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DIE NATUR STIRBT!

Bienensterben, Insektensterben, Artensterben! Die wunderbare Vielfalt des Lebens ist bedroht, überall. Artenreiche Lebensräume wie tropische Wälder und Korallenriffe schwinden dahin.

Das ist nicht nur schlecht für das üppige irdische Leben, das sich über die letzten 3,5 Milliarden Jahre entwickeln konnte, sondern insbesondere für große, übermäßig häufige Säugetiere mit riesigem Bedarf an Wasser, Nahrung und Naturstoffen – uns!

Wir Menschen verbrauchen bereits viel mehr Ressourcen, als zur Verfügung stehen, überfischen und vergiften die Ozeane, verbauen und veröden riesige Landflächen, verpesten und zerstören ehemals fruchtbare Böden durch intensive Landwirtschaft. All das unter ungeheurem Energieeinsatz und enormem Schadstoffausstoß. Mit immer weiter steigender Tendenz: Der Nahrungsmittelverbrauch steigt weiter. Der Bedarf an Kunstdünger und Spritzmitteln steigt weiter. Der globale Fleischkonsum steigt weiter. Der Landverbrauch steigt weiter. Der Wasserverbrauch steigt weiter. Die Produktion von Plastik steigt weiter. Die Industrieproduktion steigt weiter. Der Energieverbrauch steigt weiter. Die Emissionen von Kohlendioxid (CO2) und anderen Klimagasen steigen kräftig weiter. 280 Teile CO2 pro Million (ppm) Luftteilchen waren früher in der Atmosphäre, nun sind wir schon bei über 400 ppm! Und es ist kein Ende des CO2-Anstiegs in Sicht. Auch andere Klimagase wie Methan und Lachgas steigen ungebremst weiter! Natürlich steigen der Treibhauseffekt und damit die globale Temperatur weiter. Eisschilde und Gletscher schmelzen, die Meere steigen weiter. Die Versauerung der Ozeane, eine noch wenig bekannte, aber äußerst bösartige Gefahr für Korallenriffe und sämtliche Lebensgemeinschaften im Meer, steigt weiter. Die Zahl und Ausdehnung sauerstofffreier »Todeszonen« in den Meeren steigen weiter. Der Aufwand für die globale Fischerei, für Rohstoffe und für die Landwirtschaft steigt weiter.

Wir wollen und brauchen immer mehr, verbrauchen immer mehr. Doch die Natur geht zurück: Unbelebte und belebte Ressourcen, Süßwasserreserven, fruchtbare Böden, Wälder schwinden. Fische im Ozean, die Erträge der Meeresfischerei, die Biomasse von Großtieren und Insekten an Land schwinden. Die Biomasse schwindet. Arten schwinden. So lange, bis nichts mehr da ist und ökologische Systeme kollabieren. Dann zieht der Ressourcenhunger weiter, beutet andere Systeme aus, bis auch sie erschöpft sind. Bis schließlich auch mit immer höherem Aufwand und moderner Technik nichts mehr geht. Wann mag das Ende der Planetenplünderung erreicht sein?

Genau das testen wir gerade aus. Wir Menschen testen gerade die Grenzen des Wachstums. Die Grenzen des irdischen Ressourcen- und Energieverbrauchs. Die Grenzen der globalen Verschmutzung und Vergiftung. Wir testen, wie viel Nahrungsmittel und Fleisch wir unter immer höherem Aufwand und auf Kosten immer höherer Umweltverschmutzung produzieren können. Wir spritzen die Äcker, zehren die Böden aus und produzieren Hochleistungspflanzen, nicht mehr direkt für unsere eigene Ernährung, sondern hauptsächlich schon für sogenannten »Biosprit« und als Futtermittel für unzählige Schweine-, Hühner- und Fischfarmen. Wir mästen damit Hochleistungskühe, arme Geschöpfe reduziert zu Milchmaschinen, und erhöhen stetig die Zahl der wiederkäuenden und Methan produzierenden Nutztiere – auf momentan bereits über drei Milliarden Fleisch- und Milchtiere. Wir klagen über 800 Millionen unterernährte Menschen und nutzen doch nur die Hälfte der für Menschen produzierten Lebensmittel; der Rest vergammelt schon bei der Produktion, beim Transport, in den Supermärkten oder Restaurants – oder in unseren Kühlschränken, und dann werfen wir das verfaulte Zeug halt weg.

