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12.09.1972 - 09:12 – Frankfurt, Heerdt AG, Hauptverwaltung
ОглавлениеDirektor Camberg, seit sieben Jahren Abteilungsleiter der Auslandsniederlassungen der Heerdt AG, war hoch beglückt. Menzel, der große Philip Menzel, hatte ihm heute Morgen sein Vertrauen ausgesprochen und ihm Vollmachten erteilt, von denen er gestern noch nicht zu träumen gewagt hätte.
Als er um 8:30 Uhr in sein Büro gekommen war, hatte seine Sekretärin ihn mit der Nachricht empfangen, dass Dr. Menzel ihn sofort zu sehen wünsche. Mit einem ganz üblen Gefühl in der Magengegend war Camberg in den zwölften Stock hinaufgefahren, wo Menzels Büro lag.
Das letzte Mal, als er seinen Chef gesehen hatte, hatte dieser ihn eiskalt abgefertigt. Vor dem versammelten Aufsichtsrat hatte Camberg Bericht über Zustand und Erfolge seiner Abteilung erstatten müssen.
Menzel hatte ihn dabei mit gezielten Fragen dermaßen in die Enge getrieben, dass Camberg seine übliche Verschleierungs- und Beschönigungstaktik hatte aufgeben müssen. Gnadenlos hatte Menzel selbst kleinste Fehler und Vergehen aufgedeckt. Am Schluss der Sitzung standen die Auslandsniederlassungen da, als seien sie ein absolut uneffektives, schlecht geführtes Anhängsel der Heerdt AG. Camberg war einem Herzanfall recht nahe gewesen. Seit dieser Sitzung vor vierzehn Tagen erwartete er eigentlich täglich seine Beurlaubung.
"Morgen Herr Camberg", Menzel saß in seinem Büro am Besuchertisch. "Setzen Sie sich!"
Zögernd folgte Camberg der Aufforderung. Mit einem raschen Blick erkannte er, dass Menzel die Kenia-Handakte vor sich ausgebreitet hatte.
Darum ging es also! - Wallmann dieser Idiot. Das hätte er sich denken können. Klar, dass Menzel nun das mieseste Projekt der ganzen Abteilung benutzte, um ihn, Camberg endgültig abzuschießen.
In diesem Moment brach in Camberg wieder ein Stück der alten Kämpfernatur durch, die ihn in diese Stellung gebracht hatte. Er ging in die Offensive: "Was hat Wallmann denn jetzt schon wieder ausgefressen?"
"Wallmann und seine Leute interessieren mich nicht im Geringsten." Menzel sah kaum auf. "Kenia soll ausgebaut werden. Ich möchte mit Ihnen die Einzelheiten besprechen."
Camberg war verblüfft. Mit dieser Wendung hatte er nicht gerechnet. Offenbar ging es hier gar nicht um seinen Kopf. Gespannt beugte er sich vor und wartete Menzels weitere Worte ab.
"Passen Sie auf! Ich habe sämtliche Weisungen bereits schriftlich fixiert und möchte die Einzelfakten in etwa einer Stunde mit Ihnen durchsprechen. Nehmen Sie sich bitte den weißen Schnellhefter von meinem Schreibtisch, und machen Sie sich mit dem Projekt vertraut. Ziehen Sie sich bitte solange in den kleinen Konferenzraum zurück. Ich erwarte Sie dann um Zehn!"
Camberg stand auf.
"Übrigens", hielt Menzel ihn zurück, "die Akte bleibt unter allen Umständen in dieser Etage! Ich habe meine Sekretärin angewiesen, Ihnen zur Erledigung dieser Angelegenheit einen Arbeitsraum hier oben einrichten zu lassen. Morgen können Sie umziehen. Regeln Sie das bitte mit Ihrem Stellvertreter."
