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Von alten Männern und der Kaiserstadt

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So liebe Freunde, wer jetzt einmal eine rauchen will, soll das jetzt tun, denn unsere Vorgeschichte ist im Prinzip hiermit endlich zu Ende. Wie gesagt, es war im Prinzip keine Vorgeschichte, sie ist ein Teil einer großen Geschichte. Nehmt euch ruhig die Auszeit und lasst den lieben Teer in eure schönen Lungen herein, das habt ihr euch verdient. Unser Vorspiel hat ja dann doch etwas länger als erwartet gedauert. Aber was soll ich tun? In dieser Welt ist eben viel passiert, da ist es besser, ich erwähne die essentiellen Dinge gleich am Anfang. Stellt euch vor, ich hätte euch diesen Teil erspart und würde später zum Beispiel Trym oder Jove erwähnen. Und genau du, du Bengel im Ralph Lauren Poloshirt, hättest dann keine Ahnung, von wem ich denn da rede. So kennt ihr euch einmal relativ gut aus und habt ein solides Basiswissen, darauf können wir jetzt aufbauen. Ich glaube auch, dass ich das bisher ziemlich gut gemacht habe. Ich muss mir da wohl selbst auf die Schultern klopfen.

Naja, bevor ich mit der eigentlichen Geschichte loslege, schenke ich mir noch ein großes Gläschen ein.

Herrlich. Ich bin schon gespannt, was jetzt noch alles passieren wird, ihr auch? Da war ja wirklich schon fast alles dabei, mein Fantasyherz schlägt von Minute zu Minute höher. Krieg, Zwerge, Elfen, ein mysteriöses Königreich, die schwarzen Falken, Tyrannen, Unterdrückung, ein friedlicher König, das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Es würde mich nicht wundern, wenn jetzt auch noch Trolle oder gar ein Greif auftaucht.

Bitte? Ein Drache? Ja, mein Freund, wenn du dem lieben Märchenonkel die nächste Flasche Cognac spendierst, dann können wir da durchaus etwas arrangieren, denn heute lassen wir gar nichts aus, alles rein damit in unsere Geschichte.

Lassen wir uns aber nicht weiter aufhalten, haben alle ihre Giftnudel fertig geraucht? Perfekt. Der Rotschopf in der ersten Reihe soll noch in Ruhe aushusten, dann fährt der Zug wieder ab. Einsteigen, einsteigen unsere Hauptshow beginnt!

Das Jahr eins nach Hieronymus, wir befinden uns am südwestlichen Rand der ithrieschen Provinz Woldawa. Genauer gesagt besuchen wir jetzt ein kleines Bergdorf in den Ausläufern der Nharkofagen, dem größten Gebirge Ithriens. Die Berge hier im Vorland waren nicht mehr so hoch wie im Herzen des riesigen Gebirgszugs, um die 6000 Fuß, vielleicht auch ein bisschen höher. Maißenschlag hieß das Dorf und lag auf knapp 3000 Fuß auf einem sanften und langgestreckten Bergrücken. Es war einer der letzten Abende im Weinmond. Der Herbst war längst eingezogen und im Licht der gigantischen orangen Abendsonne, schimmerten die bunten Blätter der vielen Buchen, Eichen und Ahornbäume in den Mischwäldern dieser Gegend immer besonders romantisch. Sobald allerdings die große gelbe Kugel vom Himmel verschwand und der Mond sein liebliches Antlitz zeigte, hing in den Herbstmonaten immer ein dichter Nebel in der Landschaft. Die Temperaturen waren auch bei weitem nicht mehr so angenehm wie noch ein paar Wochen davor und in den Nächten fiel schon der erste Schnee auf den Berggipfeln, der im blassen Schein des Herbstmonds silbern glitzerte.

Irgendwo im Hintergrund schrie eine Eule ganz aufgeregt.

