Читать книгу Die chinesische Messaging-App WeChat als virtuelle Sprachinsel - Michael Szurawitzki - Страница 7
2.1. Christliche Mission
ОглавлениеDen Beginn der kulturellen Kontakte zwischen dem deutschsprachigen Raum und China markierte die über Jahrhunderte aktive1 christliche Mission (für einen Gesamtüberblick und weiterführende Literatur vgl. Kramers 1974), die schon kurz nach 1300 nachweisbar ist. Hierbei war das angestrebte Kommunikationsziel natürlich eine Bekehrung einer möglichst großen Anzahl Chinesen zum christlichen Glauben. Ich stütze mich in meiner Darstellung auf den Handbuchartikel von Grimm/Bauer (19742), die Folgendes feststellen:
Der erste in China nachweisbare deutsche Missionar, ein Franziskanermönch namens „Bruder Arnold“ aus der kölnischen Provinz, predigte 1303 im heutigen Peking. Nur wenig später wurde erstmalig auch der Name Deutschlands notiert: als A-lu-mang-ni-a auf der etwa 1330 erschienenen Weltkarte des Li Tse-min. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 250; Hervorhebungen i.O.)
Die Franziskanermönche hatten die später mit pax mongolica bezeichnete Stabilisierung im Inneren des Mongolischen Reiches als Gelegenheit genutzt, um ihren Wirkungskreis weiter nach Osten auszudehnen. Den Franziskanern folgten nach einem signifikanten zeitlichen Abstand schließlich im Laufe des 16. Jahrhunderts missionierende Jesuiten. Diese prägten in Person u. a. ihres bekanntesten Vertreters, Matteo Ricci (von Collani 2012: 39-56), auf lange Zeit den Wissensstand, den man im Reich der Mitte zu Deutschland hatte:
[Collani brachte] 1584 eine mit Anmerkungen versehene Weltkarte in chinesisch [sic] heraus[], die auch auf Deutschland (Ju-erh-ma-ni-ya) Bezug nahm. Die dort sowie in dem ebenfalls von Patres auf kaiserlichen Befehl verfaßten Erläuterungswerk Chih-fang wai-chi (1623) niedergelegten, aufs Anekdotische beschränkten Notizen bildeten, immer wieder abgedruckt und in andere Schriften übernommen, bis ins 19. Jh. hinein für China die Hauptquelle der Deutschlandkenntnis. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 250; Hervorhebungen i.O.)
Die Vermittlung einer klaren Vorstellung von Deutschland war jedoch für geraume Zeit, einerseits aufgrund der changierenden Bezeichnungen im Chinesischen (vgl. oben; heute wird Deutschland im Chin. 德国 déguó genannt), andererseits aufgrund der französischen bzw. italienischen Herkunft der meisten Patres, schwierig. Ausnahmen gab es aber auch:
Ein gelehrter deutscher Jesuitenpater, Johann Adam Schall von Bell, stieg […] im Gründungsjahr der Mandschu-Dynastie (1644) immerhin zum Direktor des astronomischen Kalenderamtes auf, in dem auch später noch wiederholt deutsche Patres wirkten. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 250)
Hierbei wissen wir einerseits gesichert über das Wirken Deutschsprachiger in China, andererseits können wir nicht rekonstruierend einschätzen, wie sie tatsächlich (mit den Chinesen?) kommunizierten. Die Berichte der Jesuiten lösten im Europa des späten 17. und des 18. Jahrhunderts später eine Chinabegeisterung aus (zur Geschichte der Chinarezeption vgl. von Collani 2012, Kap. IX, 145-161, vgl. für eine detaillierte Aufstellung der deutschsprachigen Drucke der Chinareisenden im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit Jandesek 19923), die aber vor allem Frankreich erfasste. Im Vergleich war in Deutschland die Stimmung verhaltener bzw. ambivalenter:
Als Fürsprecher für einen engeren Kontakt zwischen der europäischen und der chinesischen Kultur trat Leibniz4 auf (Novissima Sinica, 16915), der die praktische Philosophie in dem seiner Ansicht nach vollendet geordneten Reich der Mitte besser verwirklicht glaubte und den Wunsch aussprach, daß lieber von dort Missionare nach dem Westen geschickt werden sollten. Viel skeptischer war dagegen Goethe, der das Chinesische vorwiegend als eine „Kuriosität“ gewertet wissen wollte, sich aber dennoch in einigen Werken (vor allem in den Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten) von Übersetzungen aus dem Chinesischen anregen ließ. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 250; Hervorhebungen i.O.)
Leibniz dürfte trotz seines Einflusses mit seiner Meinung eher wenige Unterstützer gefunden haben, so dass die Vorstellung einer dem Westen überlegenen chinesischen Kultur so kaum weiter verbreitet worden sein kann. Kulturelle Gleichberechtigung wurde nicht angestrebt, ein kommunikativer Austausch auf Augenhöhe sollte noch Jahrhunderte lang nicht stattfinden; zu stark wirkten die Positionen aus den Heimatländern der Missionare. Auf einen Dialog mit den Chinesen wurde nicht gesetzt.
Die Jesuiten zogen sich nach dem sog. Ritenstreit Mitte des 18. Jahrhunderts, in dem man sich über die Art und Weise, wie christliche Mission in Asien generell zu betreiben sei (vgl. Huonder 1921, Minamiki 1985, Mungello 1985), entzweit hatte, aus China zurück. Ihren Platz nahmen während des 19. Jahrhunderts, das in der deutschsprachigen Sinologie v. a. die Chinesische Grammatik (1881) von Georg v.d. Gabelentz sah (Franke 1974: Sp. 1232), Andere ein:
[So] kamen im 19. Jh. andere katholische Missionen (so z. B. seit 1881 die Steyler Patres, darunter viele Deutsche) und vor allem auch protestantische Missionare nach China, unter denen die deutschen (u. a. die „Berliner Mission“ und die „Baseler Mission“) gegenüber den angelsächsischen freilich eine untergeordnete Rolle spielten. Einer der frühesten war der erst im Dienst der „Niederländischen Missionsgesellschaft“, dann als freier Missionar tätige Karl Friedrich August Gützlaff, der in China („Papa Kuo“) wie in Deutschland zu einer etwas zwiespältigen Berühmtheit gelangte, 1833 eine chinesische Zeitschrift über europäische Themen, die auch eine Beschreibung Preußens enthielt, und ca. 1844/45 eine chinesische Weltbeschreibung (Wan-kuo ti-li ch’üan t’u chi) herausgab, die eine Schilderung Deutschlands mit einschloß. Wie alle anderen Missionen wurden jedoch auch die deutschen allmählich immer mehr in die Kolonialinteressen ihres Heimatlandes verstrickt: Die Tötung zweier Steyler Patres (1897) gab Deutschland den Vorwand für die Besetzung des Kiaochow (Chiao-chou)-Gebietes, die am 6. März 1898 durch einen „Pachtvertrag“ legalisiert wurde. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 250-251; Hervorhebungen i.O.)
Die oben beschriebene eurozentrische Kommunikations- und Aktionsperspektive der Missionare wurde in anderer, analoger Form vom Kolonialismus abgelöst. Der Abschluss des oben zitierten Passus bietet eine für unseren Kontext geeignete Überleitung: Im Folgenden betrachten wir die kolonialen Bestrebungen des Deutschen Reiches in China.