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Kapitel 3 Die Daten des Feinds
ОглавлениеLabor 408-SR-06, Wissenschaftliche Forschungsabteilung, Deck 408, Sky-Base Arcturus
Jennifer Hartmann war eine ausgesprochen hübsche Frau, die schon dadurch auffiel, dass ihr ihre kupferroten, seidigen Haare bis weit über den Rücken fielen. Sie war jung, intelligent und einer der wenigen Menschen, die zu den Spezialisten auf dem Gebiet der Hiromata-Technologie und der Tetronik gehörten. Sie war Tech-Lieutenant und hatte zur wissenschaftlichen Forschungsabteilung der Sky-Navy gehört, bis Major Joana Redfeather sie in den Stab ihres ersten Bataillons der fünften Raumkavallerie geholt hatte. In den Missionen, die Jennifer anschließend erlebt hatte, hatte sie gelernt, dass sie sich weit mehr für ein Forschungslabor begeistern konnte als dafür, irgendeinem Feind als Zielscheibe zu dienen. So war sie wieder in der Forschungsabteilung der Sky-Base Arcturus gelandet und, gemeinsam mit Hoch-Koordinatorin Candice Bernger, maßgeblich an der Entwicklung der Nullzeit-Scanner beteiligt gewesen. Noch vor wenigen Wochen hatte sie daran geforscht, welche Möglichkeit es vielleicht geben könnte, mit dem Nullzeit-Funk nicht nur kurze und lange Impulse, sondern auch Bild und Ton zu übermitteln. So sehr sie dieses Thema fasziniert hatte, es hatte nicht ihr Leben bestimmt. Im Gegenteil, sie war den Vergnügungen der Basis ausgiebig nachgegangen und hatte dabei nicht viel anbrennen lassen. Nun schien es jedoch, als gäbe es für sie nichts anderes mehr als das fremdartige Objekt, welches auf einer Säule inmitten des Labors 408-SR-06 stand.
Es handelte sich um einen ungefähr kopfgroßen Würfel aus blau schimmerndem Metall. Die Unterseite war glatt. Eine Seite war mit mehreren Anschlussbuchsen versehen und die übrigen mit zahllos erscheinenden glasartigen Punkten bedeckt. Um den unteren Rand zogen sich mehrere Klammern, die in ihrem Aussehen und ihrer Funktion eine frappierende Ähnlichkeit mit den üblichen Schnellverschlüssen von Transportbehältern aufwiesen.
Welche besondere Bedeutung diesem Objekt zukam, wurde auch daran deutlich, dass Labor 408-SR-06 als Sperrgebiet galt und von einem halben Platoon der Sky-Cavalry bewacht wurde. Diese Männer und Frauen trugen die volle Gefechtsausrüstung und alle Systeme ihrer Kampfanzüge waren aktiviert.
Der geheimnisvolle Würfel war der Datenkern des kleinen Kreuzers Liramaar, der beim Angriff der Negaruyen auf den Mars von den Verteidigungskräften abgeschossen worden war. Wie durch ein Wunder war der Datenträger intakt geblieben und nach seiner Entdeckung unter höchster Geheimhaltung zur Sky-Base gebracht worden. Die Sicherheitsmaßnahmen waren extrem, denn noch immer mussten sich genetisch angepasste Negaruyen, die sogenannten Infiltratoren, unerkannt unter den Menschen aufhalten. Es gab keinen Zweifel, dass sie zu jeder Verzweiflungstat bereit sein würden, sollten sie von dem Würfel erfahren, denn auch die Menschen erhofften sich nichts weniger, als mit seiner Hilfe die Positionsdaten der verborgenen Welt zu finden.
Seit sich der Würfel auf der Basis befand, hatte Jennifer Hartmann das Labor kaum verlassen und wenn sie eine der kleinen Offiziersmessen oder ihr Quartier aufsuchte, dann stets in Begleitung eines handverlesenen Quartetts wachsam dreinblickender Trooper. Gleiches galt für die Handvoll anderer Spezialisten, die im Labor arbeiteten.
