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1. Literarische Quellen
ОглавлениеHerodian
Cassius Dios Geschichtswerk, die Hauptquelle für das 2. und beginnende 3. Jahrhundert, bricht 229 ab. Obwohl für das Verständnis der Epoche und ihrer prägenden Grundstimmungen unentbehrlich, ist es deshalb im strengen Sinn für die Geschichte der Soldatenkaiserzeit wertlos. Etwas weiter (bis 238) reichen die acht Bücher Geschichte des vielleicht aus Syrien stammenden, unter den Gordianen oder etwas später schreibenden Historiografen Herodian, dessen Werk in der Altertumswissenschaft wegen seiner „Fabulierfreudigkeit“ (Hermann Bengtson) keinen guten Ruf genießt. Einer historischen Forschung, die nicht allein an der Rekonstruktion der Ereignisgeschichte, sondern auch an kulturellen Wertmustern und Mentalitäten interessiert ist, hat Herodian, der mit durchaus originellen Erzähltechniken arbeitet, gleichwohl etwas zu sagen.
Herodians Zeitgenossenschaft macht ihn zum wichtigen Zeugen für Stimmungen und Wahrnehmungen der Epoche. Die literarische Gestaltung seines Stoffes erhält von hier ihre Impulse und wird so zum Spiegel einer besonderen historischen Dynamik. Dass Herodian die Krisensymptome seines Zeitalters nicht entgingen, wird aus seinen Bewertungen der von ihm skizzierten Kaiserpersönlichkeiten deutlich. Sein Gegenstand ist Zeitgeschichte von Commodus bis Maximinus Thrax. Alle diese Kaiserpersönlichkeiten müssen sich an Mark Aurel messen lassen, dem hochgebildeten letzten Adoptivkaiser, dessen Selbstbetrachtungen ein Hauptwerk der Ideengeschichte sind. Mark Aurels Regierungszeit verklärt Herodian, der sie nicht erlebt hat, in der Rückschau zu einem goldenen Zeitalter; griechische Bildung, paideia, ist ihm Schlüsselqualifikation des guten Herrschers schlechthin. Dagegen nehmen sich die Kaiserpersönlichkeiten seiner Gegenwart – ein entarteter Tyrann (Caracalla), ein exotischer Wollüstling (Elagabal), ein barbarischer Berserker (Maximinus Thrax) – wie bloße Karikaturen aus. Das griechische Bildungsideal der paideia beherrscht seine Darstellung und bestimmt die selektive Schilderung von Ereignisgeschichte.
Historia Augusta
Ein ganzes Bündel von Problemen wirft die Historia Augusta auf, eine von Hadrian bis Numerian (117–285) reichende Sammlung von Kaiserbiografien und für weite Teile der Soldatenkaiserzeit die einzige literarische Quelle. Bereits die Autorschaft bereitet kaum lösbare Probleme: Um die Frage, ob für alle Viten der Sammlung ein einziger Verfasser verantwortlich zeichnet oder, wie vom Werk selbst suggeriert, für jede Vita ein anderer, wird in der Forschung zur Historia Augusta heftig gerungen. Ungeklärt und durch die Frage der Autorschaft zusätzlich kompliziert sind auch Quellen, Tendenz und Entstehungszeit der Sammlung: vermutlich die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts.
Zu diesen Schwierigkeiten gesellt sich noch der offensichtlich besonders hohe Grad literarischer Fiktionalität der Historia Augusta – im Prinzip ein Problem jeglicher historiografischer Literatur der Antike. Weniger die Überlieferung historischer Fakten als vielmehr das Ziel, unterhaltsame Lektüre zu bieten, sowie vielleicht eine – sich uns nicht immer erschließende – antichristliche Polemik bestimmen weite Teile des Textes. Mit den Mitteln klassischer Quellenkritik ist kaum zu entscheiden, wo der oder die Verfasser aus Faktenwissen schöpfen. Dennoch lagen dem Autor oder den Autoren der Historia Augusta zahlreiche Quellen vor, die heute verloren sind. Schon deshalb wird man an der Historia Augusta kaum vorbeikommen.
