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1. Prinzipat
ОглавлениеPeriodisierung
Wir nennen, einer Konvention folgend, den ersten Abschnitt der römischen Kaiserzeit den „Prinzipat“. Die Epoche wird so einerseits von der voraugusteischen Periode römischer Geschichte, der Republik, andererseits von der Spätantike abgegrenzt. Der Begriff kann sich nicht auf eine in antiken Quellen verwendete Terminologie stützen. Die Römer empfanden zwar die Veränderungen, die mit Augustus Einzug hielten, für sie war ihr Gemeinwesen aber nach wie vor eine res publica, eine „öffentliche Angelegenheit“. Die monarchische Struktur verfestigte sich erst allmählich, auch und gerade in der Begrifflichkeit.
Der Prinzipat lässt sich nicht eindeutig als Epoche abgrenzen. Man lässt ihn meist 27 v. Chr. beginnen, dem Jahr der Verrechtlichung der außerordentlichen, bis dahin faktisch militärdiktatorischen Gewalt des Augustus. Damit hat man wesentlich die staatsrechtliche Komponente im Auge, die aber nur ein Segment der für den gesellschaftlichen und politischen Wandel relevanten Faktoren ist. Grundsätzlich sind deshalb auch andere Zäsuren denkbar: frühere, wie der Beginn des sogenannten 1. Triumvirats zwischen Caesar, Pompeius und Crassus (60 v. Chr.), das Jahr der Ermordung Caesars (44 v. Chr.), der Abschluss des sogenannten 2. Triumvirats zwischen Octavianus (Augustus), M. Antonius und Lepidus (43 v. Chr.), aber auch spätere, wie der Tod des Augustus (14 n. Chr.), als die ursprünglich Augustus persönlich übertragenen Vollmachten auf seinen Nachfolger Tiberius übergingen und so der Prinzipat entpersönlicht und damit erst institutionalisiert wurde.
Nicht einfach zu bestimmen ist auch das Ende der Epoche. Das Rom der Spätantike war ein völlig anderes Rom als das Imperium eines Augustus, Hadrian oder Septimius Severus. Übergänge aber vollziehen sich fast immer in langsamen, für die Zeitgenossen kaum merklichen Rhythmen. Bei allem Wandel herrscht stets auch Kontinuität. Und so war das Reich der Spätantike zwar ein anderes Imperium, aber es war noch immer unverkennbar römisch.
Wieder erfasst die rein staatsrechtliche Betrachtung nur einen Ausschnitt des Gesamtgeschehens. Die Monarchie hatte sich gewandelt, der Kaiser war kein princeps („Erster“) mehr, sondern legte nunmehr auf die Anrede dominus („Herr“) und entsprechende Gesten der Unterordnung Wert, weshalb die politische Struktur der Spätantike zumal der älteren Forschung häufig als „Dominat“ (im Gegensatz zum Prinzipat) galt. Die Reichszentrale bemühte sich seit dem späten 3. Jahrhundert um die Regelung von immer mehr Lebensbereichen; sie unterhielt dazu ein Heer von Staatsbediensteten, eine immer ausgeklügelter werdende Bürokratie, die Rom zuvor kaum gekannt hatte. Viele Initiativen der kaiserlichen Regierung erwecken den Anschein eines „totalitären“ Staates, der gleichwohl in seinen Möglichkeiten – verglichen mit modernen Nationalstaaten – beschränkt blieb.
Die Forschung lässt den Prinzipat entweder mit dem letzten Severer Alexander (der bis 235 regierte) oder mit dem Regierungsantritt Diokletians (284) enden. Schon diese Unschärfe lässt erkennen, dass die dazwischenliegenden fünfzig Jahre eine Epoche des Übergangs waren, die sich weder der Prinzipatszeit noch dem früher sogenannten „Dominat“ der Spätantike klar zuordnen lässt. Sie ist Gegenstand dieses Buches, in all ihrer schillernden Uneindeutigkeit und Ambivalenz, die sie mit anderen Perioden politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Zeitenwechsels teilt.
