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Kapitel 7

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Der Reiter sah aus wie einer der vielen Reisenden, die in den Provinzen des Reiches Alnoa unterwegs waren. Er war offensichtlich wohlhabend genug, ein eigenes Pferd zu reiten, trug allerdings einen sehr schlichten Umhang mit Kapuze über Tunika und Beinkleid. Keines der Kleidungsstücke wies auf hohen Besitzstand hin, und es gab auch sonst nichts, was einen Anreiz für Raubgesindel geboten hätte, den Mann zu überfallen.

Es wäre den Wegelagerern auch sicherlich schlecht bekommen, denn es war Marnalf, der sich da auf dem Weg durch die Ostprovinz befand. Sein weniges Gepäck schien in eine kleine Reisetasche zu passen, der niemand die wahre Geräumigkeit ansah, die einem Zauber zu verdanken war. Den Knotenstab hatte das Graue Wesen locker über die Schenkel gelegt, mit denen es zugleich das Pferd lenkte. In den Händen hielt es Wasserflasche und Hartwurst und kaute mit Behagen, scheinbar vollkommen in Gedanken versunken.

Marnalf fürchtete kein Raubgesindel und auch keine Raubtiere, denn zu den Fähigkeiten der Grauen Wesen gehörte die Macht der Aura. Sie würde ihn zuverlässig warnen, wenn sich ihm ein feindlich gesonnenes Lebewesen näherte. Er benötigte auch keine Waffe, um einer Gefahr zu begegnen, denn er beherrschte die drei Grundzauber der Grauen in Perfektion.

Der Bannzauber lähmte jedes Wesen, auf das Marnalf seinen Blick konzentrierte. Der Wuchtzauber verlieh ihm die Fähigkeit, Lebewesen oder Objekte mit großer Gewalt durch die Luft zu schleudern, und der Flammzauber verbrannte jedes organische Material, das Marnalf nicht gefiel. Alle Zauber konnten ihre Wirkung allerdings nur entfalten, wenn der Magier das entsprechende Ziel im Auge hatte. Man konnte selbst einen mächtigen Magier bezwingen, wenn man ihn gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen angriff, auch wenn man dazu große Schnelligkeit und noch mehr Glück benötigte.

Um seinen Willen durchzusetzen, nutzte Marnalf meist seine Freundlichkeit oder die Überzeugungskraft von Argumenten. Wer sich dem verschloss, konnte erleben, welch gefährliche Waffe ein einfacher Stock war. Als Graues Wesen bevorzugte Marnalf es, seine magischen Kräfte verborgen zu halten. Für jene Grauen, die nun dem Schwarzen Lord dienten, mochte dies nicht gelten, aber er selbst fühlte sich den alten Traditionen verbunden. Ein Magier sollte das Leben der sterblichen Wesen begleiten, es beobachten und nötigenfalls den Lauf der Geschichte in die richtigen Bahnen lenken, doch er sollte niemals direkten Einfluss nehmen, es sei denn, sein Leben war bedroht.

Seit jedoch die anderen Grauen dem Schwarzen Lord verfallen waren, hatte auch Marnalf seine strikte Neutralität aufgegeben. Er fühlte sich den Menschenwesen verbunden und schätzte das Volk der Zwerge sehr. Seine Möglichkeiten, in den Kampf einzugreifen, waren allerdings begrenzt. Bislang hatte der Schwarze Lord seine Grauen Wesen nur selten eingesetzt. Bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie in Erscheinung getreten waren, hatten sie eher im Verborgenen gehandelt, Unfrieden gesät und heimlich gemordet. Sie hatten meist ihre gestaltwandlerische Gabe eingesetzt und nur selten einen Zauber. Marnalf befürchtete, wenn er seinerseits offen in der Schlacht antrat und seine Magie einsetzte, würde auch der Schwarze Lord seine Zauberer in den Krieg führen. Marnalf wusste, dass dies mit seiner eigenen Niederlage enden würde, denn der Herr der Orks verfügte über viele Zehnen an Magiern. Eine Übermacht, der ein Einzelner nicht standhalten konnte. Warum hatte es der Schwarze Lord nicht längst versucht? Mit den Zaubern seiner Grauen Wesen hätte er die Armeen der freien Völker leicht überwinden können. Es war ein Rätsel, und Marnalf konnte nur hoffen, dass die Krieger der Menschen nie gegen die Magie der entarteten Grauen bestehen mussten.