Dexippos
Zu den heute weitgehend verlorenen historiografischen Texten des 3. Jahrhunderts zählt die griechische Chronik des Atheners Dexippos, die bis zum Tod Claudius’ II. (270) reichte. Auf Dexippos griffen die Historia Augusta und mehrere byzantinische Geschichtsschreiber zurück, in denen Fragmente der Chronik überdauert haben. Dexippos erlebte den Einfall der von den Goten abgespaltenen Heruler nach Griechenland und den Fall Athens. Für seinen Einsatz bei der Zurückschlagung der Heruler errichteten die Athener ihm eine Ehrenstatue, deren Basis (mit Inschrift) erhalten ist. Lediglich fragmentarisch überliefert sind auch die Geschichtswerke der Zeitgenossen Eusebios und Nikostratos von Trapezunt, ganz verloren sind die griechischen Schriften des Asinius Quadratus, eines Senators aus Italien. Der Eindruck, dass die literarische Produktion im 3. Jahrhundert fast gänzlich erlahmte, ist grundfalsch: Er ist hauptsächlich einer gegenüber der frühen Kaiserzeit deutlich ungünstigeren Überlieferungssituation geschuldet und sollte daher nicht als Krisensymptom missverstanden werden.
Breviarien
Eine im 4. Jahrhundert neu entstandene Untergattung der historiografischen Literatur sind die „Breviarien“, historische Abrisse in Kurzform, entstanden in offiziellem Auftrag des Kaiserhauses. Erhalten sind die Breviarien Eutrops, Aurelius Victors und des Festus sowie eine anonyme Schrift, die Epitome de Caesaribus. Sie alle schöpfen, wie auch die Historia Augusta, aus einer gemeinsamen, nicht erhaltenen und erst von einem Historiker des 19. Jahrhunderts rekonstruierten Quelle, die nach ihm „Enmannsche Kaisergeschichte“ heißt. In ihrer Darstellung wesentlich knapper, liefern die Breviarien durchweg verlässlichere Informationen als die problematische Historia Augusta. Von ähnlicher Bedeutung ist die Chronica Urbis Romae, eine kurz gefasste Stadtgeschichte, die bis zur Alleinherrschaft Konstantins des Großen (324) reicht, wenig später entstand und Mitte des 4. Jahrhunderts in einem Almanach, dem sogenannten Chronograph des Jahres 354 n. Chr., Verwendung fand.
Chroniken christlicher Autoren
Eine weitere Gruppe literarischer Quellen bilden die Chroniken christlicher Autoren des 3. bis 5. Jahrhunderts. Sie konzentrieren sich, der Textnatur entsprechend, auf heils- und kirchengeschichtliche Aspekte, zunächst auf Verfolgungen, die Christen zu erdulden hatten, und ihre Auseinandersetzung mit dem römischen Staat; später auf innerchristliche Konflikte und die Zurückdrängung heidnischer Kulte. Trotz des heilsgeschichtlichen Deutungsschemas enthalten Werke wie die Kirchengeschichte des Bischofs Eusebios von Caesarea und Orosius’ Historiarum adversum paganos libri VII („Sieben Bücher Geschichte gegen die Heiden“) auch für die allgemeine Geschichte wichtiges Material. Kein christlicher Autor hat aber als Quelle für die Soldatenkaiserzeit eine vergleichbare Bedeutung wie der 245 getaufte Cyprian, Bischof von Karthago zur Zeit der in Afrika besonders heftigen Christenverfolgungen des Decius. Zwar folgt sein Blick auf die Geschichte primär einer lokalhistorischen Perspektive, doch ist gerade sie besonders illustrativ, zumal vor dem Hintergrund allgemeiner Quellenarmut für die Jahrhundertmitte. Cyprian gibt Einblick in das Denken und Fühlen christlicher Eliten in den Städten der Provinzen. Er ist einer der Kronzeugen für die moderne These, die Menschen seiner Zeit hätten ein „Krisenbewusstsein“ entwickelt. Freilich teilte Cyprian, wie im Übrigen auch viele Nichtchristen, die heilsgeschichtlich inspirierte Auffassung vieler Zeitgenossen, das Ende der Welt stehe unmittelbar bevor. Nur konsequent war daher ihre Wahrnehmung aller irdischen Verhältnisse als „Jammertal“. Ob hier das Sein das Bewusstsein beeinflusste oder ob es sich umgekehrt verhielt, ist nicht leicht zu entscheiden.
