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Kapitel 3

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Malalo war Gugays bester Handelspartner diesseits der Grenze. Malolo hasste die Sarkarier, aber er handelte mit ihnen ebenso wie mit den Leuten aus Cisnair. Er betrieb einen Im- und Export für Kleinroboter, Boote, landwirtschaftliche Maschinen, Hard- und Software sowie von Feinkost aller Art. Außerdem belieferte er von Cisnair aus sogar ausländische Adels-Häuser mit Nanocomputern und illegalen Software-Kopien. Was er jedoch nur langjährigen Handelspartnern gegenüber einräumte. Ansonsten war er allgemein der honorig-wohlhabende Eigentümer eines mittelständischen Nanotec-Betriebes. Und ein Sohn der Wüste, vom Stamme der Walali. Und darauf war er stolz.

„Fünfzig?“, rief er freudig erregt in das Mikro seines Mini-Phones am Handgelenk.

„Ja, fünfzig Nanocomputer mit Gigabyte-Speicherchips, und zwar bis morgen!“, hörte er am anderen Ende der Leitung.

„Wird geliefert!“, sicherte er Choppu zu und beendete das Gespräch.

Malalo stieß einen Jubelschrei aus. Ein solcher Auftrag würde ihm mehr einbringen als Hundert Kleindealer-Anfragen. Niemals hätte er damit gerechnet, nun auch Lieferant für Sarkodot werden zu können – das Bestechungsgeld an seinen Mittelsmann in Sarkugratt hatte sich wirklich ausgezahlt: Choppu arbeitete aus „nationalen Sicherheitsinteressen“ als Jung-Offizier der Armee bei Sarkodot, dem Großkonzern mit Lobby am Kaiserhof von Sarkar. Der Kaiser und seine Armee hatten das Machtmonopol, und die Armee war verschmolzen mit dem Konzern. Dieser durfte daher ebenso wie Hof und Armee einen Kapitalzuwachs ohne Begrenzung aufweisen und zahlte keine Steuern, kontrolliert aber wurde er von der Armee. Choppu hatte deshalb die Bedenken an Malalos Seriosität in der Vorstandsetage des Konzerns und ins Besondere bei Sarkermann persönlich zerstreuen können. Choppu vertrat offiziell zudem die Interessen des Materialbeschaffungsdienstes der sarkarischen Armee. Die Bestellung von Sarkodot ging also an Malalo. Nun war er Handelspartner beiderseits der Grenze, am Schnittpunkt zwischen den beiden großen Blöcken, zwischen den Superreichen in Sarkar einerseits und der breiten, aber gut organisierten Mittelschicht der I.P.O. andererseits. Zu dieser gehörten auch die Bürger der Cisnair République. Sie zahlten Steuern erst ab einem gewissen, recht hohen Einkommen, und die Macht von Regierung und Konzernen wurde in den Staaten der I.P.O. durch Gewaltenteilung und Unternehmer-Besteuerung begrenzt. Somit gab es dort kaum noch soziale Unterschiede, und Demokratie und Wirtschaft funktionierte frei von Ausbeutung, Neid und Klassenkampf.

Malalo hatte somit das große Glück, als Händler zu beiden Blöcken Beziehungen pflegen zu können. Und das war auf Puntirjan etwas Besonderes.

Tüngör hatte Gugay natürlich mit Absicht verschwiegen, dass er einen neuen Job bei der RAGA angetreten hatte. Er ließ ihn im Glauben, er arbeite als Werbetexter – mal hier, mal dort. Allzu neugierigen Fragen seines großen Bruders über etwaige mögliche Handelsbeziehungen zu den Sarkariern wollte er aus dem Weg gehen, ebenso möglichen Kopfgeldjägern aus Sarkar. Deshalb funkte er seine tschingesischen Kontaktleute in Clénairville an. Diese sandten einen Boten aus in das Buschland von Westsarkar – eine persönliche Nachrichtenübertragung „offline“ war ihnen hier sicherer als per Interfunk.

Der Bote mit der Warnung vor möglichen Kopfgeldjägern der Leibgarde erreichte die geflüchteten tschingesischen Zwangsarbeiter und Rebellen im Busch unversehrt, und es klappte wie am Schnürchen. Denn tatsächlich nämlich kamen kurz danach zwei windige Typen im Rebellenlager an, angeblich Flugechsenjäger. Sie hatten aber nicht nur einen sarkarischen Akzent, sie hatten auch noch Waffen der sarkarischen Armee bei sich und waren bis an die Zähne bewaffnet. Sie jagten offensichtlich nicht nur Flugechsen, und als einer der Rebellen dann auch noch Reste eines Sarkodot-Abzeichen im Gepäck dieser schlafenden „Echsenjäger“ entdeckte, war die Sache klar: Die Rebellen sorgten sicherheitshalber dafür, dass die spionierenden „Echsenjäger“ nicht mehr wach wurden. Nie wieder.