Hoch-Koordinatorin Candice Bergner pendelte immer wieder zwischen dem Labor und den Versuchen im Werfthangar 3 hin und her. An diesem Tag war die Endabnahme der Umbauten an der Orion erfolgt. Der Wabenschirm konnte, nach Zustimmung des hohen Rats des Mars, endlich in Serienfertigung gehen. So war Candice erleichtert, wenigstens diesen Punkt auf ihrer To-do-Liste abhaken zu können.
Obwohl man sie natürlich kannte, wurde sie sorgfältig kontrolliert, bevor man sie in das Labor einließ. Gemeinsam mit Jennifer Hartmann waren derzeit fünf weitere Männer und Frauen dabei, an dem Würfel zu arbeiten. Eine davon war Doktor Yuki Hasagawa von der Firma Mars-Tetra-Tronics, eine für die Navy vereidigte Tetronik-Spezialistin, die schon bei der Hanari-Mission mitgeflogen war.
Das Licht im Labor war gedämpft und indirekt. In der Mitte stand die Säule mit dem Datenkern, entlang der Wände Arbeitsplätze und Konsolen mit einer Vielzahl tetronischer Untersuchungs- und Messgeräte. Etliche Monitore und holografische Bildschirme zeigten den Würfel und laufende Messungen. Allein die richtigen Anschlüsse und die korrekte Stromversorgung zu ermitteln, hatte fast zwei Wochen in Anspruch genommen. Der Erfolg darin war im Grunde nur einem glücklichen Zufall zu verdanken gewesen.
Vor einiger Zeit war es den Negaruyen unter Primär-Kommandantin Desara-dal-Kellon gelungen, den APS-Kreuzer D.S. Nanjing in eine Falle zu locken und zu erobern. Die Negaruyen hatten das Schiff benutzt, um Überfälle auf Norsun durchzuführen und so Unfrieden zwischen diesen und den Menschen zu säen. Ein letztes Mal war die Nanjing verwendet worden, um den heimtückischen Überfall auf die Sky-Base Rigel durchzuführen. Dabei war die Nanjing wieder in die Hände der Menschen gefallen.
Hier hatte es sich als Glücksfall erwiesen, dass die Negaruyen das Schiff für ihre Zwecke verwendet hatten. Die Tetroniken der Menschen und die eTroniken der Negaruyen unterschieden sich bedeutend voneinander und es war den Negaruyen nicht gelungen, alle Kodierungen zu entschlüsseln. So waren sie gezwungen gewesen, ihre eigenen eTroniken entsprechend zu modifizieren, um wichtige Funktionen der Nanjing kontrollieren zu können. Diese Modifikationen hatten den Menschen nach der Rückeroberung des Schiffs eine ganze Reihe von Erkenntnissen über die Datenformate und die Datenübertragung des Feinds geliefert. Informationen, die bei der Entschlüsselung und Auswertung des Datenkerns der Liramaar hilfreich waren, ihn jedoch keineswegs leichter machten.
Bei aller Ordnung und Sterilität hatte sich das Labor 408-SR-06 in etwas verwandelt, was gegen die Prinzipien von Candice Bergner verstieß, das sie jedoch notgedrungen tolerierte, da das Wohlbefinden der hier Tätigen ein wesentlicher Faktor war, der zum Erfolg beitrug. So sah sie mit heimlichem Zähneknirschen über das hinweg, was sie im Inneren als Müllhalde verurteilte.
Zwei Labortische waren abgeräumt, mit Polsterauflagen und Schlafsäcken versehen worden und als Candice ins Labor trat, konnte sie das leise pfeifende Schnarchen eines Laborassistenten vernehmen. Leere Essensbehälter und Trinkgefäße stapelten sich neben der Tür, ein paar private Holografien und sogar zwei Kuscheltiere schufen so etwas wie eine private, gemütliche Atmosphäre, und um eine altmodische Kaffeemaschine war eine erkleckliche Anzahl an Bechern und Kaffeeringen auf der Tischplatte verteilt.