Überfluss und Profite für die einen, Hunger und bitterste Armut für die anderen. Beides auf Kosten der Wälder, der Wildnis und der Vielfalt des Lebens. Und wir vermehren uns rasant, reizen Technik, fossile Energien und natürliche Ressourcen aus, sind unwissend oder überheblich genug, um die Grenzen der kurzfristigen Belastbarkeit der Natur zu ignorieren. Viele Wissenschaftler, Abertausende Wissenschaftler aus aller Welt haben uns eindringlich gewarnt, vor 25 Jahren schon und nun erneut (Abbildung 1). Die Diagnose: Wir haben diese Belastbarkeitsgrenzen längst überschritten. Leben jetzt schon auf Pump. Sind als Menschheit im Minus, als Zivilisation bankrott, als Lebensentwurf pleite. Sind als Experiment mit Ausnahme der Bekämpfung des Ozonlochs gescheitert und landen wohl sehr bald auf der blutigen Nase.

Schaut jetzt schon alles andere als gut aus? Stimmt. Doch die menschliche Bevölkerung steigt munter weiter. Auf zehn oder wohl eher elf Milliarden Menschen bis zum Jahr 2100. Falls sich die Zunahmerate des Bevölkerungswachstums weiter verringert und nichts ganz Übles dazwischenkommt.


Abbildung 1: Kein Fake, kein Scherz, kein Irrtum. Wir Menschen plündern, vergiften, töten, heizen auf und vermehren uns – bis uns unser Planet um die Ohren fliegt. Abgesehen vom Ozonloch (a) verschlechtern sich alle der bereits 1992 in der »Warnung der Wissenschaftler der Welt an die Menschheit« als bedenklich erachteten Faktoren. 2017 veröffentlichte Bill Ripple zusammen mit über 15.000 (!) Wissenschaftlern aus 184 Ländern die »Zweite Warnung« (Ripple et al. 2017). Im Text wird auch eindringlich vor der biologischen Krise gewarnt. Deutsche Version mit Erklärung der Abbildungen siehe http://scientists.forestry.oregonstate.edu/sites/sw/files/Warnung_der_Wissenschaftler_der_Welt_an_die_Menschheit_final.pdf.

Globale Gefahren

Was ganz Übles? Bei globalen Katastrophen denken viele spontan an Killerasteroiden auf Kollisionskurs, den Ausbruch von Supervulkanen oder verheerende Virenepidemien à la Ebola. Aber, bitte schön, bloß keine Panik: Kosmische Einschläge sind nicht in Sicht, Supervulkane brechen nur alle paar Millionen Jahre aus, und mit schnell voranschreitender Gentechnik in Zehntausenden von ordentlich ausgestatteten Forschungslabors dürften die Möglichkeiten zur raschen Herstellung von Impfstoffen gegen alte und neue Erreger zunehmend besser werden.

Leider standen die Chancen auf nukleare Katastrophen wohl auch selten besser als heute – es gibt immer mehr zivile Reaktoren, und die bekannte Atomkriegs-Uhr steht auf zwei vor zwölf! Ja, Raketen-Kim, Rüpel-Donald und Rambo-Vlad wollen sich auf einmal nicht mehr gegenseitig auf den Mond bomben, sondern sind jetzt ziemlich beste Kumpel. Fragt man sich, wie lange: Zunehmende Konflikte von immer mehr Menschen bei begrenzten Ressourcen und immer schlechteren Umwelt- und Lebensbedingungen erhöhen die globalen Risiken von Konflikten und Kriegen weiter.

Und danach sieht es nun mal aus: Steigende Temperaturen und Meeresspiegel, schlechtere Böden und immer heftigere Wetterkapriolen werden die Lebensqualität für Milliarden von Menschen dramatisch verschlechtern und damit zum Risiko für die sowie schon strapazierte Weltordnung. Lebensraum und Wasser werden knapp, Wüsten dehnen sich aus, Hunger wird mittelfristig wohl wieder zunehmen – und dann wird es Not, Elend und Migrationsströme in nie gekanntem Ausmaß geben. Kriege wohl auch. Die gibt es im Kampf um Ressourcen ja schon längst. Ein globaler Atomkrieg wäre schlecht für alle, und riesige Atombomben vernichten, was man gern erobern möchte. Also werden derzeit kleine taktische Atomwaffen entwickelt; natürlich nur aus Freude an der Technik und keinesfalls, um sie später auch gezielt offensiv einzusetzen. Hoffen wir mal, dass die neuen Freundschaften der ach so starken Männer anhalten und der nervöse Abschussfinger nicht doch mal zuckt.