Ein sehr stimmiges Bild, aber wir wollen uns nicht mehr länger mit der Fauna und Flora beschäftigen und betreten die Taverne, das Herzstück des Dorfes. Die Taverne war eigentlich in jedem Dorf das Herzstück, das ist ja heute auch noch immer so. Ein schrulliges Häuschen aus dunklem Walnussholz und einem großen steinernen Schornstein. Schon beim Öffnen der Tür kam einem eine zarte Duftwolke aus Alkohol, Tabak und Schweinefett entgegen. Drinnen war es so verraucht, dass man nicht einmal den Nachbartisch sehen konnte. Das erinnert jetzt sicher manche von euch an ein versifftes Beisl in Simmering, der Vergleich trifft es auch wahrscheinlich ziemlich gut. Nur war in der Spelunke in unserem Bergdorf die Einrichtung schöner. Alles war aus Zirbenholz, an den Wänden hingen einige Jagdtrophäen und ein großes Bärenfell diente als Teppich. Diffuses Licht, nur ein paar Kerzen an den Wandhalterungen flackerten, die Flamme im offenen Kamin war zur dieser Stunde schon sehr klein.

Wir begeben uns zu einem Tisch. Ein paar urige, alte Männer in einfachen Lumpen saßen da, tranken Krüge voller Bier und Met, rauchten ihre Pfeifen und versuchten sich vom langen, harten Tag am Feld, in der Schmiede oder im Sägewerk zu entspannen und ihren Feierabend zu genießen. Mit tiefen, rauchigen Stimmen unterhielten sie sich über das aktuelle Geschehen vor ihrer Tür.

„Habt ihr gehört? In den Städten soll es wieder zu Unruhen gekommen sein. Immer öfters passiert das in letzter Zeit. Wir brauchen wieder einen Kaiser, schon über ein Jahr ist’s her, dass der alte Hieronymus ins Gras gebissen hat und noch immer sitzt kein Nachfolger am Thron.“, sprach einer, während er an seiner langen Pfeife zog. Jerolf hieß er, war gut gebaut, hatte einen dicken grauen Vollbart und eine große, runde Nase.

„Ach, was kümmern uns die Städte und der Kaiser? Mich interessiert nur wie viel Holz mein Knecht sägen kann und ob mir meine alte Lisbeth in diesem Leben noch einmal einen Hackbraten kocht! Seit Jahren gibt es das bei uns nicht mehr, nur Kartoffeln und Hühnchen, Kartoffeln und Hühnchen, was soll denn das für ein Essen sein?“, antwortete Thorger, ein klappriger Greis.

„Mich plagen auch ganz andere Sorgen. Etwas Merkwürdiges geht in diesen Landen um. Als ich vor ein paar Tagen oben im Fichtenwald war und ein paar Morcheln sammelte, sah ich, dass Riesen in der Nähe des Rabenfelsen ihr Lager aufschlugen. Die Riesen gehen nie soweit rauf ins Gebirge, die leben sonst immer nur unten in den kahlen Einöden der Täler.“, meinte der alte Jaromir und heizte sich seine Pfeife neu an.

Prompt meldete sich der bärtige und leicht übergewichtige Ragnar zu Wort: „Das ist doch Unfug, was hätten denn Riesen so hoch oben verloren? Etwa dir deine Morcheln wegpflücken?“

„Nein Ragnar, ich weiß, was ich gesehen habe, und das ist nicht das einzig Seltsame hier. Harald der Schuster hat mir erst vor kurzem erzählt, dass ein paar Trolle den Karren seines Knechtes überfallen haben, als dieser gerade am Weg nach Buckelstett war. In unserer Gegend wurden seit über hundert Jahren keine Trolle mehr gesichtet, die leben alle in den Sümpfen im Westen, in den südlicheren Bergen oder ganz im Nordosten. Irgendetwas stimmt da ganz und gar nicht.“, war Jaromir besorgt.

„Ach bitte Jaromir, Harald fantasiert doch nur. Bei uns hier gibt es keine Trolle, das war vermutlich nur ein Bär und der alte Dampfplauderer hat die Geschichte ein wenig ausgebaut, das tut er doch immer.“, Ragnar zweifelte weiterhin an Jaromirs Geschichten.

