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02 VERGANGENHEIT

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Gondwana war jahrhundertelang eine friedliche Welt gewesen. Neben den Menschen existierten auf meinem Heimatplaneten nur zwei weitere, höher entwickelte Lebensformen. Eine davon waren die Uhleb, humanoide Kreaturen von kleinem Wuchs und ebensolchen Bedürfnissen. Das Volk der Uhleb besiedelte einst weite Teile Gondwanalands. Wann und warum es sich teilte, und welcher Teil das angestammte Gebiet (das die Menschen schlicht „Uhleb“ nannten) verließ, um neue Siedlungen im Norden zu gründen, liegt im Dunkeln. Fest steht unwiderlegbar, wo sie sich erfolgreich niederließen: Anfangs in den fruchtbaren Gebieten zwischen den Hügeln von Ithra und dem Fluss Sokwa. Später siedelten sie auch westlich davon und erreichten die südlichen Ausläufer des Zentralmassivs, einer Klimagrenze, die den flächenmäßig um ein Vielfaches kleineren und kühleren Nordostzipfel des Kontinents vom heißen, trockenen Süden trennt. Abschließend stießen sie in den regenreichen und für ihren Geschmack eigentlich unwirtlichen Norden des Kontinents vor, nach Aotearoa.

Immerhin die Triebfeder hinter dieser letzten Völkerbewegung ist bekannt. Freiwillig traten die Uhleb nicht in Konkurrenz zu den Menschen, die Aotearoa als ihr eigen betrachteten.

Den tiefen Süden des Kontinents, von Fennosarmatia bis hinunter in das Eisgebirge, konnten weder Mensch noch Uhleb jemals meistern. Er blieb sich selbst und natürlich den Opreju überlassen. Die Landmasse im Westen, den Menschen ein Begriff unter dem Namen Kenorland, blieb durch eine natürliche Barriere versperrt, einem gewaltigen Gebirgszug, welcher den Kontinent Gondwanaland von Nord nach Süd durchzieht und in zwei ungleich große Teile aufspaltet. Die ersten Menschen, die sich daran machten ihn zu überwinden, scheiterten an seiner schieren Größe. Nur wenigen abenteuerlustigen Seefahrern war es gelungen, das sagenhafte Land jenseits des Barrieregebirges auf dem Seeweg über die unberechenbare Tethys zu erreichen. Nur eine Handvoll kehrte zurück, um davon berichten zu können. Sie sprachen unabhängig voneinander von undendlichen Weiten, üppig und fruchtbar an ihren Rändern, aber karg und versteppt im Inneren. Ihre zweifelhaften Berichte von Fabelwesen, die dort angeblich vorkamen, stießen auf berechtigtes Unverständnis. Niemand konnte sich mit schuppigen Panzern versehene Sechsbeiner von den vielfachen Ausmaßen einer Kuh, ausgestattet mit langen, peitschenförmigen Schwänzen, auch nur im Entferntesten vorstellen. Ebenso fragwürdig blieben die Darstellungen immens hoher Baumriesen, die in den Himmel reichten, soweit man sehen konnte und angeblich über Stämme verfügten, die eine Kette aus fünfzig Männern nicht umfassen könnte. Der namenlose Westen Gondwanalands schien über eine Flora und Fauna zu verfügen, die sich gänzlich von der im Osten unterschied. Nur wenige glaubten diesen Berichten. Vielleicht hätten sich die Menschen irgendwann ernsthaft aufgemacht, dieses Wunderland auf der anderen Seite des Barrieregebirges zu erkunden, wäre ihnen der katastrophale Krieg gegen die Opreju nicht dazwischengekommen. Danach stand den wenigen Überlebenden nicht mehr der Sinn nach Entdeckungen.

Den Opreju als Gegner gegenüberzustehen, der dritten höher entwickelten Lebensform Gondwanalands, brachte die Menschen an den Rand der Vernichtung. Wie war es dazu gekommen? Eine gute Frage. Letztlich gibt es keine gesicherten Belege, weshalb die beiden so unterschiedlichen Völker in Konflikt gerieten.

Die Opreju lebten im Grunde genommen genau dort, wo weder Uhleb noch Menschen freiwillig einen Fuß gesetzt hätten, vornehmlich in Fennosarmatia. Dieser weite Landstrich tief im Süden, zwischen Ithra und dem Taorsee gelegen, besteht größtenteils aus lebensfeindlichen Wüsten und Einöden. Eigentlich konnten sich Mensch und Opreju nicht in die Quere kommen, da sie praktisch in verschiedenen Welten lebten.

Und doch taten sie es.

Die bestenfalls entfernt humanoid wirkenden Opreju, im Gegensatz zu Menschen und Uhleb von riesigem Wuchs (sie erreichen eine Körperlänge von bis zu vier Metern) hatten sich ihrerseits ebenfalls aufgemacht, neue Teile Gondwanalands zu bevölkern. Da ihr Drang nach Norden gerichtet war, stießen sie unweigerlich auf die von Anfang an unterlegenen Stämme der Uhleb, deren Zahl innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums rapide abnahm. Aus Ithra verdrängt, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich nach Norden zu orientieren, nach Aotearoa, wo sie in Konflikt mit den Menschen gerieten, die die stete Zuwanderung misstrauisch beobachteten. Auseinandersetzungen blieben naturgemäß nicht aus, und das friedliche Nebeneinander fand ein blutiges Ende.

Die Menschen beanspruchten lange Zeit nur ein verhältnismäßig kleines Siedlungsgebiet im zentralen Aotearoa, das sie Otago nannten. Erst viel später wurden sie auch nördlich davon ansässig, in einem Gebiet, das sie Avenor tauften. Nach Beginn der Konfrontation mit den Uhleb dehnten sie ihre Ansprüche unverhältnismäßig weit bis an den Skelettfluss aus, die natürliche Grenze zwischen Aotearoa und Laurussia, das damals noch den Otygen, einem Stamm der Uhleb, gehörte. Ihre nicht wenigen Siedlungen wurden von den Menschen niedergemacht. Dörfer verschwanden eines nach dem anderen, bis keines mehr übrig war.

Im Norden Aotearoas, auf der Halbinsel Avenor, endete die friedliche Koexistenz erst spät, dies belegen die wenigen Aufzeichnungen der Otygen, die sich die Schriftsprache der Menschen angeeignet hatten und ihre ureigene Geschichte niederschrieben, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Auf Randgebiete zurückgedrängt, fristeten die Überreste eines einst weitverbreiteten Volkes nur noch ein Schattendasein. Als mit der Invasion der Opreju der Große Krieges schließlich auch Avenor erreichte, verlieren sich die Spuren der Uhleb für immer.

So brachte man es uns bei, und genau so begriffen wir unsere Welt. Nicht den geringsten Grund gab es, diese grundlegenden Gegebenheiten, die Geschichte meines Volkes, anzuzweifeln. Ich kannte niemanden, der auf den Gedanken gekommen wäre, dass vielleicht nicht alles was zuhause gelehrt wurde den Tatsachen entsprach. Warum auch sollte man uns anlügen, uns vorsätzlich Unwahrheiten weitergeben?

Doch schon bald sollten mich erste Zweifel plagen. Zweifel, die schlussendlich ein Räderwerk in Bewegung zu setzen wussten, welches sich, einmal in Gang gebracht, nicht mehr stoppen ließ.

