Читать книгу Märchenstunde - Michael Schwingenschlögl - Страница 8

Die schwarzen Falken

Оглавление

Ein tragischer Verlust, nicht nur für Ithrien, sondern für die ganze Welt. Aber wirklich Freude wollte nicht aufkommen, denn es stand schon ein derart sympathischer Nachfolger vor der Tür, dass sich alle den alten Quirin zurücksehnten. Sein Thronerbe war nämlich kein Geringer als sein Sohn Quintus der Geisteskranke. Nomen est Omen, Quintus war in der Tat geisteskrank, und das seit jeher. Die Inzucht im Kreise der Adeligen hinterließ eben ihre dunklen Spuren. Schon im Kindesalter schnitt er seinen Spielkameraden und dem Personal am Hof die Pulsadern auf. Nur weil er daran Freude hatte, sich an ihrem qualvollen Aderlass zu ergötzen. Er verabscheute aber generell jedes Lebewesen, veranstaltete regelmäßig Blutfeste und badete sich anschließend im Blut der Opfer. Den Hühnern und Krähen biss er bei lebendigen Leibe den Kopf ab und trank danach ihren roten und noch warmen Lebenssaft. Manchmal aß er sogar sein eigenes Erbrochenes. Ein richtiger kleiner Sonnenschein eben und noch dazu ein unberechenbarer Psychopath. Unverständlich, dass der Großteil in Ithrien ihn nicht am Ebenholzthron sehen wollte. Quintus sah auch richtig gestört aus. Eine dünne, klapprige Gestalt mit großen, ekelhaften Glubschaugen, kaum Haare auf dem Kopf und obwohl er nie in den Genuss eines Schlaganfalls kam, hing sein rechter Mundwinkel herab.

Es wird euch wohl nicht verwundern, dass er kaum Befürworter hatte und viele seine Krönung verhindern wollten.

Unser alter Bekannter Trym, der Schlächter von Thornvaald, Freiherr von Siien und Anra, war einer seiner größten Gegner. Der alternde Trym, der aber noch ungewöhnlich jung wirkte und sich seine vielen Lenze, die er am Buckel hatte, kaum anmerken ließ, spitzte schon immer auf die Stelle des Kaisers, denn er war Quirins mächtigster Mann. Der Schlächter von Thornvaald war einflussreich, viel einflussreicher, als es der arme verstorbene Quirin jemals gewollt hätte. Die Lebewesen in Siien und Anra gehorchten nur ihm. Das Großkaiserreich interessierte sie kaum. Ein früherer Erwin Pröll sozusagen, wenn wir Siien und Anra als Niederösterreich bezeichnen wollen. Er war ein knallharter Lügner und wusste genau, wie er seine Untertarnen verführen konnte. Schon lange bevor Quirin Suizid beging, stachelte er die Bevölkerung gegen den Kaiser auf. Trym sah sich selbst als den Auserwählten an. Der eine, der für viel Größeres bestimmt war. Jedermann hatte Respekt, naja eigentlich sogar Angst vor ihm.

Ein Erwin Pröll eben. Bitte? Deine Tante arbeitet im schönen Landhaus? Sorry, das wusste ich nicht, tut mir von Herzen leid. Quirin entging das natürlich nicht und er ließ Trym keine Sekunde aus den Augen. Siien und Anra standen unter strengster Beobachtung und der Kaiser demonstrierte der dortigen Bevölkerung mit wöchentlichen Militärparaden seine Macht. Die Leute waren hin-und hergerissen und fürchteten sich vor Quirin. Eigentlich standen die meisten auf der Seite ihres Fürsten, aber mit dem Kaiser wollten sich dann doch nur die wenigsten anlegen.

Der Freiherr von Siien und Anra war jedenfalls schon in seiner Erscheinung furchteinflößend. Ein großgewachsener und mit Muskeln bepackter Mann, da würden selbst die heutigen pseudocoolen Brudis aus der Muckibude eifersüchtig werden, so stattlich war er. Und dafür musste er nicht einen einzigen Proteinshake zu sich zu nehmen, da staunt ihr jetzt, oder?

Ja, seine Oberarme waren prallgefüllt und seine Brust war derart breit, dass jedes Lebewesen ins Schwärmen kam. Sein Gesicht war aber eher asexuell. Haare hatte er keine mehr am Kopf und seine Wangen waren mit tiefen Narben versehrt. Bei manchen hatte man das Gefühl, dass sie jederzeit wieder bluten würden. Seine Augen waren aber einfach umwerfend, tiefblau wie der Ozean vor den Inseln der Sterne. Mit einem einzigen Blick in seine Augen, konnte man sich stundenlang in ihnen verlieren und man fühlte sich wie hypnotisiert. Wenn er einem länger anblickte, dann durchschoss einem ein unbeschreibliches Gefühl der Kälte.

Eine tolle Beschreibung, oder? Und das ganz ohne einen Seitenhieb auf den niederösterreichischen Sonnenkönig.

Wie gesagt, Trym spielte sich schon lange vor Quirins Tod mit dem Gedanken, den Großkaiser zu stürzen und die Macht an sich zu reißen. In ihm brodelte es, er war es, der mit seiner Heldentat in der Schlacht von Miiirdur den Krieg entschied, als er Yalan'than'th den Kopf vom restlichen Leib entfernte. Ohne ihm wäre Quirin vermutlich niemals siegreich gewesen. Er war es, er ganz alleine und der alte knausrige Kaiser strich den ganzen Ruhm selbst ein. Gut, Trym bekam zwar die Lande Siien und Anra, aber nur über zwei ithrieschen Provinzen das Sagen zu haben, war ihm zu wenig. Viel zu wenig und das unerbittliche und kranke Verlangen nach mehr Macht stieg in ihm jeden Tag. Von nichts kommt aber nichts, der Kaisertitel würde ihm kaum von einem Apfelbaum in den Schoss fallen, er musste endlich die Initiative ergreifen, auch wenn er davor große Angst hatte. Ein Putsch ist eben keine Kleinigkeit, die man Mal so nebenbei nach fünf Krügen Zwergenwein erledigt, schon gar nicht, wenn der mächtigste Mann der Welt gestürzt werden soll. Alleine war dies ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit. Er brauchte dringend Unterstützung. Daher gründete er eines Tages, als ihn das Streben nach Macht schon fast innerlich zerriss, eine geheime Widerstandsbewegung, die vorerst aber nur im Untergrund verkehren sollte: Die schwarzen Falken.