Der Hoch-Koordinatorin sträubten sich die Nackenhaare, doch noch mehr missfielen ihr die dunklen Schatten, die um die Augen des Untersuchungs-Teams zu erkennen waren. Die Männer und Frauen arbeiteten bis zur Erschöpfung und das war nicht gut. Wer übermüdet war, der machte auch Fehler.
An der Wand hing ein handgemaltes Schild mit einem Spruch, der Candice merkwürdig bekannt vorkam, den sie jedoch nicht zuordnen konnte: „Wenn man alles Wahrscheinliche als unmöglich ausgeschlossen hat, so wird das Unmögliche zum Wahrscheinlichen.“
Jennifer Hartmann nippte gerade an ihrem Becher und bemerkte dabei ihre Vorgesetzte. Ein müdes Lächeln umspielte ihre Lippen. Es war ein Lächeln, wie es die junge Spezialistin schon lange nicht mehr gezeigt hatte. Candice ahnte sofort, dass es einen erheblichen Fortschritt gegeben haben musste.
„Nun, Jennifer, wie sieht es aus? Sie strahlen, als wäre es Ihnen endlich gelungen, die Daten zu entschlüsseln.“
„Nicht wirklich“, antwortete Jennifer müde und deutete auf Yuki Hasagawa, die neben ihr saß und deren Kopf unter einem Virtual-Reality-Helm verschwand, mit dessen Hilfe sie sich im Datenstrom bewegte. „Aber Yuki hat etwas entdeckt, dass uns endlich weiterbringt.“ Sie beugte sich vor und klopfte gegen den Helm. Das musste sie mehrfach tun, bis die japanischstämmige Tetronik-Spezialistin reagierte.
Bergner erschrak zutiefst, als sie in ihre Augen sah. „Sie haben etwas entdeckt, Doktor Hasagawa?“
Die junge Frau atmete mehrmals tief durch, warf den schweren Helm achtlos auf einen benachbarten Tisch und füllte ihren Becher auf. Erst nach einigen kräftigen Schlucken und undefinierbaren Seufzern nickte sie langsam. „Eigentlich verdanken wir es unseren Chiffrier-Spezialisten vom Nachrichtendienst, Professor. Es geht dabei um die Häufigkeit. Sehen Sie, bei der Dechiffrierung eines Textes geht man davon aus, das bestimmte Buchstaben des Alphabets in unserer Sprachen nun einmal am häufigsten vorkommen und benutzt werden. Dann sucht man im kodierten Text nach den Zeichen, die ebenfalls am häufigsten vorkommen. Eine uralte Methode, die schon zu Napoleons Zeiten angewandt wurde.“
„Nun, wer immer auch Napoleon war“, brummte die Hoch-Koordinatorin, „inwieweit bringt er oder sie oder es uns in unserer Sache weiter?“
Hasagawa nahm einen neuen Schluck. „Es ist nur eine Kleinigkeit, aber das am häufigsten vorkommende Zeichen sind bei einem Datenspeicher keine Buchstaben oder Zahlen, sondern die Trennungen. Zwischen jedem Ordner, jeder Datei, jedem Buchstaben und jeder Zahl muss es ja ein trennendes Zeichen, das Leerzeichen, geben. Das muss am häufigsten vorkommen und dieses Zeichen habe ich gefunden.“
Jennifer Hartmann deutete Applaus an und grinste. „Und noch mehr.“
„Danach war es wieder ausgesprochene Teamarbeit“, erklärte die Spezialistin weiter. „Im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass eine Textdatei weniger Zeichen benötigt als eine Grafik- oder Bilddatei und dass die größte Anzahl an Daten in Video- oder holografischen Sequenzen enthalten sein müssen.“