Rob und ich blieben zwei weitere Tage auf Radan. Mein Bruder kümmerte sich darum, das Boot wieder flott zu kriegen. Ich dagegen fand nur noch Augen für den Schatz, den wir gefunden hatten. Der überwiegende Teil der Schriften blieb mir verschlossen, da ich die geschriebene Sprache nicht verstand. Ich befasste mich deswegen ganz und gar mit der Sichtung dessen, was ich zu entziffern in der Lage war.

Nun waren weder Rob noch ich geübte Leser, da diese Fertigkeit in Stoney Creek nicht traditionell gelehrt wurde. In einer Welt, in der die Fähigkeit zu lesen zum Überleben nicht wichtig war, legte auch niemand viel Wert darauf, sie zu beherrschen. Nur wenige Kinder meiner Heimat (einschließlich Rob und mir) kamen in den Genuss, Lesen zu lernen. Meine Mutter bestand darauf, und so fügten wir uns wenn auch widerwillig. Wie so oft erweisen sich viele Dinge, denen man als Kind mit Ablehnung begegnet, im späteren Leben als wahrer Segen.

In Stoney Creek existieren zudem nur wenige handschriftlich verfasste oder gar gedruckte Aufzeichnungen aus der Alten Zeit. Viel Lesestoff war folglich nicht vorhanden. Das meiste davon befand sich mehr oder weniger verborgen in Privatbesitz. Fürwahr kein großer Anreiz, um überhaupt Lesen lernen zu wollen. Dessen ungeachtet insistierte unsere kluge Mutter vehement. Und sie setzte sich letzten Endes durch. Lesen und Schreiben zählen zu den Fähigkeiten, die einmal erlernt auch ohne große Pflege nie mehr verloren gehen.

Wenn ich auch seit Mutters Tod kein einziges Buch mehr in den Händen gehalten hatte, stellte es keine Schwierigkeit dar, die gedruckten Buchstaben vor meinen Augen zu entziffern. Wahrlich ein wenig aus der Übung gekommen, bedurfte es nur etwas Praxis, bis die eingerostete Mechanik wieder in Bewegung kam. Und was ich zu lesen bekam, konnte ich zunächst nicht glauben. Es stand im Gegensatz zu allem, was meinem Wissensstand über die Menschen Gondwanalands entsprach. Mich beschlich der Verdacht, einem schlechten Scherz aufzusitzen, zu grotesk erschienen manche Dinge, die ich fassungslos zur Kenntnis nahm. Nur wenige Details stimmten mit der mir bekannten Realität überein.

Was jetzt ein mulmiges Gefühl bereitete, waren all die verdrängten Zweifel, welche mich so lange ich denken konnte beschäftigt hatten. Vor Jahren ausrangiert und größtenteils ins Unterbewusstsein abgeschoben, strebten sie nun der Oberfläche entgegen. Flaues Gefühl in der Magengrube signalisierte, hier und heute auf etwas gestoßen zu sein, das den Schleier zu etwas seit Jahrhunderten Verborgenem lüftete. Erinnerungen erwachten, von denen ich schon gar nicht mehr wusste, dass ich sie besaß. Erinnerungen an meine Kindheit und an all die ungeklärten Fragen, die ich schon damals nicht zu formulieren wagte.

Seit jeher machten mir die vielen weißen Flecken in unserer Geschichte zu schaffen, die kein noch so gebildeter Lehrmeister jemals zu voller Zufriedenheit hatte beantworten können. Vor allem die Frage, warum uns die Opreju so feindlich gegenüberstanden. Weshalb war es zum Großen Krieg gekommen, der nicht nur Aotearoa sondern auch alle anderen Siedlungsgebiete der Menschen zerstört hinterließ? Aus welchem Grund war einzig und allein Stoney Creek der Vernichtung entgangen? Die Antworten auf meine Fragen erschienen mir bereits als Kind unglaubwürdig. Dennoch akzeptierte ich sie. Gab es einen Anlass, die Worte unserer Lehrer anzuzweifeln? Nicht den geringsten. Was konnte es ihnen auch bringen, uns, ihre Nachkommen, anzulügen?

Opreju hassen Menschen, diese Tatsache nahm ich genauso als gegeben hin wie das Blau des Himmels. Der Große Krieg, so lernten wir es, war ein von den Opreju angezettelter Vernichtungsfeldzug gewesen, mit dem Ziel, die Menschheit auszulöschen und sich ihrer Siedlungsgebiete zu bemächtigen. Heroisch sei der Widerstand gewesen, aufopferungsvoll und heldenhaft. Nur die Stärksten und Mutigsten überlebten. Sie stoppten den Vormarsch der Angreifer, als an einen Sieg über die hoffnungslose Übermacht niemand mehr glaubte. Die geschlagenen Opreju wurden zurückgedrängt, hinaus aus Avenor, hinaus aus Aotearoa, dorthin wo sowieso kein Mensch mehr freiwillig existieren wollte, nach Laurussia.

So weit so gut.

Aber:

Warum fürchteten wir die Opreju so sehr, wo wir sie doch besiegt und verjagt hatten?

Weshalb wagte sich annähernd zwei Jahrhunderte niemand mehr an den Wiederaufbau der zurückeroberten Gebiete im Süden Aotearoas, namentlich in Otago und der Grenzregion Ergelad?

Und vor allem: Wie kam es zu dem Tabu, das es den doch so siegreichen Menschen verbat, den Skelettfluss zu überqueren, die Grenze zwischen Ergelad und Laurussia, dort wo einst die Uhleb siedelten und das sich nun in der Hand der Opreju befand?

Das Tabu schütze die Menschen, lautete die unbefriedigende Antwort. Solange kein Mensch den Boden Laurussias betrete, sei der Frieden gewahrt. Aber von wem waren diese Bedingungen ausgehandelt worden? Von den Menschen, den Siegern? Wie Sieger benahmen sich die Siegreichen jedenfalls nicht. Das Tabu hingegen schien allerdings durchaus Sinn zu machen, denn seit Generationen war der Frieden gewahrt, hatte kein Mensch mehr einen Opreju zu Gesicht bekommen. Unten im Süden Aotearoas, am Skelettfluss, endete dafür die Welt der Menschen und begann die der Opreju.

So einfach war das.

Glasklar.

Jedoch, einige wussten hinter vorgehaltener Hand vom Gegenteil zu berichten. Wie oft das Tabu seit Ende des Krieges schon gebrochen worden war, konnte niemand genau sagen. Aber es war mit Sicherheit gebrochen worden, daran gab es wenig Zweifel. Beweisen ließ es sich schlecht, und dagegen sprach auch die Tatsache, von den gefürchteten Folgen noch nichts gespürt zu haben.

Letzten Endes übernahmen wir nach außen hin das Verhalten der Älteren und akzeptierten das Tabu. Immerhin schützte es uns unzweifelhaft seit Jahrhunderten, aus welchem Grund also daran rütteln? Die Zweifel hingegen hielten sich. Mich beschlich bereits im zarten Knabenalter der Verdacht, unsere Lehrer glaubten vieles selbst nicht, was sie lehrten. Nun hielt ich zum ersten Mal Aufzeichnungen in den Händen, die die Geschichte Gondwanalands anders beschrieben. Wenig passte zu dem, was mir gelehrt worden war.