Auch Marnalf beherrschte die Kunst, seine Gestalt zu wandeln. Er konnte die Form jedes Lebewesens annehmen, sofern es der ungefähren Masse seines eigenen Leibes entsprach. Ein Zwerg, ein Mensch oder Elf, ja, sogar ein Raubtier oder ein kleines Pferd … Eine Gabe, die es dem Feind schon manches Mal leicht gemacht hatte, sich unerkannt unter den Menschen oder anderen Lebensformen zu bewegen. Allerdings musste das Wesen, in das man sich verwandeln wollte, direkt berührt werden. Die Wandlung war zwangsläufig mit dem Tod des betroffenen Wesens verbunden und nahm eine gewisse Zeit in Anspruch, in welcher ein Magier nicht auf Gefahren reagieren konnte.

Marnalf wusste nicht, wie alt er war. Er hatte schon zu viele Generationen der Sterblichen kommen und gehen sehen. Hatte miterlebt, wie die Evolution ihre Wandlungen vollzog. Wie das Hornvieh größer wurde und dünneres Fell bekam, wie die pferdeähnlichen Stirnhörner vergingen, sich das Leben geänderten Bedingungen anpasste. Umso mehr freute es ihn, dass er noch immer Gefallen am Gesang der Buntflügler oder dem schlichten Anblick der Natur fand und er gegen diese Eindrücke nicht abgestumpft war.

Mit dem Frühling schienen die Reiche der Menschen in mehrfacher Hinsicht aufzublühen. Nicht nur Pflanzen und Tierwelt entfalteten jetzt ihre volle Kraft, nein, auch die Menschen zog es wieder hinaus. Während der Zeit von Eis und Schnee war der Handel überwiegend zum Erliegen gekommen, und nur wer unbedingt hinaus musste, hatte weitere Wege auf sich genommen. Nun waren die bunten Kasten- oder Planwagen der fahrenden Handwerker und Händler wieder unterwegs. Gruppen von Schaustellern zogen aus, um die kleinen Siedlungen aufzusuchen, und Handelszüge nutzten die gepflasterten Straßen, um Waren in die entferntesten Winkel zu bringen oder von dort zu holen.

Marnalf war ohne Begleiter unterwegs und hatte auf eine schützende Eskorte der Garde verzichtet. Solange man nicht wusste, was es mit den Feuerbällen auf sich hatte, wollte er möglichst wenig Aufmerksamkeit erregen. Ein Mann mit Schutzeskorte fiel in jedem Fall auf, denn er musste eine Persönlichkeit von Bedeutung sein. Ein einzelner Reiter war hingegen nicht ungewöhnlich. Der graue Magier wusste aus den Berichten der Garde, wo sich eine der Einschlagstellen befand, und er hoffte auf Hinweise, die ihm die Herkunft der Himmelsgeschosse erklären konnten. Es kam vor, das glühende Steine aus dem Himmel fielen oder nachts über das Firmament glitten und dabei Feuerschweife hinter sich herzogen, doch die Häufung dieser Erscheinungen verhieß nichts Gutes, zumal sie alle aus dem Osten, dem Reich des Schwarzen Lords, kamen.

Marnalfs Schätzung nach musste er die gesuchte Einschlagstelle bald erreichen. Er wickelte die Hartwurst in ihr Tuch und schob sie wieder in seine Satteltasche, nahm einen letzten Schluck aus der Wasserflasche und registrierte, dass er sie bald nachfüllen musste. Doch das war kein Problem, denn in der Ostprovinz gab es viele kleine Bachläufe und Seen.

Er ritt durch eine weite Ebene, auf der eine kleine Herde wilden Hornviehs graste, und sah vor sich eine sanft ansteigende Hügellinie. Hinter ihr sollte sich die Stelle befinden, nach der er suchte.