„Ich glaube, es ist uns gelungen, diese Dateitypen voneinander zu trennen“, meldete sich Jennifer zu Wort. „Wobei uns eine Sache wirklich hilfreich war. Das Speichern der Nachrichten, welche die Negaruyen über ihren Schwingungsfunk senden. Dabei sind sie ja denselben Problemen unterworfen wie wir. Auch sie können nur mit kurzen oder langen Impulsen den Nullzeit-Funk nutzen. Wir haben also versucht, eine entsprechende Datei zu finden und diese darzustellen. Und jetzt sehen Sie einmal auf den Monitor.“
Hartmann und Hasagawa deuteten auf einen der Bildschirme hinter Candice und diese wandte sich um. Auf dem Monitor baute sich ein verwirrendes Durcheinander aus weißen, schwarzen und grauen Pixeln auf. Die Hoch-Koordinatorin glaubte einen Schatten zu erkennen, war sich aber in seiner Deutung nicht sicher. „Recht hübsch“, murmelte sie. „Sieht aus wie eines dieser überteuerten Gemälde von Schalabionaski, der im Augenblick in der Kunstszene so Furore macht.“
„Nun, das sind die Rohdaten, die wir dem Würfel entnommen haben. Wir haben sie mit jeder Menge Programmen überarbeitet und letztlich das hier daraus gemacht.“
Der Stolz in der Stimme von Hasagawa war verständlich.
Candice Bergner stieß einen leisen Pfiff aus. „Ist das eine Karte?“
„Und ob sie das ist. Und zwar eine Karte des Sol-Systems und des Mars. Vermutlich eine taktische Karte für den Angriff auf den Mars. Wir haben ein bisschen herumexperimentiert und ich lege Ihnen eine von unseren Karten darüber. Dann sehen Sie die Abweichungen.“
Eine halbtransparente und detailscharfe Karte legte sich über die andere. Candice nickte. „Ja, die Ähnlichkeit ist trotz vieler Abweichungen nicht zu verkennen.“
„Wir haben unsere Karte ebenfalls in Pixel für eine Nullzeit-Nachricht zerlegt. Ich denke, wir können die Unterschiede jetzt verwenden, um ein paar Lücken in unseren Kenntnissen über die eTronischen Zeichen der Negaruyen zu schließen. Es ist natürlich erst ein Anfang und noch dazu ein sehr kleiner, aber es ist ein Anfang.“
„Ausgezeichnete Arbeit“, lobte Candice, „und das gilt für alle im Team. Ich werde Sker-Lotar rufen. Der Wissende der Norsun kann vielleicht weitere Erkenntnisse liefern.“
Einer der Dechiffrier-Spezialisten des Nachrichtendienstes wiegte den Kopf. „Halten Sie das für empfehlenswert, Hoch-Koordinatorin? Bislang weiß kein Norsun, dass wir in den Besitz des Datenkerns gelangt sind.“
„Die Norsun kennen wenigstens eine Teil der Sprache und Schriftzeichen der Negaruyen, auch wenn es nicht zur Verständigung ausreicht. Grundgütiger, dank der Übersetzungsgeräte können wir uns mit den Insektoiden nahezu fehlerfrei unterhalten, aber bei den so menschenähnlichen Negaruyen ist uns das nicht möglich. Da sind wir zur Kommunikation auf jene angewiesen, die unsere Sprache erlernten.“
„Wenn wir ebenfalls ein paar Infiltratoren in deren Gesellschaft hätten einschleusen können, bestünde das Problem nicht“, sagte Hasagawa leise.