Per Interfunk, abhörsicher in Clénairville, informierte Tüngör Jenis über die Vorfälle im Busch jenseits der Grenze. Jenis war zufrieden.

„Und der sarkarische Gouverneur Arfazzu Aru hat nichts davon erfahren?“, fragte Jenis nach.

„Nein, dafür haben die Rebellen gesorgt, und die Tschingesen bekunden mir ständig ihre Freundschaft.“, antwortete Tüngör.

„Wir sollten trotzdem versuchen, in Erfahrung zu bringen, ob Aru etwas von Sarkodot über dich weiß.“

Tüngör fluchte innerlich – er wollte eigentlich erst einmal seinen Heimaturlaub genießen.

„Na gut.“, antwortete er. „Aber ich will mich dieser Sache nicht jetzt sofort annehmen. Gib mir zwei, drei Puntirjandays, okay?“

Jenis schnaufte widerwillig.

„Komm, Jenis. Schließlich habe ich Urlaub!“

Tüngör gewann den Wettstreit der Argumente, und so verabschiedete er sich von Jenis. Höchst zufrieden schloss er seine Interfunkverbindung zur RAGA.

Sein Bruder Gugay bemerkte von Tüngörs Agententätigkeit jedoch herzlich wenig. Er lebte in der tiefsten Provinz von Cisnair, im Busch. Er war ein Abenteurer und Sammler, im Busch zuhause, und hatte ihn bisher fast nie verlassen. Jetzt aber war auf dem Weg nach Clénairville, zu Malalo. Tüngör nutzte seine seltene Abwesenheit. Er genoss erst einmal seinen Urlaub, in vollen Zügen. Er flog mit Fisca aus, in den Urwald – ein gemeinsamer Bade-Ausflug zum Cisnit-Biotop an einem Seitenflüsschen des Sar. Seine Fisca! Sie war der eigentliche Grund, weshalb er nicht nur „geheimdienstlich“ im Buschland untertauchen wollte, sondern privaten Urlaub brauchte: Tüngör war in der Balz, und da zog es ihn in die Natur.

In der Balz war ein Puntirjaner nur beschränkt arbeits- und einsatzfähig. Er war in einer Phase, in der das Interesse anderen Brennpunkten galt. Die Hormone, Erben der langen Entwicklungsgeschichte des Planeten Puntirjan, bestimmten Gefühl und Gemüt, und das Handeln richtete sich ganz auf die Werbung um eine Partnerin. In der Balz wuchsen den Puntirjanern je nach Phase verschiedenfarbige, aber immer grellbunte Federn. Über ihre Beine, Flügel und Arme zeigten balzende Puntirjaner ein kompliziertes Balzverhalten, untermalt von bestimmten Schnatter- und Zwitscherrufen sowie Interfunk-Signalen. Es wurde um eine Partnerin geworben, ein Nistplatz gesucht und ein Nest zur Eiablage gebaut – notfalls sogar in der eigenen Wohnung. Die Brutzeit folgte, die Eiablage, die Schlupf aus dem Ei, die Nistzeit, und die körperliche und sozial-kognitive Lernzeit des Kükens. All diese Phasen wurden von den Eltern intensiv und gemeinsam durchlebt. Puntirjaner sind sehr fürsorgliche Eltern – und zuvor eben sehr intensiv in ihrer Balz. Diese Auszeit war nun für Tüngör gekommen, und er verbrachte sie mit Fisca im Busch.

Die Bucht lag träumend in einem von Nebel erfüllten Tal. Dichte Ravrokyl-Pflanzen umsäumten das Ufer, riesigen Ackerschachtelhalmen gleich. Summende Insektenschwärme umkreisten suchend die hellblauen Blüten einiger Rank-Pflanzen, die Ähnlichkeit mit Ackertrichterwinden zeigten. Einige Pflanzen waren von parasitären Klein-Saugern bedeckt, deren orange Panzer schwach im trüben Sonnenlicht glänzten. Tau tropfte von den Halmen, und kleine Wesen, ähnlich den Blattschneiderameisen, schleppten Mykorrhiza-Pilze, Blattläuse, Blattsegmente und Halmspitzen die Stängel hinab in ihren Bau. Ein Wasserfall rauschte und bildete den akustischen Hintergrund für die Laute der Urwald-Tiere, die das Tal erfüllten.