Kurz bevor er den Hügel erreichte, spürte er eine Präsenz. Es hatte nichts mit seinen magischen Fähigkeiten zu tun, sondern mit dem Instinkt, den jedes Lebewesen im Verlauf seines Lebens entwickelt. Er spürte, dass er beobachtet wurde. Marnalf konzentrierte sich und wandte die Macht der Aura an. Wer immer sich dort verbarg, die Ausstrahlung seines Bewusstseins würde seinen Standort verraten und auch, ob er feindlicher Gesinnung war.

An einer Stelle auf der Kuppe bemerkte der Magier einen zartblauen Schimmer und nickte unbewusst. Auf die Macht der Aura war Verlass. Dort verbarg sich tatsächlich ein denkendes Wesen. Die Farbe der Aura deutete auf Angst oder Vorsicht hin. Solange sich das Bewusstsein des Unbekannten nicht in feindseligem Rot offenbarte, bestand keinerlei Gefahr.

Marnalf war sich eines gewissen Risikos bewusst, als er langsam auf die Hügelkuppe zuritt. Jener, der sich dort befand, hielt sich geschickt verborgen, und obwohl der Magier durch die Ausstrahlung der Aura die ungefähre Position kannte, war es ihm nicht möglich, einen Körper zu sehen. Was er nicht sah, konnte er jedoch auch nicht mit seiner Magie bannen. Der Fremde wiederum war durchaus in der Lage, einen Pfeil oder Bolzen zu lösen, wenn er in seinem Versteck blieb.

Magie gab einem Zauberer keineswegs jene Art von Unbesiegbarkeit, die sich die Sterblichen darunter vorstellten. Man konnte sie auch nicht erlernen. Marnalf war schon manchem Menschen begegnet, der darauf gehofft hatte, es gäbe geheime Bücher oder Sprüche, die das Erlernen der magischen Kunst ermöglichten. Aber dergleichen gab es nicht. Einem Wesen musste die Gabe der Magie mit der Geburt verliehen werden, so schwach sie auch ausgebildet sein mochte. Nur dann konnte man sie schulen und vervollkommnen.

In gewisser Weise war Marnalf erleichtert, als sich auf dem Hügel eine Gestalt erhob und damit deutlich sichtbar wurde. Jetzt war es dem Fremden nicht mehr möglich, dem Magier zu schaden, denn was immer der Mann beabsichtigte, Marnalf sah ihn und konnte dem mit einem Bann begegnen.

Der Unbekannte trug nicht die übliche Tunika der Alnoer, sondern ein leichtes Wams und eng anliegende Beinkleider. Sie waren in gedeckten Farben gehalten und erlaubten es ihrem Träger, sich im Grün der Umgebung zu verbergen. An dem geflochtenen Ledergürtel hingen ein Messer und ein Pfeilköcher, den Bogen hielt der Fremde in den Händen, und Marnalf bemerkte sehr wohl, dass ein Pfeil auf der Sehne lag. Ohne Zweifel ein Jäger, und er hielt sich bereit. Marnalf konnte es ihm nicht verübeln.

Er hielt den Knotenstab weiter über den Schenkeln und hob eine Hand, als er in Rufweite des Mannes gelangte. „Seid gegrüßt, guter Herr, und ohne Furcht. Ich führe nichts Böses im Schilde.“

Der Mann blieb vorsichtig, und die Aura wankte zwischen Blau und beruhigendem Grün. Empfand der Fremde Furcht vor einem einzelnen Reisenden, obwohl er den Bogen bereithielt?