Quelle
Maecenas über die Prinzipatsordnung
(Cassius Dio 52,15,1–4)
Denke nicht, dass ich dir rate, das Volk und den Senat zu versklaven und eine Tyrannis zu errichten. Das dir vorzuschlagen, würde ich mich niemals erdreisten. Noch würdest du selbst es über dich bringen. Das aber wäre ehrenhaft und zweckmäßig für dich wie für das Gemeinwesen: dass du selbst, in Absprache mit den fähigsten Männern, die geeigneten Gesetze verfügst, ohne jede Möglichkeit von Widerstand oder Kritik seitens der Massen; dass du und deine Ratgeber Krieg führen nach deinem eigenen Belieben und alle übrigen Bürger deinen Befehlen unverzüglich gehorchen; dass die Auswahl der Amtsträger dir und deinen Beratern obliegt; und dass du mit ihnen Ehren und Strafen festsetzt. Der Vorzug all dessen bestünde darin, dass, was immer dir und deinesgleichen gut schiene, unverzüglich Gesetz würde; dass die Kriege gegen unsere Feinde in aller Stille und zum günstigen Zeitpunkt geführt würden; dass jene, denen eine Aufgabe anvertraut würde, aufgrund ihrer Verdienste und nicht durch das Los oder durch Rivalität ernannt würden; dass die Fähigen geehrt würden, ohne Eifersucht heraufzubeschwören, die Schlechten bestraft, ohne Aufruhr auszulösen. Das meiste, was so in Angriff genommen würde, würde richtig ausgeführt werden, anstatt an die Volksversammlung überwiesen, öffentlich hin und her überlegt, Parteivertretern überantwortet oder der Gefahr ehrgeizigen Wetteifers ausgesetzt zu werden. Und wir sollten uns glücklich schätzen angesichts der Wohltaten, die uns zuteilwerden, statt in riskante auswärtige Kriege oder unseligen internen Zwist verwickelt zu werden.
Prinzipatskonzeption
Die Passage aus dem Geschichtswerk des Cassius Dio (s. Quelle) ist ein Schlüsseltext für das Verständnis des römischen Prinzipats. Der, dem hier geraten wird, ist niemand anderer als Augustus, der Begründer jener politischen Ordnung, die wir Prinzipat nennen und die das römische Kaiserreich zu einem staatsrechtlichen wie herrschaftssoziologischen Sonderfall macht. Im Prinzip monarchisch, denn es gab die meiste Zeit über nur einen Kaiser, und im Prinzip autokratisch, denn faktisch war die Machtfülle des Kaisers schrankenlos, war der Prinzipat doch gleichzeitig auch eine komplexe juristische Konstruktion, die Strukturen der römischen Republik modifiziert fortsetzte.
Cassius Dio ist ein Historiograf des 3. Jahrhunderts n. Chr. Die Worte, die er Maecenas, dem Ratgeber des Augustus, in den Mund legt, sind so vermutlich nie gefallen, aber vom Verfasser mit Bedacht gewählt. Dio stellt in einer fingierten Gesprächssituation zwei Positionen einander gegenüber. Maecenas’ Gegenpart M. Agrippa hatte zuvor leidenschaftlich für die Wiederherstellung der Republik plädiert. Augustus stand am Wendepunkt: Sein Sieg über M. Antonius und Kleopatra bei Actium (31 v. Chr.), der ihm den Weg zur Alleinherrschaft geebnet hatte, lag gerade zwei Jahre zurück. Sollte er auf seine außerordentlichen Machtbefugnisse verzichten und die Republik wiederherstellen? Oder sollte er, wie es ihm der Maecenas Dios riet, nach der Alleinherrschaft greifen?
Die Prinzipatsordnung, zu der Augustus fand und die seine Nachfolger sukzessive weiterentwickelten, stellte tatsächlich formal die Republik wieder her. Der Princeps tat seine Absicht in zwei meisterhaft inszenierten Auftritten vor dem Senat kund (27 v. Chr.). Erst zu diesem Anlass nahm er den Ehrentitel „Augustus“ an, den nach ihm alle Kaiser im Namen führten (während nachrangige Mitherrscher, häufig Kaisersöhne und präsumtive Nachfolger, den Namen „Caesar“ erhielten). Vier Jahre später legte er den Konsulat, den er bis dahin in Serie innegehabt hatte, nieder. Statt der Ämter bekleidete Augustus fortan nur noch deren Befugnisse: Prokonsularische und tribunizische Gewalt wurden zu tragenden Säulen des Prinzipats. Ein wenig treuherzig versichert der erste Princeps in seinem „Tatenbericht“ (Res gestae), er überrage alle anderen nicht an Machtfülle (potestas), wohl aber an Autorität (auctoritas).