„Ich glaube ihm!“, brachte sich Jerolf ein und fuhr fort: „Es stimmt schon, merkwürdige Dinge gehen vor sich. Aksel hat mir erzählt, dass er letztens oben in den Bergen ein paar Schneehirsche gejagt hat und als er an der alten Nordwacht vorbeikam, hat er dort Schreie gehört. Er schlich sich dann vorsichtig im Unterholz an und sah dort drinnen einen schwarzen Magier. Es war kein netter Anblick, sagte er.“

„Jetzt fang nicht du auch noch damit an. Die alte Nordwacht ist seit ewigen Zeiten verlassen. Als ich noch ein junger Spund war, war das schon eine Ruine. Ein schwarzer Magier, das wird ja immer besser. Das waren vermutlich nur ein paar Lausbuben, die dort Räuber und Hofwache gespielt haben. Die Bengel schreien doch immer bei ihren Spielchen. Oder ein junges Liebespaar, das sich zum Ficken einen entlegenen Ort gesucht hat und dabei etwas lauter wurde. Du kennst doch Aksel und seine Jägerbande, die Jäger saufen auf der Jagd doch nur Brombeerschnaps und schießen dann lustig ein paar Pfeile durch die Luft. Mit dem Rausch, den die dort immer haben, würde ich auch so einiges sehen, das kannst du mir glauben.“, Ragnar hielt die Geschichten der anderen nur für heiße Luft.

Thorger machte einen großen Schluck Bier aus seinem Krug und meldete sich zu Wort: „Du musst einmal weiter als bis zu deinem Ochsen blicken, Ragnar. Dann hättest du schon längst bemerkt, dass da draußen etwas nicht in Ordnung ist. Der Winter steht schon vor der Tür, ein Monat früher als sonst und die Gestalten in den Wäldern werden immer mehr! Drüben beim grünen Weiher soll sich sogar eine Hexe rumtreiben. Vielleicht sollten wir dem Waldschrat heuer das Winteropfer schon ein paar Wochen früher bringen.“

Ragnar klopfte mit der linken Faust auf den Tisch, dass die Krüge nur so wackelten: „Ach, das hat doch mit dem Waldschrat nichts tun! Der bekommt sein Winteropfer zur Sonnenwende, so wie immer. Das würde euch Wirrköpfen so passen, wenn wir da einfach unsere alten Bräuche ändern, nur weil ein paar Spinner den Wachholderbrand nicht vertragen und sich Gruselgeschichten ausdenken.“

Da stieg jetzt auch der stille Gunther in den spannenden Diskurs ein: „Jaja, meine Hilde wurde von einem Waldteufel verhext, die ist jetzt ganz verrückt im Kopf! Und dass sich in der alten Nordwacht ein schwarzer Magier herumtreibt, das glaube ich sofort!“

Ragnar wurde laut: „Deine Hilde war schon immer eine verrückte Schreckschraube, jeder im Dorf weiß das! Und was soll das mit der Nordwacht? Habe ich euch das nicht bereits erklärt? Das waren ein paar Rotzlöffel oder ein Liebespaar. Ihr fantasiert doch nur.“

Gunther war da wieder anderer Meinung: „Du fantasierst dir da die Welt so zusammen, wie du sie gerne haben möchtest. Oben bei der alten Nordwacht liegt schon Schnee, dort ist es viel zu kalt für Kinderspiele oder ein zärtliches Stündchen. Außerdem marschiert man da Stunden hinauf, niemand von den jungen würde sich diese Anstrengung antun. Die heutige Jugend ist viel zu verwöhnt, die verplempern ihre Zeit doch lieber in der warmen Stube. Und was ist mit dem Greif, der meinen armen Ruben letztes Jahr zerfetzt und verschlungen hat? Habe ich mir den wohl auch nur ausgedacht?“

Ragnar wusste aber immer noch alles besser: „Du redest Müll, Gunther. Ich glaube, dir tut das Gebräu in deinem Krug nicht gut. Als wir noch kleine Hüpfer waren, sind wir auch immer weit spaziert, um uns die Zeit zu vertreiben. Ja, einmal sogar bis zu den drei Weiden vor dem Kieferbachfall. Und dass es Greifen in dieser Gegend gibt, das bestreite ich doch gar nicht, die haben doch seit jeher am Rotjoch ihre Nester. Ich habe selbst schon viele gesehen. Nur der ganze Scheiß von schwarzen Magiern und Trollen und Riesen und was weiß ich, ist nur ein dummes Hirngespinst von ein paar Bekloppten.“

