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Kapitel 5 Von Liebe und Seelenheil

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Pater Umbrio polierte den goldenen Kelch für den Messwein und ließ den Lappen seufzend über das goldene Kruzifix auf dem Altar der Kapelle gleiten. Er hatte dies nun schon zwanzig Mal oder öfter an diesem Abend getan und er würde es so oft tun, bis Velasquita durch die Tür des Gotteshauses trat. Pater Umbrio machte sich ernsthafte Sorgen um seine kleine Velasquita.

Es war reiner Zufall gewesen, dass er sie vor so vielen Jahren in den Bergen fand. Ihre Eltern waren erfroren und hatten noch mit ihren toten Leibern versucht, ihr Kind zu schützen. Es mussten liebevolle und gute Menschen gewesen sein. Pater Umbrio hatte sie untersucht, so gut dies in der Eile der Zeit und unter den schlechten Witterungsverhältnissen möglich gewesen war. Das Paar war einfach, aber gut gekleidet gewesen, zu gut für ein einfaches Bauernpaar, und der brave Pater hatte sich gefragt, wie solche Menschen ohne Begleitung oder Pferde auf den einsamen Gebirgspfad gelangt waren. Das Paar musste von Wölfen angegriffen worden sein, denn der Mann wies einige Bissspuren auf, doch letztlich hatte man sich wohl der Wölfe erwehrt und sie vertrieben. Aber die Menschen waren zu schwach gewesen, es noch bis nach Andajoz zu schaffen und so waren sie erfroren und hatten ihre letzte Lebensenergie an ihr Kind gegeben.

Der Pater war nicht in der Lage gewesen, die Toten zu begraben, hatte für sie gebetet und es nur mühsam geschafft, das kleine Mädchen bis nach Andajoz zu bringen. Auf sein Bitten waren später ein paar Dorfbewohner mit ihm gegangen, um die Toten zu dem Friedhof hinter der Kapelle zu bringen, damit sie in geweihtem Boden ihre letzte Ruhe fanden.

Pater Umbrio nannte das kleine Mädchen Velasquita. Es besaß sicher schon einen eigenen Namen und war getauft, aber es war zu klein, ihm den Namen nennen zu können und Pater Umbrio konnte keine Hinweise auf seine Identität finden. Doch Gott der Herr in seiner Gnade würde es ihm verzeihen, das Kind erneut zu taufen. Es musste einen guten christlichen Namen haben, denn es war immerhin ein spanisches Kind.

Er schloss Velasquita in sein Herz und erzog sie im Wahren Glauben und manchmal schmerzte es ihn, dass sie nicht den Weg einer Braut Christi gewählt hatte, wie er es sich einst erhoffte. Vielleicht würde das später erfolgen, obwohl seine Hoffnung schwand, denn Velasquita war nun eine lebenslustige junge Frau. Manchmal viel zu lebenslustig, wie der Pater fand, obwohl Velasquita ein gutes und gläubiges Herz besaß. Sie half ihm bei der Pflege der Bedürftigen, für die der Alcalde bereitwillig aufkam, und führte klaglos den kleinen Haushalt des Paters. Sie lebte in einem eigenen abgetrennten Raum, neben dem von Pater Umbrio, denn es wäre nicht schicklich gewesen, denselben zu teilen, wie dies bei vielen der ärmeren Familien der Fall war. Die Menschen in Andajoz hatten die kleine Velasquita als eine der ihren angenommen und nun war sie eine junge Frau. Zudem in einem Alter, in dem andere Mädchen längst verheiratet waren. Natürlich waren die Handvoll jüngerer Burschen in Andajoz hinter ihr her. Auch die Blicke einiger ehrbar verheirateter Männer ruhten, für den Geschmack des Paters, viel zu lange auf der hübschen Velasquita.

