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06.09.1972 - 09:00 – Mellinger Forst bei Friedberg
ОглавлениеZügig, aber nicht zu schnell, bog der dunkelgrüne Range Rover von der Hauptstrasse ab. Der Fahrer kannte die Abzweigung genau und so kamen noch nicht einmal die beiden Gewehre, die in ihren Futteralen auf dem Rücksitz lagen, ins Rutschen. Nur der Irish Setter im Laderaum spreizte seine Pfoten seitwärts ab, um die Fliehkraft aufzufangen.
Auf einem befestigten Feldweg ging es noch etwa einen Kilometer in das Gelände hinein. Eigentlich war es ja unnötig, hier einen Allradwagen zu benutzen, aber dieser Gedanke kam dem Fahrer nicht. Von klein auf war er daran gewöhnt, standesgemäß zu denken und zu leben. Und standesgemäß wäre es gewiss nicht, etwa im Jaguar zur Jagd zu fahren - vielleicht sogar noch mit Chauffeur.
Davon abgesehen, konnte der Fahrer heute keine Zeugen gebrauchen.
"Unnötige Risiken vermeiden", hatte sein Vater ihm zeitlebens eingeschärft. Eigentlich war es für ihn schon ein Risiko, sich privat mit Gloger zu treffen. Aber immerhin hatte der Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Dr. Dr. Albert Gloger, um diese Unterredung gebeten.
Im großen Gang zog der gewaltige V8-Motor den schweren Wagen den letzten Hügel hoch. Der Fahrer lächelte amüsiert, als er den roten BMW-Touring am Waldrand stehen sah. Also war auch Gloger ein vorsichtiger Mann und hütete sich, heute seinen Dienstmercedes zu benutzen.
Kaum hörbar glitt der schwere Wagen über den leicht feuchten Untergrund. Gloger, der im Auto gewartet hatte, bemerkte ihn erst im letzten Moment. Langsam stieg er aus und blieb neben seinem Fahrzeug stehen. Der Rover rollte heran und stoppte.
"Guten Morgen Herr Gloger!", rief der Fahrer durch das herunter gleitende Fenster.
"Guten Morgen", gab Gloger säuerlich zurück. - Elektrische Fensterheber, was für ein Angeber! Und dann diese Anrede ohne Titel! Normalerweise war er es ja gewöhnt, mit mehr Respekt angeredet zu werden. Da half es wohl nur, gute Miene zum bösen Spiel zu machen: "Freut mich, dass Sie sich freimachen konnten."
"Schön, dass wir uns mal privat unterhalten können!" Der Roverfahrer war inzwischen ausgestiegen. "Haben Sie gut hergefunden? Was halten Sie von unserem Treffpunkt?"
Gloger reichte dem anderen die Hand. "War kein Problem, Herr Menzel. Das ist also Ihr Jagdrevier?"
"Nicht exakt", gab Menzel zurück. "Mein eigentliches Revier liegt einige Kilometer weiter westlich. Ein Freund von mir war vor einiger Zeit in Geldverlegenheit. Nun - ich konnte ihm helfen; und so überlässt er mir die Ausübung der Jagd auf seiner Pacht."
"So, so", brummte Gloger. Es war wohl doch keine so gute Idee gewesen, den eleganten Trenchcoat anzuziehen. Neben diesem Vollblutjäger in seinem maßgeschneiderten Lodenanzug kam er sich im Moment reichlich deplaciert vor.
"Wie wär's, wollen wir einen kleinen Spaziergang machen?", forderte Menzel ihn auf. "Ich hätte noch eine Futterstelle zu kontrollieren, die im letzten Winter beschädigt wurde. Mein Forstwart sollte sie inzwischen repariert haben."
Zögernd stimmte Gloger zu. Das feuchte Gras würde seine Halbschuhe bestimmt sofort durchnässen. Aber darauf konnte er heute keine Rücksicht nehmen.
"Ich habe Ihnen eine Waffe mitgebracht." Menzel ging zum Wagen und nahm die Gewehre aus den Futteralen. "Sie können doch mit einer Waffe umgehen?"