Die Diskussion wurde immer hitziger, da musste Tuva, die vollschlanke Gastronomiefachfrau, gleich ein paar neue Krüge Met an den Tisch bringen. Nach den ersten Schlucken mischte auch Jaromir wieder mit: „Du bist hier der Bekloppte, Ragnar! Und ein sturer Esel bist du auch noch. Jeder merkt, dass sich da etwas zusammenbraut, selbst die Hühner in deinem Stall. Manch einer sagt ja sogar, es wäre soweit, die Zeit ist reif. Er wandle schon durch die Lande und hat die Gestalt eines alten, buckligen Mannes.“

Ragnar hatte nun endgültig genug von den ganzen Geschichten: „Jetzt reicht es mir, jetzt wird mir das Ganze zu abenteuerlich. Jetzt gräbt ihr schon die schaurigsten aller Räubergeschichten aus den Ahnengräbern aus. Du weißt, dass das nur ein billiges Schauermärchen ist, nicht einmal meine kleine Enkeltochter fürchtet sich davor und du bringst das jetzt ernsthaft in unser Gespräch ein? Ich gehe lieber nachhause, vielleicht ist meine Grete ja noch wach und erzählt mir den neuesten Tratsch der Waschweiber. Das wäre mir sogar lieber, als hier mit euch die Ammenmärchen durchzukauen. Gute Nacht an alle!“

„Ragnar, du wirst schon noch merken, dass etwas nicht stimmt und andere Zeiten aufkommen werden. Spätestens wenn die Trolle einen deiner Ochsen reißen.“, rief Jerolf dem alten Bauern als gute Nachtgruß nach.

Dann kam plötzlich ein junger Mann an den Tisch, nahm sich den leeren Stuhl, auf dem Ragnar vorhin saß und sprach zur der Runde: „Erzählt mir mehr von ihm. Wer wandelt durch die Lande?“

Sehr rätselhaft und ich werde diese Unterhaltung in der Gaststube nun unterbrechen, wir werden später noch erfahren, wer dieser junge Mann war und was die alten Männer von „ihm“ zu berichten wussten.

Auch wenn es unser neuer Freund Ragnar nicht glauben wollte, aber seine Saufkumpanen hatten recht, etwas stimmte schon länger nicht mehr, etwas Seltsames ging da draußen vor sich und der junge Mann glaubte ihnen.

Was das war, werdet ihr schon noch früh genug erfahren, man darf ja nicht schon zur Vorspeise die besten Köstlichkeiten und Weine servieren, man muss sich immer noch steigern können. Wir werden auf jeden Fall noch einmal auf dieses Bergdorf zurückkommen müssen, deshalb habe ich das euch jetzt erzählt.

Verlassen wir aber nun die ländlichen Gegenden und begeben uns ein Stück nach Osten in die Kaiserstadt. Ach, die Kaiserstadt, allein beim Gedanken an sie schmelze ich noch immer dahin. Von den Elfen wurde sie auch manchmal die Stadt der drei Türme genannt. Freunde, ich wünschte, ihr hättet sie einmal gesehen. Das rege Treiben, das dort in den engen und verwinkelten Gassen herrschte, einfach traumhaft! Ein kunterbunter und vielfältiger Schmelztegel, der niemals schlief und alle möglichen Kulturen des Landes beheimatete. In jedem noch so kleinen Winkel herrschte Leben, selbst wenn es nur ein verkrüppelter Penner war. Natürlich gab es noch viel mehr: Die schmalen und hohen Häuser aus Stein und Holz, die dicht aneinander gebaut waren; die kitschigen Fachwerkhäuser an den Ufern der Kanäle; die vielen Brücken über eben diese Kanäle und den Strom; der große Hafen und der beißende Fischgeruch dort; die Hafenpromenade mit ihren schrulligen Gasthäusern, deren Lichter sich am Abend im Wasser spiegelten; die aufgeschlossenen Leute; die Gauner an den Marktplätzen; die Hütchenspieler, die alle gnadenlos abzockten; die Gaukler; die Huren an den Straßenecken; die Obdachlosen, die unter den vielen schönen Brücken von denen ich gerade erzählt habe, qualvoll an Hunger und Krankheit verendeten; dieser zärtliche Duft nach frisch gebackenem Brot, gegrilltem Wildschwein, exotischen Kräutern und Urin, wunderbar! Einfach alles war wunderbar, eine Stadt zum Verlieben, vergesst Paris.

Ich weiß noch genau den Moment, an dem ich sie zum ersten Mal erblickte.