Ui, liebe Kinder, jetzt wird unsere Geschichte allmählich richtig spannend! Die schwarzen Falken! Eine Widerstandsbewegung! Schön langsam kommt Feuer in den Ofen. Genau das fehlte noch! Wir lassen in unserer lässigen Geschichte aber auch wirklich gar nichts aus, Wahnsinn!

Noch war unser Freund das einzige Mitglied seiner lustigen Revoluzzer Organisation, aber das sollte sich bald ändern. Denn er stand mit seiner Meinung eben nicht alleine da. Der Freiherr von Siien und Anra war ein schlaues Kerlchen und wusste selbstverständlich, dass viele seiner Bürger mit dem aktuellen Kaiser, also Quirin, ebenfalls ziemlich unzufrieden waren. Armut, Hunger und Trostlosigkeit regierten in den Landen. Krankheiten zogen ein und niemand hatte eine Ecard. Selbst wenn sie eine gehabt hätten, hätte es ihnen kaum etwas gebracht, denn die Ärzte behandelten ausschließlich den Adel und die restliche Upper Class. Der Pöbel, und dazu gehörten wirklich viele Menschen, Elfen und Zwerge, konnte sich höchstens an irgendeinen Druiden, Schamanen oder an eine Kräuterhexe wenden, aber die Alternativmedizin war schon damals ein ziemlicher Schwachsinn. Die Heiltränke schmeckten nicht nur extrem widerlich und brannten wie 80 prozentiger Rum, sie halfen auch nichts. Gut ein paar Leute, die das Gegenteil behaupteten und darauf schworen gab es natürlich, der Homöopathie-Hokuspokus zieht ja heute noch immer.

Dem Großteil der Bevölkerung brachte es aber nicht viel und die unteren Schichten schrien bald nach der Hilfe des Kaisers, doch Quirin hatte noch nie etwas für den kleinen Mann übrig, Hauptsache ihm ging es gut. Diesen Missmut nutzte Trym aus und er konnte in der Folge immer mehr Leute für sich gewinnen. Der Landesfürst versprach seinen Schäfchen, dass alles besser werden würde, wenn doch nur er endlich Kaiser wäre. Er würde für Wohlstand sorgen, selbst im hintersten Bauerndorf, er würde die Kranken heilen und er wäre der Kaiser, nach dem sich schon alle längst sehnten.

Dass Trym genauso machtbesessen wie Quirin war und ihm die Anliegen der kleinen Leute direkt an der Austrittsöffnung des Darmkanals vorbeigingen, wusste niemand. Er war eben ein guter Redner, der alle mit seinem Gerede einlullen konnte. Unser guter Freund war aber kein blauer Politiker samt Fremdenfeindlichkeit und ausreichend Erfahrung im Neuro-Linguistischen Programmieren, nein, Trym war es egal, ob seine Fans nun Elfen, Zwerge oder Menschen waren. Ja, sogar einer seiner engsten Vertrauten war ein Elf. Er war eben sehr liberal und versprach den anderen Völkern immerhin Freiheit und Gleichberechtigung.

Bald hatte er einige Leute auf seiner Seite, aber er konnte es noch nicht öffentlich zeigen, denn wenn er eins fürchtete, dann war es Quirin. Genau jenen Mann, den er unbedingt stürzen wollte. Er wusste, dass Quirin keine Widerständler duldete und jeden seiner unerwünschten Gegner öffentlich exekutieren ließ.

Also agierten sie im Geheimen, in den Gasthäusern der Dörfer, in den Häusern der Bauern und in den geheimen Kammern im Keller seines Schlosses.

Alles war perfekt, doch ihrer grandiosen Bewegung fehlte noch ein richtig cooler Name.

Na klar, erst wenn die Putschtruppe einen fetzigen Namen hat, kann man mit der eigentlichen Revolution beginnen. Die Nummer 1 im Handbuch zum erfolgreichen Freiheitskampf. Es muss ein geheimnisvoller Name sein und, und das ist das Wichtigste, er muss zu einem äußerst lässigen Symbol passen. Ein einfaches, aber einprägendes Symbol, genau wie der Name selbst.

Trym trank viele Maß Met, um einen Geistesblitz zu empfangen, aber nichts wollte ihm einfallen. Und als er eines Abends einen Spaziergang im Garten seines Hofes tätigte, sah er ihn: Einen Falken, der elegant der roten untergehenden Sonne entgegenflog. Der Falke! Das war sein Symbol und in dem dämmernden Abendlicht erschien ihm der Greifvogel pechschwarz. „Die schwarzen Falken!“, dachte er sich. Außerdem erinnerte ihn der Falke an Khyrius, den Göttervogel, den Feuervogel, der einst mit seinen Flammen die Sonne entzündet hatte und somit für das Licht und die Wärme in dieser Welt verantwortlich war.

„Warum nicht? Das mächtigste und heiligste Wesen unserer Geschichte ist ein Vogel, warum sollte ich meine nette Truppe nicht nach einem Vogel benennen? Immerhin bin ich ein mächtiger Mann und bald werde ich noch viel mächtiger sein. Vielleicht sogar so mächtig wie Khyrius! Außerdem wollen wir den größten Kaiser aller Zeiten stürzen.“

Das Symbol dazu lag auf der Hand: Ein schwarzer Falke. Ein cooles Symbol, ein schwarzer Vogel kommt immer gut an. Da jetzt der Name und das Zeichen feststanden, ließ er passende Kleidungsstücke anfertigen. Jede Gruppe braucht eben auch eine einheitliche Kleidung. Eine Fußballmannschaft, die Feuerwehr, die Pfadfinder, der Ku-Klux-Klan, alle haben sie einheitliche Gewänder, die man sofort erkennt. Das brauchten die schwarzen Falken ebenfalls und Trym wurde sofort fündig: Eine grüne Kutte mit einem schwarzen Falken auf der Brust. Damit waren sie viel cooler als die Pfadfinder oder der Ku-Klux-Klan, die es beide aber damals natürlich noch nicht gab.