Gefahr Klimawandel

Und, ja klar, nach über 20-jährigem Kampf Tausender Klimaforscher wird endlich auch der Klimawandel als eigenständige globale Bedrohung gesehen. Jedenfalls von allen halbwegs vernünftigen und nicht durch eigene Interessen verblendeten Entscheidern. Endlich, nach langem, zähem Gerangel hatte sich die Welt in den Pariser Klimaverträgen im Herbst 2015 geeinigt. Auf ein gerade noch beherrschbares Szenario von einer Temperaturerhöhung von unter 2 °C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Etwa zwei Drittel aller schon bekannten fossilen Brennstoffe sollten dafür erst einmal im Boden bleiben, und stattdessen sollte massiv umgerüstet werden auf regenerative Energiequellen. Gott sei Dank, erstmals ein Plan! Doch der allein wird der Menschheit wenig nützen:

Erstens ist das »2 °C plus Szenario« alles andere als harmlos: Mit dieser Obergrenze hofft man, globale Katastrophen zu verhindern. Sicher ist das nicht. Zudem beziehen sich die 2 °C auf die globale Durchschnittstemperatur im Vergleich zur vorindustriellen Zeit; in höheren geografischen Breiten und Gebirgen wird die Temperaturerhöhung deutlich höher ausfallen, wie man jetzt schon messen kann. Mit steigenden Meerestemperaturen, schmelzenden Gletschern und Polkappen und veränderten Verdunstungsraten und Niederschlagsmengen werden sich auch bei »nur 2 °C plus« ganze Meeresströmungen und damit das Klima, die Land- und Forstwirtschaft und die Lebensbedingungen riesiger Regionen ändern. Sie tun es ja jetzt schon, bei erst etwa 1 °C plus. Die Dürre im deutschen Jahrhundertsommer 2018 ist nur ein zartes Vorspiel der immer häufiger zu erwartenden Wetterkatastrophen, bei uns und anderswo. Hurrikane werden in Zukunft viel extremer ausfallen und in bisher nicht betroffene Gebiete vordringen. Eine für das Jahr 2100 vorhergesagte Meeresspiegelerhöhung von etwa einem Meter wird ganze Inselreiche wie Kiribati oder die Malediven sowie sämtliche andere Atolle in den Fluten versinken lassen. Die Niederländer und die Norddeutschen werden ihre Küsten durch Deiche, Bollwerke und Pumpen zu schützen wissen. Andere Tiefländer wie Bangladesch, die ihre Küsten wohl nicht befestigen können, werden gnadenlos versinken. Weltweite Sandstrände, Mangrovenzonen und Flussmündungen mit Tausenden von Küstenstädten werden massiv betroffen und entweder kostspielig verbaut oder zerstört und unbewohnbar werden. Hunderte Millionen Menschen werden allein von der Erhöhung des Meeresspiegels betroffen sein, was wohl meist Verlust von Haus, Heimat und Existenz bedeuten dürfte; und das bei »nur 2 °C plus« bis zum Jahr 2100.

Zweitens erfordert schon das globale »2 °C plus Ziel« rasche, globale und massive Maßnahmen gegen den Verbrauch fossiler Energien. Deutschland etwa, der selbst ernannte Klimakönig, erreichte seine eigenen CO2-Reduktionsziele für 2016 nicht, für 2017 erst recht nicht und verfehlt sie jedes weitere Jahr immer deutlicher. Unter dem Druck der Kohleverstromer, der Diesellobby und der Industrieschutzminister knickte die einstige Klimakanzlerin Merkel ein und kassierte die eigenen CO2-Ziele für 2020. Ob andere Länder schaffen, was dem reichen Deutschland nicht gelingt? Ob sich das ehrgeizige »2 °C plus Ziel« denn erreichen ließe, wenn man es ernsthaft versuchte? Danach schaut es derzeit nicht aus. Eher nach 4 °C plus, oder sogar 6 °C plus, global. Das wäre fatal, denn dann würden sogenannte Kipppunkte erreicht werden: Die Eisschilde der Westantarktis und Grönlands würden recht flott und quasi komplett abschmelzen und die Ozeane jeweils um sechs Meter zusätzlich ansteigen lassen. Ein Horrorszenario für Milliarden Menschen! Etwa 80 Prozent der Menschheit lebt in Küstennähe, damit wäre es dann vorbei!

Gekippte Welt

Glauben Sie nicht, dass es so weit kommen könnte? Nun ja, Grönland und die Antarktische Halbinsel sind ja jetzt schon bei den Spitzenreitern in Sachen Klimaerwärmung. Riesige Gletscher und Schelfeisfelder lösen sich zu Wasserlachen auf, werden im Nu zu einer fiebrigen Pfützenlandschaft, die aussieht, als wäre sie von Hitzeviren infiziert. Haben Sie schon einmal in der Sommerhitze ein Eis am Stiel bestellt, das urplötzlich überall gleichzeitig unkontrollierbar zu schmelzen begann? Erst war noch alles schön festgefroren, doch dann gab es kein Halten mehr?