„Ihr seid fernab der Wege zu den Siedlungen.“

Marnalf lächelte. „Nun, auch Ihr seid wohl weit von ihnen entfernt. Ein Jäger muss wichtige Beute jagen, wenn er einen so weiten Weg in Kauf nimmt.“

„Ich habe wie Ihr ein gutes Pferd hinter dem Hügel.“

„Ihr jagt zu Pferde?“

„Ich bin auf der Jagd nach einem alten Heulbeißer“, erklärte der Mann. Er schob den Bogen auf den Rücken und steckte den Pfeil in den Köcher. „Ein bösartiger alter Bursche, der wohl von seinem alten Rudel verstoßen wurde.“

„Warum dann die Mühe?“ Marnalf verzichtete auf die weitere Anwendung der Aura. Das konnte er sich nun ersparen. Er ritt langsam näher und zügelte dann sein Pferd, reckte sich seufzend und stieg aus dem Sattel. „Wenn er verstoßen wurde, kann er nicht lange überleben.“

„Lange genug.“ Der Jäger spuckte aus. „Der Graupelz hat ein Kind unseres Dorfes getötet, und wenn ein Raubtier erst einmal gemerkt hat, wie leicht sich ein Mensch töten lässt, wird es das wieder tun. Ein Mensch ohne Waffen ist nicht so wehrhaft wie eine Raubkralle, ein Pelzbeißer oder ein Hornvieh.“

„Ich verstehe. Dann kann ich Euch nur gute Jagd wüschen.“ Marnalf bot dem Mann Wasser aus seiner Feldflasche an, doch der Jäger winkte dankend ab.

„Ihr seid vom Stadtvolk, wie Eure Kleidung verrät.“ Der Mann deutete um sich. „Was führt Euch in die Ostprovinz? Folgt Ihr dem Aufruf des Königs, hier zu siedeln?“ Er lachte freundlich. „Dann reist Ihr mit sehr leichtem Gepäck.“

Marnalf schüttelte den Kopf. „Ich bin ein Gelehrter des Pferdevolkes“, erklärte er, und in gewisser Weise stimmte das ja auch. „Ich studiere ferne Länder und vor allem ihre Tiere.“

„Ein Gelehrter also, ein Hoher Herr? Nun, mich interessieren vornehmlich jene Tiere, die man jagen kann“, bekannte der Jäger. „Vor allem der verfluchte Heulbeißer.“

„Ich hörte von einem merkwürdigen Krater, der sich in dieser Gegend befinden soll. Ihr wisst nicht zufällig, wo ich ihn finde?“

„Das seltsame Erdloch? Dort werdet Ihr keine interessanten Tiere finden.“

„Ah, an einem fremden Land wie dem Euren ist alles interessant. Ich sah noch nie einen solchen Krater. Man munkelt, er sei durch ein Himmelsfeuer entstanden.“ Marnalf sah den Mann verschwörerisch an. „Das ist die richtige Würze für meinen Reisebericht, Ihr versteht?“

Der Jäger schnaubte leise. „Es liegt direkt hinter diesem Hügel. Ihr könnt das Loch nicht verfehlen, Hoher Herr. Aber viel zu sehen gibt es dort wahrhaftig nicht.“

Sie gingen nebeneinander zur höchsten Erhebung der Hügelreihe. Marnalfs Pferd folgte langsam und zupfte dabei an den saftigen Gräsern. Oben angelangt deutete der Jäger vor sich. „Dort könnt Ihr das Loch sehen, Hoher Herr. Was immer es geschlagen hat, es muss großen Schrecken bei den Tieren ausgelöst haben.“

Der Krater war unübersehbar, was nicht nur an seiner Ausdehnung lag, sondern vor allem an dem Erdauswurf. Die Tiefe konnte Marnalf noch nicht abschätzen, aber der Krater hatte wohl dreißig Längen im Durchmesser. Erde und Steine waren herausgeschleudert worden und bedeckten in weitem Umkreis das Gras der Ebene. Die dunklen Flecken waren noch nicht von frischem Grün überwachsen. Der meiste Auswurf lag in westlicher Richtung, für den Magier ein Hinweis, dass der Feuerball aus östlicher Richtung gekommen und schräg eingeschlagen war.

Der Krater war gute fünf Längen tief, doch seine Wände waren nicht besonders steil. Der Jäger verharrte oben am Kraterrand bei Marnalfs Pferd. Der stieß seinen Knotenstab in die Erde und legte die Zügel seines Reittieres darum. Marnalf spürte die Unruhe des Tieres, was an der Nähe zum Krater liegen mochte. Ohne Zaudern machte sich der Magier daran, in den Krater hinabzusteigen. Der Boden war locker, und er musste darauf achten, nicht auszurutschen.