Noch bevor sie ernsthaft Pläne schmieden konnten, traf die Nachricht von Quirins Tod ein. Trym war anfangs gar nicht erfreut darüber. Seine Truppe war noch viel zu klein und machtlos, denn viele Leute teilten zwar seine Meinung, aber nur wenige besaßen auch den Mut, sich tatsächlich den schwarzen Falken anzuschließen und sich gegen den Kaiser zu stellen. Die Arme war überall stark präsent und Hochverrat wurde zu jener Zeit mit Vierteilen bestraft, dieses Risiko wollten logischerweise nicht viele auf sich nehmen. Nur musste Trym jetzt handeln, es war eben die perfekte Gelegenheit. Der Freiherr von Siien und Anra wusste natürlich, dass Quintus den Thron beerben wird, und das schmeckte ihm überhaupt nicht. Das gesamte Imperium in den Händen eines Geistesgestörten, das hätte den Untergang für Ithrien bedeutet. Sie mussten schnell tätig werden und den Psychopathen noch vor seiner Krönung aus dem Weg räumen. Denn jeder Tag, an dem Quintus am Thron saß, war ein Tag zu viel. Hastig und ohne jegliche Vorbereitungen oder gar einen Plan, brachen sie in die weitentfernte Kaiserstadt auf. Nur knapp 150 Leute waren sie, viel zu Wenige für einen erfolgreichen Putsch, aber auch viel zu viel, um gemeinsam auf die Reise zu gehen und in späterer Folge in die Stadt einzumarschieren.

Natürlich, stellt euch das doch einmal vor: 150 bewaffnete Männer und auch Frauen, denn Trym war wie gesagt sehr liberal, in grünen Kutten mit einem schwarzen Falken auf der Brust, ziehen durch die Lande. Dabei handelt es sich sicherlich nicht um den Hansi Hinterseer Wandertag, die müssen doch irgendetwas Böses im Schilde führen. Sofort hätten alle Alarm geschlagen und die Armee hätte ihr kleines Unterfangen in Windeseile zerschlagen. Daher reisten sie getrennt, im Verborgenen, ohne Waffen, nur einen Dolch am Gürtel, wie jeder Mann in Ithrien und vor allem auch ohne ihre schicke grüne Tracht. Mit der groben Keule hätten sie keine Chance gehabt, daher mussten sie die Kaiserstadt als ganz normale Bürger infiltrieren und im richtigen Moment heimlich zuschlagen. Ein Attentat im Stealth-Mode, wie ihr Bengel es sicherlich alle aus den „Assassin’s Creed“ Spielen kennt. Aber ihre Pläne wurden schon an den Toren der Kaiserstadt zunichtegemacht. Als Trym diese betreten wollte, kam der große Rückschlag. Unser Freund war selbstverständlich verkleidet, damit ihn niemand erkennen konnte, immerhin war er ein berühmter Mann, aber die Wache ließ ihn nicht hinein.

„Die Kaiserstadt ist auf Geheiß des Kaisers in Spe bis auf weiteres abgeriegelt! Tretet sofort zurück!“, sprach einer der Wächter in einem ernsten Ton.

Trym konnte nicht glauben, was er da hörte.

„Wieso? Ich muss hinein. Meine Frau gebärt mir einen Jungen, ich muss zu ihr.“, antwortete er.

„Ich wiederhole mich nur ungern, du jämmerlicher Wicht, niemand darf hinein! Weder Mensch noch Anderling, weder Mann noch Frau! Die Stadt ist abgeriegelt. Tretet auf der Stelle zurück, oder dein Weib darf ihren neuen Wurf gleich auf deine Beerdigung mitnehmen!“, fuhr ihn die Wache an.

„So versteht mich doch, ich muss hinein!“, drängte Trym weiter.

„Mein Schwert ist frisch geschliffen, du erbärmlicher Wurm! Es wartet nur darauf, durch dein Fleisch zu schneiden!“, meinte der gutgelaunte Wächter.

Trym schüttelte seinen Kopf und sagte: „Was ist hier los? Nennt mir doch wenigstens den Grund, warum Ihr niemanden hineinlassen dürft.“

Der Wachbeamte wurde laut: „Das geht dich nichts an, zurück mit dir!“

Da müsste Trym jetzt ein wenig auf die Tränendrüse drücken: „Sagt mir den Grund, dann verschwinde ich. Ich lebe in dieser Stadt, meine Frau lebt in ihr und mein Sohn wird auch bald in ihr leben. Wenn sie in Gefahr sind, dann muss ich es wissen.“

„Sorg dich nicht, du Missgeburt, deiner Familie wird nichts passieren. Es geht um den neuen Kaiser!“, bellte der muskulöse Wachhund.

„Was ist mit ihm?“, fragte Trym vorsichtig.

„Er wird morgen gekrönt und es gibt Wesen, die das unterbinden wollen. Mörder aus dem Westen streifen durch die Lande und wollen die Krönung verhindern. Schwarze Vögel, so spricht man. Das Leben vom künftigen Großkaiser ist in Gefahr, daher darf keine Seele diese Stadt bis auf weiteres betreten. Nun habe ich dir aber genug erzählt, du Wurm! Ich werde jetzt mein Schwert zücken und bis 3 zählen, wenn du dann noch immer hier bist, ramme ich es dir in deinen missratenen Kopf! Eins, Zwei…Zweieinhalb, ich meine es ernst! Zweidreiviertel, gleich spritzt mir dein Blut auf meine schöne Rüstung, dabei hat sie mein Weib erst poliert! Zwei Komma sieb…“

„Schon gut, stecke dein Schwert zurück, ich verschwinde schon.“, zischte Trym.

Trym war fassungslos. Woher wussten Quintus Männer von ihren Plänen? Im Prinzip gab es nur eine Antwort darauf und die schoss ihm auch sofort durch sein Gehirn: Ein Verräter! Ein verfluchter Verräter musste unter seinen Leuten verweilen. Wer war es bloß? Von nun an musste er verdammt vorsichtig agieren. Er wollte den anderen Mitgliedern seiner Bewegung noch nicht mitteilen, dass sich eine Ratte unter ihnen befand. In der Dämmerung traf er sich mit einigen seiner engsten Verbündeten auf einer Lichtung im Wald, um dort das weitere Vorgehen zu besprechen. Irgendwie mussten sie doch in Stadt gelangen. Unsicherheit plagte ihn, denn er wusste nicht mehr, wem er noch vertrauen konnte. Daher berief er auch nur jene sieben Männer zu dem netten und strenggeheimen Tratsch auf der Waldlichtung, von denen er felsenfest überzeugt war, dass sie keine verräterischen Kanalbewohner waren. Vorerst wollte er dieses Thema auch gar nicht ansprechen und den Unwissenden spielen, denn so erfährt man doch immer am meisten. Ehrlich gesagt war er mit der Situation auch ein bisschen überfordert und wusste nicht genau, wie er nun hier vorgehen sollte.