Gott der Herr hatte den Menschen in seiner Gnade nicht nur den Wahren Glauben, sondern auch das Gefühl der Liebe vermittelt. Der Mensch mit seiner Schwäche fand in der Liebe auch die fleischliche Lust. Lust, die so schnell zur Sünde wurde. Oh ja, Pater Umbrio kannte die Schwächen des menschlichen Leibes, hörte oft genug von ihnen, wenn er den Menschen die Beichte abnahm und ihnen Absolution erteilte. Er selbst war froh, dass seine Schwächen, der Herr mochte ihm verzeihen, sich auf andere Genüsse beschränkten. Einen guten Wein, ein gutes Essen und ein gutes Gespräch oder Buch. Aber er glaubte nachempfinden zu können, was in der jungen und schönen Velasquita vor sich ging. Wie sollte er es ihr verübeln? Gott, der Herr, in all seiner Gnade, hatte den Menschen die Liebe geschenkt und den Frauen die Fähigkeit der Leibesfrucht. Es gab nichts gegen die Liebe einzuwenden und nichts gegen die Leibesfrucht, es war gottgefällig, ein Kind zu zeugen. So dies mit dem Segen des Herrn und im heiligen Stand der Ehe geschah. Im Augenblick war sich Pater Umbrio nicht sicher, ob seine geliebte Velasquita genug Rücksicht auf den Willen Gottes und der Kirche nehmen würde.

Pater Umbrio hörte das metallische Schnappen und typisch hohle Geräusch, mit dem die Tür der Kapelle geöffnet wurde. Er polierte hastig nochmals über den Kelch, um jegliche Sorge und Unmut aus seinen Gedanken zu verdrängen, bevor er sich umwandte.

Oh, er wusste es, wusste es sofort. Wusste es, als er seine kleine Velasquita in der offenen Tür stehen sah, ihre Hand in die von Alejandro de Vega gelegt. Oh, er wusste es und da war dieser Ausdruck in ihren Augen. Jener Ausdruck, den er immer gefürchtet hatte.

Pater Umbrio steckte den Lappen in seine Kutte und bemühte sich, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben. „Du kommst spät, Velasquita, mein Kind. Noch dazu in Begleitung, die ich zu dieser Stunde nicht erwartet hätte.“

Oh, er hatte es gewusst und Gott der Herr mochte im verzeihen, dass er es nicht verhindert hatte. Er wusste es, noch bevor dieser entrückt und eifrig grinsende Alejandro de Vega seinen Mund öffnete.

„Pater, wir lieben uns. Geben Sie uns Gottes Segen.“

Oh, er hatte es wirklich gewusst. Warum traf ihn die Wahrheit dann dennoch wie ein Schock? Pater Umbrio stieß ein heiseres Krächzen aus und hatte erstmals Angst, seine Stimme könne ihm versagen. „Das, äh, will überlegt sein.“

„Gebt mir die Hand von Velasquita“, sagte Alejandro eifrig und zog diese mit sich nach vorne. Jeder Schritt zwischen den Bänken schien Pater Umbrio unnatürlich laut. Nachdrücklich, als seien sie ebenso unaufhaltsam wie die ewige Verdammnis, die der Sünde folgte. „Ich bitte Euch, Pater, gebt uns Euren Segen.“

„Ich, äh, nun, äh…“ Wo war seine Stimmgewalt? Wo war seine Beredsamkeit, mit der er die Menschen den Zorn des Herrn fürchten ließ? Pater Umbrio räusperte sich erneut. Er ärgerte sich ein wenig, als er bemerkte, wie kläglich seine Stimme klang. „Ich habe es geahnt, wirklich geahnt. Nein, ich habe es gewusst. Befürchtet.“

Die beiden standen nun vor ihm, mit demselben Strahlen und derselben Angst in den Augen. Der Griff ihrer Hände gab zu verstehen, dass selbst Gottes Zorn sie nicht hätte trennen können. Doch wie hätte Gottes Zorn sich gegen zwei liebende Menschen stellen können?

Pater Umbrio räusperte sich erneut und seine Stimme bekam wieder etwas von ihrem kraftvollen Klang. „Es ist wohl kein Geheimnis, dass ihr beiden euch liebt. Man müsste blind sein, dies nicht zu bemerken. Was könnte ich dagegen einwenden, wenn eure Herzen sich gefunden haben. Gott wird es in seiner Gnade gefügt haben.“ Er lächelte noch etwas gezwungen. „Ich weiß Velasquita bei dir in guten Händen, Alejandro de Vega, und ich weiß, dass Velasquita eine gute Frau sein wird. Natürlich werde ich zustimmen…“

Pater Umbrio stolperte ein wenig, als Velasquita sich so überraschend mit einem Aufschrei an ihn drängte und er hielt sich ächzend an der kleinen Balustrade fest, die den Gemeinderaum vom Altarbereich trennte. Er strich sanft über Velasquita´s lange schwarze Haare. Alejandro´s Grinsen war sichtlich noch breiter geworden. Pater Umbrio seufzte und schob Velasquita ein Stück von sich, um sie ernst anzusehen.