Anfangs wirkten die anerzogenen Mechanismen. Ich wehrte mich gegen das vielfach unverständliche Gekritzel und zog es ins Lächerliche. Eine durchaus nachvollziehbare Reaktion, zu utopisch und phantastisch klang all das, was ich in mich hineinschlang. Wenn es mir schon abwegig vorkam, wie würde Rob erst darauf reagieren? Grotesk. Absurd. Welch krankes Gehirn diese Märchen wohl ersonnen hatte? Absolut unglaubhaft. Genau so dachte ich zu Beginn. Doch schon bald setzte sich stückweise die Überzeugung durch, hier etwas Revolutionäres in den Händen zu halten, etwas, das keiner blühenden Phantasie entsprungen sein konnte. Diese Ansicht vertiefte sich mit jeder Zeile, die ich zu entziffern in der Lage war.

Beim letzten Abendessen am Lagerfeuer vor dem Höhleneingang beschloss ich mein Schweigen gegenüber Rob zu brechen. Er selbst hatte seine Aufmerksamkeit nur den Landkarten gewidmet, jedoch schnell das Interesse verloren und sich wieder voll und ganz dem Boot zugewandt. Nun kannte ich Rob gut. Sein unbändiger Wissensdrang ließ sich sehr wohl mit meinem gleichsetzen. Anders als ich hatte er jedoch zu keiner Zeit Spaß am Lesen empfunden und dementsprechend unterentwickelt blieben seine Fertigkeiten. Er schämte sich schlicht und einfach dieser Tatsache und überließ mir daher kampflos das Feld. Nicht eine Minute forderte er Unterstützung bei der Reparatur des Bootes ein. Offensichtlich wollte er mir die nötige Zeit geben, mir ein genaues Bild zu machen, um mich später haarklein auszufragen. Diese in seinen Augen zweitklassige Arbeit ließ er mich nur zu gerne machen.

Wo aber würde ich beginnen? Wie sollte ich es bewerkstelligen, etwas glaubhaft zu berichten, das so unerhört klang? Zu verwirrend präsentierten sich die Eindrücke meiner Lesewut, als dass ich gewagt hätte, Rob auch nur etwas davon guten Gewissens zu erzählen. Er stellte auch keine Fragen, schien abwarten zu können.

Handflächengroße, auf Holzstecken gespießte Krebse brieten knisternd im offenen Feuer. Auf einem heißen Stein brutzelten aufgeschlagene Möweneier. Es roch verführerisch. Rob nahm einen orangeroten Krebs aus den Flammen und brach die enormen Scheren auf. In langen zähen Fäden tropfte das flüssige, blassrosa Fleisch aus den geborstenen Schalen.

„Also schieß mal los! Was hast du so alles in Erfahrung gebracht?“ fragte er endlich betont beiläufig.

Ich knackte nachdenklich eine Krabbenschere. Tja, wo anfangen? Wie sollte ich ihm glaubhaft klarmachen, dass unsere Vorfahren vor exakt sechshundertzweiundzwanzig Jahren mit einem Gefährt namens „Britannic“, das in der Lage war, durch den Weltraum zu reisen, hier auf Gondwana angekommen waren? 1521 Menschen, freie Siedler, um genau zu sein. Gestartet von einem Planeten namens Vestan, winziger Teil einer ewig weit entfernten Galaxis, einem Sternenhaufen, wie ich gelernt hatte, der sich „Vokutai“ nennt. Auf der Suche nach neuem Lebensraum. Fündig geworden im sogenannten Pagodennebel nach 752 Jahren, vier Monaten und siebenundzwanzig Tagen nach dem sogenannten Erdkalender, demzufolge ein Erdenjahr aus exakt dreihundertfünfundsechzig Tagen bestand. Begriffe wie Tag, Monat oder Jahr waren mir nicht fremd. Ein Gondwanajahr besteht aus zehn Monaten. Ein Monat wiederum aus vierzig Tagen. Der Erdkalender hielt sich wie es aussah an komplett andere Gesetzmäßigkeiten. Wie auch immer, ich sah darin nichts überaus Ungewöhnliches, im Gegenteil, gerade Details wie diese halfen dabei, die Glaubwürdigkeit des Gelesenen näher zu bringen. Komplizierter gestaltete sich schon die Tatsache, annehmen zu müssen, ein Fremdkörper auf Gondwana zu sein, ein Eindringling, ja Störenfried. Was würde Rob davon halten?

Planlos begann ich zu erzählen. Von der ersten Siedlung namens Willer am Willersee, benannt nach einem ranghohen Offizier der „Britannic“, Philip Willer. Von der Namensgebung in Anlehnung an die Planeten Erde und Vestan, von denen die Menschheit stammte. Viele Bezeichnungen waren von dort übernommen worden. Sämtliche Inseln der Bay of Islands zum Beispiel. Radan, wo wir uns gerade befanden, hieß ursprünglich eine Großstadt auf Vestan. Auckland, die Nachbarinsel, trug den Namen einer Stadt auf der Erde. Die December Bay hatte ihren Namen aufgrund der simplen Tatsache erhalten, dass im Dezember des Jahres 0 die menschliche Zeitrechnung auf Gondwana begonnen hatte. Gonwana selbst, unser Heimatplanet, war nach einem Kontinent jener ominösen Erde benannt. Verwirrend auch eine Sternenkarte, die mich ungleich faszinierte. Sie zeigte unser Sonnensystem mit den mir bekannten sechs Planeten. Doch in der Karte waren sieben eingezeichnet. Ein unbekannter mit dem annähernd unaussprechlichen Namen „Pangäa“ hatte sich dazugesellt.

Rob hörte wortlos zu. Er aß äußerlich unbeeindruckt weiter, doch sah ich ihm die innere Anspannung an. Bei der entbrennenden Diskussion um das Sternenschiff Britannic fiel die Spannung allerdings von ihm.

„So ein Blödsinn“, lachte er kopfschüttelnd und teilte die inzwischen kalt gewordenen Vogeleier brüderlich auf. „752 Jahre! Kein Mensch lebt auch nur einen Bruchteil dieser Zeitspanne. Welch gestörter Geist muss sich diese Verrücktheiten ausgedacht haben? Schiffe, die durch das Weltall fliegen! Ein siebter Planet! Pah! Ich dachte, du würdest jetzt etwas Interessantes erzählen. Aber diesen Quatsch habe ich nicht erwartet.“

Ich musste unwillkürlich grinsen. „Glaubst du, etwa ich? Klingt alles ziemlich unglaubwürdig, nicht wahr?“

„Am besten du schmeißt das ganze Geschmier ins Meer, dann ist es wenigstens noch als Fischfutter zu etwas zu gebrauchen.“ Sein Interesse flammte aber erneut auf, als ich von den Opreju berichtete.

„Die Opreju stammen also gar nichts aus Fennosarmatia?“

„So steht es hier geschrieben.“ Ich hielt ihm ein schmutzig-grünes Buch hin, das ich mir heute am späten Nachmittag vorgenommen hatte. Er ignorierte es.