„Warum macht Ihr euch die Mühe, dort hinabzusteigen?“, rief ihm der Jäger nach. „Der Boden ist gefährlich, und Ihr könntet zu Sturz kommen.“

„Wir Gelehrten sind nun einmal neugierige Wesen“, antwortete Marnalf.

Die Blicke des Magiers glitten über die Kraterwände und den Untergrund. Am Boden hatte sich Grundwasser angesammelt. Die Natur würde diese Einschlagsstelle bald wieder mit ihrem Pflanzenwuchs überdecken. Vermutlich diente sie dann als Wasserstelle für die Tiere. Gräser und Büsche würden jegliche Spuren rasch bedecken, und Marnalf war froh, dass er vor dieser Zeit gekommen war.

Er war überzeugt, dass es sich bei den Feuerbällen um Geschosse handelte. Er kannte die Sonnenfeuer, welche die bösartigen Zauberer von Lemaria aus dem Reich Jalanne einst auf das ferne Rushaan geworfen hatten. Sie hatten glühende Feuerstürme entfacht, und der Druck ihrer Explosion hatte das Land verwüstet und verändert. Sie waren jedoch weitaus wirkungsvoller gewesen als jenes Geschoss, welches diesen Krater verursacht hatte. Auch die Druckbomben, welche die Metallvögel Rushaans vor so langer Zeit aus dem Himmel hatten fallen lassen, waren hiermit nicht vergleichbar. Rushaan und Jalanne waren gleichermaßen untergegangen, es gab keine Metallvögel und keine Lemarier mehr. Hatte sich jemand an altes Wissen erinnert oder eine neue Waffe ersonnen? Dies war das Werk von lebenden Wesen, davon war er fest überzeugt, und so mussten Spuren ihres Wirkens geblieben sein.

Hier versagte jegliche magische Gabe. Marnalf war ganz auf jene Sinne angewiesen, die auch einem gewöhnlichen Sterblichen zur Verfügung standen. Immerhin hatten seine Augen und Ohren im Verlauf seines langen Lebens nicht gelitten, wie es bei den Menschen im Alter geschah. Nein, seine Sinne waren scharf und, vielleicht durch die Erfahrung so vieler Menschenalter sogar noch empfindlicher geworden.

Ein Gegenstand erregte seine Aufmerksamkeit.

Er war schwarz und gezackt, zeigte jedoch eine ungewöhnlich regelmäßige Wölbung. Marnalf bückte sich nach dem handtellergroßen Objekt und stellte fest, dass es im Boden steckte. Er konzentrierte sich und löste es behutsam mit etwas Wuchtzauber. Nun erkannte er, dass es sich um ein gut unterarmlanges Fragment handelte. Es bestand aus fingerdickem Metall, von Feuer geschwärzt und mit zahlreichen regelmäßigen Löchern versehen. Dies war der Splitter eines sehr viel größeren Gegenstandes, und der Magier versuchte abzuschätzen, welche Form und Größe das Geschoss wohl ursprünglich besessen haben mochte. Er konnte sich nur ein ungefähres Bild machen, und es gefiel ihm in keiner Weise.

Er hörte ein leises Knarren.

Es war sehr leise, aber ein so typisches Geräusch, dass es unverwechselbar war. Es entstand nur dann, wenn die Sehne eines Bogens gespannt wurde und das Holz der Waffe unter Zug stand.

Marnalf sprang auf und wirbelte herum.

Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Jäger vom Kraterrand einen Pfeil auf den Magier löste.

Das graue Wesen handelte mit dem Instinkt seines langen Lebens.

Ein Arm schnellte hoch, die offene Handfläche dem heransausenden Geschoss zugewandt. Der Wuchtzauber traf den Pfeil und ließ ihn zerschellen. Noch während seine Fragmente auseinandersprengten, begriff der heimtückische Schütze, dass sein Versuch fehlgeschlagen war. Die Konzentration auf dem Gesicht des Jägers wandelte sich in Überraschung, während er zugleich nach einem zweiten Pfeil griff.