Wenn man von Westen aus über die Vallenberge kam und an deren Ende den berühmten Zengenpass überschritt, dann stand man wenig später am obersten Rand der kahlen Wand, eine 800 Fuß hohe Felswand, die senkrecht in die Wälder abfiel. Und vor einem, oder besser gesagt unter einem, erstreckte sich die große Ebene von Yaldul. Ein prachtvoller Anblick, den man vor der Weiterreise erstmal in vollen Zügen genießen musste. Wie sich Yaldul, der blaue Strom, in Mäandern durch diese warme und imposante Landschaft schwang und sich dessen ozeanblaues Wasser ganz gediegen in das liebliche Tannengrün dieser flachen Gegend schmiegte, ein Gedicht sage ich euch.

Dieses Bild würde euch auf Instagram eine Menge Likes einbringen, viel mehr als euer tägliches Selfie, das kann ich euch garantieren. Und das sogar ohne Filter!

Ganz hinten im Osten, dort wo sich schon langsam wieder die ersten Hügel aus dem grünen Boden erhoben, lag sie: Die Stadt der Kaiser, das Herzstück von Ithrien und für viele sogar von der ganzen Welt.

Wenn man hier oben an der kahlen Wand die große Stadt in der Ferne genau fokussierte, dann konnte man sogar schon einige ihrer markanten Bauten erspähen.

Nein, konnte man nicht, die Stadt war zu weit entfernt, aber so klingt es irgendwie besser. Stellen wir uns einfach vor, dass wir ein extrem gutes Fernrohr dabeihaben, dann könnte das vielleicht funktionieren. Also, wir stehen mit unserem Hightech-Spiegelteleskop am Rand der kahlen Wand und visieren die Kaiserstadt an. Da stach einem natürlich gleich der frappante Tempel der Götter ins Auge, der auf einer kleinen Anhöhe in der Mitte der Stadt thronte. Von der Architektur her erinnerte er stark an eine gotische Kathedrale, nur ohne Türme und dem komischen Christenzeug.

Rund um den Göttertempel befand sich der wohlhabendste Teil der Stadt. Der 1. Bezirk oder die Upper East Side der damaligen Zeit. Hier fand man die besten Gasthöfe des ganzen Landes, die Creme de la Creme der ithrieschen Spitzenköche sorgte hier für kulinarische Orgasmen in den Mäulern ihrer hungrigen und versnobten Gäste. Vorausgesetzt, man konnte sich so ein Festmahl leisten, denn damit Jamie Olivers Urahnen die Pfannen herausholten und ihre Öfen anschmissen, musste man schon einen dicken Beutel voller Nobel auf den Tisch knallen. Nicht leistbar für den primitiven Pöbel, daher traf man bei Tisch nur reiche Geschäftsleute, Adelige und Ganoven, die sich einen schönen Berg an Kapital ergaunerten, also Bankiers, an.

In diesem Viertel gab es eben auch einige Banken sowie luxuriöse Geschäfte. Kleider aus feinster Seide konnte man hier erwerben, feine Kräuter aus den fernen Landen, exquisite Fleischköstlichkeiten wie Einhornleber und teure Einrichtungsgegenstände wie Stühle aus Elfenbein. Es gab alles, was das verwöhnte Oberschichtsherz begehrte. Mit der kaiserlichen Universität gab es hier ein weiteres imposantes Gebäude zu bewundern. Direkt in der Innenstadt lag auch das nobelste Wohnviertel der Stadt, in dem sich die prunkvollen und extravaganten Häuser schon fast überschlugen. Ein Haus stach einem schon von weiter Ferne ins Auge, das Rainer Besener Haus. Hierbei handelte es sich um das erste Hochhaus der Geschichte. Rainer Besener war ein reicher Geschäftsmann und wollte gleich drei Häuser in diesem Viertel bauen, allerdings gab es zu seiner Zeit nur mehr Platz für ein Haus. Deshalb baute er einfach drei Häuser übereinander. Auf die Frage warum er denn unbedingt drei Häuser auf einmal bauen wollte und dies dann sogar übereinander tat, antwortete er stets: „Weil ich es mir leisten kann!“ Rainer Besener war wahrlich wohlhabend, oft stellte er sich auf das Dach seines Hauses und schmiss sein Geld hinunter, einfach weil er so viel davon hatte und nicht wusste, was er sonst damit anstellen sollte.