„Wenn nicht, woher kommen sie dann?“

„Nun, es wird Travorsa erwähnt, als die Insel der Opreju.“

„Travorsa? Die Toteninsel?“ Robs Augen funkelten. Wir waren beide noch nie auf Travorsa gewesen, lag sie doch bereits in der Tabuzone. Aus Erzählungen wussten wir jedoch von ihr. Sie wurde auch die Toteninsel genannt, weil sich auf ihr so gut wie kein Leben befand. Selbst die Vegetation hielt sich in Grenzen. Das Zentrum der Insel formt ein riesiger erloschener Vulkan, der beinahe sechstausend Meter hohe Agra. Schwer vorstellbar, warum sich gerade dort Opreju aufhalten sollten.

„Schon wieder so ein unlogischer Mist. Kein Lebewesen kann auf Travorsa sein Dasein fristen. Die Toteninsel ist unfruchtbar wie die Nullarbor“, hielt mir Rob entgegen.

„Im Übrigen der Name einer Wüste auf der Erde.“

Rob sah mich geringschätzig an. „Ja, genau. Erde.“ Er betonte diesen Namen, als spräche er von einem widerlichen Insekt. „Was für ein merkwürdiger Name! Die Menschen stammen also von dieser Erde. Und dann Vestan! Ich verstehe kein Wort.“

„Willst du im Eiltempo wissen, wie ich mir das ganze zusammenreime?“

Rob zuckte nur mit den Achseln.

„So wie ich es kapiere, haben die Menschen aus welchem Grund auch immer irgendwann jene Erde verlassen. Mit Hilfe dieser Sternenschiffe. Vermutlich um andere Welten zu besiedeln. Vestan scheint nur eine davon zu sein. Gondwana eine weitere.“ Rob zuckte erneut mit den Achseln. Er machte es sich genau so wenig leicht wie ich. „Grob geschätzt sind sie vor eineinhalbtausend Jahren von Vestan aufgebrochen und nach 752 Jahre währender Reise hier auf Gondwana gelandet. Sie schufen neue Siedlungen, gerieten aus irgendwelchen Gründen in Streit und teilten sich. Einige zogen nach Süden, nach Laurussia, und gerieten mit den dort lebenden Opreju in Konflikt, der in den Großen Krieg mündete. Klingt einleuchtend, oder?“

„Ja, genau. Viel zu einleuchtend.“

„Das finde ich auch. Aber wie gesagt, so reime ich es im Augenblick zusammen. Lass mir noch etwas Zeit, da sind noch viele Schriften zu sichten. Sieht nach wochenlanger Arbeit aus.“

Rob schnaubte verächtlich. „Morgen hat das erst einmal ein Ende. Das Boot ist fertig. Ich denke, wir können in aller Frühe aufbrechen.“ Damit war das Thema für ihn erledigt.

Bis Sonnenuntergang widmete ich mich einer Art Tagebuch, das ganz zuunterst in dem Stapel lesbarer Schriften lag. Es handelte sich um das einzige Buch seiner Art, das private Aufzeichnungen enthielt. Umso mehr interessierte es mich. Philip J. Patterson aus Kelvin, Laurussia, entführte in eine Welt, die vor Jahrhunderten untergegangen war, von deren Existenz die verbliebene Menschheit Gondwanas nichts wusste oder am Ende vielleicht nichts wissen durfte. Welchen Kenntnisstand hatte ich schon von Laurussia, bevor mir dieses Tagebuch in die Hände gefallen war? Nicht den geringsten. Nach Lektüre desselben sah das Ganze etwas anders aus. Demnach musste Laurussia das zweite große Siedlungsgebiet der Menschen gewesen sein, mit der Hauptstadt Hyperion, der sogenannten Weißen Stadt, im Jahre 278 von den Opreju eingenommen und zerstört. Kelvin, eine weitere Siedlung im Süden Laurussias, war bereits Jahre früher ebenfalls von den Opreju vernichtet worden. Über sie wusste ich rein gar nichts, las ich ihren Namen doch heute zum ersten Mal. Umso mehr glaubte ich, in diesem Tagebuch kostbare Einblicke in eine unbekannte Welt zu finden, eine Welt, die es eigentlich gar nicht geben durfte. Anfangs blätterte ich ziellos darin, einige der in vielen Teilen bereits nicht mehr entzifferbaren Passagen lesend, andere überfliegend. Der älteste Eintrag ging zurück auf den 1. Januar des Jahres 231, der letzte endete im April 233. Und gerade die letzten Passagen waren es, die mich ganz in ihren Bann zogen.

31.04.233

Heute Mobilmachung. Der Kampf beginnt. Zusammen mit einer ganzen Schar kriegsbegeisterter Kameraden und Hunderter Skiavos marschieren wir los, um Kelvin zu verteidigen. Es ist so aufregend. Wir beziehen im Westen und Norden Stellungen, die die Stadt (------ nicht mehr lesbar -------) unseren Aufgaben zählt vor allem, Gräben auszuheben und Fangzäune zu errichten, um feindliche Offensiven so lange wie möglich aufzuhalten, damit (------ nicht mehr lesbar -------) eliminiert werden können. Es ist berauschend, endlich etwas Sinnvolles zu tun. Mache mir Sorgen um Mutter. Der herannahende Krieg verschlechtert ihren Zustand dramatisch.

32.04.233

Ganze Einheiten Skiavos führen die härtesten Jobs unter unserer Regie aus. Habe das Gefühl, sie gehorchen unseren Befehlen nur widerwillig. Jay vertraut mir an, dass er eine Meuterei befürchtet, aber ich glaube nicht recht daran. Es gibt jetzt nur einen Feind, und das schweißt uns mit den Skiavos zusammen.

37.04.233

Gestern Nacht ist sie gestorben. Bin nach Hause zurückgekehrt. Auf Betreiben (------ nicht mehr lesbar -------) dienstuntauglich gestellt. Wehre mich nicht sonderlich dagegen. Die Beerdigung erlebe ich wie in Trance. Kann nicht weinen, kann nicht trauern. Bin gelähmt und leer. Alles macht noch weniger (------ nicht mehr lesbar -------)

40.04.233

Bin heute an die Front zurück. Innerhalb der wenigen Tage meiner Abwesenheit sind die Arbeiten weit vorangeschritten. Komme in meine alte Einheit. Noch mehr Skiavos sind nun hier, bilden Rotten, mischen sich nicht mehr unter uns. Frage mich, wo die alle herkommen! Man erwartet in Bälde einen Angriff. Egal, Hauptsache, es passiert etwas. Mutter, kannst du mich hören? Kannst du mich sehen? Wo bist du jetzt? Ich denke Tag und Nacht an dich. Werden wir (------ nicht mehr lesbar -------)

02.05.233

Heute Nacht erste Feindberührung. Jay meint, es sei wohl nur ein Spähtrupp gewesen. Aufgrund der schlechten Wetterverhältnisse kamen drei (------ nicht mehr lesbar -------) im schwer zu überwachenden Abschnitt B4 direkt an den Zaun heran, machten aber (------ nicht mehr lesbar -------) Alarmposten von ihnen attackiert, drei leicht Verletzte auf unserer Seite. Es gehen Gerüchte, dass keine Unterstützung aus Hyperion zu erwarten ist. Fluggerät ist rar geworden. Bin sicher, der Norden befindet sich bereits im Krieg, nur sagt man uns nichts davon. Mir ist alles egal. Wenn das Ende kommt, dann bitte schnell. Bald sind wir wieder vereint, du und ich.