„Werden noch Waren in die Stadt gelassen? Vielleicht können wir uns in Fässern oder Mehlsäcken hinein schmuggeln lassen.“, fragte Tyberius, der so etwas wie die rechte Hand von Trym war.

„Nein, nicht einmal das. An das habe ich nämlich auch schon gedacht.“, antwortete der Freiherr von Siien und Anra.

„Tunnel! Es gibt bestimmt geheime Tunnel!“, brachte sich ein anderer schwarzer Falke ein.

„Das ist es! Erkundigt euch, aber unauffällig, denn…wartet! Was ist das?“, Trym fühlte sich plötzlich ziemlich unwohl und blickte hastig um sich.

Plötzlich kamen ein paar Dutzend bewaffnete Männer aus dem Wald gesprungen und kesselten die Revoluzzer ein. Wehren konnten sie sich nicht viel, denn außer einem Dolch hatten sie keine Waffen bei sich und im Gegensatz zu den Angreifern, trugen sie keine Rüstung. Der Verräter schlug offensichtlich noch ein zweites Mal zu.

Es kam dennoch zu einem Kampf und obwohl die Falken tapfere Krieger waren, sahen sich schnell ein, dass Wiederstand zwecklos war und ergaben sich. Als dann alle gefesselt auf dem Boden lagen, trat ein großer, stattlicher Mann hervor und begann mit finsterer Stimme zu sprechen: „Trym, Freiherr von Siien und Anra, ich verhafte Euch auf Befehl des neuen Kaisers! Euch wird geplanter Kaisermord und Hochverrat vorgeworfen! Ihr habt kein Recht auf einen Anwalt, denn so etwas gibt es in unserem Zeitalter noch nicht, noch habt Ihr keine anderen Rechte. Nur der Kaiser selbst kann über Euer Schicksal entscheiden. Dies wird er am fünften Tage des Siebenmonds tun.

Los, sperrt den dreckigen Verräter und sein folgsames Gesindel bis dahin ins kaiserliche Verließ!“

Huch, das hat aber gesessen!

Am fünften Siebenmond war es dann so weit. Mittlerweile war Quintus der neue Kaiser und die ganze Kaiserstadt sehnte sich der öffentlichen Hinrichtung von Trym und seinen Männern entgegen. „Endlich spritzt wieder einmal ordentlich das Blut am Diamantenplatz! Heureka!“, rief der Pöbel schon einige Tage zuvor.

Aber es kam ganz anders als erwartet. Quintus wurde seiner Rolle als geistesgestörter und unberechenbarer Herrscher, wieder einmal gerecht. Am Morgen ihres Schicksalstages öffneten die Wachen die Gefängnistür der Gefangenen. Eine dicke schrullige Gestalt hob ihren Kopf und krächzte in rauchiger Stimme: „Planänderung! Kaiser Quintus will seine wertvolle Zeit nicht mit so Maden wie euch vergeuden und stattdessen saufen und ein paar Krähen fressen. Ich weiß schon, dass ihr alle von ihm eine ergreifende Ansprache erwartet habt, wie: ‚Trym, Ihr wart der beste Krieger meines Vaters und jetzt fällt Ihr mir in den Rücken…blablablabla.‘ Aber ich muss Euch enttäuschen, Trym, Freiherr von Siien und Anra. Diesen Titel trägt Ihr übrigens auch nicht mehr, Ihr seid entmachtet! Ebenfalls erwartet ihr alle jetzt sicherlich die Todesstrafe, aber auch hier muss ich euch alle erneut enttäuschen. Der Kaiser ist der Ansicht, dass ihr mit eurem erbärmlichen Dasein schon genug gestraft seid. Ihr werdet verbannt! Auf Lebzeiten dürft ihr das Großkaiserreich Ithrien nicht mehr betreten. Außerdem wird euer kleiner Töpferverein, oder was die schwarzen Falken auch immer waren, verboten. Jeder, der ab dem heutigen Tage mit diesem Symbol gesichtet wird, wird hingerichtet. Ihr werdet nun alle in eine Kutsche gebracht, die euch in den nächsten Tagen an die Grenzen des Reichs bringen wird. Dort werden euch die Fesseln abgenommen und ihr könnt gehen, jedoch nie wieder in dieses Land. Sonst seid ihr nämlich wirklich tot und eure Familien werden vom Kaiser höchstpersönlich gerädert.

Wachen! Bringt diesen Abschaum in die Kutsche, mir wird schon bei ihrem Anblick schlecht, diese elendigen Maden.“

Damit rechnete jetzt keiner, oder? Ich bin jedenfalls sehr überrascht.

Trym und seinen Männern erging es ähnlich.

Nach unzähligen Tagen kam die Kutsche mit den Gefangenen ganz im Süden des ehemaligen Elfenreichs Yalfyr an. Sie fuhren noch ein Stück über die Grenze und als Ithrien schon einige Meilen hinter ihnen lag, luden sie die schwarzen Falken ab und entledigten sie ihrer Fesseln.

„Gehet nun und kommt nie wieder!“

Vor ihnen lag nun die karge Öde, eine Kaltsteppe, ein Niemandsland, das so karg und öd war, dass nicht einmal Quirin daran Interesse hatte. Und hinter dieser trostlosen und flachen Landschaft, ganz am Ende des Horizonts, ragten schon die ersten Gipfel des namenlosen Gebirges in den roten Abendhimmel. Ein rätselhafter und mystischer Ort von dem es viele Legenden gab, aber niemand wusste etwas Genaueres darüber, denn es gab niemanden auf dieser Welt, der das namenlose Gebirge jemals davor betreten hatte.

Dieser gigantische Gebirgszug war eine senkrechte und eisige Welt, faszinierend und angsteinflößend zugleich.

Ein kleiner Geographieexkurs. Auch hier gibt es wieder keine Prüfung, heute ist wohl euer Glückstag!