Vielleicht schon bei 2 °C plus, ziemlich sicher aber bei 4 °C plus und darüber würden die Permafrostböden Sibiriens auftauen. Gewaltige Mengen an organischen Stoffen wurden hier über Jahrtausende von Pflanzen gebildet, gigantische Mengen an CO2 als Humus und Torf gespeichert und im sauren gefrorenen Boden nicht durch Bakterien abgebaut. Taut der Boden, werden Bakterien aktiv und immer mehr Methan und andere Klimagase würden rasch freigesetzt. Sie würden den globalen Temperaturanstieg nicht nur weiter befeuern, sondern wohl auch unumkehrbar machen. Schreckensbilder einer fernen ungewissen Zukunft? Von wegen. Sibirien taut jetzt schon auf.

Haben Sie schon einmal von Methanhydrat gehört? Das ist mit Wasser unter hohem Druck zu eisähnlichen Klumpen gefrorenes Methan, es säumt die Tiefseehänge der Kontinente. Werden die Meere wärmer, tauen riesigen Mengen der im Meeresboden eingebundenen Methanhydrate. Das Methan, ein viel stärkeres Treibhausgas als CO2, blubbert zur Oberfläche und wird in der Atmosphäre zum endgültigen Kippen des Weltklimas führen. Haltlose Horrorvisionen? In flachen arktischen Gewässern taut das Methanhydrat bereits heute. Wehe, wenn das Tauwetter am Meeresboden zunimmt!

Stürme, Dürren, Fluten, ständige und immer üblere Naturkatastrophen drohen nicht nur, sie sind Realität. Das will zwar von den politisch Verantwortlichen niemand hören, aber leider zeigen das die Statistiken der großen Rückversicherer bereits klar und deutlich. Ein Klima-Anpass-Experte empfahl kürzlich Olivenhaine für das ausgedorrte Brandenburg. Was er wohl anstatt brennender Moore in England, anstatt brennender Wälder von Alaska über Kanada, Skandinavien bis ins hinterste Sibirien empfiehlt? Eisdielen für Eskimos, Miniröckchen für Schotten und mehr Freibäder in der Tundra und Taiga? Und was pflanzen wir anstatt der brennenden Wälder um das Mittelmeer? Lustige Sanddünen zum Skifahren? Und sicherlich käme es nicht nur in einer noch viel wärmeren Welt als heute sehr bald auch zu Verteilungskämpfen und Konflikten ums nackte Überleben. Noch nicht bei uns, in Europa oder gar im stabil brummenden Wachstumsmotor Deutschland, aber bereits in vielen immer trockeneren und heißeren Gebieten der Erde.

Wenn Sie bitte irgendetwas aus der Lektüre dieses Buches mitnehmen, dann das: Das mit dem Anpassen an eine durchschnittlich 4 bis 6 °C heißere Welt wird nichts! In so einem Backofen möchten und könnten ich oder Sie nicht leben. Die Klimaanlagen hochdrehen hilft nichts, denn Infrastruktur und Komfort gibt es dann nicht mehr. Jedenfalls nicht für mich oder Sie – falls Sie nicht mit ein paar Multimillionären in exklusiven und militarisierten Bunkern auf das Ende des Albtraums harren, das aber nicht so schnell kommen wird. In einer solch apokalyptisch heißen, rapide und völlig veränderten Welt mit Milliarden von Notleidenden, Besitzlosen und ihrer Heimat Entwurzelten können sich vielleicht ein paar Menschen unter höchstem Aufwand für eine Weile retten. Aber es könnten keine sieben oder zehn Milliarden Menschen überleben, keine zivilisierte Menschheit überdauern. Uns allen muss klar sein oder endlich klar werden, dass die Klimaoption »weiter so« keine Option ist!

Drittens beeinflusst der Klimawandel auch biologische Systeme – und an die hatte bisher kaum jemand gedacht. Mehr als 4 °C plus in kurzer Zeit, und die Wälder und Riffe sterben überall großflächig ab. Was das bedeutet? Aus die Maus, Schluss mit lustig, Endstation für die Zivilisation! Da brauchen wir gar nicht lange um den heißen Brei herumreden. Aber wie sieht es bei »nur« 2 °C plus mit den Lebewesen und ihren Lebensgemeinschaften aus?

Ski und Biologie gut bei 2 °C plus?

Weniger Schneeschippen im Winter, angenehmes Badewetter im Sommer, eine noch etwas frühere Apfelblüte, also alles bestens? Von wegen! Das von Klimaforschern gerade noch tolerierbare »2 °C plus Szenario« für 2100 hat es biologisch in sich. Die Welt ändert sich, die Lebensbedingungen für Organismen ändern sich an Land und in den Ozeanen. Alle Lebewesen sind evolutiv an bestimmte Umweltbedingungen angepasst, bewohnen einen für sie passenden Lebensraum. Ändert sich dieser, etwa weil es wärmer wird, wird das ertragen, es wird ausgewandert in kältere Gebiete oder gestorben.