03.05.233

Der Zaun in unserem Abschnitt steht. Habe Bekanntschaft mit Frank Wills gemacht, einem ziemlich durchgeknallten Holzfäller aus Kellswater. Er spricht nur noch von Krieg. In ruhigeren Momenten bricht aus ihm die Verzweiflung über die aussichtslose Lage heraus. Ohne Hilfe aus dem Norden hätten wir keine Chance, so sagt er. Es werde auch keine kommen. Was schert es die Bastarde in Hyperion, wenn Angmassab zum Teufel geht? Die haben (------ nicht mehr lesbar -------) nie um uns geschert. Ich glaube ihm. Jay meidet Frank, er hält ihn für (------ nicht mehr lesbar -------)

Die Sonne ging unter. Ich überblätterte zwei Seiten und widmete meine ganze Aufmerksamkeit dem letzten, an vielen Stellen unleserlichen Eintrag, dem keine Datumsangabe voranging.

Jay ist (------ nicht mehr lesbar -------) gestikulierend stürmte er herein (------ nicht mehr lesbar -------) zu Boden, sein Gesicht ist rot wie eine überreife Tichina, als hätte ihn jemand mit Lackfarbe beschmiert. Er schreit herum, alle seien tot. Ich habe uns in der Baracke verbarrikadiert und (------ nicht mehr lesbar -------) wieder Schreie draußen... manchmal auch Schüsse... es sind wohl doch nicht alle tot. Weiß nicht, was ich tun soll. Habe Jay aufs Bett gelegt, sein Gesicht ist immer noch feuerrot, als wäre seine Haut verbrannt, aber sie ist kühl und eigenartig feucht. Fühle mich so hilflos. Er ist nicht ansprechbar, starrt nur wild vor (------ nicht mehr lesbar -------) wirres, unverständliches Zeug von sich, auf das ich mir keinen Reim machen kann. Ich werde wahnsinnig, weil ich nicht weiß, was draußen vorgeht. Habe Jay Wasser gegeben. Er schaut aus (------ nicht mehr lesbar -------) Angst vor der Art, wie er mich ansieht. Jay hat mich angeschrien, ich solle abhauen, solange „sie“ mich noch nicht „erwischt“ hätten… auf meine Frage, wer „sie“ seien, antwortet er nicht, starrt aber weiterhin mit (------ nicht lesbar -------) nicht mehr lange haben. Spähe zwischen den Läden hindurch hinaus, es ist trügerisch ruhig. Niemand zu sehen (------ nicht mehr lesbar -------) viele Stunden vergangen sind, kann nur ahnen, was draußen (------ nicht mehr lesbar ------) fest eingeschlafen. Würde am liebsten die Baracke verlassen, einfach abhauen, aber ich wage es nicht, erst recht nicht jetzt, wo es dunkel ist. Jay macht mir immer noch Angst, obwohl es so aussieht (------ nicht mehr lesbar -------) Sekunde länger mit ihm hier drin verbringen. (------ nicht mehr lesbar -------) geschehen, spüre es ganz deutlich. Habe mich nach draußen gewagt und etwas Unglaubliches gesehen. Im tiefen Schatten der Nachbarbaracke kauerte ein merkwürdiges Wesen. Nicht groß, etwa so wie ein halbwüchsiges (------ nicht mehr lesbar -------) Gefühl, dass es mich fixierte. Dann war es von einer Sekunde auf die andere verschwunden. Keine Ahnung, was das war. Jay ist aufgewacht, er starrt mich unentwegt stumm an, sagt aber keinen Ton mehr. Manchmal grinst (------ nicht mehr lesbar -------) ertrage das alles nicht mehr lange. Habe einen Plan gefasst. Will im Schutz der Dunkelheit ausbrechen und nach Kelvin (------ nicht mehr lesbar -------) halten hier noch länger, es ist sowieso alles verloren. Gott stehe mir bei.

Ich ließ das Journal sinken und das eben Gelesene wirken. Was war mit ihm geschehen? War ihm die Flucht nach Kelvin gelungen? Wer zum Teufel waren diese Skiavos, die Seite an Seite mit den Menschen kämpften? Von ihnen hatte ich noch nie gehört. Auch tauchte der Name „Kellswater“ zum ersten Mal auf. Allem Anschein nach existierten doch einst mehrere Siedlungen im Süden Laurussias, in Angmassab.

Ich hatte erwartet, Antworten auf Ungewissheiten zu finden, doch das Gegenteil trat ein. Neue Rätsel türmten sich auf. Ich musste die wahre Geschichte der Menschen Gondwanas neu begreifen lernen, als Mosaik, dessen Gesamtbild sich aus Tausenden kleiner Steinchen zusammensetzte. Viele dieser Steinchen hatte ich im Laufe meines noch jungen Lebens angehäuft und zu einem Bild geformt, das so nicht zu stimmen schien. Ich weigerte mich, alles Alte in Frage zu stellen und zimmerte mir stattdessen ein separates zweites Bild zusammen. Es galt, falsch platzierte Teile des alten Mosaiks in ein neues zu übertragen, das auf den Erkenntnissen der von uns entdeckten Schriften basierte.

Den Stapel Schriften zur Seite schiebend, kauerte ich mich wie ein Gestrandeter (der ich genau genommen ja nun war) vor die angeschwemmten Trümmer meines untergegangenen Schiffes, das mich einst sicher über die Meere getragen hatte. Altes löste sich auf, Neues wollte entstehen. Und tief in mir meldete sich erneut die Ahnung, auf etwas gestoßen zu sein, dessen Tragweite sich noch gar nicht erfassen ließ.

In jener Nacht stellten sich die ersten Träume ein, welche ich später Visionen nennen und die mich für lange Zeit plagen sollten. Ich wanderte durch dunklen Wald, dessen dichtes Blätterdach das Sonnenlicht filterte. Graue Nebel folgten mir. Lief ich zu langsam, hüllten sie mich ein, beschleunigte ich meine Schritte, fielen sie zurück. Ich erkannte, dass die grauen Schatten von mir ließen, hatte ich den richtigen Pfad eingeschlagen. Sie bildeten jedoch eine undurchdringliche Wand, kam ich vom Wege ab.

Nachdem ich das zweite Buch von einem mit totem Laub bedeckten Waldboden aufgelesen hatte, wurde mir allmählich klar, was die Nebel wollten. Mehr und mehr Licht drang durch die Kronen der riesigen Bäume. Laub fiel herab, junges, frisches Grün, und gesellte sich zu den welkenden Blättern. Je mehr Bücher ich fand, desto mehr lichteten sich die Baumkronen, füllte sich der Weg mit Licht. Ich trug bereits einen schweren Stapel vor mir her. Die Nebel zogen ab.

Dann erstarb die Natur um mich herum zusehends. Die Bäume trugen nur noch wenig Laub, wirkten krank und vergänglich. Aber nicht alle starben. Einige wenige schienen zu erstarken, neuen Atem zu schöpfen. Sie bildeten Knospen aus, erblühten in strahlend weißen Farben, überwucherten ihre abgestorbenen Genossen, deren tote, blattlose Äste anklagend in den Himmel ragten.