Das namenlose Gebirge war das größte und höchste Gebirge auf diesem Planeten. Seine Dimension war unbeschreiblich und die Höhen der Berge kaum schätzbar. Von der kargen Öde aus, erstreckte es sich hunderte von Meilen gen Süden bis zu den Landen des Südens und die Ost-West Dehnung war fast doppelt so lange.

Landschaftlich erinnerte es stark an den Karakorum in unserer Welt, nur war es um ein Vielfaches größer und die Berge waren dort mit Sicherheit noch höher. Die Täler wirkten wie kahle Wüsten aus Stein, Eis und Staub und die Gipfel aus schwarzem Stein, ewigen Eis und Schnee schienen den Himmel erst in der Unendlichkeit zu berühren. Einsam, entlegen, kalt, trostlos, bizarr, totenstill, gottverlassen und von unfassbarer Größe, mehr wusste kaum jemand von diesem Ort. Viele Lebewesen fürchteten die namenlosen Berge, einzig ein paar Wanderer und Reisende zog der Entdeckungsdrang zu diesem Gebirge hin, aber keiner wagte es je, das Gebirge zu betreten. Schon beim Anblick der gigantischen Felshänge und schroffen Bergspitzen erstarrte jeder vor Demut. Man hatte das Gefühl, dass die Berge einem erdrücken und ersticken würden. Wie angewurzelt stand man da, nichts konnte man mehr bewegen, keinen Finger und keine Zehe. Der Atem stockte und das Herz stand still. Man kam sich winzig klein vor, so klein, dass man die Augen schließen musste. Hier wurde einem klar, dass der Mensch ein nicht erwähnenswerter Punkt in der endlosen Dimension der brachialen Natur war. Das Gefühl, das man alleine beim Betrachten bekam, konnte man mit keinen Worten in irgendeiner Sprache beschreiben. Von dieser majestätischen Schönheit der Berge völlig emotional ergriffen und dem sanften aber bitterkalten Wind im Gesicht, entschloss sich jeder Entdecker zur Umkehr. Manch einer brach in Tränen aus, so überwältigt war er von dieser Naturgewalt. Die höchsten Berge der Welt hinterließen bei jedem Betrachter einen imposanten und bleibenden Eindruck. Selbst Jahre danach träumte man jede Nacht von diesem Bild.

Die große ithriesche Entdeckerin und Pionierin Klara von Thalenburg beschrieb das namenlose Gebirge in ihrem Werk aus dem Jahre 2, im Zeitalter des Sturms, folgendermaßen: „Fünf Jahre ist es nun her, dass ich die Berge zum ersten Mal erspähte. Fünf Jahre sind vergangen und noch immer rauben mir die Bilder den Schlaf. Manchmal wache ich auf und ich fühle mich wie damals. Ich kann es noch immer spüren. Ich spüre, wie der alleinige Anblick des kolossalen Walls meine Seele unterjocht, wie die gigantischen Wände mich erdrücken, wie die klirrendkalte Ausstrahlung der Gipfel mein Blut gefrieren lässt. Ich kann nicht atmen, ich kann mich nicht bewegen, ich habe Angst, große Angst. Dabei stand ich nur an deren Füßen, wie muss das Bild erst im Herzen der Berge sein? Wie weit reichen diese Berge? Wie hoch strecken sie sich empor? Für diese Größen gibt es keine Maße. Seit fünf Jahren verfolgt und plagt mich das Gebirge, jeden Tag und jede Nacht. Und trotz all der Furcht und Demut, zieht mich der Drang erneut hin. Ich muss diese brachiale Gewalt, diese Urform der Natur, erneut sehen, ich muss, ich kann nicht anders, all meine Gedanken sind auf diese Berge gerichtet. Nur betreten kann ich sie nicht, kein Lebewesen wird diesen namenlosen Ort jemals betreten können. Das Gebirge ist ein Bollwerk, dass allein durch sein Antlitz niemanden in sich hineinlässt. Ich bin stark gezeichnet, ich zittere, ich muss es noch einmal sehen.“

Trym und seinen Mannen muss es ähnlich ergangen sein, aber sie wagten das Undenkbare und betraten das namenlose Gebirge.

Ein verwaister Hirtenjunge, der sich einst in der kargen Öde verirrte, erzählte mir bei einem gemütlichen Plausch, dass er die schwarzen Falken damals beim Betreten des Gebirges erblickte. Im dämmrigen Abendlicht sah er, wie die Männer in den unendlichen Schatten der Berge für alle Zeiten verschwanden.

Die Jahre zogen dahin und als Trym in Ithrien längst vergessen und mittlerweile vermutlich schon lange tot war, gingen wieder neue mysteriöse Geschichten über das namenlose Gebirge umher. Ein namenloser König habe sich dort niedergelassen. Ein König, der laut den Legenden, mit einem Schlag die Königreiche des Südens auslöschte. Angeblich besiegte er sogar Khyrius, den Göttervogel, mit bloßen Händen und nahm ihn gefangen. Dämonen aus einer alten Zeit würden dort in den Bergen hausen und dem rätselhaften König dienen. Der König sei mächtiger, als es Quirin jemals war. Viel mächtiger, er wolle die ganze Welt verschlingen.

„Ammenmärchen! Schauergeschichten! Alles nur Märchen, damit die Kinder Angst bekommen. Niemand lebt in diesen Bergen, nicht einmal ein Drache!“, so hieß es.

Von neuen Kaisern und neuen Freunden

Aber Mal genug davon, wie ging es eigentlich Quintus?

Schlecht ging es ihm, denn nur drei Jahre nachdem er den Ebenholzthron in der Kaiserfeste bestieg, wurde er ermordetet. Im Schlaf erdolcht, der arme Kerl. Das war vermutlich besser so, denn Ithrien ging es unter ihm überraschenderweise elendig. Die Elfen und Zwerge wurden weiterhin diskriminiert und schikaniert und die Bevölkerung verarmte immer mehr und starb an Krankheiten und Hunger. Er war ein schrecklicher Herrscher, der äußerst widerwertige Sachen tat, die ich jetzt gar nicht erzählen will. Sein Tod war eine Erlösung für das ganze Kaiserreich.

Selbstverständlich kam rasch die Frage nach seinem Mörder auf.

Trym und seine schwarzen Falken seien heimlich zurückgekehrt und haben ihre Mission erfüllt, behaupteten ein paar Betrunkene in den Spelunken.

