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Kapitel 9

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Generalstabs-Kapitänskommandeur h. c. Sarfazzu Sarjowär verschluckte sich an den Rahm-Ravrokylkörnern so heftig, dass ihm das Armbanddisplay vom Handgelenk rutschte. Er blickte aus dem Brückenfenster des Cockpits und staunte nicht schlecht, als er die Holofunkmail zur Kenntnis genommen hatte. Nun musste er sich ersteinmal setzten. Die kaiserliche Regierung ordnete auf Grund eines diplomatischen Abkommens an, die beiden im Grenzgebiet festgenommenen, cisnairschen Staatsbürger direkt auf freien Fuß zu setzen. Die Spionageabwehr von Sarkar befasse sich nicht mit zivilen Mineraliensammlern. Kommandeur Sarjowär wurde zudem für sein korrektes Verhalten gelobt.

Tüngör und Gugay waren lange verhört worden. Zum Glück hatte er Gugay nichts von seiner Mission erzählt. Und es hatte Tüngör geholfen, dass er im Unterschied zu Tüngör sarkarisch verstand. Er gab sich als Arbeit suchender Gastarbeiter aus, der Gugay nur begleitet hatte, und zeigte seine alte Arbeitserlaubnis für sarkarische Firmen. Der Übersetzer hatte sie immer wieder über ihre Erzraubpläne befragt, doch als kleiner Stiefbruder eines wohlbekannten „Mineraliensammlers“ war er den Sarkariern nicht verdächtig erschienen, auch nicht, als sich das cisnairsche Konsulat dann mit dem entsprechenden Freilassungsgesuch an Kommandeur Sarjowär wandte. Gugay bekam für den versuchten Erzraub zwar ein Einreiseverbot und Tüngör war seine Arbeitserlaubnis los, aber ein Aufenthalt im Straflager blieb ihnen nun erspart. Die illegalen Mineraliensammler mussten versprechen, ihren Erzfund nicht weiter zu publizieren, doch ansonsten durften sie – mit einer offiziellen Ausweisung bedacht – gehen.

Tüngörs falsche Identität als Arbeit suchender sarkarischer Gastarbeiter hielt. Tüngör’s eigentlicher Arbeitgeber hatte natürlich von der Festnahme erfahren – und auf diplomatischem Wege die Freilassung der cisnairschen Staatsbürger erreicht – im Tausch gegen das Versprechen, dass die Lithiumerzfunde nicht veröffentlicht werden. Die Aggregate aus Amblygonit-Erz im Naturschutzreservat waren gewöhnlichen Quarzkristallen optisch ohnehin so ähnlich, dass mit weiteren Erzsuchern nicht zu rechnen war. Nur gewiefte Mineralogen konnten es durch Flammfärbung oder durch umständliches Lösen in Säure mit anschließender Phosphatfällung identifizieren. Und die anderen Lithiumerze lagen schließlich so tief in den kaum zugänglichen Urwäldern des Kaisers, dass wohl auch dort kaum wieder Erzräuber hinkommen würden – trotz ihrer Begehrtheit als Rohstoffe für Ionenakkus, Shuttle- und Raketentreibstoffe oder die Fusionsreaktoren im Orbit (Selbst Malalos Shuttle flog mit Li-Bioethanol A und B geflogen, das gelöstes Lithiumhydrid bzw. Lithiumperchlorat enthielt).

„Na siehste!?“, triumphierte Gugay, als die Sarkarier ihnen ihre Freilassung ankündigten, „Die können uns garnix, wir sind freie Cisnairi!“

Als Gugay Fiscaux mit seinem jungen Stiefbruder die Grenze passieren und in die cisnairschen Wälder bei Clénairville zurückkehren, erwartete ihre Schwester Nachwuchs. Das Nest war schon gebaut. Tüngör wollte ihr gerade bei den langsam mühsam werdenden, täglichen Geschäften helfen, da erreichte ihn eine verschlüsselte Nachricht der RAGA auf dem Display.

„Unsere Kryptologen haben in verborgenem Anhang der Joséfien-Datei Hinweise entdeckt auf eine sarkarische Kryptodatei mit Lithiumerz-Abbauplänen für den Mobilmachungsfall – inklusive mögliche Konstruktion von Li-Fusionsbomben. Kopie liegt auf Server bei Gouverneur Aru. Muss besorgt werden. Trojanerchip dazu bei mir abzuholen. Treffen uns auf Jubiläumsfeier. Jenis.“

Tüngör überredete Gugay somit, mit ihm nach Monastair zu fliegen. Die Aussicht auf mögliche Geschäftskontakte ersten Ranges dort war ein schlagkräftiges Argument – obwohl Gugay offizielle Feierlichkeiten hasste. Noch dazu, wenn es um Großereignisse ging!