"Und ob!" lachte Gloger. "Ich habe schließlich gedient und zwar als die Wehrmacht diesen Namen noch verdiente. Na ja, egal - ich konnte jedenfalls bei Kriegsende noch rechtzeitig abhauen. Zurück ins Bergische, wo ich herkomme. War ja sowieso alles im Zusammenbruch damals."
Wortlos reichte ihm Menzel eine der beiden Waffen, einen Drilling modernster Bauart. Ebenso wortlos luden die beiden Männer die Gewehre.
Gloger stellte seine Waffe auf Kugelschuss ein und folgte Menzel, der schon ein Stück vorausgegangen war.
"Der erste Schuss gehört dem Gast." Menzel schritt kräftig aus. Gloger folgte ihm mehr stolpernd als gehend. Aber die
Gelegenheit, womöglich auf etwas Lebendes schießen zu können, trieb ihn voran.
"Weshalb ich Sie angerufen habe", begann er. "Sie wissen ja, dass von meinem Ministerium ein Auftrag vergeben werden soll, um den sich namhafte Firmen beworben haben."
"Hm." Beide wussten, dass auch Menzels Firma in die engere Wahl gekommen war.
"Nun, ich habe eine erfreuliche Mitteilung für Sie! - Sie werden den Auftrag erhalten, falls -", Gloger machte eine bedeutungsvolle Pause." - falls diese Unterredung zu meiner Zufriedenheit ausfällt."
Menzel blieb stehen und drehte sich zu Gloger um. "Dann stecken Sie den Rahmen doch mal ab", forderte er.
"Dann sind wir uns also einig?" Zufrieden lehnte Gloger an der Schutzhütte, zu der sie während ihres längeren Gesprächs gelangt waren. "Kommen Sie also bitte am nächsten Dienstag vormittags ins Ministerium. Ich nehme an, Sie müssen Ihre Herren erst einmal informieren?"
"Reine Formsache, die Firma bin ich, Herr Gloger! Ohne mein Kapital könnten die in Jahresfrist dichtmachen. Seien Sie sicher, die Heerdt AG kann und will auf Ihren Auftrag nicht verzichten."
"Gut, dann bringen Sie mich jetzt bitte zurück zum Wagen. So langsam kriege ich kalte Füße."
Nach ein paar Minuten erreichten die beiden Männer den Waldrand. Schon vorher war helles Hundegebell zu hören, und hinter Glogers BMW stand ein kleiner gelber Kombi. Unweit davon standen eine Frau und ein etwa siebenjähriges Mädchen und spielten Stockwerfen mit einem kleinen weißen Hund. Das Tier war außer sich vor Freude und raste wie verrückt durch das Gras, wobei es ununterbrochen laut kläffte.
"Jetzt schauen Sie sich das an", Menzel deutete mit dem Kopf auf die Gruppe. "Kein Wunder, dass hier kein gutes Stück Wild mehr steht. Dieses Gebell vertreibt alles, was Beine hat. Hier lässt sich doch tagelang kein Reh mehr sehen."
"He, Sie da!" rief er die Frau an. "Nehmen Sie Ihren Hund an die Leine!"
Erschreckt drehten die Frau und das Kind sich um. "Wieso denn?" Die Frau nahm das Kind an die Hand.
"Das hier ist eine Jadpacht! Die Unruhe stört das Wild! Rufen Sie sofort den Hund zu sich! Oder..."
Mit einem Seitenblick bemerkte Menzel, dass Gloger an seiner Waffe hantierte.
"Susi komm her!" rief die Frau. Aber Susi wollte nicht kommen und lief in großem Bogen auf die Jäger zu.
"Susi!" Die Stimme des kleinen Mädchens war voller Angst. Susi lief weiter.
"Die haben das Vieh nicht unter Kontrolle", raunte Gloger Menzel zu. Susi kam noch ein paar Meter näher und drehte dann in Richtung Waldrand ab. In diesem Moment riss Gloger das Gewehr hoch und drückte zweimal ab. Mitten im Sprung wurde das Hündchen von der ersten Ladung erwischt. Die Wucht des Volltreffers schleuderte das total zerfetzte Tier zirka 10 Meter weit auf den Waldrand zu. Der zweite Schuss riss den Kadaver förmlich auseinander.