„Hier ist das Wasser wunderbar!“, schwärmte Fisca und schwamm zu einem kleinen Wasserfall, der sich in den Tümpel ergoss.

Tüngör schwamm zu ihr rüber. Sie spielten im Wasser, spritzten es einander zu. Es schimmerte blaugrün, enthielt Mikroben, den Blaualgen ähnlich, Muscheln und Korallen, die mit puntirjanischen Zooxanthellen in einer Art Symbiose lebten (so wie auf der Erde anaerobe Darmbakterien in Symbiose lebten mit ihren luftfreien, lebenden Behältern, die man als Säugetiere und Menschen bezeichnete).

Ein Schwarm Putzervögel streifte durch das Tal – auf der Suche nach neuen Großlurchen.

Fisca tauchte auf, freudig erregt.

„Schau, eine Krakenqualle!“, rief sie und winkte Tüngör herbei.

„Sonnentau und Bärenklau!“, rief Tüngör freudig, holte tief Luft und tauchte in den Tümpel. Da sah er sie – eine apfelgroße, hellblau schimmernde Krakenqualle, ein selten großes Exemplar. Einige kleine Quallen folgten ihr, wohl der Nachwuchs, und dann kamen weitere, im Wasser wallende Wolken dort scheinbar qualmender Quallentierchen. Sie quirlten, leise quiekend, aus einer Quelle warmen Wassers, strömten quer zu einer quarkähnlich aussehenden Quarzwand, knapp unter der Wasseroberfläche.

Später ruhten sich Tüngör und Fisca kurz auf einem der Felsen aus Amblygonit-Erz aus, die aus dem Tümpel ragten. Trotz allen Genusses – sie blieben wachsam, denn auch im puntirjanischen Dschungel drohten Gefahren. Schwärme von Libellenmücken, Riesenzecken und Blauwespenschwärme zogen gelegentlich durch die Sümpfe. Und sie hatten keine Lust, einem von ihnen zu begegnen.

Fisca und Tüngör genossen ihren Badeausflug bis in den späten Morgen. Mittags zog Gugay mit Tüngör los, ein paar Flugechsen zum Abendessen jagen. Nachmittags waren sie dann müde, aber mit guter Beute zu Fisca heimgekehrt. Sie hatte am Platz für den späteren Nestbau eine Platte mit Früchten vorbereitet, und ein Büffet mit köstlichen, pflanzlichen Speisen, die der Urwald zu bieten hatte. Feierlich und unter Absingen ihrer Balzgesänge legten sie die ersten Zweige für ihr Nest. Tüngör zeigte sein ganzes, grellbuntes Balzgefieder, vollführte mit Fisca den Rundflug zur Bekundung der Paarungsbereitschaft und nahm mit Fisca und Gugay das traditionelle Nistplatz-Einweihungsmahl zu sich.

Tüngör und Fisca ließen es sich noch lange schmecken. Gugay hingegen war sofort nach dem Essen aufgesprungen und für den Abend zu Malalo geflogen. Er wollte mit ihm seinen nächsten Coup aushandeln, einen Coup, der ihn bald in eine äußerst brisante, ja, gefährliche Geschichte verwickeln sollte. Diese Geschichte jedoch veränderte sein Leben, und sie führte ihn und seine Familie weit über die Welt von Puntirjan hinaus.

Anmerkungen: Die Welt von Puntirjan, Tüngörs Heimat, ist ein Planet vom Typ „Supererden“. Er liegt im System eines Dreifachsterns und umrundet dessen Hauptstern Wemur, eine gelborange Sonne. Weiter außen liegt der braune Zwergstern Fronan, ein erkalteter Methanzwerg, und als drittes Gestirn gehört noch Wemuran dazu, ein weißer Zwergstern, der die Sonne Wemur und ihren Methanzwerg in großer Ferne umrundet. Puntirjan kreist in einem sehr günstigen Abstand von Wemur, dort herrschen angenehme Temperaturen, es gibt eine dichte Atmosphäre, und so konnte sich Leben entwickeln.