Wenn die arktische Eiskappe schmilzt, sie hat sich eh schon auf etwa die Hälfte reduziert, war’s das wohl mit den süßen Eisbärchen. Schlimm? Ja, definitiv. Und was passiert derweil mit artenreichen Korallenriffen, dem Meeresplankton, den Bewohnern der Tiefsee, der Regenwälder, der Blumenwiesen, Äcker und Böden? Kaum jemand weiß bisher Bescheid. Was ändert sich in der Flora und Fauna Deutschlands, Europas und der Welt? Und was sind die Konsequenzen für uns Menschen? Genau davon handelt dieses Buch.

Womöglich kann die Zivilisation mit einer gerösteten Erde gemäß des »2 °C plus Ziels« noch irgendwie umgehen? Womöglich werden aber die Kipppunkte auch mit einem »2 °C plus Ziel« schon erreicht? Das kann niemand ausschließen. Wenn wir es zweifelsfrei feststellen, wird es zu spät für die Menschheit sein. Womöglich ergeben sich selbst beim »2 °C plus Ziel«, an das kaum jemand mehr glauben mag, schon ganz andere Komplikationen, mit denen die chemisch-physikalischen Modelle nicht gerechnet haben?

Ja, die wird es geben. Diese anderen Komplikationen sind biologischer Natur. Die Biologie, die Lebensformen samt ihrer Ökosysteme, drohen zu kippen, die belebte Natur stirbt. Der Mensch dann auch.

Erst stirbt die Natur, dann der Mensch

Und zwar sehenden Auges, durch unsere eigene Dummheit! Kennen Sie die Krimis, in denen arme, planlose Opfer trotz vielerlei Zeichen und Warnungen scheinbar wie ferngesteuert in immer düstere Winkel vordringen und ihre Chance auf Rettung mit jedem Schritt und jeder Entscheidung immer weiter verschlechtern – bis zum bitteren Ende? Angst, Panik, irgendwie erscheint uns die fatale Verkettung schlechter Entscheidungen verständlich, wir fühlen mit.

»Ein moderner Diesel reinigt sozusagen die Luft.«

nach VW-Entwicklungschef Ulrich Eichhorn

Was wir Menschen derzeit mit unserem Planeten anstellen, ist aber kein Krimi, nicht einmal tragisch oder komisch, sondern eher eine geschmacklose Soap aus dem Nachmittagsprogramm der Privatsender. Wenn uns Außerirdische beobachten könnten, sie unseren schlechten Film »Menschheit im 21. Jahrhundert« ansehen müssten, ihnen würden die Chips nicht mehr schmecken. So billig und doof erschiene ihnen das, was sie anschauen müssten. Sie würden ungläubig ihre Köpfe schütteln, falls sie welche haben, und sich fassungslos fragen: »Nicht mal die Menschen können so viel über so lange Zeit immer wieder noch falscher machen, oder?«

Die »gute« Nachricht: Diesen Film wird es in der ursprünglich geplanten Länge nicht geben. Egal ob »2 °C plus Ziel« oder »4 °C plus Ziel«, das Jahr 2100 ist für unsere Zivilisation nicht relevant. Es wird ein Kurzfilm werden.

Die schlechte Nachricht: Es ist kein Film, keine Realitysoap, alles ist echt. Die belebte Natur, die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln, mit Lebensraum und menschenwürdigen Lebensbedingungen, ja, auch die Weltwirtschaft und die politischen Systeme fliegen uns schon viel früher um die Ohren: etwa im Jahr 2050 bei einem »2 °C plus Ziel« nach Pariser Abkommen und planmäßigem Umstieg auf nachhaltiges Wirtschaften. Und wohl schon um 2030 herum, wenn wir weitermachen, wie bisher. Das war’s dann mit uns, unseren Kindern, unseren Freunden und unseren Träumen.

Glauben Sie nicht? Dann »viel Spaß« bei der weiteren Lektüre. Wollen Sie nicht glauben? Ich auch nicht, aber lesen und urteilen Sie selbst.

Noch eine schlechte Nachricht: Es gibt kein Zurück. Biologische Systeme regenerieren sich gar nicht oder nur sehr langsam. Tot ist tot. Ausgestorben bleibt ausgestorben. Und verlorene Ökosystemleistungen bleiben verloren.

Das übelste Problem unserer Zeit

Ökosystemleistungen? Das bedeutet, dass die Gemeinschaften aus Tieren, Pflanzen und Mikroben funktionieren, also etwa gesunde Meere, Wälder oder Wiesen Sauerstoff, Wasser und Nahrung liefern. Unsere Lebensgrundlage. Wir zerstören sie gerade – schnell, gründlich und endgültig.

