Читать книгу Die chinesische Messaging-App WeChat als virtuelle Sprachinsel - Michael Szurawitzki - Страница 9

2.3. Zwischenkriegszeit

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Durch die geopolitische Lage, die sich im Laufe des Ersten Weltkrieges und nach seinem Ende ergab, entstand für das Spannungsfeld zwischen China und Deutschland eine besondere, eine gegenseitige Annäherung begünstigende Situation:

Die Einnahme Kiaochows durch Japan nach zehnwöchiger Belagerung am 7. Nov. 1914 und die nach einer anfänglichen Neutralitätserklärung vom 6. Aug. 1914 auf Drängen der USA am 14. Aug. 1917 erfolgte Kriegserklärung Chinas an Deutschland legten zunächst zwar alle deutschen Kultureinrichtungen lahm (die von Missionen betriebenen allerdings nur mit Einschränkungen), erwiesen sich aber in der Folge als eine fast vorteilhafte Niederlage: Das Nachrücken Japans in die Positionen der ehemaligen deutschen Kolonialmacht, das durch den am 28. Juni 1919 von China endgültig abgelehnten Versailler Vertrag von den Westmächten sanktioniert wurde, brachte China und Deutschland als gemeinsame Verlierer nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch kulturell näher. Der offiziellen Erklärung der Beendigung des Kriegszustandes zwischen den beiden Ländern durch Präsident Wilson (Sept. 1919) folgte am 20. Mai 1921 das deutsch-chinesische Abkommen, das als erster Vertrag mit einer europäischen Macht auf den Grundsätzen der völligen Gleichstellung beruhte. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 252)

In Chinas Augen wurde Deutschland so in einer Art Umkehrung der kolonialen Geschichte zu einem Modellfall, wie die Beziehungen zu westlichen Nationen in der Zukunft ausgestaltet werden könnten. Hier bestanden Chancen auch zu mehr interkulturellem Austausch mit den in China präsenten Deutschen. Deutschland verfolgte dennoch eigene wirtschaftliche Ziele und wollte weiter in China Handel treiben können:

Die Vertreter der deutschen Chinawirtschaft wollten […] nichts von größeren Kompromissen, Zugeständnissen und Rücksichtnahmen in China wissen. Keinesfalls sollten die „legitimen Ansprüche“ – z. B. auf ein Niederlassungsrecht – aufgegeben werden, wie es der Ostasiatische Verein in einer Stellungnahme zu einer Denkschrift der Deutsch-Chinesischen Verbandes über „Friedensziele in China“ formulierte […]. (Ratenhof 1987: 283)

Schmitt-Englert (2012) illustriert in ihrer Studie, die auf in der Zeit zwischen 1920 und 1950 in China lebende Deutsche fokussiert, dass es verschiedene Zentren gab, an denen Deutsche angesiedelt waren. Hierbei geht sie jeweils ausführlich auf Shanghai, Tianjin und Beijing ein und inkludiert auch Aspekte zum Alltagsleben. Allerdings gibt es in ihrer Studie keine explizite Kommunikation mit den Chinesen thematisierende so benannte Abschnitte. Aus Umfangsgründen kann in der vorliegenden Studie nicht näher auf die Lebensumstände der deutschen Population in diesen Städten während dieser Zeit eingegangen werden. Szurawitzki (i.V.) betrachtet am Beispiel der Shanghaier Publikation Gelbe Post zu Zeiten jüdischer Immigration auf der Flucht vor den Nationalsozialisten Werbekommunikation für und durch Flüchtlinge, deren Identitäten sich teils auch in der Werbung spiegeln. Insgesamt stellen diachrone linguistische Studien zur Kommunikation v. a. in der Shanghaier Diaspora ein übergreifendes Desiderat in der Forschung dar. Hierzu ließen sich geeignet u. a. die digitalen Archive des Leo Baeck Institutes1 nutzen, die v. a. für Shanghai Tausende Digitalisate enthalten.