„Haben wir aber nicht. Schön, ich rede mit dem Hoch-Admiral und schlage vor, dass sich Sker-Lotar ansieht, was Sie hier bislang entdeckt haben.“
Vier Stunden später
Der Wissende Sker-Lotar lebte nun schon einige Zeit bei den Menschen, die ihn vor den Negaruyen gerettet hatten. Die Möglichkeit, wieder zu seinesgleichen gebracht zu werden, war von ihm ausgeschlagen worden, denn seine Begierde, mehr über diese Menschen zu erfahren, war übergroß. Inzwischen wusste er so viel von ihrer Kultur und Technik und hatte so viele von ihnen näher kennengelernt, dass er sich ihnen verbunden fühlte, als seien sie die Eier seines eigenen Stamms.
Dies brachte ihn zunehmend in Gewissenskonflikte, da er erkannte, dass im Bündnis beider Völker auf beiden Seiten nicht mit offenen Karten gespielt wurde. Sein daraus resultierender Wunsch, doch wieder zu seinem Volk zurückzukehren, war ihm jedoch von der großen Mutter aller Norsun verwehrt worden. Seine Kenntnisse über die Menschen und seine Stellung als ihr Berater machten ihn zu wertvoll. An ihm lag es, die Interessen der Norsun wahren.
Diese Verpflichtung belastete ihn noch mehr und er fühlte sich auf verhängnisvolle Weise der angeborenen und anerzogenen Loyalität den Norsun gegenüber ebenso verpflichtet wie seinen Rettern. Seine Einsamkeit wurde in den vergangenen Monaten etwas gelindert, da sich nun auch das ebenfalls von den Menschen gerettete alte Höchst-Wort Surus-Galmon auf der Sky-Base Arcturus aufhielt. Die kleine Mutter Gerrun hatte ihn zum Kommandanten der Schutzflotte des Arcturus Systems erhoben. Sicherlich sehr zum Ärger des Höchst-Worts Gordon-Gor, welcher der Oberbefehlshaber der Flotte der großen Mutter und ein persönlicher Gegner des Alten war.
Sker-Lotar war zunächst enttäuscht gewesen, dass die Menschen ihm bislang den Fund des Datenspeichers vorenthalten hatten, doch nun, da er vor dem Gerät stand, wurde er von schierer Neugierde und der Zuversicht erfüllt, dass der lange Krieg gegen den Erzfeind Negaruyen vielleicht doch bald mit einem Sieg über sie enden könnte.
„Ihr Menschen nicht erzählerisch sagen Sker-Lotar von gefundenem Fund“, wandte sich der Wissende anklagend an den begleitenden Hoch-Admiral. „Ihr nicht vertrauensvoll vertrauen Sker-Lotar.“
John Redfeather fühlte die Verletztheit des Norsun und legte ihm in vertrauensvoller Geste die Hand auf die Schulter. „Wir vertrauen Sker-Lotar und wissen, dass er unser Freund ist. Ohne ihn wären die Schiffe der kleinen Mutter Gerrun niemals rechtzeitig gekommen, um uns gegen die Negaruyen beizustehen. Das werden wir niemals vergessen, mein Freund.“
Diese offenen Worte berührten Sker-Lotar, der dies jedoch zu verbergen suchte. „Warum verbergen Fund in Verborgenheit vor Sker-Lotar? Sker-Lotar vielleicht kann hilfreich helfen.“
„Wir fürchteten Enttäuschung“, sagte Candice Bergner lächelnd. „Wir setzen alle Hoffnung auf die Daten des Würfels und wenn wir ihn nicht knacken können, wäre die Enttäuschung maßlos.“
„Sker-Lotar verständnisvoll verstehen.“ Der Wissende legte zustimmend die Kopffühler nach vorne und trat hinter Jennifer Hartmann. Er deutete auf ihren Monitor. „Zeige zeigend gefundene Daten von Würfel. In rascher Schnellfolge. Sker-Lotar sehend will sehen schnell.“
Inzwischen hatten sich die Menschen an die eigenartige Sprechweise der Norsun gewöhnt und wussten die merkwürdigen Doppelungen zu deuten. Selbst die Menschen hatten schon oft nicht begriffen, dass eine verdoppelte Verneinung im Grunde einer Bejahung gleichkam. Genau genommen besagte der historische Liedtext „We don´t need no education“ genau das Gegenteil von dem, was das Lied eigentlich aussagen wollte, nämlich, dass man Erziehung brauche. Solche Feinheiten schienen dem Idiom der Norsun jedoch fremd zu sein.
