen und Kinder folgen ihrem Regiment auf dem Marsch, lagern mit ihm und bleiben nur zurück, wenn die Männer in einen Kampf ziehen.“ Der Arzt wies zu den Franzosen hinüber. „Sie haben keine Frauen und Kinder dabei. Versteht ihr?“
Velasquita musterte die Soldaten, die nahezu unbewegt auf der Plaza standen. Es schienen sehr disziplinierte Männer zu sein, deren Gesichter unter den hohen Tschakos seltsam gleichförmig und streng wirkten. Viele der Gesichter waren sehr jung.
„Manche sehen aus wie halbe Kinder“, sagte sie leise.
Doktor Mendez nickte. „Das sind sie wohl auch. Einige werden Mühe damit haben, sich schon zu rasieren.“
„Warum sind so junge Menschen bei den Soldaten?“
Doktor Mendez seufzte. „Manche wurden sicher eingezogen, andere gingen zum Militär, um nicht zu verhungern. Wieder andere sind vielleicht dabei, um dem Gefängnis zu entgehen.“ Doktor Mendez sah Velasquita und Alejandro nachdenklich an. „Und einige sind sicher dabei, weil sie einer Idee folgen.“
„Einer Idee?“
„Einer Idee.“ Mendez zog Velasquita und Alejandro mit sich, denn die Soldaten begannen darauf aufmerksam zu werden, dass sie die Franzosen so intensiv beobachteten. Velasquita bemerkte, dass einige der Männer sie auf eine Weise ansahen, mit der Alejandro sie oft gemustert hatte. Nur, dass ihr das bei Alejandro sehr wohl gefiel. Die Blicke der Soldaten hingegen erfüllten sie mit Unbehagen. „Eine Idee“, wiederholte Doktor Mendez, als sie in den Schatten des Vorbaus von Gonzo´s Hotel traten. „Die Idee der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit.“
Alejandro und Velasquita sahen ihn verwirrt an. Mendez lachte gutmütig. „Gott, ihr Bauern seid so arglose und unwissende Menschen. Nichts für ungut, es war nicht als Beleidigung gedacht. Ihr interessiert euch nicht für Politik, nicht wahr?“
Velasquita zuckte die Achseln, aber Alejandro sah den Doktor auffordernd an. „Was hat dies mit Politik zu tun? Sie wollen unser Land und unser Gold.“
„Ja, das mag sein“, räumte der Arzt ein. „Jede Armee benötigt Gold, für welches Ideal sie auch immer einstehen mag. Soldaten brauchen Sold, ihre Ausrüstung und Waffen müssen produziert und bezahlt werden, und nicht zuletzt wollen sie verpflegt sein. Aber es geht um viel mehr. Um ein geeintes Europa unter der Herrschaft Napoleon Bonapartes. Wisst ihr, was Aufklärung bedeutet?“
„Ja“, sagte Velasquita arglos. „Pater Umbrio hat es mir erklärt.“ Sie errötete ein wenig. „So ungefähr.“
Doktor Mendez sah sie überrascht an. „Der Pater? Ich bin überrascht.“ Plötzlich lachte er. „Ah, ich verstehe.“ Er lachte vergnügt und schlug sich auf den Schenkel. „Nein, nein, nicht diese Aufklärung. Ich meine eine Aufklärung, bei der Wissen und Wissenschaft den Aberglauben ersetzen. Seht, Spanien ist ein Land des Aberglaubens, beherrscht von der Kirche, und die Herrschaft von Kirche und Staat ist absolut. Die Menschen werden unterdrückt und dumm gehalten, versteht ihr? Wir leben wie im Mittelalter, und König und Kirche halten es für gefährlich, wenn das einfache Volk zu viele Fragen stellt. Kirche und Glauben sind ein ideales Werkzeug, um das Volk zu unterdrücken und bei der Stange zu halten.“
„Ich verstehe nicht“, bekannte Velasquita. „Seid Ihr ein Ketzer, Doktor Mendez?“ Velasquita machte hastig das Zeichen des Kreuzes.