Marnalf lächelte kalt. Sein Blick bannte den Mann, dessen Bewegungen gefroren. „Du hast dich mit dem Falschen angelegt, mein Freund.“ Er behielt sein Ziel im Auge, tastete nach dem Metallfragment, um es aufzuheben, und machte sich dann an den Aufstieg. „Du wirst mir wohl ein paar Fragen zu beantworten haben.“

Der Magier ließ sich Zeit, denn der heimtückische Mann konnte ihm nicht entkommen.

Dann traf der Fuß des Zauberers auf lockeren Grund, der unter ihm nachgab.

Während er einen ärgerlichen Fluch ausstieß, stürzte Marnalf vornüber.

Obwohl er sich hastig wieder erhob, hatte der Gegner den kurzen Augenblick genutzt, in dem der Bann wirkungslos wurde, und war vom Kraterrand verschwunden.

Das Graue Wesen stieß einen leisen Seufzer aus und machte sich erneut an den Aufstieg. Wäre ein Wald in der Nähe gewesen, so hätte sich der Fremde vielleicht sogar in Sicherheit bringen können, denn die Bäume hätten ihm Schutz vor den verhängnisvollen Blicken des Zauberers geboten. Aber im Umkreis des Kraters gab es keine solche Deckung. Marnalf hörte das Wiehern seines Pferdes und lächelte kalt. Kein Pferd konnte schnell genug laufen, um seinen Blicken zu entkommen.

Als er endlich oben stand, konnte er den Jäger sehen, der Marnalfs Pferd zu rasendem Galopp antrieb.

Der Zauberer zog seinen Knotenstab aus dem Boden, säuberte ihn sorgfältig von Erdreich und wandte den Blick dann wieder dem Reiter zu. Erneut entfaltete der Bann seine unheimliche Wirkung. Mensch und Tier schienen in ihren Bewegungen einzufrieren, und es sah erschreckend aus, wie beide erstarrten. Normalerweise wäre das Pferd gestürzt, da nicht all seine Hufe den Boden berührten, und tatsächlich geschah dies auch. Doch der Fall verlief so langsam, dass Pferd und Reiter zur Reglosigkeit verdammt schienen.

Der gute Magier hielt das Metallstück in der Hand und nutzte seinen Stab als Stütze, während er langsam, fast gemütlich, in die Ebene hinaustrat und seinem Gegner folgte. Die Sinne des Mannes waren ebenso erstarrt wie die des Pferdes. Marnalf lockerte den Zauber, sodass er den Reiter aus dem Sattel werfen konnte. Das Pferd, vom Bann befreit, galoppierte noch ein gutes Stück, bevor es langsamer wurde und schließlich anhielt. Der Magier hielt den Jäger mit seinem Blick fest und stieß einen Pfiff aus, der sein Reittier zurückholte.

Marnalf ließ dem Mann gerade genug Spielraum, dass dieser sich zwar nicht bewegen konnte, seine Sinne aber die Lage erfassten. „Du hast versucht, mich heimtückisch zu töten“, sagte er freundlich, „und ein wahrer Jäger würde einen harmlosen Reisenden nicht ermorden wollen. Somit bist du kein Jäger, sondern etwas anderes, und du wirst mir nun erklären, was dich zu diesem Mordversuch getrieben hat.“

„Ein Graues Wesen“, keuchte der Mann, und das Entsetzen stand überdeutlich in sein Gesicht geschrieben. „Ihr … Ihr seid ein Graues Wesen. Wie kann das sein? Ihr Grauen seid die Diener des Allerhöchsten!“

„Des Allerhöchsten?“ Marnalfs Lächeln vertiefte sich. „Nur die Kreaturen der Finsternis bezeichnen den Schwarzen Lord so. Somit gehörst du zu ihnen. Lass mich raten, Jäger, du gehörst zu den Menschen, die ihm verfallen sind?“

Der Magier streifte die Ärmel des Mannes hoch und nickte, als er die Abbildung eines Kreuzes auf der Innenseite des rechten Armes, knapp über dem Handgelenk, entdeckte. Sie war mit roter Tinte unter die Haut gestochen worden und schon ein wenig verblasst. „Dachte ich es mir doch. Du gehörst zu den heimtückischen Mördern der Bruderschaft des Kreuzes. Du bist ein Rumaki.“

„Ihr werdet nichts von mir erfahren“, keuchte der Mann.