Tech-Lieutenant Jennifer Hartmann ließ die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen über den Monitor laufen.
„Schnellere Schnelligkeit“, forderte Sker-Lotar und wiederholte die Forderung. Dann ließ er einen klickenden Laut hören, den die Menschen bei ihm inzwischen als amüsiertes Kichern interpretierten. „Noch schnellere Schnelligkeit. Ich sagen, wann haltender Halt.“
Die Menschen konnten den Abbildungen auf dem Monitor kaum noch folgen, geschweige denn, die erforderlichen Details erkennen, als der Wissende endlich mit der Geschwindigkeit zufrieden war.
Jennifer und die anderen warfen sich bezeichnende Blicke zu. Keiner von ihnen hatte gewusst, mit welcher Geschwindigkeit Sker-Lotar Informationen in sich aufnahm. Das Wissen, welches er inzwischen über das öffentliche Informationsnetz des Direktorats erworben hatte, musste enorm sein. John Redfeather bekam ein ungutes Gefühl, wenn er bedachte, dass ihr nichtmenschlicher Freund auch etliches militärisches Wissen besaß.
„Haltender Halt und rückwärtiger Halt“, kam es von Sker-Lotar.
Nach einigem Hin und Her war der Norsun zufrieden. Auf dem Monitor war das Innere des Würfels schematisch dargestellt. Es wirkte kompakt und wie eine geschlossene Masse, so viele Informationseinheiten schienen darin enthalten.
„Machen zeigende Karte auf dreidimensionaler Räumlichkeit“, bat der Wissende.
Der Assistent, der zuvor auf einem der Tische geschlafen hatte und nun einen halbwegs ausgeruhten Eindruck machte, fegte Polster und Schlafsack mit einer raschen Armbewegung von seinem Tisch und nickte Jennifer zu. Augenblicklich entstand das Hologramm des Würfels und wurde auf die Bitte des fremden Wissenschaftlers hin vergrößert.
Wenn man sich konzentrierte, konnte man nun die verschiedenen Symbole erkennen, da ihnen verschiedene Farben zugeordnet waren.
„Zeigender Finger?“ Der Norsun streckte die Hand aus und Candice reichte ihm einen Pointer. Langsam trat er näher an die Projektion, umkreiste sie und legte dabei seinen elliptischen Kopf von einer Seite zur anderen.
Niemand störte ihn in seiner Konzentration. Keiner wagte eine Frage zu stellen oder sich zu unterhalten. Yuki Hasagawa griff in Zeitlupe zu ihrem Becher und ging zur Kaffeemaschine. Sie biss sich auf die Unterlippe, als das Gerät den Becher mit vernehmlichem Gluckern auffüllte, und zuckte entschuldigend mit den Schultern.
Dann hob der Norsun den Pointer und markierte rasch und entschlossen einige Bereiche des Würfels und einzelne Symbole. „Lesbare Textdatei“, erläuterte er, „tönende Tondatei … Das da abbildende Bilddatei … Das da lebhafte Bilddatei … Dies funktionale Systemdatei … Dieses Symbol für trennende Trennung der Dateien und unterordnenden Ordner. Ha, gefundener Fund! Großartige entdeckte Entdeckung! Dies Kartendatei! Beim Feuerfall von Istwagh, dies muss navigierende Navigationsdatei sein. Bewegungskarten der Flachschlitznasen!“
Die Fühler auf dem Kopf des Norsun scheinen einen eigenartigen Tanz aufzuführen und verrieten die immense Erregung des Wissenschaftlers.