Ein Stück nördlich vom großen Tempel ragte der Turm der weißen Wacht in den Himmel, das höchste Gebäude der Stadt. Der Koloss aus schneeweißem Stein gehörte zur Kaserne der Stadtwache und warf einen Schlagschatten auf die Suburbs der Kaiserstadt, dass die Wäsche dort nie trocken wurde.

Wie hoch er war, willst du wissen? Schwere Frage, lass mich nachdenken. Naja ich glaube, er war so um die 350 Fuß hoch.

Ein Wunderwerk der damaligen Architektur jedenfalls, sogar die Elfen aus den fernen Landen, die auf ihren Reisen gerne die Kaiserstadt mir ihrer Anwesenheit bereicherten, waren jedes Mal fasziniert von ihm und konnten sich einfach nicht vorstellen, dass dieses Monstrum von Menschen geschaffen wurde. Selbst die besten elfischen Architekten hätten so einen hohen Turm nicht verwirklichen können. Wie japanische Touristen begafften sie ihn, nur hatten die Elfen damals leider noch keine Fotoapparate.

Die Rolle des Gegenspielers vom Turm der weißen Wacht, nahm der schwarze Uhmahr im Süden der Stadt ein. Beim schwarzen Uhmahr handelte es sich um den Gefängnisturm, der aus schwarzem Stein erbaut war. Obwohl Uhmahr ein Stück kleiner, als sein weißer Bruder war, war sein Antlitz genau so mächtig. Oben auf den Zinnen waren Galgen angebracht, an denen noch die Leichen baumelten und als Abschreckung für künftige Verbrechen dienten. Prävention war eben auch schon damals der beste Schutz.

Ein bisschen südöstlicher vom schwarzen Uhmahr, stand der dritte große Turm der Stadt, der exakt dieselbe Höhe wie der dunkle Gefängnisturm hatte. Es war der Glockenturm, ein alleinstehender mächtiger Pfeiler aus Stein und Holz, dessen Glocken nur an einem einzigen Tag im Jahr erschallen durften. An einem ganz speziellen Tag, dem wichtigsten des ganzen Jahres, wir werden später mehr darüber erfahren, ihr dürft gespannt bleiben.

Noch ein Stück weiter südlicher, fast schon am Rande der Stadt, auf einem großen, schroffen Felsen, lag die alte Kaiserfeste. Bis Quirin an die Macht kam, residierten hier die Staatsoberhäupter. Quirin wollte aber lieber etwas Geräumigeres haben und ließ eine neue erbauen. Die alte war jedenfalls ein richtiges Schmuckstück und noch sehr gut erhalten, denn in ihr lebte der Fürst der Kaiserprovinz. Sie sah wie eine Ritterburg aus dem Bilderbuch aus, so wie die aus Lego, die ihr sicher früher zu Weihnachten bekommen habt. Genau, mit Wehrgang, Falltür und Zugbrücke und dem ganzen Schnick und Schnack, richtig kitschig eben.

Ganz im Osten lag dann die neue Kaiserfeste, die mindestens doppelt so groß, wie ihre Vorgängerin war, ihr aber in vielen Belangen sehr ähnlich sah. Weitläufige, dicke steinerne Mauern, spitze Türme in einem schlichten Grau, die Dächer in Purpur und deren Spitzen in Gold. Auch wenn das jetzt alles wie aus einem Disneyfilm klingt, die Kaiserfeste wirkte bedrohlich und monströs. All die Zinnen und Zacken und das große schwarze Tor, da wusste ein jeder, dass hier ein mächtiger Herrscher nistet.

Der Hafen lag ebenfalls im Osten der Stadt. Dieser war der größte Binnenhafen der damaligen Zeit und für den Handel von immenser Bedeutung. Das Hafenviertel war ein äußerst entzückender Ort, all die betrunkenen Seemänner, die großen Schiffe und die vielen Lokale, die immer mit den exzellentesten Fischgerichten aufwarteten, herrlich.