Zwei Puntirjandays später waren sie in Monastair. Als sich der republikanische Kaiser von Monastair erhob, ging ein Raunen durch die Menge. Von der Empore des Domus-Tempels aus beobachtete er die Bedeckung Wemurs durch den Wemuriel, betete und das Volk verstummte. Stern- und Mondfinsternisse waren keine Seltenheit im Wemursystem, dessen Planeten fast ausschließlich in der Ekliptik lagen und von denen gleich zwei bewohnbar sind. Dieses Mal jedoch fiel das Transitereignis auch noch auf das religiöse Jubiläum der I.P.O.-Kalendereinführung.

Langsam schob sich Wemuriel, einer der beiden Puntirjanmonde, vor das Antlitz Wemurs, der Sonne von Puntirjan. Ein schwarzer Schatten raste über die Wolkenfelder vor den Hügeln heran, auf dem Domus, der Tempel des priesterlichen Hochkaisers stand. Dann wurde es dunkel. Die Flugechsen, Vögel und Vogelmenschen verstummten. Wein kalter Wind kam auf und es kühlte merklich ab. Die Phase der Totalität hatte eingesetzt.

Schweigend betrachtete die Menge das himmlische Schauspiel. Die Korona erstrahlte am Firmament, und man sah den Nachbarplaneten erstrahlen, der – eine weitere Besonderheit dieses Planetensystems – ebenfalls in der bewohnbaren Zone des Zentralgestirns kreiste. Mikroben- und Pilz-Stämme hatten ihn bevölkert, bevor die ersten puntirjanischen Kosmonauten dort gelandet waren, und dann hatte man ihn kolonisiert. Damals entstand die Sariah-Sage, der Traum von der bewohnbaren Neuen Welt jenseits des Planetensystems von Wemur.

Am Horizont wurde es wieder hell. Das Licht schoss auf den Tempelberg zu, und der Gesang der Vögel setzte wieder ein. Wemuriel verschob sich, so dass die Korona verschwand, und die Sichel Wemurs erschien.

Der Kaiser erhob seine Hände, deutete dann zum Himmel und sprach ein Lob des Schöpfers aus.

„Gawar Elohím josefim! Anachnu hallelím attím!“ sang das Volk jubelnd. Es stimmte den Großen Lobgesang an, den man nur an den höchsten Feiertagen im Tempel hörte, und der Kaiser antwortete mit dem prepstlichen Hochgebet, dem Großen Segen und der Abschluss-Ansprache an das Volk von Monastair.

„Brüder und Schwestern, Gemeinde von Monastair und Puntirjan!“, begann er vom Thron des Prepstus aus zu verkünden. „Wemuriel bedeckte Wemur erneut, und Puntirjan gedenkt des Anfangs der neuen Zeit – einer Zeit, in der unsere Zivilisation nach den Sternen greift, um sie dereinst zu besiedeln. Aus Altakol kam das Signal, dass es andere bewohnbare Welten gibt. Drei Annus ist es her, und die Zeit des Altakolia-Projektes begann, in der unsere Völker …“

„Bewohnbare Welten, Tüngör, was für ein Mist!“, krächzte Gugay. Er langweilte sich angesichts der langen Zeremonie, und sein Magen knurrte. „Genießbare Speisen, Tüngör, das wäre jetzt mein Anliegen, hier vor mir – und nicht Kolonisierungspläne ferner Welten.“

Tüngör deutete ihm an zu schweigen. Er fand die Zeremonie feierlich, und er war ergriffen von dem historischen Moment. Es war der bedeutendste Festtag aller Puntirjanors – Gugay jedoch interessierte sich sehr zum Befremden von Tüngör und Jenis nur für die Flugechsenkeulen auf dem Büffet für die cisnairschen Besucher. Und während der prepstliche Kaiser der Raumfahrtgeschichte gedachte, näherte sich Gugay Schritt um Schritt der gedeckten Tafel. Er glaubte sich tatsächlich unbeobachtet. Dort angekommen, ergriff er eine Echsenkeule. Tüngör aber hatte ihn im Blick, und auch Jenis fühlte sich in seiner Andacht gestört.

„Das ist hier kein Self-Service-Restaurant!“, zischte er, und Tüngör nickte zustimmend.