„Mein Kind, natürlich hast du meine Zustimmung. Ich hätte nicht das Recht, sie dir zu verweigern. Aber ich fürchte, meine Stimme gilt nur wenig, denn vor allem benötigt ihr die Einwilligung von Don Domingo.“

Alejandro´s Mund schrumpfte auf natürliche Breite zurück, aber Velasquita zupfte unbewusst an der Kutte ihres Ziehvaters. „Er ist ein guter Katholik, Pater, und er kann doch nicht wollen, dass wir in Sünde leben.“

„Natürlich nicht“, stimmte Pater Umbrio lächelnd zu. „Aber noch ist es ja nicht soweit…“ Seine Stimme wurde schwächer und seine Augen verengten sich. Er sah, wie Velasquita errötete und Alejandro nervös an seinem gefälteten Hemd zupfte. „Es ist doch noch nicht soweit, oder…?“

„Es ist allein meine Schuld“, sagte Alejandro rasch und trat dicht an Velasquita´s Seite, als müsse er sie vor dem Zorn Gottes und seines Vertreters schützen. „Sie konnte nichts dafür, Pater.“

„Sage mir nicht, du seiest versehentlich zwischen ihre Schenkel gestolpert“, knurrte Pater Umbrio verärgert. Er sah Velasquita eindringlich an. „Hat er dir Gewalt angetan?“

„Nein!“ In Velasquita´s Wort lag alle Empörung der Welt. „Wir lieben uns und wir wollen heiraten. Vor Gott und den Menschen.“

Pater Umbrio stieß ein heiseres Knurren aus und sah Alejandro mahnend an. „So bleibt nur der Weg, Velasquita vor Gott zu einer ehrbaren Frau zu machen. Ich weiß nicht, ob dein Vater begeistert sein wird, dass du deine Männlichkeit nicht im Zaum halten konntest. Andererseits“, er rieb sich das Kinn, „verlangt auch seine Ehre, dass du den Namen der Familie nicht schändest.“

Der Pater begann vor dem Altar auf und ab zu schreiten und seine Sandalen klatschten hohl auf den gemauerten Boden. „Ah, der gute Don Domingo wird nicht begeistert sein. Überhaupt nicht begeistert.“

Alejandro und Velasquita fassten sich wieder an den Händen und sahen zu, wie der Pater mit sorgenvoller Miene und leisen Seufzern vor sich hin murmelte und dabei auf und ab ging, als wolle er mit eigenen Füßen eine Furche in den Boden schaben. Leises klatschen der Sandalen und leises seufzen, leises klatschen und seufzen. Velasquita und Alejandro wagten es nicht, die Gedankengänge des Paters zu unterbrechen. Schließlich verharrte der Priester. Mit einer Plötzlichkeit, die Alejandro und Velasquita erschrocken zusammenfahren ließ.

„Natürlich muss Don Domingo es erfahren und er muss zustimmen. Es geht nicht anders. Er kann nicht zulassen, dass meine kleine Velasquita vor Gott dem Herrn in Sünde lebt. Ah, das kann er wirklich nicht.“ Er blickte die Beiden an. „Aber nicht jetzt. Morgen. Morgen Mittag werde ich mit Don Domingo sprechen. Morgen Mittag, ja. Du, Alejandro, mein Sohn, wirst jetzt nach Hause eilen und du wirst mir schwören, vor Gott und allen Heiligen, dass du zu Hause noch nichts sagen wirst. Ah, der gute Don kann etwas eigensinnig sein. Wirklich eigensinnig. Es will vorbereitet sein, wenn er zustimmen soll.“

Pater Umbrio scheuchte den verwirrt blickenden Alejandro mit wedelnden Handbewegungen aus der Kapelle und sah Velasquita dann an. „Und du, mein Kind, du wirst nun beichten.“

„Jetzt?“

Der Pater seufzte. „Es ist nie zu spät, sich an den Herrn zu wenden, mein Kind. Eigentlich hättest du das schon früher tun sollen. Nun wollen wir sehen, was wir für dein Seelenheil tun können.“

„Pater?“

„Ja, mein Kind?“

„Ich liebe ihn von ganzem Herzen.“

Pater Umbrio sah sie ernst an und nickte dann lächelnd. „Nichts anderes sollst du, mein Kind.“

Velasquita

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