Die Formulierung enthält gleichwohl, wenn auch nicht die ganze, so doch wenigstens mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Augustus war, ebenso wenig wie einer seiner Nachfolger, alles andere als ein absoluter Monarch. Das lag wesentlich an der Entstehungsgeschichte des Prinzipats aus dem römischen Bürgerkrieg heraus. Zwar war das von Augustus geschaffene System als solches legitim, weil es in der Krise den inneren Frieden wiederhergestellt hatte und fortan nicht mehr infrage gestellt wurde, doch fehlten verbindliche Kriterien, welche die einzelnen Kaiser legitimierten: Weder die imperatorische Akklamation durch das Heer, der Treueeid oder die Verleihung der prokonsularischen und tribunizischen Amtsgewalt – die seit Augustus den Kern der kaiserlichen Herrschaftsbefugnisse bildeten – durch den Senat noch die dynastische Kontinuität reichten für sich genommen, um die Loyalität der Beherrschten auf Dauer sicherzustellen. Sie waren lediglich Investiturakte partikularer Gruppen, die allein keine Legitimität schaffen konnten.
Die Kaiser mussten deshalb, wie Egon Flaig überzeugend herausgearbeitet hat, kontinuierlich bei den drei Gruppen um Akzeptanz werben, die zu koordiniertem Handeln in der Lage waren und deshalb die Prinzipatsgesellschaft maßgeblich konstituierten: Senatoren, Militär und stadtrömische Bevölkerung (plebs urbana): „Den Herrscher hält ganz allein die Tatsache oben, dass er akzeptiert wird; verliert er seine Akzeptanz, dann stürzt er“ (Flaig). Die Akzeptanz des einzelnen Kaisers war maßgeblich an seine Person geknüpft und daran, wie er die Kommunikation mit den Einflussgruppen bewältigte. Verlor er den Draht zu ihnen, gelang es ihm nicht, sich ihnen durch Geld- und Lebensmittelspenden, die Ausrichtung von Zirkusspielen, als erfolgreicher Feldherr oder großzügiger Gastgeber zu präsentieren, kurz: als Wohltäter, auf den sich die Hoffnungen aller richteten, waren seine Tage als Kaiser gezählt.
Folgen der Prinzipatsordnung
Unvermeidliche Folge waren Usurpationen, Verschwörungen oder Revolten. Am gravierendsten wirkte stets der Vertrauensentzug durch das Militär. War das Verhältnis zwischen Kaiser und Soldaten zerrüttet, waren Usurpationen nur eine Frage der Zeit. Ihr Verlauf war immer gleich: Die Truppen an den exponierten Grenzen Roms, vorzugsweise dort, wo mehrere Legionen massiert waren, riefen ihren eigenen Kommandeur zum Imperator aus. Der imperatorischen Akklamation folgte der Marsch auf Rom, die Entscheidung zwischen Amtsinhaber und Prätendent brachte der Bürgerkrieg, eine Serie von Bürgerkriegen im nicht seltenen Fall sich häufender, einander zeitlich überschneidender Usurpationen (s. S. 105).
Herrschaft im Akzeptanzsystem des Prinzipats haftete stets das Odium des Außeralltäglichen an und damit eine starke charismatische Komponente – im Sinne von Max Webers Herrschaftssoziologie. Sie war daher stets prekär. Besonders prekär, weil in der konstitutionellen Mechanik nicht vorgesehen, war die Nachfolge. Zwar konnte ein vom Amtsvorgänger designierter Nachfolger, der oft – aber keineswegs immer – ein Verwandter war, auf einen gewissen Vertrauensvorschuss setzen. Dennoch blieben schwere Prinzipatskrisen in den ersten zwei Jahrhunderten die Ausnahme: Nur der Akzeptanzverlust Neros und über hundert Jahre später des Commodus brachten, mit dem ersten (69) und zweiten (193) Vierkaiserjahr, Usurpationsserien mit Wellen von Bürgerkriegen ins Rollen. In anderen Fällen gelang es den Amtsinhabern, Usurpationen im Keim zu ersticken.
Entwicklung der Prinzipatsordnung
Bei aller scheinbaren Gleichförmigkeit entwickelte sich die Prinzipatsordnung doch allmählich von den augusteischen Anfängen aus weiter. Die Richtung war eindeutig, der Prozess unumkehrbar: Obwohl das Kaisertum latent stets seinen quasi-außerordentlichen Notstandscharakter beibehielt, trieb es doch fortschreitender Institutionalisierung und Formalisierung entgegen. Das sogenannte, auf einer Bronzetafel vom Kapitol erhaltene „Bestallungsgesetz“ des Kaisers Vespasian (lex de imperio Vespasiani) von 69/70 dokumentiert eine wichtige Etappe auf diesem Weg: „dass er das Recht und die Macht habe, wie es der vergöttlichte Augustus und Tiberius Iulius Caesar Augustus und Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus hatten, zu tun, was immer er an Göttlichem und Menschlichem, an Öffentlichem und Privatem dem Wohl und übergeordneten Interesse des Staates für dienlich erachte“ (CIL VI, 930). Die, wenigstens theoretische, Allmacht des Prinzeps hatte hier (soweit sich auf Basis der überkommenen Quellen urteilen lässt: erstmalig) eine rechtliche Grundlage erhalten.