Ein Kleriplan drehte sich um.

„Pack das weg!“, wiederholte Tüngör genervt.

„Tüngilein, die guten Keulen! Sie werden doch kalt!“, maulte Gugay, doch Jenis und Tüngör blieben hart. Gugay drehte sich um wie ein beleidigtes Kleinkind, und der Speichel floss ihm im Schnabel zusammen.

„Widerlich, dieses Benehmen!“, dachte Jenis. „Andere wären froh hier sein zu dürfen!“

Er dachte an seine Frau, die nun in einer Bäckerei daheim neben dem Planetarium stand, um das Ganze beobachten zu können. Plara! Er wäre gern bei ihr gewesen! Er hatte sie damals geheiratet, und sie hatten vier Kinder bekommen. Auch schon vor seiner ersten Lebenspartnerschaft hatte er so viel erlebt. Er hatte damals den Tod eines prepstlichen Kaisers miterlebt, als er noch Ministrant war, wurde zum Kleriplan berufen, dann zur Armee, besuchte Tanz- und Hochschule. Nach einem Mechatronik-Trivialstudium mit Nebenfächern wie Mikro- und Ökobiologie, Stoffmathematik und Raumfahrttechnik machte eine echte und dann noch eine unglückliche „virtuelle Scheinbeziehung“ durch, eine einseitige Interfunk-Liebe, so dass seine erste, echte Beziehung zerbrach. In einem Loch von Trauer, Depression und Suizidgedanken hatte er dann Plara kennengelernt und den Job bei der RAGA angetreten, die ihn zu Tüngör geschickt hatte.

„Psst!“, zischte er. Tüngör sah ihn an.

Jenis wollte Tüngör den Trojanerchip mit der RAGA-Software geben. Sie sollte ihm Zugang zu den sarkarischen Kryptodateien mit Lithiumerz-Abbau- und -Nutzungsplänen verschaffen. Die Sarkarier hatten für den Mobilmachungsfall wohl wirklich vorgesehen, das gesamte Sar-Gebiet abzubauen, um an genug Rohstoff zu kommen zur Konstruktion von Li-Fusionsbomben. „Mein Gott, die Kinder! Es darf keinen Krieg mit Sarkar geben!“, dachte Jenis, „Hoffentlich liegt keine Dateikopie mehr auf dem Server bei Gouverneur Aru!“

Jenis achtete nicht weiter auf Gugay, der schmatzend am Rande des Buffets stand. Jenis hatte kurz an seinen Sohn Jenini denken müssen, der inzwischen Klasse zwei der Basisschule besuchte. Dann aber stellte Jenis sich neben Tüngör. Er schob ihm möglichst unbeobachtet den Chip in das Gefieder und stellte sich wieder einige Schritte abseits. Tüngör blinzelte ihn an, dann wandte er sich Gugay zu.

„Gleich ist die Rede zuende, dann essen wir, du Hungerkloß, und fliegen heim nach Cisnair!“

„Geil!“, gurgelte Gugay in seinem Speichelfluss.

Als er sich dann endlich gesättigt hatte, bestiegen sie ihr Shuttle. Mit Maximalbeschleunigung düsten sie davon, und obwohl Puntirjanors auch eine Beschleunigung mit zwölffacher Erdschwerkraft noch gut aushalten, war es Gugay etwas übel. Was aber wohl an den 17 Flugechsenkeulen lag.

Als Sarkermann im fernen Sarkugratt von Tüngörs Verhaftung und Wiederfreilassung erfuhr, fluchte er, wie er noch nie geflucht hatte. Aber er konnte nichts tun. Hätte er dem sarkarischen Kaiserhof nebenan gesteckt, dass Tüngör die Datei bei Sarkodot entwendet hatte, dann hätte der Sarkarierkaiser ihn dafür verantwortlich gemacht. Das hätte seinen sicheren Tod bedeutet, eine Hinrichtung erster Klasse. Und diesen Triumph gönnte er seinem Widersacher Arfazzu Aru in keinster Weise. Der hätte am Ende noch seine helle Freude daran gehabt, ihn, den Sarkodot-Chef, exekutiert zu sehen – den Mann, der ihm diesen peinlichen Fehlalarm eingebracht hatte, über den bei Sarkodot entflohenen I.P.O.-Agenten. Sarkermann konnte jetzt nur noch schweigen und weiter behaupten, diese Daten bei Sarkodot seien versehentlich gelöscht worden – ein auf elektronischem Wege verlorengegangenes Wissen.

DER AUFBRUCH

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