Warum bemerken wir das noch nicht? Natürliche Systeme sind oft sehr komplex und funktionieren weiter, auch wenn ein paar Bienchen und Blümchen ausfallen. Fehlt etwa ein Element des Nahrungsnetzes, eine Meeresalge, ein spezielles Gras oder eine bunte Heuschrecke, fällt es vielleicht den Biologen oder Naturliebhabern auf, aber es gibt noch genug Ersatz, andere Arten übernehmen die Aufgabe, wenn auch meist nicht ganz. Fehlt ein Mosaiksteinchen, stört es den geübten Betrachter bereits, aber man erkennt das Bild trotzdem noch. Fehlen zu viele Steine, wird es schwierig. Funktion, Sinn und Identität des Kunstwerkes gehen unwiederbringlich verloren. Wir alle bemerken: Die Windschutzscheiben bleiben auch bei langen Fahrten über Land sauber. Es fehlen schon viel zu viele Insekten. Es fehlt Nahrung für Insekten, und es fehlen Insektenfresser. Die Natur verarmt, verödet, kippt.

Warum stören uns die biologischen Verluste noch nicht? Vergleichen wir die Natur, die uns mit allem Lebensnotwendigen versorgt, mit einem Flugzeug, in dem wir sitzen. Das Ding fliegt, weil es ein Flugzeug ist, immer schon geflogen ist und technisch instand gehalten wird. Selbst wenn wir nicht genau wissen, wie alles funktioniert und wer es zum letzten Mal gewartet hat. Das Teil fliegt immer noch, auch wenn sich ein paar der Nieten lösen, die die Tragflächen zusammenhalten. Doch immer wieder und immer schneller lösen sich nun die Teile. Wir sehen durch das Fenster und fragen uns, wie lange das wohl noch gut geht. Wir können nicht wissen, wie lange die Tragfläche noch hält. Wir wissen aber, dass sie uns plötzlich um die Ohren fliegen wird und wir schleunigst landen sollten.

Dieser technische Vergleich leuchtet uns ein, weil er simpel und nahe an unserer Alltagserfahrung ist und es eine einfache Lösung gibt: landen, reparieren, weiterfliegen!

Aber: Würden Sie in ein marodes Flugzeug einsteigen? Fliegen, anstatt das Ding erst mal zu reparieren, auch wenn es Zeit und Geld kostet? Ihr Leben riskieren, obwohl die Techniker Sie gewarnt haben? Niemals! Wenn nun die geschundene Erde, unser Planet, der über sieben Milliarden Menschen mit Millionen von Arten und zig komplexen Ökosystemen versorgen soll, ein Flugzeug in entsprechend angeschlagenem Zustand wäre, Sie würden nicht an dermaßen lädierten Tragflächen und den Warnungen der 15.000 Wissenschaftler vorbei einsteigen wollen! Schon gar nicht, wenn Sie wüssten, dass die Flug-Erde bald zehn bis elf Milliarden Menschen tragen soll. Und niemals würden Sie Ihre Kinder einsteigen lassen.

Einfache technische Lösungen für komplexe biologische Probleme?

Wir wissen, dass Maschinen zwar versagen und Schaden anrichten können, vertrauen aber auf eine immer geschicktere technische Lösung, auf einen immer besseren Neustart. Auch auf viele große Probleme der Menschheit fanden Ingenieure und Wissenschaftler clevere Lösungen. Infektionskrankheiten? Antibiotika schafften und schaffen Abhilfe. Oder Ölknappheit? Ach was, Ammenmärchen aus den 1970ern; wir fanden und nutzten immer mehr Öl, vom Fracken an Land bis zum Anbohren der Tiefsee.

Die Nebenwirkungen – etwa Resistenzen gegen Antibiotika, Raubbau von endlichen Ressourcen und Umweltverschmutzung – häufen sich, doch wir meinen, wir bekommen sie schon beizeiten in den Griff. Oder beginnen irgendwie und irgendwo von vorn, wie in einem Videospiel, an dessen Aufgaben man so lange scheitert, bis man es dann doch schafft.

Biologische Systeme sind aber vielfältiger, komplexer, über Jahrmillionen entstanden und aufeinander eingespielt. Wie technische Apparate sind sie gegen falsche Bedienung und Missbrauch empfindlich, sie verschleißen bei Überlast und benötigen bei Gebrauch quasi ständig Wartung und Pflege. Sind Ökosysteme erst kaputt, sind sie kaum mehr zu reparieren, nur aufwendig und über lange Zeiträume hinweg zu regenerieren und renaturieren. Würden Sie mit Ihrem Auto weiterfahren, wenn die Öllampe leuchtet? In der Hoffnung auf Spontanheilung oder spätere technische Errungenschaften einen sündhaft teuren Motorschaden provozieren oder gar einen fatalen Unfall, obwohl Sie nur beizeiten etwas Öl nachfüllen müssten?