„Sehr tapfere und sehr dumme Worte. Da du weißt, dass ich ein Graues Wesen bin, dürftest du ebenso wissen, dass mir Möglichkeiten zur Verfügung stehen, jede Kreatur zum Reden zu bringen. Natürlich unter der Voraussetzung, dass es einer Sprache mächtig ist“, dozierte Marnalf freundlich. „Da du über eine Zunge und Sprache verfügst, wird es mir leichtfallen, sie dir zu lösen.“

Der Rumaki erwiderte furchtsam seinen Blick und nickte hastig. „Ich werde reden, Graues Wesen, ich werde reden.“

„Natürlich wirst du das.“ Der Magier seufzte leise. „Aber du wirst verstehen, dass ich kein Geschwätz hören will, sondern die Wahrheit. Ich fürchte, es gibt nur den Weg des Schmerzes, um dir die Wahrheit zu entlocken.“

Marnalf wusste, dass der Mann Angst vor ihm hatte. Ganz offensichtlich kannte er die Macht der Grauen Wesen. Die Furcht würde ihn zum Sprechen bringen, aber das war kein Garant dafür, dass er dabei auch die Wahrheit sagte. Es gab nur eine effektive Möglichkeit, sie ihm zu entlocken, und diese bestand darin, dem Jäger Schmerzen zuzufügen. Solche Schmerzen, dass er alles tat, um sie zu beenden. Kein sterbliches Wesen war stark genug, die Wahrheit unter der Folter zu verschweigen.

Der Magier empfand keinerlei Gewissensbisse, den Mann durch Flammzauber und Wuchtzauber zu foltern. Es gab Wesen, die Gefallen daran fanden, anderen Qualen zuzufügen. Für den Magier war das Leid jedoch nur Mittel zum Zweck. Mitleidlos marterte er seinen Gefangenen, bis dessen letzter Widerstand gebrochen war und er alles sagte, was er wusste.

Als Marnalf sich von dem wimmernden Opfer erhob und sich ein paar Schlucke aus seiner Wasserflasche gönnte, empfand er keinerlei Erbarmen. Der Rumaki hatte versucht ihn heimtückisch zu ermorden und, wie der Magier nun in Erfahrung gebracht hatte, andere Leben auf ähnliche Weise beendet. Allerdings hatte er dies nicht aus reiner Mordlust getan, sondern um seine Aufgabe zu erfüllen. Das war etwas, das der Zauberer respektierte.

Die Verletzungen, unter denen der Jäger nun litt, waren schwer, wenn auch nicht lebensbedrohend. Marnalf hatte jedoch nicht vor, sich auf seinem Weg mit dem Gefangenen zu belasten, und freilassen konnte er ihn ebenso wenig.

„So stirb nun wohl, Diener der Finsternis“, sagte der Magier leise und tötete den Mann mit einem Flammzauber, der die Überreste zur Unkenntlichkeit verbrannte.

Das Pferd scheute vor dem Gestank zurück, und Marnalf sprach leise Worte, um es zu beruhigen. Er schob das Fragment des Feuerballs in die Satteltasche, zusammen mit einem polierten Metallstück, welches er dem Toten abgenommen hatte. Dann saß er auf.

„Nun wird uns der Weg in die Hochmark führen“, sinnierte er. „Bedauerlich, dass der Rumaki nicht so viel wusste, wie ich gehofft habe. Dennoch werden es unangenehme Neuigkeiten sein, die wir unseren Freunden überbringen.“


Die Pferdelords 11 - Die Schmieden von Rumak

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