Den großen Markt will ich euch auch nicht vorenthalten. Er befand sich am westlichen Rand der Innenstadt und war eine Quelle des quirligen Großstadtlebens. Hier gab es nichts, was es nicht gab. Händler aus aller Welt schlugen ihre Stände auf und verkauften dabei die ungewöhnlichsten Sachen. Kräuter, Getränke, Tabak, Früchte, Tee, seltene Tiere, Stoffe, Drogen, Edelsteine, kein Wunsch blieb unerfüllt. Der Lärmpegel am großen Markt war selbstverständlich extrem hoch. Die ganzen Leute, die Marktschreier, die unzufriedenen Kunden, die vom Händler übers Ohr gehauen wurden und dann randalierten, Ruhe und Stille fand man hier nie. Die weiße Wacht war am riesigen Marktplatz besonders präsent. Dauernd kam es zu Raufereien zwischen den unzufriedenen Kunden und den Händlern und für die Taschendiebe war es das reinste Paradies, da durfte die Wache keinen Winkel aus den Augen verlieren.

So, ich glaube, die Reisegruppe „Cognac“ beendet jetzt die muntere Stadtführung. Natürlich gäbe es noch mehr zu sehen wie die Donnerbrücke, das Tor der Freiheit, den Schrein von Vigdis, die Kaserne der kaiserlichen Armee und noch zahlreiche andere Wahrzeichen, an den heute wohl ein PokeStop eingerichtet wäre, aber das würde jetzt alles zu lange dauern und wir können ja später noch immer darauf zurückkommen. Seht ihr das auch so? Perfekt!

Eine prächtige Stadt wie gesagt, aber die Stimmung in ihr war an jenen Tagen leider alles andere als prächtig. Kaiser Hieronymus war seit über einem Jahr tot und bis jetzt war noch immer kein Nachfolger gefunden.

Wie denn auch? Es gab ja keinen. Der dicke Hieronymus war nicht nur kinderlos, er hatte auch sonst keine anderen Verwandten. Er war der letzte aus der Linie des weißen Bluts. Die einst so mächtige Herrscherfamilie war ausgestorben.

Nicht nur einige der 13 Fürsten spitzten auf den Thron, sondern auch jeder andere Mann, der glaubte wichtig zu sein. Die Elfen, genauer gesagt die Hochelfen, waren außerdem der Meinung, dass es nun endlich einmal Zeit für einen Kaiser elfischen Blutes sei. Manche der neuen Provinzen, die früher eigenständige Königreiche waren und einst von Quirin erobert wurden, strebten nach Unabhängigkeit und wollten sich von Ithrien abspalten. Hieronymus war ein guter Kaiser, der für jeden noch so kleinen Bürger ein Ohr hatte und sorgte, dass all die alten Probleme von der Bildoberfläche verschwanden. So einen Kaiser gibt es kein zweites Mal. Was nun, wenn wieder so ein Quintus oder Jove den Thron besteigen würde? Es wäre das gleiche Elend wie früher gewesen. Speziell die Elfen hatten riesige Angst, erneut unterdrückt zu werden. In Siien und Milanth, den ehemaligen Elfenreichen, kam es als erstes zu Aufständen. Bald sprangen auch Groß Zimmen und Woldawa auf den Unabhängigkeitszug auf. Die angespannte Lage breitete sich aus, es brodelte wie in einem Suppentopf und es gab weit und breit keinen Kaiser, der den Topf vom heißen Gussofen nehmen konnte.

Frühzeitliche Terroranschläge fanden statt, um den Ernst des Willens nach Unabhängigkeit zu unterstreichen. Häuser und Karren brannten, der rassistische Hass zwischen den Völkern kochte wieder auf.

„Die Elfen sind schuld am Tod des Kaisers! Es war Mord! Sie wollen die Macht an sich reißen!“, riefen die Menschen.

„Wir haben genug unter den Menschen gelitten, wir sind nur Abschaum in ihren Augen, das waren wir schon immer, obwohl wir etwas Besseres sind! Unter Hieronymus ging es uns gut, ja, aber bald wird wieder ein Rassist am Thron sitzen. Das machen wir nicht mehr länger mit! Hunderte von Jahren der Unterdrückung sind genug, viele von euch haben das noch selbst miterlebt. Setzt einen Elfen auf den Thron, oder gebt uns ein eigenes Land! Wenn nicht, dann werden wir zur Gewalt greifen!“, tönte es von den Elfen.

Die kaiserliche Armee griff gegen alle mit eiserner Härte durch und wurde deswegen bald zum Feindbild und somit auch zum Ziel einiger Attacken. Aber was sollten sie tun? Irgendwer musste ja für Recht und Ordnung sorgen.