Byzantinische Autoren
Manches von den verloren gegangenen Texten des 3. Jahrhunderts bewahrten die Geschichtswerke byzantinischer Autoren. Hier seien nur die beiden wichtigsten genannt: der um 500 n. Chr. schreibende Heide Zosimos, ein Syrer, der in seiner „Neuen Geschichte“ den Verfall Roms seit Augustus darstellen wollte und unter anderem auf Dexippos zurückgriff, und der im 12. Jahrhundert lebende Mönch Johannes Zonaras, Verfasser einer bis in seine Gegenwart reichenden Weltchronik. Interessante Einblicke in die von Einfällen gotischer Stämme in die Donauprovinzen bestimmte Wirklichkeit des 3. Jahrhunderts eröffnet die Gotengeschichte (De origine actibusque Getarum) des im 6. Jahrhundert lebenden Goten Jordanes.
Oracula Sibyllina
Nicht zur historiografischen Literatur zählt das Textkorpus der Oracula Sibyllina, eine äußerst uneinheitliche Sammlung von Prophezeiungen, die erst in nachantiker Zeit zusammengestellt wurde. Von den ursprünglich 14 Büchern sind noch zwölf erhalten. Das für die Soldatenkaiserzeit bedeutendste ist das 13., zwischen dem römisch-persischen Frieden von 264 und der Ermordung des palmyrenischen Herrschers Odaenathus (267) entstandene Buch. Es enthält zahlreiche Zeitbezüge und ist für die Rekonstruktion der Ereignisgeschichte, speziell mit Blick auf den Osten, eminent wichtig. Gemeinsam mit dem 8. und 12. Buch gibt es zudem Aufschluss über das Lebensgefühl der Zeitgenossen und ist damit ein erstrangiges Dokument auch für die Mentalitätsgeschichte der Epoche.
Allen literarischen Quellen gemeinsam ist, dass sie aus einer spezifischen Erzählperspektive, -absicht und -situation heraus geschrieben und nur in Kenntnis dieses Kontextes angemessen zu interpretieren sind. Sie verraten nicht – oder jedenfalls nicht direkt – das, was die moderne Geschichtswissenschaft von ihnen wissen möchte. Der fiktionale Charakter antiker historischer Literatur ist Gegenstand einer offenen Debatte vornehmlich zwischen Althistorikern und klassischen Philologen. Einen bedingt tragfähigen Zugang eröffnet die Quellenkritik: Sie setzt Texte untereinander oder mit anderen – etwa archäologischen – Befunden in Relation und überprüft sie auf ihre innere Kohärenz bzw. eventuelle Widersprüche hin.
Sie fragt mithin nach der Plausibilität des Dargestellten. Aber auch der quellenkritische Ansatz hat seine Grenzen. Er kann zwar offensichtlich fehlerhafte Elemente der Tradition aufspüren und alternative Rekonstruktionen anbieten, wird aber den Schleier zwischen uns und der objektiven historischen „Realität“ niemals ganz lüften können. „Wie es eigentlich gewesen“ (Leopold von Ranke), wird somit immer ein von Klio, der Muse der Geschichte, wohlgehütetes Geheimnis bleiben.