Zurück zu den größeren wirtschaftlich-politischen Linien der Zeit: Mit Blick auf spätere Geschäftstätigkeit hatten deutsche Handelskreise Japan signalisiert, keine Ansprüche auf die Kolonialgebiete um Qingdao zu erheben, um später vielleicht in den Genuss von wirtschaftlichen Vorteilen zu gelangen (Ratenhof 1987: 283). Diese Vorstellungen sollten sich zunächst aber in der Praxis nicht umsetzen lassen, die Geschäfte liefen nicht vergleichbar gut wie vor dem Krieg (Ratenhof 1987: 284-286). Erst gegen Mitte der 1920er Jahre konnten in den Ausfuhren nach China, aber auch nach Japan, die besten Vorkriegsjahre übertroffen werden (Ratenhof 1987: 291). Dennoch achtete die deutsche Wirtschaft darauf, dass auch kulturelle und auf Kommunikation setzende Projekte forciert wurden, hierbei vor allem der Wiederaufbau der 1907 in Shanghai mit deutschen Mitteln eingerichteten Tongji-Universität (Ratenhof 1987: 296; vgl. hierzu auch 2.6. unten). Ein zentrales Interesse zur Anknüpfung an alte wirtschaftliche Erfolge sollte der Rüstungsindustrie (vgl. oben) zukommen:

Über die Wiederaufnahme rüstungswirtschaftlicher Beziehungen und guter Verbindungen zum chinesischen Militär in China [sic] hoffte sie [die deutsche Chinawirtschaft; MSZ], die Geschäftsgrundlage langfristig stabilisieren zu können. Die Industrie blickte hierbei bereits seit Anfang der 20er Jahre vor allem nach Südchina. Die Kuomintang-Gegenregierung in Canton schien die beste Aussicht zu bieten, China zu einigen und die Modernisierung auch zum Vorteil der deutschen Wirtschaft fortzuführen […]. (Ratenhof 1987: 299)

Politisch erwies sich die Umsetzung von Geschäften mit Rüstungsgütern mit der Kuomintang aber als schwierig, einerseits aus den Regelungen des Versailler Vertrags, andererseits aus politischen Vorbehalten heraus (vgl. Ratenhof 1987: 306). Es wurde zunächst der Handel mit relevanten Ersatzteilen wieder angeschoben, insgesamt konnte aber nicht an die Situation der 1870er Jahre angeknüpft werden:

Die Hoffnungen der deutschen Industrie, wieder stärker ins chinesische Rüstungsgeschäft einzudringen, konnten trotz der „laissez-faire“-Haltung der Reichsregierung gegenüber deutschen Beratern und Technikern in China […] nur teilweise erfüllt werden. Obwohl die Chinesen deutsches Rüstungsmaterial äußerst schätzten, blieb die Situation der Rüstungswirtschaft auf dem chinesischen Markt in noch weit größerem Maße […] unbefriedigend. (Ratenhof 1987: 310)

Als schwierig zeigte sich neben traditionell (selbst heute noch) schwer zu führenden Verhandlungen auch die innenpolitische Lage in China. Wollte Deutschland die Militärmachthaber im Norden stützen oder eher die kommunistische Gegenregierung im Süden, die offen wohlwollend Deutschland gegenüberstand (Ratenhof 1987: 315)? Die wirtschaftlichen Interessen der Konzerne lagen hier mit den Vorstellungen des Auswärtigen Amtes über Kreuz. Insofern entstand eine Situation, in der der Handel mit dem Norden wie dem Süden – mit Fokus auf dem Norden – quasi durch das AA geduldet wurde, das Ministerium jedoch die Kaufleute darauf eindrücklich hinwies, dass von Seiten der Reichsregierung bei Konflikten keine Unterstützung für sie zu erwarten sei (Ratenhof 1987: 313, 323). Wirtschaftliches Engagement in China wurde weiterhin geduldet, aber ohne eine größere offene politische Agenda oder Einflussnahme (Ratenhof 1987: 324):