Viele Lebensräume, gerade auch in temperierten Klimazonen wie bei uns, sind relativ robust und produzieren natürlicherweise Überschuss, also Pflanzen und Tiere, die man problemlos abschöpfen und nutzen kann. Nachhaltige Fischerei wäre so ein Beispiel, das Sammeln von Pilzen und Beeren, naturnahe Waldwirtschaft, extensive Weidewirtschaft oder nachhaltiger Bioanbau. Wir schöpfen aber nicht nachhaltig ab, wir plündern! Und die Öllampe leuchtet nicht nur, sie flackert bereits vor Überlastung!

Wenn der Mensch zu sehr plündert, zu sehr stört, mag das System Natur noch eine Weile funktionieren, aber das Ende ist absehbar. Wenn der Mensch dann helfend eingreift, verschlimmbessert er oft nur. Tote Organismen und ausgestorbene Arten kann man nicht mehr wiederbeleben. Verlust von Biomasse mag sich über längere Zeit regenerieren, wenn die Bedingungen günstig sind und man die Natur in Ruhe lässt, dann bilden sich andere und oft verarmte Lebensgemeinschaften mit oft geringeren oder anderen ökologischen Leistungen. Der Verlust von Arten bleibt irreversibel. Weder die Artenvielfalt noch die Eigenschaften der vielen Arten noch deren Zusammenwirken und Funktionen in komplexen biologischen Systemen haben wir erforscht oder ansatzweise verstanden. Wir bemerken den »Bio-GAU« wohl erst, wenn schon viel, vielleicht zu viel Schaden entstanden ist. Bei Kraftfahrzeugen nennt man das »wirtschaftlichen Totalschaden«. Wir leben aber vom Leben, nicht von Geld. Es muss also weitergehen.

Wir zünden den Tötungsturbo

Zudem sind biologische Probleme, wie das Artensterben oder die Veränderung von Lebensgemeinschaften oder deren Leistungen, nicht nur Folgen der Umweltveränderungen, sondern auch Ursachen für Umweltveränderungen.

Beim Entwässern der Moore, beim Abbrennen von Wäldern oder bei der Erosion von Böden ändern sich regionale Klima- und Umweltbedingungen, und es werden gigantische Mengen an Treibhausgasen frei. Sterben die Korallenriffe, ist es vorbei mit dem natürlichen Küstenschutz in vielen tropischen Regionen. Zudem werden Klimagase frei, die die zerstörerischen chemisch-physikalischen Prozesse wie Treibhauseffekt und Ozeanversauerung befeuern. Was wissenschaftlich als »positive Rückkopplung« bezeichnet wird, ist ein globaler Teufelskreis, ein immer heftiger strudelnder Abwärtssog, aus dem es bald kein Entrinnen mehr gibt.

Das Sterben von Individuen, Arten und Ökosystemen, die biologische Krise, ist also das dringendste globale Umweltproblem. Es verstärkt die Klimakrise, wirkt schneller, betrifft unsere unmittelbare Lebensgrundlage und ist irreversibel.

Es ist für uns moderne Menschen mit Smartphones, virtuellen Welten und Raumschiffen nicht einfach zu begreifen, dass wir alle vom Wohl der Mikroben, Pflänzchen und Tierchen abhängen. Auf Gedeih und Verderb. Und doch ist es so.

Und was, wenn wir uns zusammenreißen? Uns als Einzelne und Menschheit rasch und massiv ändern? Ist die Zivilisation, sind Milliarden von Menschenleben noch zu retten?

Kann sein, versuchen müssen wir es jedenfalls!

Artenschwund als Chance?

Es mag abwegig klingen, aber vielleicht bietet uns gerade das Artensterben die Chance, uns als Menschheit zu bewähren. Arten sind natürliche Einheiten, sie sind beschreibbar und begreifbar. Vertreter mancher Arten werden riesig, andere finden wir nett oder wichtig. Wenn gigantische Blauwale, charismatische Elefanten, niedliche Delfine oder emsige Bienen verschwinden, bemerken wir das, rührt uns das, schadet uns das – nicht nur materiell oder als Safaritouristen, sondern in unserem Selbstverständnis. Niemand will Arten ausrotten! Oder allzu mitverantwortlich für Artenmord sein. Zumindest nicht sehenden Auges.

Arten sterben nicht alle gleichzeitig, sondern gehen nach und nach verloren. Geben uns Zeit, das Unsägliche zu hören, und die Möglichkeit, mit den letzten leidenden Kreaturen mitzufühlen. Lassen uns unser eigenes Schicksal als Art vorausahnen – und vielleicht doch endlich in die Hand nehmen?