Die Brüder des Lichts, ein elfischer Geheimorden, von dem damals niemand wusste, ob es ihn tatsächlich gab, waren die Täter, stellten andere in den Raum. Denn die Brüder des Lichts steuerten in Wahrheit schon seit vielen hundert Jahren das Weltgeschehen aus dem Untergrund, waren sich die Verschwörungstheoretiker sicher.

Selbstmord!

Quintus ist gar nicht tot, man wolle die Bewohner nur anlügen!

Die Zwerge waren es!

Er wurde in Wahrheit von einem Drachen gefressen!

Jeder hatte eine andere Meinung und jeder war selbstverständlich felsenfest davon überzeugt, dass seine wilde Theorie die einzig wahre war.

Scharren von selbsternannten Hobbydetektiven reisten in die Kaiserstadt und wollten den Mordfall aufklären, denn immerhin gab es eine Belohnung von 50000 Nobel für denjenigen, der den unbekannten Mörder fassen würde.

Jetzt könnt ihr euch sicherlich vorstellen, was da los war. Täglich schleppten die Leute dutzende „Verdächtige“ zur Stadtwache, um das Geld kassieren zu können. Manche brachten sogar ihren eigenen Bruder oder ihre Frau hin, weil 50000 Nobel nun einmal viel wertvoller als ein Leben waren.

Alle Spuren verliefen aber im Dunkeln, kein Columbo, kein Monk und kein Tom Turbo, der den Fall jemals lösen konnte.

Während all dem Trubel um den Mörder, beschäftigte das Kaiserreich ganz andere Dinge, denn Quintus hatte keinen Sohn, der ihn auf den Thron folgen würde.

Die einzigen lebenden Verwandten waren ein paar Cousinen, denn die restliche Verwandtschaft brachte er mit eigenen Händen um und seinen Onkel Laurin verspeiste er sogar.

Da tat sich allerdings ein kleines Problem auf, denn eine Frau durfte Ithrien nicht regieren. Zum Glück hatte die älteste Cousine einen Sohn, Nel, der nun ein immenses Erbe antreten musste.

Man munkelte, dass Quintus mit der ein oder anderen Cousine hin und wieder ein zärtliches Stündchen verbrachte. Aus diesem Grund vermuteten viele, dass Nel ohnehin Quintus Sohn war.

Eine schlechte Nachricht für alle Habsburger, Fans von Josef Fritzl und alle anderen Inzuchtfreunde, Quintus war nicht der Vater. Der geistesgestörte Kaiser war nämlich unfruchtbar. Nur wusste das damals eben niemand, es gab ja zu dieser Zeit keine Methoden, mit denen man die Zeugungsunfähigkeit des Mannes nachweisen konnte. Außerdem war ein großer Kaiser niemals fruchtlos, das war ein absolutes No-Go. Die kaiserlichen Spermien waren immer die besten!

Nel war ein Kriegsherrscher und fing dort an, wo Quirin einst aufhörte. Sein Ziel war aber nicht etwa die Eroberung von Skyaltor, nein, er führte Krieg gegen das große Menschenreich im Westen, Rhaak.

Genau genommen erklärte Rhaak Ithrien den Krieg, denn Nel tat etwas Abscheuliches.

Rhaak war ihm schon länger ein Dorn im Auge, aber er wusste, dass sie ein ebenbürtiger Gegner waren, den er vermutlich nicht besiegen konnte. Daher wollte er sie still und heimlich schwächen, ohne mit der Kriegskeule anrücken zu müssen. Die Pest ging gerade in Ithrien um und Nel ließ viele Pestkranke unbeachtet nach Rhaak transportieren, um dort zu verenden und deren Bevölkerung anzustecken. Der Plan funktionierte und das Land im Westen wurde von einer massiven Welle des schwarzen Tods heimgesucht. Nel flog allerdings auf und Meris, der König von Rhaak, rief den Krieg aus. Jeder gesunde Mann musste nun kämpfen. Der Krieg dauerte lange, sehr lange.

Die ersten Pestkranken schickte Nel im Jahre 714, im Zeitalter des Sturms, nach Rhaak. Im Jahre 1053 desselben Zeitalters fiel er an der Front. Natürlich gab es immer wieder Jahre, in denen nur kaum oder auch gar nicht gekämpft wurde, aber wirklich Friede wollte nie einkehren. Auch nicht nach Nels Tod. Sein Sohn Jove bestieg nun den Ebenholzthron.

Jove war ein schwacher Kaiser und er bekam die ganzen Probleme in seinem Reich einfach nicht in den Griff. Der Krieg gegen Rhaak ging munter weiter und die Elfen und Zwerge wurden weiterhin unterdrückt, diese ließen sich das aber nicht mehr länger gefallen und begannen widerspenstig zu werden. Immer wieder brachen Bürgerkriege aus und die Fürsten taten in ihren Provinzen ohnehin was sie wollten. Die Armut, der Hass und das Elend wuchsen von Tag zu Tag. Ithrien lag in Trümmern, der Krieg gegen das mächtige Rhaak und die vielen Aufstände und Kämpfe innerhalb des Landes hinterließen tiefe Narben. Sogar die edle Kaiserstadt war ein trostloser Scherbenhaufen. Das Reich war viel zu groß, Jove konnte das alles einfach nicht bewältigen. Nach 215 Jahren am Thron erkrankte auch er an Burnout und beging in der Folge Suizid.

Und dann kam eine Zeit, in der sich alles ändern sollte. Joves Sohn, Hieronymus der Friedfertige, bestieg den Ebenholzthron. Und mit seiner Krönung endete das Zeitalter des Sturms und jenes des Glücks begann.

Hieronymus bescherte Ithrien ein goldenes Zeitalter. Zuerst schloss er Frieden mit Rhaak, gab den Zwergen ihre geliebten Reiche in den Bergen zurück und versprach ihnen, dass sie in seinem Land jederzeit herzlich willkommen wären. Einige Zwerge nutzten das Angebot auch und blieben einfach in den Städten und Dörfern, der Großteil zog aber dann doch wieder in die Gebirge in Ithrien.

Dann schuf Hieronymus die Sklaverei ab und egalisierte alle Völker.

Egal ob Mensch, Zwerg oder Elf, alle waren von nun an gleichrangig und alle besaßen die gleichen Rechte. Wer da anderer Meinung war, wurde eliminiert.