Ich hielt inne, um dieses Phänomen zu erkunden. In der Tat waren es die filigraneren Arten, die vom Tod ihrer einst stärkeren Artgenossen profitierten. Ein Raunen und Seufzen ging durch ihre vibrierenden Äste, als hätten sie diesen Moment seit Ewigkeiten herbeigesehnt. Fasziniert stand ich da, sah die mir bekannten Baumarten im Zeitraffer sterben. Aus ihrer geborstenen Borke drangen dafür neue, fremdartig anmutende Gewächse.

Ein junger und starker Trieb, dick wie mein Unterarm, raschelte durch totes Laub auf mich zu. Flink wie eine Schlange wand er sich um mein rechtes Bein und kletterte an mir empor. Vor Schreck erstarrt beobachtete ich, wie sich die giftig grüne Liane um meinen Oberkörper wickelte, dann um meinen Arm, schließlich um die Hand. Am Ende berührte die Spitze des Triebes die Bücher, welche ich noch immer hielt. Sie zerfielen augenblicklich zu Staub, der durch klamme Finger rieselte. Der Trieb starb in Sekundenschnelle ab, schneller als die Bücher zerfallen konnten, verfärbte sich bräunlich, trocknete ein und bröckelte von mir herunter.

Stumm und starr stand ich da, als die Nebel, die bedrohlichen Schatten, wieder auftauchten und mich einhüllten. Ich sah nichts mehr, hörte nichts mehr, fing an zu röcheln, als mir die Atemluft wegblieb. Spätestens an dieser Stelle erwachte ich stets. In leicht abgewandelter Form sollte dieser Traum in den kommenden Nächten mein treuer Begleiter werden. Einzelheiten änderten sich. Manchmal sah ich zwischen den sterbenden Bäumen die Körper toter Menschen, deren weit aufgerissene Augen mich bezichtigend anstarrten. Zuweilen erstarb der geheimnisvolle grüne Trieb noch bevor er an mir hochkletterte, und die Bücher in meinen Händen verwandelten sich in dunkelhäutige, echsenartige Kreaturen, die ich nach dem Erwachen nicht mehr zu beschreiben in der Lage war. Ein Ereignis aber blieb unverändert. Am Ende holten sie mich immer wieder ein, die Schatten, nahmen mich in sich auf und löschten die Welt aus. Gelegentlich setzte sich der Traum fort, dann lief ich, rannte ich los, um aus dem Nebel herauszufinden. Allein, ich rannte vergeblich.

Mein Leben war im Begriff sich zu verändern. Mit den Nächten begann es. In absehbarer Zeit würde nichts mehr so sein, wie es einmal war. Und das war erst der Auftakt. Bald, sehr bald, sollte sie beginnen, die große Reise, an dessen Ende nicht einmal mehr das Bestand haben würde, was mich im Innersten ausmachte.

Mitten in der Nacht fuhr ich hoch. Rob schlief tief und fest, ein beruhigendes Zeichen, doch nur in meinem wüsten Traum laut geschrien zu haben. An Schlaf war nicht mehr zu denken, so sehr ich es auch versuchte. Letztlich lockte mich das silberne Licht des Mondes den Strand hinunter, wo das wiederhergestellte Boot im Sand lag. Die rechte Hand auf das Ruder legend, ließ ich mich von der Erhabenheit der Natur beruhigen. Immerhin fühlte ich keine körperliche Bedrohung mehr, die Nachwirkungen des düsteren Alptraums nahmen ab. Schon wusste ich nicht mehr, wovon ich eigentlich geträumt hatte. Die schimmernde, mondbeschienene See präsentierte sich ausnehmend ruhig und still, kein Lüftchen ging. In meinem Kopf herrschte dafür das komplette Gegenteil, ein gnadenloses Durcheinander.

Wieso wühlte mich der Fund dieser alten Schriften so sehr auf? Tagsüber betrachtete ich all diese Neuigkeiten, die mir begegneten, aus einer gewissen Distanz, wie ein Außenstehender, ein neutraler Betrachter, nach dessen Meinung niemand fragte. Doch nachts, im Schlaf, fand ich mich im Mittelpunkt der Ereignisse wieder und spielte eine ganz andere, eine überraschend aktive Rolle. Und immer wieder diese Bücher, die letzten Endes zu Staub zerfielen, ganz gleich was passierte.

Meine Abneigung gegen die Schriften wuchs. Noch gestern hatte ich mich gefragt, wie ich es bewerkstelligen wollte, alle ohne Ausnahme nach Stoney Creek zu bringen, wo ich sie auszuwerten gedachte. Im Licht des Mondes war ich nicht mehr sicher, ob es sich um eine gute Idee handelte. Überzeugt, niemandem davon erzählen zu dürfen und den Kreis der Wissenden auf Rob und mich beschränkt zu halten, bis ich mir im Klaren war, wie damit umzugehen war, spürte ich jedoch auch, es nicht geheim halten zu dürfen.

Lange saß ich grübelnd da, von einem Extrem ins andere fallend. Erst schien ich davon überzeugt, nur die Aufzeichnungen zurückzulassen, die ich nicht lesen konnte. Wenig später erachtete ich es als das beste, alle ausnahmslos mitzunehmen. Doch je länger ich die eine oder andere Möglichkeit erwog, je tiefer ich in mich hineinhörte, desto stärker spürte ich die Abneigung gegenüber unserem Fund, gegenüber Radan, gegenüber der Entscheidung, vor wenigen Tagen zum Fischen an die Tiefe Rinne gesegelt zu sein. Der bloße Gedanke, eine weitere Nacht in der Nähe der Höhle verbringen zu müssen, erfüllte mich mit unergründlicher Furcht. An Intensität gewann dafür die Gewissheit, etwas ans Tageslicht gezerrt zu haben was besser unentdeckt geblieben wäre.

In diesen Minuten entschied ich, nicht ein einziges Buch mitnehmen zu wollen, sie alle aufzugeben. Kurzfristig spielte ich sogar mit dem Gedanken, sie, wie Rob es vorgeschlagen hatte, ins Meer zu werfen. Allerdings wusste ich genau, es nicht übers Herz zu bringen. Nein, dazu hatte ich kein Recht.

Bei Sonnenaufgang sammelte ich alle Aufzeichnungen zusammen und brachte sie zurück in die Höhle, dorthin, wo sie so lange Zeit unentdeckt vor sich hin geschlummert hatten. Allein die Mauer, die sie so lange bewahrt hatte, existierte nicht mehr, konnte sie nicht mehr vor dem Verfall schützen. Ich kam zu dem Entschluss, dies zu begrüßen. Mochten sie ein Raub der Feuchtigkeit werden, sollte die Natur selbst den Zerfallsprozess zu Ende bringen.

Als Rob erwachte, befand sich jedes Buch, jede Schriftsammlung, jedes lose Blatt wieder im Innern der Höhle. Mein Bruder äußerte kein Wort dazu. Es sah beinahe so aus, als fiele es ihm nicht einmal auf, nicht ein Stück vergammeltes Pergament an Bord vorzufinden.