Bemerken Sie den Unterschied? Welches Kind empört sich über ein paar ppm mehr CO2 in der Luft? Und welches nicht über verhungernde Eisbären auf schmelzenden Schollen?

Artenschutz ist auch ein Symbol, für das Gute und Richtige im Menschen!

Der biologische Imperativ

Umweltschutz gegen Menschen? Ökodiktatur? Artenschutz zulasten der Ärmeren? Sicher nicht! Denn Ökosoziales, die Art und Weise, wie wir mit uns, unseren Mitmenschen und unserer Umwelt umgehen, hängt zusammen wie die Arten in ihren Nahrungsnetzen und Stoffkreisläufen. Ändert sich eine Art, ein Einflussfaktor, ändert sich alles, oftmals nicht zum Besseren. Werden über Jahrtausende etablierte Gleichgewichte zu sehr und zu schnell gestört, versagt das Gesamtsystem. In diesem Prozess befinden wir uns gerade, wir ändern das Klima und die Umweltbedingungen etwa hundertmal schneller als natürlicherweise nach einer Eiszeit. Da kann die Natur nicht mithalten – und stirbt.

So ist es in der Ökologie, und so ist es auch in der Ökonomie: Oder glauben Sie ernsthaft, dass eine Gesellschaft funktioniert, in der praktisch alle Menschen kurzfristig ihre Lebensgrundlage verlieren? Kann ein System langfristig bestehen, das die nötigen Ressourcen plündert, ausbeutet und verzehrt? In dem ständiges materielles Wachstum gefordert wird und zehn Prozent mehr besitzen als die übrigen 90 Prozent zusammen? Ja? Eine solche Meinung mag daran liegen, dass Sie zum weltweit reichsten Prozent der Menschheit gehören, ziemlich sicher zu den reichsten fünf Prozent, auch wenn Sie das nicht wissen und sich Ihr Kontostand am Monatsende nicht danach anfühlt. Und was, wenn Sie trotz aller Anstrengungen jetzt schon kein Land mehr sehen könnten, jedes Jahr weniger ernten oder weniger Fische fangen, an Durst, Hunger und Krankheiten leiden, in ständiger Existenzangst leben müssten – und Ihre Familie auch? Dieses Schicksal könnte uns bald alle ereilen: Ob sich dann die Erkenntnis durchsetzt, dass man es mit Nachhaltigkeit und Wachstum in anderen Bereichen, wie Werten, Gesundheit und Lebensqualität, hätte versuchen sollen? Rechtzeitig?

Schließlich lehrt uns die Dimension und die für alle tödliche Konsequenz der biologischen Krise, dass sie nur in globalem Miteinander zu lösen sein wird. Wer sich einsetzt, sollte anerkannt werden, wer blockiert, sollte Nachteile haben, ideell und finanziell, auch das in einer bisher ungeahnten Dimension.

Wie es meine Kinder einmal ausdrückten: Artenschutz muss cool werden! Was machen die Menschen nicht alles freiwillig, wenn sie es erst mal toll finden und es die anderen auch machen. Zeit und Geld spielen plötzlich keine Rolle mehr. Die Rettung der Welt als Abenteuer, Massensport, Mitmachethik für alle? Nützlich, vergnüglich, selbstverständlich? Zu schön, um wahr zu werden?

Betrachten wir die Alternative: Bleibt nachhaltiges Leben und Umweltschutz nur ein Thema für ein paar besonders bewusste »Öko-Spinner«? Dann wird es sehr teuer: Noch vor dem Jahr 2030 werden alle Umweltfrevler für ihr Verhalten teuer bezahlen müssen, und zwar zweckgebunden für effizienten Umweltschutz! Glauben Sie nicht? Hoffen Sie lieber, dass es so kommt. Denn das wäre unsere einzige Chance in einem solchen Szenario.

So kann und wird es nicht weitergehen: Mit unserem derzeitigen Verhalten und Selbstverständnis, mit hemmungslosem Konsum, Prasserei und Umweltschmutz richten wir unseren einzigen Planeten und sämtliches höheres Leben darauf zugrunde, und das wird die Verursacher, uns Menschen aus den Industriestaaten, Unsummen kosten. Vielleicht auch die Freiheit, vielleicht sogar das Leben.

Wenn wir weiterhin gut leben wollen, führt an einem ganzen Bündel an – für manche – radikalen Maßnahmen kein Weg vorbei: Wir müssen richtig und umfassend über echte Probleme informieren. Müssen gute Lösungswege erarbeiten, richtige Prioritäten setzen und rasch das Richtige tun. Je früher, desto billiger und Erfolg versprechender wird es – und desto besser sind unsere Chancen auf eine lebenswerte Zukunft.

Unsere Natur stirbt

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