Der neue Kaiser kurbelte die Wirtschaft an, man betrieb Handel, sogar mit dem einstigen Feind, dem großen Nachbarreich Rhaak sowie dem Elfenreich Anyhra, den Zwergen und mit einigen Inseln. 124 Jahre nach seiner Krönung fand Hieronymus einen ganz besonderen und vor allem äußerst geheimnisvollen Handelspartner.

Es war der siebente Tag im Eismond, der erste Monat im Jahr 124, im Zeitalter des Glücks. Wir befinden uns wieder ganz im Süden von Ithrien, in der Provinz Yalfyr. Genauer gesagt in Nebelscheid, ein kleines Dorf am Rande zur kargen Öde.

Ui, Nebelscheid, ein romantischer Name, oder?

Ein dunkler, kalter Wintertag, der Wind wehte stark von Osten, so wie jeden Tag im Winter und die ersten Sterne blitzten schon durch ein paar Lücken in den dichten Wolken hervor. Gerfried der Schmied belud gerade mit seinen beiden Kindern Anselm und Magda und seinem Knecht Thorben den Karren. Er wollte die fertigen Waren früh am nächsten Morgen in die Nachbardörfer ausliefern. Der Wind wurde auf einmal stärker und kühler und plötzlich sahen sie etwas Merkwürdiges aus der Dunkelheit der kargen Öde auf sich zu kommen. 12 Reiter auf schwarzen Pferden nährten sich ihnen in Windeseile. Ein unheimliches und angsterregendes Bild, Gerfried musste erst einmal kräftig schlucken.

„Magda! Lauf schnell zurück in unsere schäbige Hütte! Anselm! Sei ein guter Junge und bringe deinem Vater das Schwert! Thorben! Klopfe an die Häuser und hole die Männer heraus, etwas Böses ist im Busch und es wird uns bald überrollen!“, rief Gerfried hastig.

Binnen weniger Augenblicke hielt er sein Schwert in den Händen und die angeforderte Unterstützung stand ebenfalls schon bereit. Ganze 8 Männer konnte Thorben in der kurzen Zeit auftreiben.

„Was sind das für Gestalten?“, fragte Gerfrieds Nachbar Ulf ängstlich.

„Wir werden es bald wissen, lieber Ulf.“, war die wenig aufschlussreiche Antwort des Schmieds.

Die Männer begaben sich in den Kampfmodus, bezogen Stellung, Martin wollte schon einen Pfeil in ihre Richtung schießen, da unterbrach Gerfried seinen Angriffsversuch: „Halt, warte! Wir wollen das Feuer noch nicht eröffnen, lass sie einmal näher herankommen!“

Als die mysteriösen Reiter schon ganz nahe und in Hörweite waren, schrie Gerfried ihnen tapfer entgegen: „Halt! Im Namen Ithriens befehle ich euch anzuhalten, sonst werden wir schießen!“

Plötzlich stoppten die Pferde, gut 20 Ellen vor ihnen und drei Männer sprangen ab.

In tiefer und rauer Stimme antworte einer von ihnen: „Steckt die Waffen weg, wir kommen in friedlicher Absicht, oder denkst du etwa, dass wir mit 12 Mann viel ausrichten können?“

Gerfried traute ihnen noch nicht und musste immer wieder auf die pechschwarzen Rösser blicken, so starke Pferde kannte er gar nicht. Woher kamen diese vierbeinigen Maschinen und ihre Reiter her? Der Schmied brauchte einen Moment, dann antwortete er: „Naja unser Dorf ist nicht groß und die besten Krieger sind wir ehrlich gesagt auch nicht. Wer seid ihr eigentlich und was wollt ihr?“

„Dürfen wir nähertreten? Dann müssen wir nicht so schreien und können uns ganz normal unterhalten. Sehet her, wir lassen unsere Schwerter bei den Pferden, nur wir drei werden zu euch kommen, die restlichen neun Männer verbleiben am Ross!“, hallte es von den Gestalten herüber.

Unsicher und mit viel Zögern auf den Lippen, willigte Gerfried schließlich ein.

Die drei Männer bewegten sich auf unsere Freunde aus Nebelscheid zu und flößten ihnen alleine mit ihrer Erscheinung gehörig Angst und Respekt ein. Menschen, aber gut einen Kopf größer als die Nebelscheider, sehr kräftig mit strengem Blick und in schwarze Kleider gehüllt. Anscheinend kannten sie keine Farben, alles an ihnen war schwarz. Ganz so sicher waren sich die tapferen Bewohner aus Nebelscheid nicht mehr, ob die Kerle nicht doch etwas Böses im Schilde führten.

„Wo befindet sich der nächste Mann, der etwas zu sagen hat? Ein Fürst zum Beispiel.“, sprach der vorderste der drei Männer zu Gerfried.

„In Rubinsheim, das ist aber viele Meilen von hier entfernt. Wenn ihr die ganze Nacht durchreitet, könnt ihr es vielleicht zur morgigen Mittagssonne erreichen.“, antwortete der zittrige Schmied vorsichtig und ergänzte: „Was wollt ihr von ihm?“

„Ich danke Euch für diese Auskunft. Was wir wollen? Keine Sorge, unsere Absichten sind friedlich und werden euch allen einen Vorteil bringen. Wir wollen Handel. Der Winter dauert schon sehr lange, dort wo wir leben noch länger als hier bei euch. Wir sind ein großes Volk und unsere Nahrungsmittel gehen dem Ende zu, Hunger macht sich breit. Fleisch, Getreide, Gemüse und Früchte, das wollen wir hauptsächlich. Selbstverständlich werdet ihr auch gut dafür entlohnt werden. Unser Land ist reich an Schätzen, unglaublich reich, viel reicher, als ihr euch jemals erträumen könnt. Aber all das Gold, die Erze und die Edelsteine können wir nicht essen, daher suchen wir bei euch Hilfe. Die Winter bei uns sind lang und rau, Ackerbau ist nur gering und an wenigen Orten möglich und viele Viecher überstehen die eisigen Monate nicht.“