„Bist du dir sicher, Sker-Lotar?“, fragte John Redfeather nervös nach. „Sind das wirklich Karten der Negaruyen?“
„Ha, sind navigierende Navigationsdateien“, versicherte der Gefragte. „Nun müssen trennende Trennung der einzelnen Einzeldateien vornehmen. Dann einzelne Einzeldatei räumlich machen und mit räumlicher navigierender Navigationsdatei von Menschen vergleichend vergleichen.“
Ein intensiver Austausch entspann sich zwischen dem Norsun und den menschlichen Forschern, in der herausgearbeitet wurde, wie man die Sternenkarten der Negaruyen lesbar machen konnte. Im Grunde ging es darum, die einzelnen dreidimensionalen Navigationskarten der Menschen mit den dreidimensional gemachten Dateien der Negaruyen zu vergleichen. Diese mussten ebenfalls dreidimensional projiziert werden und dann in den verschiedensten Varianten und Blickwinkel sowie Vergrößerungsstufen auf die menschliche gelegt und mit dieser verglichen werden, bis es zur Deckung kam.
„Eine enorme Arbeit, speziell für unsere Astronomen und Kartografen“, seufzte Candice Bergner. „Zumal sich die Karten von ein und demselben Gebiet nicht hundertprozentig decken müssen. Die Negaruyen sind weit länger als wir im All unterwegs und haben wahrscheinlich weit mehr Kenntnisse als wir. Auch wissen wir nicht, welche Eintragungen sie für bedeutsam halten. Es wird Wissen und auch Fantasie benötigen, diesen Job zu erledigen.“
„Candice, das ist bei Ihnen und Ihrem Mitarbeiterstab in besten Händen“, meinte John Redfeather. „Sie haben Vollmacht, alles einzuspannen, was Sie hierfür für erforderlich halten. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass das hier absolute Priorität hat.“
„Sker-Lotar hilfreich helfen“, bot sich der Norsun an.
„Wird dankend angenommen“, stimmte die Hoch-Koordinatorin lächelnd zu. „Ich habe schon eine Vorstellung von ein paar fähigen Leuten, die wir hinzuziehen sollten. Wie sieht es bei euch aus? Jemand Vorschläge? Ja, Yuki?“
Als die Tetronik-Spezialistin einen Namen nannte, vertiefte sich das Lächeln der Hoch-Koordinatorin. „Steht auch ganz oben auf meiner persönlichen Liste. Da Sie beide schon miteinander gearbeitet haben, schlage ich vor, dass Sie sich mit ihr in Verbindung setzen. Weitere Ideen?“
Es wurde noch eine Reihe von Fachkräften genannt und einige wenige wurden abgelehnt, da diese Männer oder Frauen erkrankt waren oder man Sicherheitsbedenken hatte.
Schließlich schlug Candice Bergner erneut die Hände ineinander. „Ein letzter Job für den heutigen Arbeitstag. Wir brauchen ausreichend Kopien der entsprechenden Dateien. Wer die Kandidaten persönlich kennt, setzt sich auch persönlich mit diesen in Verbindung. Dafür habt ihr nun zwei Stunden Zeit. Danach wird dieses Labor für vierundzwanzig Stunden geschlossen. Ich brauche ausgeruhte Mitarbeiter. Zwangspause. Jeder geht für mindestens zwölf Stunden schlafen und gönnt sich danach ein ausgezeichnetes Frühstück. Danach ein zweites Verdauungsschläfchen. Und versucht nicht, wieder ins Labor zu schleichen. Die Trooper erhalten Befehl, euch für zwölf Stunden in die Quartiere zu sperren und danach nicht mehr aus den Augen zu lassen. Morgen haben wir den wichtigsten Job im Direktorat und ich will jeden topfit erleben. Wer nur einen Augenring hat, der wandert zurück auf die Matratze.“