Der Arzt blähte die Backen. „Ich glaube an Gott, den Herrn, wenn es das ist, was du wissen willst, Velasquita. Aber ich glaube auch daran, dass ein Volk nicht durch Willkür regiert werden darf. Napoleon Bonaparte hat als Erster ein Gesetzeswerk schreiben lassen, dass für alle Menschen in seinem Kaiserreich gültig ist. Lasst mich versuchen, es euch zu erklären.“
Mendez sah Velasquita gutmütig an. „Hat Alejandro dich schon einmal geschlagen?“
„Natürlich nicht“, erwiderte sie empört.
„Aber er könnte es tun, wenn du ihm nicht gehorchst“, sagte Mendez eindringlich. „Die Kirche verlangt, dass du ihm gehorchst, nicht wahr? Die Frau sei Untertan dem Manne, nicht wahr?“
Velasquita nickte. „Ja, natürlich. So will es Gottes Wort.“
„Ich weiß nicht, ob Gott unbedingt will, dass Frauen geschlagen werden“, knurrte Doktor Mendez. „Manche Frauen leiden sehr unter ihren Männern. Weil sie eine eigene Meinung haben oder zum Opfer der Trunksucht ihrer Gatten werden. Was meinst du, Velasquita, was eine solche Frau dagegen tun kann?“
„Sie geht zu Pater Umbrio“, sagte Velasquita entschieden. „Der wird ihn Buße tun lassen.“
„Und wenn das nichts ändert?“ Mendez lachte auf. „Eine Frau darf sich von ihrem Mann nicht scheiden lassen, das ist Sünde, nicht wahr? Aber der Mann, der kann sie verstoßen und sie einfach der Sünde bezichtigen, und schon erteilt die Kirche ihm Absolution.“ Mendez spuckte aus. „Im Code Napoleon, dem Zivilgesetz des Kaiserreiches, sind alle Menschen gleich. Sie unterliegen dem gleichen Recht, unabhängig des Standes. Eine Frau kann sich dort gegen die Knechtschaft auflehnen und sich von ihrem Mann trennen.“ Doktor Mendez seufzte, als er die Blicke von Alejandro und Velasquita bemerkte. „Ich sehe schon, es mag nicht viel Sinn haben, es euch zu erklären.“
„Alejandro würde mich niemals schlagen“, sagte Velasquita entschlossen und Alejandro nickte, hielt ihre Hand fest.
„Doktor, Ihr klingt, als wärt Ihr ein Freund der Franzosen“, sagte Alejandro leise. „Ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Die Franzosen sind unsere Feinde.“
„Ich bin in erster Linie Spanier“, sagte Doktor Mendez entschieden. „Glaubt nicht, dass es mir gefällt, dass die Franzosen unser Land besetzen. Nein, dahingehend bin ich nicht ihr Freund und ich hoffe, dass unser Land bald wieder frei sein wird. Aber zugleich hoffe ich, dass ihre Ideen bei uns auf fruchtbaren Boden fallen.“ Er lächelte. „Ein wenig Aufklärung würde unserem Land gut tun.“
Hinter ihnen polterten Schritte auf dem Vorbau des Hotels und ein Franzose trat aus der Tür, eine blutgetränkte weiße Schürze umgebunden. Der Mann wischte sich Schweiß von der Stirn. Doktor Mendez sprach den Mann auf Spanisch an, doch der verstand ihn nicht, bis der Arzt in lateinischen Worten sprach, die Velasquita teilweise schon in der Kapelle gehört hatte. Der Franzose erwiderte überrascht in derselben Sprache und schlug Mendez dann gutgelaunt auf die Schulter.
Mendez wandte sich an Velasquita und Alejandro. „Latein. Ich denke, es verbindet alle Ärzte der Welt. Das ist der französische Arzt. Er hat nach den verwundeten Cazadores gesehen und wird sie weiter behandeln, solange das Bataillon in Andajoz ist. Entschuldigt mich nun, ich will mit ihm sprechen.“
Alejandro nickte automatisch und sah Velasquita dann an. „Sollen wir ein bisschen beobachten, was die Franzosen machen?“
„Die machen nichts“, seufzte Velasquita. „Die stehen scheinbar immer nur herum.“ Sie sah ihren Geliebten lächelnd an. „Lass uns einmal nachsehen, ob sie schon im Stall waren.“
„Nein, waren sie nicht“, sagte Alejandro. „Wir brauchen nicht nachzusehen.“ Endlich begriff er. „Oh.“
Velasquita lachte auf und zog ihn mit sich.