Nun wussten Gerfried und seine Kumpanen Bescheid und brauchten sich nicht mehr zu fürchten. Endlich der Furcht entledigt, antwortete der nette Schmied: „Wir sind nur ein kleines Dorf, wir werden euren Hunger nicht stillen können, wir kommen ja selbst gerade so durch den Winter. Aber reitet wie gesagt nach Rubinsheim, der Fürst kann euch sicher weiterhelfen, allerdings muss auch der Kaiser damit einverstanden sein. Ich denke aber, dass unser Kaiser immer an einem guten Handel interessiert ist, vor allem wenn der Preis stimmt. Wo liegt denn euer Land überhaupt? Kommt ihr aus den Bergen?“

Auf die letzten beiden Fragen gaben die drei Männer keine Antwort, es wirkte sogar so, als ob sie Gerfried damit ein wenig verärgert hatte. Ein ungutes Schweigen lag plötzlich zwischen dem Schmied und den fremden Gestalten in den schwarzen Kleidern. Einer von den unbekannten Reitern hob seinen Kopf und sah unseren Freund aus Nebelscheid mit großen, ernsten Augen an. Gerfried wurde ganz unwohl dabei, war seine Frage etwa nicht angebracht? Dann hob einer der Männer seine Hand und bewegte sie langsam auf Gerfried zu, dieser zuckte dabei ein wenig und er wurde immer ängstlicher.

Seine Furcht war aber unbegründet, denn der mysteriöse Mann klopfte ihm nur leicht auf die Schulter und sprach in einem kalten Ton: „Vielen Dank.“

Mehr nicht, dann drehten sie sich um, gingen zur ihren Rössern zurück und ritten der stockdunklen Nacht entgegen.

„Seltsame Leute, hoffentlich haben wir keinen Blödsinn getan, hoffentlich tun sie unserem Fürsten nichts. Ganz koscher kamen mir die irgendwie nicht vor.“, war Martin sichtlich besorgt.

Doch all die Sorgen waren unbegründet. Die Männer waren tatsächlich an einem Handel interessiert und als Kaiser Hieronymus von den Summen hörte, die die rätselhaften Reiter anboten, willigte er ohne zu zögern ein und bald wurde dieses unbekannte Land der wichtigste Handelspartner von Ithrien. Doch eine Sache änderte sich nie, in all der Zeit. Niemand wusste einen Namen, weder von dem Land noch von ihrem König und auch von keinem anderen Menschen, der von dort kam. Niemand war jemals dort, niemand wusste irgendetwas über dieses Volk, nicht einmal Hieronymus. Nur eins schien klar: Sie mussten in dem namenlosen Gebirge leben. Viele tausend Pfund Getreide, Gemüse, Fleisch und Früchte benötigten sie in den Wintermonaten, im Sommer etwas weniger. Kein Problem für Ithrien, denn dort gab es das alles in Hülle und Fülle. Vor allem in der Mitte des Landes, dort war die Landschaft flach, das Klima warm und die Böden fruchtbar. Das namenlose Land zahlte selbstverständlich auch verdammt gut, Gold, Erze, manchmal sogar prachtvolle Edelsteine, da wurden selbst die lieben Zwerglein eifersüchtig. Die ithrieschen Karren durften all die Lebensmittel aber nie in das Gebirge bringen. Der Austausch fand meist zig Meilen davor, in der kargen Öde statt, ab und zu auch in Ithrien selbst.

„Der namenlose König erlaube nicht, dass man sein Gebirge betrete“, so hieß es. Und das störte auch keinen, denn so waren die Wege kürzer.

Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass bei so einem mysteriösen Handelspartner bald alle möglichen Gerüchte die Runde machten und manch einer traute dem Volk aus den Bergen nicht.

„Ach, sie zahlen gut und das seit Jahren, sieh dir doch an, was wir mit ihrem Gold für einen Aufschwung bekommen haben! Sie haben eben Hunger, die Berge dort sind hoch, viel höher als bei uns und bitterkalt ist es dort sicher auch, die können dort kaum Erbsen, Hafer und Roggen anbauen. Wir haben genug davon und ein bisschen Gold schadet nie. Langjährige Partner, über die ich kein schlechtes Wort verlieren vermag.“, sprach Kaiser Hieronymus zur seiner rechten Hand, Yaldralad, ein elfischer Magier, der Hofmagier des Kaisers und mittlerweile auch sein bester Freund.

„Du kannst kein schlechtes Wort über sie verlieren, weil du nichts über sie weißt. Was wissen wir von ihnen? Nichts! Sie brauchen Nahrung, viel Nahrung und zahlen gut. Und sonst? Wir wissen nicht einmal einen Namen. Wie viele sind es überhaupt? Wie groß ist ihr Reich? Wer ist dessen König? Ist er friedlich oder so ein bösartiger Quirin? Was sind seine Absichten?“, antwortete Yaldralad ein wenig besorgt.

„Als du dir vor zwei Wochen eine neue Kutsche gekauft hast, hast du aber nicht danach gefragt von wem das Geld dafür stammte, oder Yaldralad? Die Kutsche haben sie dir finanziert und auch die kleinen Smaragde an deren Felgen. Innenausstattung aus feinstem Ziegenleder, wie du mir erzählt hast. Und deine Frau? Hast du ihr nicht eine Saphirkette zu ihrem Geburtstag geschenkt? Woher stammte wohl das Geld dafür?“, meinte Hieronymus.

„Der Saphir ist nicht echt, die feine Dame verliert doch immer alles! Glaubst du etwa, ich reise extra zu den Zwergen, lass einen Haufen Nobel bei ihnen, nur damit die werte Frau Gemahlin ihren Glitzerstein in ihrem Rausch, den sie bei ihrem nächsten Damenkränzchen haben wird, verliert?

Ich meine nur, dass wir vorsichtig sein und nicht einfach blindlings jedem trauen sollten. Hast du die Menschen von dort schon einmal gesehen? Sieh sie dir doch an, das sind keine normalen Menschen, das sind Krieger. Krieger, die große Schlachten geschlagen haben, tapfer und mit stählerner Härte, ihre Augen erzählen das.“, war Yaldralad weiterhin misstrauisch.

Kaiser Hieronymus schüttelte nur den Kopf und meinte: „Sie zahlen gut, Yaldralad, sie zahlen gut. Wer gut zahlt, kann kein schlechter Mensch sein.“

Und Hieronymus sollte recht behalten. In all den vielen Jahren, die vergingen, gab es kein einziges Problem mit dem namenlosen Volk. Mysteriös blieben sie allerdings immer.

Märchenstunde

Подняться наверх