"So, erledigt." Gloger stand in Siegerpose neben Menzel. "Ich muss schon sagen: eine feine Waffe - wirklich eine feine Waffe haben Sie da." Liebevoll betrachtete er das Gewehr. "Toll! Wirklich toll!"
Menzel war wie erstarrt. Gloger war ja wahnsinnig, direkt mordlüstern. Die Frau und das Mädchen standen noch immer Hand in Hand auf derselben Stelle. Sie schienen noch gar nicht begriffen zu haben, was passiert war.
"Kommen Sie!" Menzel schob Gloger in Richtung der Autos.
"Wirklich eine tolle Waffe", murmelte Gloger verzückt.
"Behalten Sie sie."
"Wirklich?" staunte Gloger. "Danke!" Eilig wollte er das Gewehr in den BMW legen.
"Der Kugellauf ist noch geladen." Menzel nahm ihm die Waffe ab und entlud die Kammer. Die Patrone steckte er in eine Tasche seines Jagdanzugs.
"So, wir sehen uns dann am Dienstag." Gierig nahm Gloger das Gewehr wieder entgegen und verstaute es in seinem Wagen.
"Fahren Sie jetzt ruhig, ich regele das hier." Menzel schaute zu der Frau und dem Kind hinüber.
"Was gibt's denn da zu regeln?" Gloger ließ den Motor an und fuhr ab.
Die Frau hatte inzwischen das Kind zum Wagen gebracht und kam langsam näher. Menzel entlud sein Gewehr und legte es auf die Rückbank des Rover. Der Setter hatte die beiden Schüsse gehört und sprang aufgeregt auf der Ladefläche hin und her.
"Warum haben Sie das gemacht?" Die Frau stand direkt hinter Menzel. "Susi - war doch ganz harmlos."
"Tut mir Leid - ich selbst hätte nie geschossen."
"Warum hat Ihr Freund das gemacht?"
"Mein Jagdgast beruft sich auf geltendes Recht. Der Hund stand nicht vollständig unter Ihrer Kontrolle."
"Warum bloß?" Die Frau hatte gar nicht zugehört. Über ihren Kopf hinweg sah Menzel das Kind auf dem Rücksitz des Kombiwagens. Die Kleine hatte ihr Gesicht in den Händen verborgen und saß ganz still da. Nur ab und zu schüttelte ein Schluchzen den kleinen Körper.
"Es tut mir wirklich Leid! Kann ich die Sache irgendwie wieder gutmachen?"
"Ja durchaus." Die Frau stemmte die Hände in die Hüften. Der Schock ließ offenbar nach. "Nehmen Sie doch einfach Ihre Scheiß-Flinte und knallen Sie sich den Schädel weg!" Abrupt drehte sie sich um und ging zu ihrem Wagen.
"Warten Sie!" Menzel ging ein paar Schritte hinterher. "Kennen Sie das Reisebüro Zeiler in Frankfurt?"
"Ja!" Die Frau blieb stehen.
"Ich werde dort einen Flug nach Spanien für Sie buchen lassen. Wie viele Tickets brauchen Sie?"
"Ich will nichts von Ihnen. Lassen Sie mich in Ruhe!"
"Verlangen Sie Herrn Zeiler persönlich. Er weiß dann Bescheid."
"Unseren Hund kann uns nichts ersetzen!"
Wütend knallte die Frau die Autotür zu. Beim zweiten Versuch sprang der kleine Wagen an und mit viel zu viel Gas schlingerte er auf dem schmalen Feldweg davon.
Nachdenklich stieg auch Menzel in seinen Wagen. Für heute war ihm die Jagd verleidet. Kurz schaute er noch mal zu dem zerfetzten Kadaver hinüber. Die paar Gramm Fleisch einzugraben lohnte sich nicht. Die Füchse würden den Rest erledigen.
Ein paar Tage später kam die Nachricht, dass die Frau vier Tickets für je zwei Wochen Mallorca abgeholt hatte. Menzel zeichnete mit einem leichten Kopfschütteln die Rechnung ab.