Die Neutralitätspolitik der Reichsregierung in China, die sich Ende 1926 bewusst als eigenständiger Weg zwischen den Bürgerkriegsparteien und zwischen den Mächten verstand, suchte zwar weiterhin die Nähe zum Westen, wollte sich aber keinesfalls in den russisch-angelsächsischen Konflikt in China einmischen oder sich von irgendeiner Macht in eine chinafeindliche Position drängen lassen. (Ratenhof 1987: 337)

Neben deutschen Importen nach China gelang es ab Mitte der 1920er Jahre auch chinesischen Firmen, mit ihren Erzeugnissen in das Exportgeschäft Richtung Deutschland einzusteigen (Ratenhof 1987: 339-340). Hier erweitert sich die Sphäre des Handelsaustausches und somit der Notwendigkeit von mehr Kommunikation, bei der die Chinesen als gleichberechtigte Geschäftspartner angesehen werden. Insgesamt zeigte sich die deutsche Wirtschaft nicht zufrieden mit dem Ende in China der 1920er Jahre erreichten Geschäftsvolumen, das weit hinter den Großmächten zurückblieb (Ratenhof 1987: 342-344). Die – für die Deutschen sehr lukrativen – Waffengeschäfte waren für den Norden wie für den Süden Chinas ein Zankapfel, der sowohl das diplomatische Korps in Peking wie die Reichsregierung von beiden Seiten unter Druck setzte (Ratenhof 1987: 343). Offiziell war der politische Kurs mehr in Richtung Japan ausgerichtet, zu China sollte eine Neutralität des diplomatischen Austausches gewahrt bleiben. Die deutsche Wirtschaft jedoch strebte eine stärkere Unterstützung der Kuomintang im Süden Chinas an (Ratenhof 1987: 348). Diese von der Industrie forcierte Linie zur Aufrüstung fand bei den eher an internationalen Lösungen interessierten Diplomaten naturgemäß weniger Anklang (Ratenhof 1998: 353-355). Bevor wir weiter auf die politisch-wirtschaftlichen Entwicklungen blicken, richten wir im Folgenden den Fokus auf die sich parallel vollziehenden Schritte kulturellen Austausches zwischen Deutschland und China.

Seit den Studentenprotesten gegen den Versailler Vertrag in der sog. Bewegung des 4. Mai im Jahre 1919 war eine „erhöhte kulturelle Weltoffenheit“ (Grimm/Bauer 1974: Sp. 252) in China zu spüren, die sich positiv auf die Rezeption der deutschen Kultur auswirkte. Dies betraf u. a. die Werke von Marx und Engels, die bis heute Pflichtlektüre für alle Studierenden an Universitäten sind, Schopenhauer, Kant, Nietzsche, Goethe, den Gebrüdern Grimm, Schiller, Heine und Anderen (ebd.). Grimm/Bauer (1974: Sp. 253) konstatieren, dass diese „neuen geistigen Beziehungen“ nach Deutschland zurückwirkten, dessen Sinologie mittlerweile von den Kategorien der Soziologie und Ethnologie beeinflusst war, nachweislich ein Verdienst von August Conrady (Franke 1974: Sp. 1233):

Mit China befaßte kulturelle Vereinigungen bestanden in Deutschland z.T. schon seit vor dem Weltkrieg, so namentlich die „Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens“, die „Gesellschaft für Ostasiatische Kunst“, der „Ostasiatische Verein Hamburg-Bremen“ und der 1914 aus dem Kulturausschuß der „Deutsch-Asiatischen Gesellschaft“ hervorgegangene „Verband für den Fernen Osten“, von denen die beiden letzten allerdings in erster Linie wirtschaftliche Interessen vertraten. Sie wurden aber nach dem Weltkrieg durch eine Reihe weiterer Institutionen verstärkt. Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang das 1925 eröffnete China-Institut an der Universität Frankfurt/Main. Sein Gründer und erster Direktor, Richard Wilhelm, der 1899 als evangelischer Missionar nach China gegangen war, hatte mit seinen Schriften und Übersetzungen aus dem Chinesischen eine große Wirkung auf das deutsche Publikum, die auch heute noch spürbar ist. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 253)