Ithrien stand am Rande eines Bürgerkriegs, wenn er nicht schon längst ausgebrochen war. Elfen gegen Menschen, Elfen und Menschen gegen die Armee, Menschen gegen Menschen und Elfen gegen Elfen. Denn nicht alle Elfen waren derselben Meinung. Das ist jetzt ein bisschen kompliziert, ich weiß. Die Wald- und Dunkelelfen waren perfekt integriert, fühlten sich tief mit Ithrien verbunden und hatten kein Bedürfnis nach Eigenständigkeit, sie unterschieden kaum noch zwischen Mensch und Elf, genau wie es Hieronymus wollte. Obwohl es eigentlich nur sehr wenige Waldelfen in Ithrien gab. Es war nie ihre wirkliche Heimat, sie kamen als Wirtschaftsflüchtlinge im goldenen Zeitalter unter Hieronymus. Dunkelelfen dagegen gab es viele. Das Problem allerdings waren die Hochelfen, die sorgten für den Krawall. Die anderen Elfenarten distanzierten sich auch von ihnen. Dennoch war das vielen Menschen egal, Elf ist nun einmal Elf und so wurden auch viele unschuldige Dunkelelfen vom Hass erfasst, was denen natürlich auch nicht gerade gefiel und dadurch entstanden wieder neue Brandherde.

Die einst so blühende Blume namens Ithrien war verwelkt.

Der Handel stagnierte, die Unruhen wurden immer mehr, der Wohlstand floss den Yaldul hinunter, die Armut machte sich wieder breit. Die Leute schrien nach einem Anführer, der sie aus diesem Sumpf wieder herausführen würde.

Diesen Schrei nutzten einige aus und präsentierten sich dem Volk als Heilsbringer.

Kolja von Gorod, Ritter von Yanov, zweitmächtigster Mann in der Provinz Woldawa, war so einer. „Der Fürst ist zu schwach, er wird uns nicht in die Unabhängigkeit führen, folgt mir und ich werde euch ein Leben in Freiheit und Luxus bescheren! Wir können uns auf niemanden mehr verlassen, weder auf das Kaiserreich noch auf den Fürsten! Wir müssen selbst handeln! Ergreift eure Waffen und schwört mir die ewige Treue! Wir kämpfen für das Blut und den Stolz Woldawas! Für unser Volk! Für unsere Brüder und Schwestern! Wir werden das Reich unserer ewigen Königin Leila wiedererrichten! Wir kämpfen bis in den Tod!“, propagierte er.

Damir, Fürst von Woldawa, war da natürlich anderer Meinung und so bekriegten sich zwei Männer und deren Anhänger, die eigentlich dasselbe Ziel verfolgten, nämlich die Unabhängigkeit.

Das war leider kein Einzelfall, täglich entstanden neue Gruppierungen und bald blickte niemand mehr durch, wer nun für etwas oder gegen etwas war. Es hatte den Anschein, dass Ithrien in tausend Teile zerbrach. Koljas Kämpfer und der Widerstand der Hochelfen, hinter dem wohl die Brüder des Lichts steckten, waren die beiden größten und mächtigsten Gefahren des Kaiserreichs.

Nur die Armee war gegen alle und ging eben gegen jeden weiterhin mit roher Gewalt vor.

Was war eigentlich mit den Zwergen?

Die Zwerge hielten sich da brav heraus, die hatten ja ihre eigenen Reiche und die anderen Völker interessierten sie noch nie. Sie hatten aber Angst, dass wieder jemand in ihre Berge einfallen und ihnen die Schätze rauben würde. Von daher schlossen sie ihre Tore und verbarrikadierten sich in ihren steinernen Hallen. Jene Zwerge, die in einem Dorf oder in einer Stadt lebten, wanderten wieder in eines der zahlreichen Zwergenimperien, dort konnte ihnen nichts passieren.

Und obwohl das Chaos, der Kampf und der Hass regierten, traf man noch auf ein wenig Fröhlichkeit.

Wir begeben uns in einen Gasthof in der Kaiserstadt und lernen nun endlich die Protagonisten der weiteren Geschichte kennen!

Seid ihr bereit dafür? Perfekt, dann kann es ja losgehen!

Märchenstunde

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