Parallel dazu erfolgte, allerdings gegen beträchtliche senatorische Widerstände, die schrittweise Professionalisierung der kaiserlichen Verwaltung und Rechtsprechung. Wichtige Funktionen übernahmen, anstelle der republikanischen Magistrate und Promagistrate, mehr und mehr nichtsenatorische Amtsträger, die speziell für ihre Aufgaben ausgebildet waren. Obwohl bereits unter Claudius erhebliche Anstrengungen zur Rationalisierung des kaiserlichen Palastes unternommen wurden, auch und gerade durch Einsatz von Freigelassenen in herausgehobenen Verwaltungsfunktionen, kam die Bürokratisierung bis ins ausgehende 3. Jahrhundert nicht über relativ bescheidene Anfänge hinaus.
Was war von der ursprünglichen Architektur des Prinzipats und ihrer gewollten Uneindeutigkeit über 200 Jahre nach Augustus, als Dio sein Geschichtswerk schrieb, noch übrig? Unser Text erlaubt hierzu einige Schlussfolgerungen, denn selbstverständlich reflektieren die Ausführungen des Maecenas nicht das Denken der augusteischen Epoche, sondern ein Bild vom Kaisertum, das in Dios eigener Zeit, der späten Severer und frühen Soldatenkaiserzeit, Aktualität besaß. Wir stehen damit an der Schwelle zu jener Epoche, die uns im Folgenden interessieren soll. Aber natürlich ist Dios Standpunkt nicht der eines unbefangenen Beobachters, sondern von der Interessenlage eines selbst gestaltend tätigen, am politischen Geschehen aktiv beteiligten Zeitgenossen vorgegeben: Dio, der Senator aus dem kleinasiatischen Bithynien und gewesener Konsul, entstammte der alten Elite, dem ordo senatorius, der an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert um seine Privilegien fürchtete.
Und so lässt Dio seinen Maecenas mit Bedacht von der Tyrannis abraten. Sein Kaiser ist kein Despot, sondern ein Monarch, der „seinesgleichen“ – damit sind natürlich die Senatoren gemeint – an Entscheidungsprozessen teilhaben lässt. Im Dreieck der Interessengruppen hebt Maecenas die Rolle des Senats hervor, während er die „Massen“, gemeint ist die plebs urbana, aber auch die große Gruppe des Militärs mit ihrer ausgeprägten inneren Kohäsion, mit Bedacht ausklammert. Der größte Vorzug monarchischer Regierung besteht, folgen wir dem Text weiter, in klaren Entscheidungsstrukturen: Der Wille des Kaisers wird Gesetz; die elementare Entscheidung über Krieg und Frieden obliegt allein ihm. Was Cassius Dio hier durch den Mund des Maecenas ausbreitet, ist eigentlich der Entwurf für eine absolute Monarchie, die um eine aristokratische Komponente abgemildert ist.
Dieser Gedanke kam natürlich nicht aus dem politisch luftleeren Raum. Er hatte, in der Perspektive des Autors, einen eminenten Gegenwartsbezug. Hintergrund war die Krise des Prinzipats, die sich bereits unter Commodus (180–192 n. Chr.) und im zweiten Vierkaiserjahr andeutete und nach dem Tod des Septimius Severus (193–211), unter Caracalla (211–217), Macrinus (217–218) und Elagabal (218–222), verschärfte. Der Zeitgenosse Dio setzte seine Hoffnungen nach sich häufenden Usurpationen, Palastwirren, Anzeichen für eine fiskalische Überforderung des Imperiums sowie verlustreichen Kriegen und Bürgerkriegen auf ein starkes Regiment des jungen Kaisers Severus Alexander (222–235). Die Zeit war reif für innere Konsolidierung und Ausgleich. Nicht zuletzt dürften auch der hohe Blutzoll und drohende Macht- und Prestigeverlust des Senatorenstandes Dios Überlegungen beeinflusst haben. Entsprechende Züge trägt das „Programm“, das er seinem Maecenas in den Mund legte.