Diese Einschätzung kann heute noch als valide angesehen werden, wie man der Literatur zum Schaffen Richard Wilhelms, das hier aus Umfangsgründen nicht ausführlich gewürdigt werden kann, entnehmen kann. Eine seiner bis heute erhältlichen Übersetzungen ist diejenige des Buchs der Wandlungen (z. B. Wilhelm 2005); für eine ausführliche Nachzeichnung von Wilhelms letztem Lebensjahrzehnt 1920–1930 vgl. Zimmer (2008). Weitere sinologische Zentren bildeten sich in Hamburg (Otto Franke war seit 1909 der Inhaber der ersten planmäßigen China-Professur in Deutschland), Berlin und Leipzig (Franke 1974: Sp. 1233). Nach 1933 erlitt die Sinologie in Deutschland durch die Auswanderung bedeutender Forscher „einen schweren Rückschlag“ (Franke 1974: Sp. 1234).

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten „gerieten die deutsch-chinesischen Beziehungen zwangsläufig in eine schwierige Situation, selbst wenn zunächst noch das ,Deutschland-Institut‘ in Peking gegründet werden konnte“ (Grimm/Bauer 1974: Sp. 253). Weiter erschienen u. a. in Shanghai, Peking und Tianjin deutschsprachige Zeitschriften (eine Übersicht ist aus geschichtswissenschaftlicher wie linguistischer Sicht Desiderat), auch Deutschunterricht gab es in China. Seit 1933 existierte in Shanghai aufgrund v. a. jüdischer Emigration eine große deutschsprachige Kolonie (vgl. Szurawitzki 2017a: 3-6). Parallel gab es in Deutschland weiter viele chinesische Studierende:

Nachdem zwischen 1919 und 1933 insgesamt 265 Chinesen in Deutschland promoviert hatten […], lagen sie [1939 und 1940] gar an der Spitze aller ausländischen Promovierten. (Grimm/Bauer 1974: Sp. 254)

Diese sich damals schon zeigende Tendenz gilt heute auch wieder, indem die chinesischen Studierenden mit 36.915 (2018) die größte ausländische Gruppe von in Deutschland immatrikulierten AusländerInnen darstellen2. Mit dem Hereinbrechen des Zweiten Weltkrieges brachen sukzessive alle kulturellen Beziehungen ab.

Deutschland hatte in China seinen „eigenen wirtschaftlichen und politischen Spielraum“ (Ratenhof 1987: 539) signifikant erweitern können, auch wenn man von den westlichen Großmächten insgesamt politisch abhängig gewesen war und öfter aufgrund der eigenen Interessen – wie Waffengeschäften – Ärger mit ihnen heraufbeschwor. Eine gewollte militärische Modernisierung der verschiedenen Machthaber in China (Ratenhof 1987: 540) begünstigte die Auftragslage der deutschen Firmen. Zwischen 1933 und 1938 beteiligte sich Deutschland so aktiv an der „Wehrhaftmachung des Staates“ (Ratenhof 1987: 542).

Die deutsche Außenpolitik ließ insgesamt die innenpolitischen Anliegen Chinas außen vor und setzte auf Weltmachtstreben und einen nationalen Revisionismus (Ratenhof 1987: 541). Das Militär übernahm auch in der Außenpolitik in Richtung China die Führung (Ratenhof 1987: 544). China sei potenziell ein auszubeutender Rohstofflieferant, nicht viel mehr (ebd.). An dieser Stelle kommen (wieder) koloniale Denkmuster, auch mit Blick auf die Kommunikation, zum Tragen.

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