Nahezu 78% der Oberfläche des Planeten sind von Ozeanen bedeckt. Hier hatten sich die ersten Urzeller gebildet, urtümlich mikrobiotische Einzeller-Arten. Später bildeten sie eine Fülle von Vielzellern. Sie ähnelten Weichtieren, Pilzen, Blaualgen und Fischen, aber auch im Wasser lebenden Insekten- und Krakenarten. In den Ozeanen dominierte bald eine intelligente Art blauer Riesenkraken. Sie wiesen Funkorgane auf und konnten über große Strecken hinweg kommunizieren, ähnlich wie die Wale auf der Erde. Schließlich wurden die Landmassen Puntirjans von Ravrokylpflanzen besiedelt. Die Wälder bevölkerten sich mit zahlreichen Pilzen, Pflanzen, Landinsekten, amphibien- und reptilienähnlichen Kriechtieren wie Flugechsen und andere, fremden Gattungen. Hier dominierten schließlich die Puntirjaner, hochintelligente Vogelmenschen, zu denen Tüngör und Jenis gehörten.

Puntirjaner sehen teils dem Menschen ähnlich, teils aber auch dem Wellensittich, dem Papagei oder dem Raben. Sie entstammten reptilienähnlichen Kleintieren, die in Flüssen, Meeren und Erdhöhlen lebten. Ein urzeitlicher Meteoreinschlag hatte die damals noch vorherrschenden Groß-Säugetiere und Riesen-Insekten vernichtet. Die Reptilienähnlichen aber entwickelten sich daraufhin weiter zu den puntirjanischen Vogelmenschen. Puntirjaner legen Eier. Sie haben Schnäbel und ein Gefieder, eine sehr lange Lebensdauer und sechs Gliedmaßen, je zwei Beine, Flügel und Arme – wobei die Flügel nur noch zu kurzen Gleitflügen taugen. Zusätzlich zu ihren Augen, Ohren, Fühlern, Zungen und Nasen haben sie, genau wie die Riesenkraken, noch ein weiteres Sinnesorgan – das mit dem Groß- und Rindenhirn vernetzte Funkorgan. Es besteht aus einer langen Elektrolyt-Kapillare und Tausenden von Electrocyten, die Strom erzeugen, wie bei irdischen Zitterrochen und –aalen. Wenn die Elektrocyten mit ihrer Elektroplaque feuern, dann schwingen in der Kapillare elektrische Ladungen, Ionen. Das erzeugt natürlich Funkwellen – und diese können umgekehrt auch in den Kapillaren wahrgenommen werden. Die Funkorgane sind also wie kleine Sende- und Empfangsantennen, und die drahtlose Kommunikation über diese Organe wird als Interfunk bezeichnet.

Im Unterschied zu den Riesenkraken verfeinerten die Puntirjaner ihre Funkorgane mit Hilfe elektrischer Geräte, vor einigen hundert Jahrmillionen zu Beginn ihrer technischen Zivilisation. So konnten sie die Frequenzen und Amplituden der Funkwellen viel feiner modulieren und mehr Informationen übertragen. Ihre Interfunk-Kommunikation wurde schließlich dadurch perfektioniert, dass sie ihrem Nachwuchs im zarten Kükenalter Mikrochips implantierten, indem sie sie an spezielle Neuronen koppelten, und später durch eine Art „Armband-smartphones“ ergänzten.

Interfunk ist auf Puntirjan das Kommunikationsmedium. Doch die hoch technisierte Zivilisation der Puntirjaner fußt nicht nur auf dem Interfunk, sondern auch „offline“, auf der Kommunikation über die Stimme, das Zwitschern, und einigen Flugfiguren, ähnlich dem Bienentanz irdischer Honigbienen. Wenn Puntirjaner sich unterhalten – und das tun sie wie irdische Papageien, meisterhaft und leidenschaftlich – dann klingt es akustisch wie das Zwitschern eines Wellensittichs mit dem Kropf einer Taube. Es ist also nicht ganz einfach gewesen, die Geschichte von Tüngör und Jenis und von einer völlig andersartigen Zivilisation zu erzählen. Trotz Koevolution und Konkurrenz, Selektion und Symbiose – die Entwicklung lebender Arten ist hier völlig andersartig gelaufen, ebenso die technische Entwicklung. Diese Geschichte ließ sich trotzdem schreiben, indem für die uns fremden Vorgänge, Wesen und Geräte möglichst entsprechende, irdische Ausdrücke eingesetzt wurden. Die Funk- und Zwitschersprache der geselligen Vogelmenschen aus Puntirjan wurde, so gut es ging, durch phonologisch-semantische Wortübertragungen in unseren Buchstaben und Worten ausgedrückt. Der zwitschernd-gurrende Laut, den sie zum Beispiel ausstoßen, wenn sie ihren Heimatplanet meinen, kann zum Beispiel in etwa mit "Puntirchan, Puntirjän" oder eben "Puntirjan" wiedergegeben werden).

DER AUFBRUCH

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