In aller Frühe verließen wir Radan. Dank frischen Nordwinds nahmen wir rasch Fahrt auf und schipperten ohne zeitraubende Manöver in Richtung Heimat. Mit jedem Meter, den wir uns von der Insel fortbewegten, wurde ich ruhiger, legte sich die innere Anspannung, die mich in den letzten Tagen so aufgewühlt hatte. Der bezogene, milchig-trübe Himmel, der Wetteränderung ankündigte, stand stellvertretend für die Stimmung an Bord. Rob saß wortlos am Ruder und starrte vor sich hin. Zunächst beließ ich es dabei, den eigenen Hirngespinsten nachsinnierend, froh, mich nicht äußern zu müssen. Irgendwann jedoch beunruhigte die Tatsache, seit langem kein einziges Wort mit meinem Bruder gewechselt zu haben. Ich wandte mich um. Er hockte unverändert an dem Platz, den er seit unserem Aufbruch eingenommen hatte, schien nicht einmal die Position eines Fußes verändert zu haben.

„Rob?“ Auch wenn der Wind munter pfiff, so musste mein Bruder mich dennoch gehört haben. Er schien von ewig weit zurückzukehren, als er blinzelte und mit überraschten Augen meinen Blick fand.

„Jack? Hast du etwas gesagt?“

„Du bist so schweigsam.“

Er blinzelte erneut und bewegte den Kopf hin und her, als wollte er die hartnäckigen Schleier eines Tagtraumes abschütteln. „Mein Kopf schmerzt“, meinte er schließlich. „Ich kann es kaum erwarten, endlich anzukommen. Vater muss vor Sorge fast tot sein.“ Wieder zwinkerte er unkontrolliert mit den Augen, als befände sich ein Fremdkörper darin. Was dann geschah, sollte ich erst sehr viel später ganz und gar verstehen lernen.

Eine Träne löste sich aus Robs linkem Auge. Eine pechschwarze Spur hinterlassend wanderte sie langsam, Millimeter für Millimeter, seine Wange hinunter. Ich stutzte. Aus der Entfernung sah es nicht außergewöhnlich aus, doch als ich mich meinem Bruder näherte, stutzte ich. Sein linker Augapfel hatte sich dunkel verfärbt.

„Was ist mit deinem Auge?“ fragte ich ihn bestürzt.

„Warum? Was ist damit?“

„Es ist... schwarz...“, stammelte ich.

Rob rieb ungläubig das betroffene Auge, was den Tränenfluss weiter anregte. Pechschwarze Flüssigkeit, dick wie Tinte, klebte an seinem Handrücken.

„Spürst du etwas?“ fragte ich. „Hast du Schmerzen?“

„Nur Kopfschmerzen, aber das sagte ich bereits. Ist mein Auge wirklich schwarz?“ Er rieb noch einmal intensiv.

Prüfend warf ich einen weiteren Blick hinein. Es schien wieder eine Idee klarer geworden zu sein, dafür verfinsterte sich nun das andere Auge. Rob bemerkte meinen erschreckten Blick.

„Das andere auch?“ fragte er seltsam tonlos. „Ich spüre nichts.“

„Dreh dich mal ins Licht. Lass sehen!“ Rob wandte das Gesicht der Sonne zu. Ein weiterer Schwall Tinte floss pulsierend hervor. Der Augapfel, wie schwarzes Glas schimmernd, änderte die Farbe wie eine Stamarina, erschien im nächsten Moment olivgrün und klarte dann wieder auf. Ich beobachtete fasziniert, sagte kein Wort.

„Es ist vorbei“, stellte ich endlich fest. Akribisch begutachtete ich nochmals beide Augen. Ja, sie waren wieder normal. Möglicherweise nicht rein weiß, wie sie vielleicht hätten sein sollen, sie wirkten dennoch keinesfalls mehr furchterregend. Erneut wischte Rob mit den Händen über beide Augen. Keine Spur mehr von schwarzer Flüssigkeit. Doch ihre eingetrockneten Spuren verblieben als dunkle Flecken auf dem Handrücken.

„Was war das nur?“ fragte er mit Verwunderung in der Stimme.

„Ich wollte, ich wüsste es. Tut dir außer deinem Kopf noch etwas weh?“

„Nein, nichts. Tatsächlich sind auch die Kopfschmerzen verflogen. Merkwürdig.“ Rob betrachtete noch einen Augenblick kopfschüttelnd die verblassende Tränenspur auf seinem Handrücken, bevor er sie im Meer wegwusch. Ohne ein weiteres Wort ergriff er das Ruder und brachte das Boot wieder auf Kurs. Von Zeit zu Zeit blickte ich ihm verstohlen in die Augen, doch gab es nichts mehr zu sehen.

Auf halber Strecke stießen wir auf ein wohlbekanntes Fischerboot, das offensichtlich von nächtlichem Fangzug zurückkehrte. In ihm befanden sich Krister Bergmark, einer unserer besten Freunde seit ich denken konnte und dessen bevorzugter Jagdkumpan, Scott Adair, beide hocherfreut, uns zu sehen. Wir näherten uns längsseits und begrüßten einander schon aus weiter Distanz.

„Boot ahoi“, brüllte ich hinüber.

Krister erhob sich und winkte. „Hey, ihr Süßwassermatrosen, wo wart ihr?“ Der angenehm tiefe Bass in seiner Stimme vermittelte das warme Gefühl, wieder nach Hause zu kommen. Ich war im Begriff zu antworten, als sich Robs Hand auf meine Schulter legte.

„Ich halte es für besser, die Existenz dieser dämlichen Schriften für uns zu behalten.“ In seinem Blick lag feste Entschlossenheit, ein Verbot, das ich zu befolgen hatte. Nur kurz zögerte ich und bestätigte die Aufforderung mit einem Nicken. Im Grunde war ich dankbar, mir die Entscheidung abgenommen zu sehen. Nach wie vor befand ich mich in argem Zweifel darüber, wie mit den neuen Informationen umzugehen war. Dennoch widersetzte sich etwas in mir, Robs einsame Entscheidung widerstandslos zu akzeptieren. Es durfte wohl an der Tatsache liegen, nicht in seine Überlegungen einbezogen worden zu sein. Rob quittierte mein Kopfnicken in gleicher Manier und bedeutete mir, das Ruder zu übernehmen.

„Krister, du stinkende Landratte!“ rief er dann zu dem Boot hinüber, gefolgt von tosendem Lachen. Ich stand grinsend am Ruder. Die wüsten Beschimpfungen, mochten sie noch so befremdlich klingen, waren in Wahrheit Ausdruck tief empfundener Freundschaft und belustigten mich stets.

„Rob, alter Sack, du siehst schauerlich aus“, brüllte Krister Bergmark zurück. „So gänzlich unbefriedigt. Hat wieder keine Mamora stillgehalten, was?“

„Bei mir halten sie wenigstens aus eigenem Antrieb still, du abartiger Herumtreiber. Bei deinem Gesicht aber kannst du von Glück sagen, wenn sie nicht sofort in Leichenstarre verfallen!“

Gelächter von drüben.

„Und wo kommt ihr her? Für die Mamorabänke ist es noch ein wenig früh im Jahr. Die Hoffnung versetzt ja Berge, sagt man. Aber hey, manchmal treibt es im Frühjahr ja ein paar Kadaver an, die können zumindest nicht flüchten.“

Jetzt war es an uns, dreckig zu lachen. Die Unterstellung der Sodomie mit verwesenden Mamoras bedeutete nur das Vorspiel im Austausch weiterer Nettigkeiten. Es folgten ausführlichere Anspielungen, welche tief unter die Gürtellinie abzielten, bis wir das Boot schlussendlich erreichten und uns gegenseitig schulterklopfend in die Arme fielen. Krister bemerkte natürlich sofort meinen blutverkrusteten Kopfverband und bedachte mich mit besorgtem Blick.