Um zehn Uhr stand ein völlig verwandelter Direktor Camberg vor Menzels Schreibtisch. Gestern noch war er der Verwalter von acht unbedeutenden Dorfkrankenhäusern gewesen. Heute dagegen wurde er beauftragt, innerhalb eines halben Jahres ein Forschungs- und Entwicklungszentrum aus dem Boden zu stampfen, das jeder europäischen Universität zur Ehre gereicht hätte. Das einzig Merkwürdige an der ganzen Sache war, dass ausgerechnet seine Abteilung diesen Auftrag erhielt. Aber der Chef würde wohl seine Gründe haben, für die Heerdt-Klinik in Kenia einen zusätzlichen Jahresetat von 52 Millionen DM auszusetzen. 52 Millionen, ein Mehrfaches der bisherigen Ausgaben für die ganze Abteilung! Die Auslandsniederlassungen waren bislang finanziell immer knapp gehalten worden. Und jetzt, 52 Millionen für ein einziges Projekt? Camberg fragte lieber nicht nach.
"Sie fragen sich sicher, wieso wir ausgerechnet in Kenia investieren wollen", eröffnete Menzel das Gespräch. "Ich will es Ihnen kurz erklären: Unser Auftraggeber, der im Übrigen ungenannt bleiben möchte und dessen Gelder wir verwalten, hat uns einen Forschungsauftrag auf chemisch- biologischem Sektor erteilt.
"Sicher, sicher", etwas Intelligenteres fiel Camberg im Moment nicht ein.
Menzel lächelte dünn. "Wegen der bekanntlich absolut überzogenen Sicherheitsvorstellungen unserer Behörden können wir das hier nicht durchführen. Auf deutschem oder europäischem Boden wäre dieses Projekt mit einem Aufwand verbunden, der jeden Kostenrahmen sprengen müsste. Daher haben wir uns entschlossen, die neue Abteilung in Kenia, auf unserem dortigen Gelände zu installieren."
"Verstehe", Camberg nickte eifrig.
"Mit den dortigen Behörden wurde bereits verhandelt", fuhr Menzel fort, während er mit seinem silbernen Kugelschreiber im Takt seiner Worte auf den Zeigefinger der linken Hand klopfte. "Rechtlich gesehen ist alles unter Dach und Fach. Die baulichen Maßnahmen können quasi sofort beginnen. Von Ihnen, Herr Camberg, erwarte ich die reibungslose Abwicklung des gesamten Projekts." Menzel hatte sich vorgebeugt und zielte mit dem Kugelschreiber auf Cambergs Magengegend. "Ich lasse Ihnen vollständig freie Hand. Aber ich erwarte Erfolge von Ihnen! Innerhalb von sechs Monaten hat in Kenia ein Labor zur Verfügung zu stehen, das den Anforderungen auf das Genaueste entspricht. Weitere Anweisungen erhalten Sie im Laufe des Tages. Jetzt gehen Sie bitte hinunter, und setzen Sie Ihren Stellvertreter als kommissarischen Leiter Ihres Ressorts ein."
Camberg wandte sich zum Gehen.
"Herr Camberg, vorab noch eins. Sie erstatten mir täglich persönlich Bericht!"
Camberg nickte und ging zur Tür. Dort zögerte er einen Moment und wandte sich erneut zu Menzel um. "Übrigens - ich bräuchte noch einen Assistenten."
Menzel stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch, verschränkte die Finger und sah darüber hinweg auf Camberg. "An wen hatten Sie gedacht?"
"An Brinker. Brinker ist sehr zuverlässig."
"Brinker ist zu weich, nehmen Sie Seidel!" entschied Menzel.
"In Ordnung." Camberg grüßte knapp und öffnete die Tür.
So ist das also, wenn man direkt mit dem Chef zusammenarbeitet, ging es Camberg durch den Sinn, als er auf den Aufzug wartete. Vollständig freie Hand hatte Menzel ihm versprochen. Das fing ja gut an!