„Was ist dir denn zugestoßen, Jack?“

„Bübchen hat sich den Schädel am Bootsrand aufgeschlagen.“ Ich hasste meinen Bruder. „Bääh, wie das hier stinkt.“ Er rümpfte verächtlich die Nase und zeigte angewidert auf den beträchtlichen Fang, welcher sich im gesamten Boot verteilt befand. „Ich wusste es, bei deinem Anblick fangen sogar die Fische zu faulen an.“

„Nur kein Neid“, entgegnete Krister mit bärigem Grinsen. Ein Blick in unser Boot genügte und er zog die Mundwinkel nach unten. „War wohl nicht so erfolgreich, dein Fischzug, hä? Mann, drei Tage und kein Fisch. Waren die Mamoras so willig, dass du alles um dich herum vergessen hast? Jack, du enttäuschst mich! Von deinem perversen Bruder hab ich nichts anderes erwartet. Aber du auch?“

„Tja, liegt wohl in der Familie“, gab ich augenzwinkernd zu.

Krister Bergmark stand vor mir, wie ich ihn seit Jahr und Tag kannte. Ein breites, kantiges Gesicht, auf dem stets ein spöttisches Lächeln lag. Blitzende eisblaue Augen, die jetzt schelmisch zwinkerten. Tief gebräunte Haut. Ein ungezähmter, von der Sonne gebleichter Blondschopf. Wie immer trug er ein ziemlich ramponiert aussehendes kupferfarbenes Leinenhemd, das den Blick auf muskulöse Oberarme freigab. Die Arme eines Mannes, der harte Arbeit gewohnt war. Obwohl nur ein Jahr älter als Rob, wirkte mein Bruder neben Krister wie ein Jungspund. Womöglich waren es die markanten Gesichtszüge, die Krister älter wirken ließen, als er tatsächlich Jahre zählte.

Ich begrüßte Scott Adair mit Handschlag. „Nicht schlecht, euer Fang“, sagte ich anerkennend.

Scott nickte heftig. Seine hellen Augen strahlten. Er war ein paar Jahre jünger als ich, einen Kopf kleiner, semmelblond, mager aber nicht dürr und ungeheuer drahtig. Ein unverständliches Grunzen entrann seiner Kehle, und sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. Scott war von Geburt an so stumm wie die Fische, die er fing. Und Kristers bevorzugter Partner beim Fangzug. Auf die Frage, wie er es manchmal tagelang auf See aushielte mit einem Begleiter, der nur heiser krächzen konnte, antwortete Krister einmal treffend: „Er spricht kein Wort. Ich liebe ihn.“

„Darf ich nochmals fragen, wo ihr gewesen seid? Nicht, dass es mich sonderlich interessiert, aber es bedeutet schon was, Besuch von eurem alten Herrn zu bekommen. Ich hatte ja schon immer eine Schwäche für diesen bärbeißigen Ausbund an Freundlichkeit.“ Krister tat, als müsste er sich übergeben, bevor er fortfuhr. „Leider konnte ich ihm keine befriedigende Antwort geben. Ihr habt euch ja ohne abzumelden verzogen. Macht man das?“

Rob und ich wechselten kurze Blicke, bevor mein Bruder eine Erklärung abgab, deren eingewebte Lüge so flüssig über die Lippen kam, dass ich ihn restlos bewunderte – und gleichzeitig abgrundtief verachtete.

„Wir waren draußen an der Tiefen Rinne. Ein Sturm zwang uns rüber nach Auckland. Wir können uns glücklich schätzen, das Boot nicht verloren zu haben, von unserem Leben gar nicht zu sprechen. Solche Wellenberge habe ich noch nie erlebt. Ist hier alles glatt gegangen?“

Krister sah ihn verständnislos an. „Was sagst du da? Ein Sturm? Komm, Junge, hast du dir das Hirn angeschlagen oder Jack? Mir musst du keine Märchen erzählen, spar dir das für deinen alten Herrn auf. Aber denk dir was Besseres aus.“

Nun war es an Rob und mir, ihn verständnislos anzublicken.

„Was meinst du damit, ich soll mir was Besseres ausdenken?“

Der Spott in Kristers Lächeln war nie ausgeprägter. „Von welchem Sturm sprichst du? Wir haben seit neun Tagen bestes Wetter.“

„Du sagst also, hier gab es keinen Sturm?“

„Nicht einmal eine Brise, stimmt’s, Scott?“

Scott nickte zustimmend.

„Erzähl keinen Blödsinn, Krister! Keine zwanzig Meilen nördlich von hier geht die Hölle eines Unwetters runter und hier kriegt man nichts davon mit? Das kannst du deiner Großmutter weismachen, wenn du willst, aber nicht mir. Das war ein ausgewachsener Orkan von einer Intensität, wie ich sie noch nicht erlebt habe, und wir wären beinahe draufgegangen. Also komm mir nicht mit so einem Scheiß!“ Rob war unversehens laut geworden. Und zu keinerlei Späßen mehr aufgelegt, wie es unzweifelhaft schien.

„Okay, Junge, beruhig dich. Ist alles gut. Aber du kannst dich auf den Kopf stellen und in die Hände klatschen und doch gab es hier keinen Sturm.“

„Das ist völlig unmöglich“, schaltete ich mich nun ein. „Denkst du, ich schlage mir den Schädel ohne Not zu Bruch? Es war gegen Mittag vor drei Tagen. Aus dem Nichts erschien diese pechschwarze Wolkenwand, es wurde finsterste Nacht um uns herum. Und wenn wir nicht dieses verdammte Riesenglück gehabt hätten und auf Radan...“ Robs Ellenbogen traf mich zu spät in die Rippen. Und natürlich nicht unbemerkt.

„Na, da haben wir uns wohl nicht genügend abgesprochen?“ grinste Krister, als hätte er zwei kleine Jungs beim Lügen ertappt. „Alles in Ordnung, Rob, kein Grund zum Heulen. Ich werde niemandem etwas verraten.“

Rob sah mich fragend an. Mit unmerklichem Nicken bestätigte ich seinen Verdacht. Eine schwarze Träne bahnte sich ihren Weg aus dem linken Auge. Wortlos wandte er sich ab und kehrte auf unser Boot zurück. Krister und Scott sahen ihm erstaunt nach.

„Und hier gab es in der Tat kein Unwetter?“ fragte ich nochmals und stiftete damit noch mehr Verwirrung.

Krister und Scott schüttelten synchron den Kopf.

„Danke.“ Damit hangelte ich mich ebenfalls auf unser Boot zurück. Rob saß steif am Ruder, während ich das Segel setzte.

„Euer Boot sieht jedenfalls so aus, als hättet ihr mächtigen Sturm hinter euch“, hörte ich Krister rufen. „Ein lokales Unwetter vielleicht? So etwas gibt es.“

Robs Kopf ruckte in seine Richtung wie der einer Mantis, die Beute erspäht hatte. „Niemals. Ein Tiefdruckgebiet von diesem Ausmaß, mit einem Wellengang, den ich meinen Lebtag noch nicht gesehen habe – und hier merkt keiner etwas? Das ist unmöglich.“

Sentry - Die Jack Schilt Saga

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